„Bauern“ an die Macht

„Bauern“ an die Macht

Am 9. und 23. Oktober wurde in Litauen ein neues Parlament gewählt. 71 der 141 Abgeordneten des Seimas werden dabei in Wahlkreisen in direkter Wahl bestimmt, die andere Hälfte gelangt über landesweite Parteilisten in die Volksvertretung. In diesem Jahr war der Wahlkampf eher zurückhaltend, allerdings einmal wieder von recht populistischen Thesen gekennzeichnet. Noch vor einem halben Jahr konnten sich die Liberalen als Sieger wähnen. Doch wegen der Verwicklung ihres ehemaligen Parteichefs in einen Korruptionsfall stürzten sie in den Umfragen ab – das Rennen war auf einmal wieder völlig offen. Ganz Litauen verfolgte an den beiden Abenden die Auszählung der Stimmen in TV und Internet.

Bisher führten die Sozialdemokraten eine Vier-Parteien-Koalitionsregierung an. Premier Butkevičius hatte immer hohe Zustimmungswerte. Die Partei (hervorgegangen aus den Exkommunisten, später fusioniert mit den „echten“ Sozialdemokraten) musste jedoch eine herbe Schlappe einstecken. Die Zahl ihrer Abgeordneten halbierte sich: statt bisher 37 werden nun nur noch 17 Männer und Frauen der Partei, die 1992–1996, 2001–2008 und ab 2012 den Regierungschef stellte, in den neuen Seimas einziehen. Butkevičius, der bisher immer seinen Wahlkreis im heimatlichen Vilkaviškis souverän geholt hatte, unterlag dieses Mal gegen eine Bushido-Boxer, der aus dem Nichts gekommen war – demütigend für den an sich so beliebten Politiker, der sich wohl auf sein Lorbeeren ausgeruht hatte.

Die konservative „Heimatunion–Christdemokraten“ bemüht sich seit dem vergangenem Jahr um ein neues Profil, arbeitet an einer Verjüngung der Parteispitze. 2015 wurde der damals gerade 33 Jahre alte Europa-Abgeordnete Gabrielius Landsbergis zum neuen Parteichef gekürt; er löste den sehr kompetenten, aber unpopulären Expremier Kubilius ab. Der Enkel von Politik-Patriarch Vytautas Landsbergis konnte seine Partei jedoch nicht zum Sieg führen (mehr über die Landsbergis-Dynastie hier). Die „Heimatunion“ hielt ihr Ergebnis und erreichte 31 statt bisher 33 Mandate. Nach dem ersten Wahlgang lagen die Konservativen sogar vorne und konnten von einem Premier Landsbergis Jun. träumen. Doch der ambitionierte „Plan für Litauen“ wird nun wohl nicht umgesetzt. Der junge Neueinsteiger in der Landespolitik wird sich nun seine politischen Sporen in der Parlamentsopposition verdienen müssen.

Die Liberalen zitterten, ob sie überhaupt ins Parlament gelangen. Sie können sich daher über 14 Mandate und damit das beste Ergebnis bisher wahrlich freuen. Wie schon bei Wahlen zuvor brachten sie einige Direktmandate wie in ihrer Hochburg Klaipėda durch. Die Partei, angeführt vom Vilniuser Bürgermeister Šimašius, wird aber wie bisher in der Opposition bleiben. Und dass sie in der Hauptstadt kein einziges Direktmandat holen konnten, wird gewiss für Diskussionen in der Partei sorgen.

Kaum zu bedauern ist der Niedergang der „Arbeitspartei“,  die  die 5-Prozenthürde nicht mehr überspringen konnte. Sie fiel von 30 auf nur noch zwei Mandate. Einst gegründet vom zwielichtigen, russischstämmigen Unternehmer Viktor Uspaskich aus Kėdainiai, verwickelte sich diese Pseudopartei in zu viele Skandale wie illegale Parteienfinanzierung (schwarze Kassen in Millionenhöhe). Endlich kommt die Quittung.

Der Stern der rechtspopulistischer Partei „Ordnung und Gerechtigkeit“ sinkt ebenfalls. Knapp kam diese über 5 Prozent und wird mit 8 Abgeordneten nur etwas schwächer im neuen Parlament vertreten sein (2012: 11). Expremier und Expräsident Rolandas Paksas, nun EU-Parlamentarier, trat als Parteichef zurück. Auch die Partei der polnischen Minderheit konnte ihre Position halten; sie erhielt ebenfalls wieder 8 Mandate.

Der große Sieger der Wahl ist der „Bund der Landwirte und Grünen Litauens“. Auf insg. 56 Mandate kommt diese Partei, die 2012 nur knapp 4 Prozent der Stimmen erzielte und eine Abgeordnete im Seimas hatte. So stark hatte eine einzelne Partei zuletzt vor zwanzig Jahren, 1996, abgeschnitten. Parteichef Ramūnas Karbauskis, Jahrgang 1969, ist nun der Mann der Stunde.

Der Agrarmagnat aus dem Kreis Šiauliai besitzt ein Vermögen von mehreren Hundert Millionen Euro und mischt schon seit Jahrzehnten in der Politik mit. Vor knapp zwanzig Jahren war er schon einmal Chef der Bauernpartei, saß mehrfach im Seimas. Vor zehn Jahren vereinigte sich die Partei mit der „Neuen Demokratie“ von Kazimira Prunskienė, der ersten Regierungschefin Litauens 1990. Beide Politiker lieferten sich später einen Machtkampf, aus dem Karbauskis siegreich hervorging. Seit 2009 führt er die Partei an, die sich seit 2012 so wie heute nennt.

Die Bauernpartei ist ideologisch nur schwer einzuordnen. Seit etwa zwanzig Jahren ist sie eher dem linken politischen Spektrum zuzuordnen. So wundert es nicht, dass manche Forderungen nach staatlicher Planwirtschaft riechen und daher auch die Liberalen als Partner von vornherein ausscheiden. Gar nicht links ist die Betonung von traditionellen Werten, der Familie und der Lebensschutz. All das macht die Partei auch für Christen attraktiv. Nicht so recht dazu passen will der neuheidnische Freiluftpark von Karbauskis im heimatlichen Naisiai bei Šiauliai (s. auch hier). Kaum zu einer „grünen“ Partei paßt außerdem die Tatsache, dass Karbauskis Konzern der wohl größte Händler von Kunstdünger im Lande ist. (Die „Partei der Grünen Litauens“ gibt es auch noch; wie schon 2012 sitzt ihr Chef Linas Balsys, bekannt als TV-Journalist und langjähriger Brüssel-Korrespondent von LRT, im Parlament.)

Karbauskis Partei konnte enttäuschte bisherige sozialdemokratische Wähler für sich gewinnen. Und das nicht zuletzt dank populärer Persönlichkeiten, die er für die Partei gewinnen konnte. Ein Coup landete Karbauskis, als er den sehr beliebten ehemaligen Polizeichef und Innenminster Saulius Skvernelis auf Platz 1 der Liste setzte (im Bild o. rechts von Karbauskis). Dieser wird nun höchstwahrscheinlich neuer Premier. Koalitionsverhandlungen werden nun mit den Sozialdemokraten geführt. Den vielen Politikneulingen der Bauernpartei wollen sie mit ihrer Erfahrung aushelfen – und natürlich einige Ministerposten behalten.

Zuletzt vor sechzehn Jahren gab es solch einen Umbruch in Parlament und Regierung. Damals war der junge Paksas der neue Star – und bald schon als Premier gescheitert; seine breite Koalition der „neuen Politik“ zerbrach schnell. Die neue Koalition wird es auch nicht leicht haben, finden sich doch in der bunten Parlamentsfraktion der „Bauern“ viele Unerfahrene in der großen Politik. Karbauskis wird selbst kein hohes Amt übernehmen (mglw. aber Fraktionschef) und nicht in die Regierung eintreten. Als graue Eminenz wird er dennoch die Exekutive versuchen zu steuern. Spannungen sind so schon vorprogrammiert.

Ob Litauen unter der Partei mit dem aufsteigenden Storch im Logo auch wirtschaftlich abheben wird, bleibt fraglich. Gewiss kann man sein, dass die Regierung unter ihrer Führung eine stramme Anti-Akolholkampagne fahren und den Handel mit Wein, Schnaps und Bier radikal beschränken wird.