Geplatzte Träume

Geplatzte Träume

Mit immerhin 67 Sportlern war Litauen bei den Olympischen Spielen in Rio vertreten. Nach fünf Medaillen in London 2012, darunter zwei Mal Gold, erhoffte man sich auf jeden Fall ein halbes Dutzend Auszeichnungen in Edelmetall. Doch viele Hoffnungen wurden enttäuscht. Ähnlich durchwachsen wie die Gesamtbilanz der Großveranstaltungen fällt auch das Urteil über die litauischen Athleten aus.

Es begann gleich mit einer herben Niederlage im Tennis. Ričardas Berankis, immerhin auf Rang 71 der Weltrangliste, schied gleich in der ersten Runde aus. Noch viel größere Erwartungen richtete ganz Litauen natürlich an Rūta Meilutytė. In London hatte die damals erst 15-Jährige über 100 Meter Brust souverän Gold geholt. Mehrere Weltrekorde und Siege bei internationalen Meisterschaften folgten und haben die junge Sportlerin im Land zu einem Superstar und beliebten Werbeträger gemacht. In Rio wurde die blonde junge Frau ihrem Favoritenstatus jedoch nicht gerecht, konnte ihren Titel nicht verteidigen. Das Rennen machte die gleichaltrige Lilly King aus den USA vor Meilutytės großer Konkurrentin Jafimowa aus Russland. Die Litauerin landete im Finallauf abgeschlagen auf Platz sieben. Nach dem Rennen flossen bei Rūta, wie sie in Litauen nur genannt wird, Tränen. Und natürlich meldeten sich gleich alle Experten, die die Schuld am Misserfolg bei den Trainingsmethoden ihres britischen Coaches suchten.

Traditionell erhofft man sich in Litauen auch vom nationalen Basketballteam einen Platz auf dem Podest. Schließlich gelang der litauischen Mannschaft der Gewinn von Bronze bei drei Olympiaden hintereinander (1992, 1996 und zuletzt in Sydney 2000).  Doch wie schon in London war für die Truppe unter Nationaltrainer Kazlauskas im Viertelfinale Schluss. NBA-Stars wie der Riese Jonas Valančiūnas blieben hinter ihrem Potential zurück und konnten eine deutliche Niederlage gegen Australien nicht verhindern. Zuvor waren die Litauer in ihrem Nationalsport im letzten Spiel der Hinrunde geradezu gedemütigt worden: Spanien besiegte Litauen mit 50 Punkten Abstand! Schmerzhaft für den Europameister, schließlich hatte man den Erzrivalen in Testspielen in der Vorbereitung klar geschlagen.

Fest mit einer Medaille hatte sicher Laura Asadauskaitė-Zadneprovskienė gerechnet. In London holte die Sportlerin im Modernen Fünfkampf Gold (ihr Mann Andrejus Zadneprovskis gewann in in der gleichen Sportart in Peking Bronze). Asadauskaitė machte jedoch die dritte  Disziplin einen Strick durch die Rechnung: Beim Springreiten bockte ihr Pferd und verweigerte vier Mal den Sprung über ein Hindernis – keine Punkte und so keinerlei Chance auf einen vorderen Platz. (Im Modernen Fünfkampf werden die Tiere den Sportlern durch Los zugeteilt.)

In der Leichtathletik hat Litauen seit dem Abgang von Virgilijus Alekna (Gold im Diskuswurf in Sydney und Athen, Bronze in Peking) keinen Sportler mehr mit aussichtsreichen Chancen auf eine Medaille. Hoffnungen auf einen vorderen Platz im Hochsprung konnte sich aber Airinė Palšyte machen, schließlich übersprang die 24-Jährigen bei den Europameisterschaften in diesem Jahr 1,96m und gewann damit Silber. Im Finale in Rio war jedoch für sie schon bei 1,88 Schluss – ein doch etwas enttäuschender Rang 13.

Im Marathon der Frauen gingen gleich drei Litauerinnen an den Start. Mit ihrem Ergbenis war aber nur Diana Lobačevskė zufrieden, die als 17. ins Ziel lief. So eine Platzierung hatte sich  Rasa Drazdauskaitė aus Šiauliai erhofft, die vor einigen Jahren von der Mittel- auf die Langstrecke umgestiegen war. Sie kam mit den schwierigen Bedingungen in Rio schlechter zurecht und landete auf Platz 37, direkt hinter ihr eine weitere Läuferin aus Litauen. In der Leichtathletik erreichten von 16 Sportlern nur vier ihre Ziele.

Schon seit Jahrzehnten gehören litauische Radfahrerinnen zur Weltspitze. Um die Jahrtausendwende dominierten sie geradezu den Wettbewerb um den „Sportler des Jahres“ Litauen (Diana Žiliūtė, Edita Pučinskaitė, Rasa Polikevičiūtė; 1998, 1999 und 2001). Auch die Bahnfahrerin Simona Krupeckaitė erhielt die Auszeichnung 2009 und 2010. National und international hat sie bei Meisterschaften so gut wie alles gewonnen, was man gewinnen kann. Bei Olympiaden hat es für die 33-Jährigen bisher nie für eine Medaille gereicht. Und nun scheint es so, dass Krupeckaitė beim Start unter den fünf Ringen vom Pech verfolgt wird. Im Sprint kam sie nur auf Platz 7 (in London 5).

Zum Glück gibt es noch die Sportarten auf dem Wasser! Vor vier Jahren holte Jevgenijus Suklinas im Kanu Silber. Dieses Mal sorgten Aurimas Lankas und Edvinas Ramanauskas (aus Šiauliai!) im Zweier-Kajak über 200 Meter für den Gewinn  von Bronze. Saulius Ritter und Mindaugas Griškonis kamen im Doppelzweier der Ruderer hinter Kroatien auf den zweiten Platz. Und bei den Damen ruderten Donata Vištartaitė und Milda Valčiukaitė in der gleichen Disziplin hinter Polinnen und Britinnen als dritte ins Ziel. Auch die Seglerin Gintarė Scheidt war eine Medaillenhoffnung, doch in der Laser Radial-Klasse reichte es bei ihr nur zu Platz 7 (ihr deutschstämmiger Mann Robert Scheidt aus Brasilien verpasste in der gleichen Bootsklasse nur knapp Bronze).

Für die vierte litauische Medaille sorgte Aurimas Didžbalis im Mittelschwergewicht (bis 94 kg) der Gewichtheber. Der muskelbepackte Athlet freute sich mächtig über Bronze; seine Rolle rückwärts wurde zu einem beliebten Pressebild.

Daina Gudzinevičiūtė, die Leiterin des NOK und der Mannschaft in Rio, wird schon an der Auswertung der Spiele in Südamerika arbeiten. Viele glauben, dass es an den psychologischen Vorbereitungen und Begleitung der Sportler mangelte. Personelle Konsequenzen gab es auch schon: Basketballtrainer Kazlauaskas hört auf. Nun spekuliert das ganze Land, welche Basketballlegende sein Nachfolger wird: Šarūnas Jasikevičius (Europameister 2003) oder Rimas Kurtinaitis (noch in der sowjetischen Mannschaft Olympiasieger 1988). Und ein kleiner Trost für alle Litauer: Die Nachbarn in Lettland blieben mal wieder ganz ohne Edelmetall. Aber wie bei den Österreichern, die sich mit einer Medaille zufrieden geben mussten, konzentriert man sich dort mehr auf Wintersport.