Und täglich grüsst das Heidentum

Und täglich grüsst das Heidentum

Die litauischen Stämme wurden erst Ende des 14. Jahrhunderts christianisiert, die Schemaiten (žemaičiai) in Niederlitauen als allerletzte Heiden Europas sogar erst 1413. Unter der Landbevölkerung hielten sich heidnischen Riten noch Jahrhunderte. Eine fortlaufende Tradition eines Kultes dieser nun meist „baltisch“ genannten Religion bis in die jüngste Zeit gibt es jedoch nicht. Schriftliche Quellen reichen nur bis in die frühe Neuzeit zurück und stammen immer aus christlicher Feder. Die litauischen „Neuheiden“ müssen sich daher ihre Rituale mehr oder weniger zusammenfantasieren. Aus diesem Grund bekommen sie vom Staat auch nicht den privilegierten Status einer „traditionellen Religion“ zugesprochen.

Dennoch blüht diese heidnisch durchtränkte Ethno-Kultur im Land. „Heilige Orte“, „heilige Bäume“ und „heilige Quellen“ gibt es an jeder Ecke. Jüngst besuchten wir den kleinen Ort Naisiai, etwa 15km nordöstlich von Šiauliai (unweit des Berges der Kreuze). Dort hat der von dort stammende schwerreiche Agrarindustrielle und Politiker Ramūnas Karbauskis als Mäzen ein „Museum der baltischen Götter“ unter freiem Himmel einrichten lassen (s. Bild o. und weitere ganz u.). Auf einem großen Areal im Zentrum des Ortes stehen nun dutzende Holzstelen mit baltischer Rautenornamentik und Götterfiguren. Die litauische, lettische und prussische Kultur soll so den Besuchern nahe gebracht werden (die Esten werden heute geographisch und politisch zu den Balten gezählt; historisch haben sie mit den Völkern der indoeuropäischen baltischen Sprach- und Kulturfamilie nichts zu tun, gehören vielmehr zu den finno-ugrischen Völkern).

Ein „Platz des Feuers“ und der Sonne wurde eingerichtet; extra ließ man einen Opferhügel (Alkos kalnas) aufschütten, auf dem auch Plätze für Kulthandlungen vorgesehen sind. Auf großen Tafeln wird der Besucher in litauischer und englischer Sprache aufgefordert, „die baltische Kultur zu studieren, ihre Werte zu schätzen und sie an zukünftige Generationen weiterzugeben“ – tatsächlich soll die ganze Sache richtig ernst genommen werden. Mäzen Karbauskis sieht alles übrigens als wunderbar mit dem katholischen Glauben vereinbar an.

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Energie-Labyrinth in Šiauliai

Ganz neu im Trend liegen nun auch „energetische Labyrinthe“. Am Talkša-See in Šiauliai liegen seit einer Weile kniehohe Steine in Kreisen, die ein kleines Labyrinth bilden. Auf einer Tafel heißt es in Litauisch, Englisch und Russisch, dass beide Gehirnhälften intensiver arbeiten würden, wenn man die sieben Kreise entlang geht. Dadurch würden das Bewusstsein und die Wahrnehmung gestärkt. Dieser „heiliger Ort“ sei ideal zum Meditieren. Aber es wird noch besser: „Hier findet man Antworten auf Fragen, hier werden Probleme gelöst, und man beruhigt sich.“

Richtig Geschäft mit solchen Labyrinthen (s. Bild u. eines der Labyrinthe) und anderen energiegeladenen Objekten wird in einem Park im Nationalpark Niederlitauen bei Plateliai gemacht (unweit des Kalte-Krieg-Museums auf einer alten Raketenbasis). Dort wird Eintritt genommen, man kann Souvenire kaufen und sogar übernachten.

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Auf der Internetseite heißt es in deutscher Sprache, beim „Spaziergang durch Labyrinthe, beim Betrachten des  Mandalas ‘Die Blume des Lebens’, in der Nähe der Merkaba, beim Sitzen oder beim Stehen in der Kuppel“ könne man „sich erholen, Inspiration, Gedanken, Ideen und Antworten auf die Lebensfragen finden“ [Sprache leicht korrigiert]. Jeder Mensch sei schon im Besitzt der „ganze Information und aller Kenntnisse, nur ist das nicht jedem bewusst“. Und weiter: „Sobald Sie nur anfangen an sich selbst zu glauben, erschließen sich vor Ihnen große Möglichkeiten. Sie können das an jedem Ort erfahren und ein neues Leben anfangen, anfangen zu leben hier und jetzt, nur mit einem anderen Verständnis. Alle diese Figuren sind nur Mittel, die uns helfen, uns  innerlich zurechtzufinden.“

Natürlich befindet man sich auch dort an „heiligen Orten“, die über eine „natürliche Kräftigkeit“ verfügen. Es ist von persönlichen und globalen Krisen die Rede, wobei die „Harmonisierungsprozesse“ zu kurz kommen. Zur Bewältigung der Krisen müssten auch die Kenntnisse der Ahnen genutzt werden, „die sich selbst und die Welt ringsum als ein einheitliches lebendiges Dasein begriffen haben.“ Die Struktur der Labyrinthe würde mit ihren geometrischen Formen „die Entstehung des Universums und ihre Entwicklung widerspiegeln“.

Schließlich heißt es zu dem Objekt Merkaba, einer Art dreidimensionaler Davidsstern: „Uns wurde beigebracht, und bereits in unseren Kindheit haben wir angefangen zu glauben, dass wir kleine und begrenzte Wesen sind, aber das stimmt bei weitem nicht. Nach der Öffnung des Geistes und des Herzens, eröffnet Merkaba uns die Möglichkeiten zur Überschreitung des  bedingten und begrenzten Glaubens sowie zur Erkenntnis und zum Begreifen des  wunderschönen und grenzenlosen Potenzials des wahren ‘Ich’. Mit der Erschaffung und Aktivierung des eigenen Merkaba-Feldes helfen wir uns selbst unser eigenes Potenzial in jedem Lebensbereich zu erhöhen. Sowohl in geistigen, als auch in materiellen Hinsicht.“

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Der wohl größte Fels im Pokaini-Wald

Im Sommer hatten wir den Naturpark im Pokaini-Wald besucht. Eine schöne Hügellandschaft mit zahlreichen Steinen und Felsen – Relikte der letzten Eiszeit.  Aber natürlich wird auch dieser einfach nur erholsame Ort esoterisch-pantheistisch überhöht. In einem Prospekt (in deutscher Sprache) heißt es, Pokaini sei einer von vielen „Kraftorten“; hier könne man Energie empfangen und „sich mit den Heilskräften des Kosmos in Verbindung setzen“. „Höhere Wesen“ seien anwesend, „tief verborgene Reichtümer“ zu entdecken.

Weiter, wohl ein Buch über die Megalithkultur paraphrasierend: „In alten Zeiten wurden die Steine aufgerichtet, um die Lebensenergien an die Erde anzubinden, die von der Sonne und anderen kosmischen Kräften übertragen werden. Auf eine ähnliche Weise empfängt das Chakra-System des Menschen die Energie, um die Lebenskraft im Körper zu erhalten. Es gibt auf der Erde spezielle Eingangspunkte, die diese Kraft empfangen. Diese Orte werden auch als heilige Orte bezeichnet. Ähnlich den Akupunkturnadeln stimulieren die Megalithen den Fluss der Lebensenergie“

Man können sich „an einen solchen Ort ‘anschließen’ und die geistigen und physischen Batterien aufladen“. „Naturgeister“ werden erwähnt, und ganz heidnisch: „Das  Übernatürliche ist nichts Weiteres als eine Erweiterung dessen, was als das Natürliche bezeichnet wird. Die Barriere besteht nur wegen der begrenzten Wahrnehmung des Menschen“. Aber „dank der geistigen Energie, die aus dem energetischen Netzwerk strömt, können aber nun immer mehr Menschen die Präsenz dieser unsichtbaren Welt empfinden.“ Eine „Forscherin der heiligen Orte“ meint: „Der Ort Pokaini ist für uns eine heilige Botschaft aus sehr weiter Vergangenheit, aus denjenigen Zeiten, als die Menschen noch vollkommen mit Gott vereint waren“. Schließlich eine lettische Philosophin: „Durch die Steinhaufen geht ein kontinuierlicher Energiestrom, der die Verbindungen zwischen  der Erde und den kosmischen Leitern der Planeten schafft.“

Nun sollte man all dies sicher auch nicht zu ernst nehmen; vieles ist gewiss einfach nur modisches und schrecklich schwülstiges Esoterik-Geschwätz. Auch ist zu beachten, dass die Anhängerschaft der neuheidnischen ‘Gemeinden’ eher gering ist. Die Gefahr liegt also nicht in der direkten Abwerbung von Christen für das Neuheidentum. Problematisch ist ein allgemeines Klima der großen Offenheit für pantheistische Gedanken, was auf dem Hintergrund des alten litauischen Heidentums umso mehr Nahrung findet. So können nun schon seit vielen Jahren diverse Esoteriker, Scharlatane, Astrologen und New Age-Propheten den Menschen die Köpfe verdrehen. Pseudo-geistliches Geschreibe stürmt Bestsellerlisten.

Für Christen ist all dies sehr ernst, da so ein verfälschtes Verständnis von Religion und Spiritualität propagiert wird. Außerdem ist erschreckend zu sehen, wie viele in den Gemeinden an Mondkalender und Bioenergie glauben. Das esoterisch-heidnische Dauerfeuer (oder die Dauerberieselung) hinterlässt ihre Spuren. Selbst in evangelikal geprägten Gemeinden macht sich der Pantheismus breit.

In der theologischen Ausbildung ist daher eines der wichtigsten Themen die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf. Selbst Nichtchristen wie Jan Assmann haben die Wichtigkeit der Unterscheidung gesehen. In Die Mosaische Unterscheidung stellt der deutsche Ägyptologe dar: „Im Grunde geht es um die Göttlichkeit der Welt. Der jüdische, christliche und islamische Monotheismus zieht eine strikte Trennung zwischen Gott und Welt.“

Diese Unterscheidung ist für die Wissenschaft zentral (eine nichtgöttliche Welt, die nach ihren Gesetzen funktioniert und erforscht werden kann und soll); genauso für die Politik (keine Vergöttlichung der Herrschaft, kein gottgleichen Monarchen, Staat und Regierende vielmehr als Diener und unter Gott). Sie hat herausragende Bedeutung für die Ethik. Denn nur ein personaler Gott, der von der Schöpfung unterschieden ist, kann den Menschen gegenüber mit objektiver Autorität sprechen. Konkret dreht es sich in der Ethik ja auch zentral um die Frage, was Objekt der Anbetung und Verehrung ist (Röm 1,25). Wir dürfen auf keinen Fall etwas Geschaffenes anbeten; dafür muss klar zwischen Gott und dem Geschöpf unterschieden werden.

Dieser Unterscheidung ist natürlich von größter Relevanz für die Lehre von Gott. Wayne Grudem:

„Pantheismus leugnet einige wesentliche Aspekte von Gottes Charakter. Wenn das gesamte Universum Gott ist, hat Gott keine eigenständige Persönlichkeit mehr. Er ist dann nicht mehr unwandelbar, denn er wandelt sich genauso wie das Universum. Gott ist dann außerdem auch nicht mehr heilig, denn das Böse in der Welt ist auch ein Teil Gottes. Ein weiteres Problem ist, dass die meisten pantheistischen Systeme (wie der Buddhismus und andere Östliche Religionen) im Ergebnis die Wichtigkeit einer individuellen Persönlichkeit des Menschen leugnen.“ (Systematic Theology)

Schließlich sei noch die Lehre von Sünde und Erlösung genannt: Das Problem des Menschen ist nach der Bibel nicht, dass wir keine Götter oder zu wenig göttlich/“geistlich“ sind; wir sind nicht aus dem Göttlichen herausgefallen, sondern haben gegen unseren Schöpfer rebelliert, der Mensch – obwohl gut geschaffen – wollte mehr als Geschöpf sein; Sünde ist kein metaphysischer, sondern ein ethischer Defekt.

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Infotafel auf dem “Sonnenplatz” des Museums der Baltischen Götter

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Stelen auf dem Opferhügel

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Eine nette Parkanlage, die aber mehr sein will: auf dem Platz des Feuers