Von der (Un)Gewissheit des Glaubens

Von der (Un)Gewissheit des Glaubens

Gehört der Zweifel zum Glauben?

Die ganze schriftliche Offenbarung Gottes hat vor allem das Ziel, Menschen zum Glauben zu führen. Eindeutig heißt es z.B. in Joh 20,30–31: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.“

In gewisser Weise glaubt jeder Mensch, denn alle gründen ihr Leben auf gewisse Grundüberzeugungen, die nicht hinterfragt werden, und damit letztlich auf einen Glauben. Wer den christlichen Glauben ablehnt, der hält an seinem nichtchristlichen Glauben (ob nun religiös oder nicht) fest. Glaube ist Vertrauen auf etwas, wovon wir begründet sagen können oder meinen, dass es wahr ist. Glaube sollte daher auch nicht dem Wissen entgegengesetzt werden. Das Grundproblem des Menschen ist, dass wir etwas Falsches für wahr halten. Im Garten Eden hielten die ersten Menschen das Wort der Schlange für wahr, vertrauten daher dieser und Gott nicht.

Wenn in der Bibel von Glauben die Rede ist, ist meist der rettende Glaube gemeint. Denn nicht jede Art von Glauben führt zur Erlösung. Glaube in einem allgemeineren Sinne kann neben den erwähnten Grundüberzeugungen Glaube an ein höheres Wesen oder Gott sein – Glaube dieser Art haben sogar die Teufel (Jak 2,19). Richtige Glaubensinhalte dieser Art sind wichtig, aber zum rettenden Glauben muss unbedingt das persönliche Vertrauen hinzukommen.

Glaube ist der einzige Weg zur Erlösung, denn Erlösung ist nur in Christus zu finden (Apg 4,12), und glauben heißt ihn aufnehmen: „Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben.“ (Joh 1,12) Besonders in der Apostelgeschichte ist Glaube sehr oft Glaube an den Herrn oder Jesus (3,16; 5,14; 9,42; 11,21; 14,23; 18,8; 19,4). Er bringt uns in direkten Kontakt mit Gott; er ist die Antwort auf die Frage „was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“ Die Apostel: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!“ (Apg 16,30–31) Dieser Glaube wird von allen Menschen gefordert.

Der Glaube rückte erst wieder in der Reformation ins Zentrum der Theologie. Deutlich zu sehen ist dies z.B. in den Schmalkaldischen Artikeln (1537). Nach dem kurzen ersten Teil über Gott erläutert Luther zu Beginn des zweiten Teils die Bedeutung des Todes Jesu für unsere Erlösung; er zitiert Röm 4,25, Joh 1,29, Jes 53,6 und Röm 3,23–25. Anschließend über die Rechtfertigung allein aus Glauben, ohne Werke – nach Luther die wichtigste Lehre der ganzen Reformation:

„Derweil nun solches geglaubt werden muß und sonst mit keinem Werk, Gesetz noch Verdienst erlangt oder gefaßt werden kann, so ist klar und gewiß, daß allein solcher Glaube uns gerecht macht wie in Röm 3,28 St. Paulus spricht: ‘Wir halten dafür, daß der Mensch gerecht werde, ohne Werke des Gesetzes durch den Glauben’ […]. Von diesem Artikel kann man nicht weichen oder nachgeben, es falle Himmel oder Erde oder was nicht bleiben will […]. Und auf diesem Artikel steht alles, was wir wider den Papst, Teufel und Welt lehren und leben. Darum müssen wir dessen ganz gewiß sein und nicht zweifeln. Sonst ist‘s alles verloren und behält Papst und Teufel und alles wider uns Sieg und Recht.“

Rollins

Peter Rollins

„Glauben ist menschlich, zweifeln göttlich“

Zweifel ist definitionsgemäß die Ungewissheit, ob etwas wahr oder falsch ist. Er wird in der Bibel gar nicht so selten thematisiert. (Hier mehr zum „Mythos vom blinden Glauben“ und gesunder Skepsis.) Dennoch ruft uns Gott in seinem Wort mit Jak 1,6 zu: Glaube und zweifle nicht! Weiter in dem Brief: „Denn wer zweifelt, der gleicht einer Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird. […] Ein Zweifler ist unbeständig auf allen seinen Wegen.“ (Jak 1,7–8)

Der christliche Philosoph Peter Rollins leugnet dagegen, dass der Glaube das alleinige Ideal ist. Er bezeichnet sich als Gläubiger und Zweifler. Diese Offenheit klingt zwar authentisch und macht einen sympathischen Eindruck, doch in seinen Büchern geht er auch deutlich darüber hinaus. In How (Not) To Speak of God ist ein Abschnitt vielsagend „Zweifel als Tugend“ überschrieben. Der Zweifel sei als unverzichtbarer Teil des Glaubens zu schätzen (doubt „can be celebrated as a vital part of faith“).

Rollins, seit einer Weile in den USA lebender Nordire, liebt geradezu die Kombination von Dingen, die für uns nicht zusammen zu passen scheinen: „Nur der Christ kann ein Atheist sein“, so einer seiner provokanten Sätze (andere Beispiele: „Revelation as concealment“, „God rid me of God“, „Orthodox heretic“, „Idolatry of God“).

Der schon von manchen „Apostel des Zweifels“ genannte Rollins knüpft dabei vor allem an der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz an (Mt 27,46). Jesus erfuhr die Gottesferne, zweifelte an seinem Vater, und daher, so Rollins, sei Zweifel sogar göttlich. Der Untertitel seines Buch Insurrection: „To Believe is Human, to Doubt, Divine“. Glauben, so Rollins immer wieder, sei ja gar nicht so sehr das Problem; glauben könne und wolle jeder. Aber zweifeln wir auch richtig? Das ist für ihn der Schlüssel zum rechten Verständnis der richtigen Art zu glauben. Nur wer richtig zweifelt, glaubt richtig – paradox wie fast immer bei Rollins.

(Die Gottverlassenheit Jesu ist natürlich ein nicht ganz so einfaches theologisches Thema. Hier nur so viel: Sie als direktes Beispiel für Christen zu betrachten, macht wenig Sinn und nimmt dieser ihren Ernst – ganz gegen Rollins Absicht. Kern der Gottverlassenheit ist der Zorn Gottes über die Sünde der Menschheit, die der Sohn zu spüren bekam. Diese Art der Gottverlassenheit müssen Christen eben nicht mehr ertragen, und in dem Ausmaß war sie von ganz anderer Dimension als was ‘normale’ Menschen teilweise durchmachen. Rollins berücksichtigt nicht die Einzigartigkeit des Gottessohnes, dessen Heilshandeln nicht von uns wiederholt werden kann und soll. Er unterscheidet also nicht zwischen der besonderen Gottmenschlichkeit Jesu und dem Herrn, dem wir tatsächlich immer ähnlicher werden sollen.)

Folgt man Rollins Vorträgen, die ein einziger langer und intensiver Strom von Worten und Geschichten und Bildern sind, so bleibt der Zuhörer zwar fasziniert von seinem Gedankenreichtum zurück, fragt sich aber nur zu oft, was der so schlaue Philosoph uns nun sagen wollte. Hinter dem Wust von Worten steht nur wenig Substanz. Nur hier und da drückt er sich klarer aus. In einem Vortrag vor ein paar Jahren in Australien: „Faith is a commitment to the idea that the world is beautiful, that people and life is worth living and dying for. It’s not about life after death – who cares about that? It’s about ‘is it possible to have life before death?’“ Die Welt ist schön, das Leben wert, dass man dafür lebt und stirbt – geht es darum im christlichen Glauben?

Der Moderator der (nichtchristlichen) Veranstaltung fragte Rollins daher auch, warum er seine Gedanken in einem religiös-christlichen Kontext ausdrücke. Und tatsächlich: Als Glaubensobjekt bleibt bei Rollins eigentlich nur die Liebe, die gottgleiche Züge bekommt. Aus „Gott ist Liebe“ wurde bei ihm „die Liebe ist Gott“. Dafür ist aber keine religiöse Verpackung mehr nötig. Trotz Nachhakens beantwortete der Ire diese Frage nicht wirklich. Warum auch? Es geht ja allgemein nicht mehr darum, die Fragen des Zweifelnden zu klären und zu beantworten. Ehrliche und ernsthafte Antworten werden auf ehrliche und ernste Fragen gegeben (ein Motto der L’Abri fellowship), damit Zweifel überwunden wird. Wenn Zweifel aber in den Glauben selbst integriert wird, dann sind Unklarheit und Ungewissheit ja sogar aufrecht zu erhalten. „Du sollst nichts höher schätzen als den Zweifel“, so treffend das erste der „10 Gebote des Zweifelismus“ nach Blogger Jonas Erne.

Hebel

Mehr oder weniger zweifeln?

Torsten Hebel, Autor von Freischwimmer, verbreitet nun ebenfalls den Gedanken, dass Zweifel in den Glauben gehört. „Ich würde mir wünschen, dass wir viel mehr zweifeln, als diesen teilweise phrasenhaften Glauben vor uns hertragen.“ Viele haben ihm anerkennend geschrieben, dass endlich einmal jemand über seine Zweifel redet. Natürlich bezieht auch Hebel sich auch auf die biblischen Beispiele von Gläubigen, die Gott mit ihren Zweifel konfrontieren.

In gewisser Weise haben Rollins und Hebel durchaus Recht: In manchen christlichen Kreisen sollte der Zweifel tatsächlich ein Stück weit rehabilitiert werden. Damit ist gemeint, dass Zweifel auf keinen Fall unter den Teppich gekehrt werden sollten. Um der Zweifelnden willen sind Kirchen aufgerufen eine Atmosphäre der Offenheit zu schaffen, in der ernste Fragen erörtert werden können. Dass der Zweifel in den Glauben selbst gehört, ist aber missverständlich, und Rollins Erhöhung zu einer Tugend kann sich als fatal erweisen.

Bessere Orientierung lieferte schon vor vierzig Jahren Os Guinness in seinem Klassiker Doubt. Der bekannte Autor, Redner und Apologet unterscheidet darin Zweifel vom Unglauben. Gerade konservative Christen stempeln Zweifelnde zu oft als Ungläubige ab. Guinness fällt aber nicht auf dieser verständnisvollen Seite vom Pferd. Der Zweifel ist für ihn eine Schwebezustand, der nicht auf Dauer aufrechterhalten werden kann und soll. Werden Zweifel nicht behoben, breiten sie sich nur zu leicht wie ein Krebs aus, und der Samen des Glaubens wird erstickt. Der Zweifel muss daher, so Guinness, angegangen und überwunden werden. Er wünscht sich keineswegs, dass wir viel mehr zweifeln. Nein, der Zweifel soll abnehmen.

„Das vornehmste Werk des Heiligen Geistes“

Viel Erhellendes zu der Frage hat auch Reformator Johannes Calvin in seiner Institutio geschrieben. Das gesamte zweite Kapitel in Buch III ist dem „Glauben, seinem Wesen und seinen Eigenschaften“ gewidmet. Das erste Kapitel im Buch über die Aneignung der Gnade handelt vom Wirken des Geistes. Dies ist eine gute theologische Wahl, denn der Glaube ist zwar unser Handeln, wird aber gewirkt vom Geist, ist daher Gabe und Geschenk (s. Eph 2,8–9; Joh 6,44). Calvin: „Das vornehmste Werk des Hl. Geistes aber ist der Glaube […]. Denn er führt uns allein durch den Glauben an das Licht des Evangeliums heran.“ (Inst. III,1,4) So auch im Westminster-Bekenntnis: „Die Gnade des Glaubens, durch die die Erwählten in die Lage versetzt werden, zum Heil ihrer Seelen zu glauben, ist das Werk des Hl. Geistes in ihren Herzen. Sie wird gewöhnlich durch das Amt des Wortes gewirkt […].“ (XIV,1). Gott muss Glaube in uns wirken, weil wir von uns aus nicht dazu in der Lage sind. Calvin: „Der Unglaube sitzt und so tief im Herzen und ist dermaßen verwurzelt“ (III,2,15), dass das Vertrauen auf Christus sich nicht von selbst einstellt. Martin Luther formulierte dies hervorragend im Kleinen Katechismus: „Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann […].“

Calvin

Calvin definiert den Glauben sehr umfassend. Er ist eine Erkenntnis (III,2,14), die „fest und gewiss“ (III,2,15) ist. Der Glaube „ist die aus dem Wort Gottes geschöpfte Erkenntnis des Willens Gottes uns gegenüber. Seine Grundlage aber ist eine stete Überzeugung von Gottes Wahrheit.“ (III,2,6) Eine Zusammenfassung des „Wesens des Glaubens“ in einem Satz: „Er ist die feste und gewisse Erkenntnis des göttlichen Wohlwollens gegen uns, die sich auf die Wahrheit der in Christus uns dargebotenen Gnadenverheißung stützt und durch den Heiligen Geist unserem Verstand geoffenbart und in unserem Herzen versiegelt wird.“ (III,2,7) Der Glaube hat nach Calvin mit dem Denken zu tun, muss aber auch das Herzen erreichen. Das Wort Gottes „ist nicht schon dann im Glauben erfasst, wenn man es ganz oben im Hirn sich bewegen lässt, sondern erst dann, wenn es im innersten Herzen Wurzel geschlagen hat.“ (III,2,36)

Der Glaube ist auf Christus und das Wort ausgerichtet: „Das Wort ist das Fundament, auf das der Glaube sich stützt und das ihn trägt; wendet er sich von ihm weg, so bricht er zusammen. Nimm also das Wort weg und kein Glaube wird mehr übrigbleiben!“ (III,2,6) Es geht beim Glauben darum, die Verheißungen „innerlich [zu] ergreifen und uns so zu eigen [zu] machen.“ (III,2,16) Rechter Glaube führt dazu, dass „wir mit ruhigem Herzen vor Gottes Angesicht zu treten wagen.“ (III,2,15) Ein Gläubiger steht „in der sicheren Gewissheit seines Heils getrost da“, er spottet „des Teufels und des Todes fröhlich“  (III,2,16). Der „verkehrte Zweifel“ soll dagegen „aus unserem Herzen mit der Wurzel“ ausgerissen werden (III,2,15).

Calvin betont an anderer Stelle, dass der Glaube „bloß ein Werkzeug ist, durch das wir die Gerechtigkeit erlangen“. Er selbst darf nicht mit Christus vermischt werden, „der die tatsächliche (materiale) Ursache, ja, der Geber und zugleich Dieber dieser Wohltat ist!“ (III,11,7) Der Glaube ist Instrument, nicht Grundlage der Rettung, was durch das lateinische per fidem propter Christum ausgedrückt wird: durch den Glauben wegen Christus werden Menschen gerettet.

Glaube als solcher rettet also nicht. Gott rettet und dies durch den Glauben als Instrument. Der Gläubige schaut nicht auf seinen Glauben, sondern von sich weg auf Gott. In Inst. III,13,5 bezeichnet Calvin den Glauben im Hinblick auf die Rechtfertigung sogar als „gänzlich passiv“, denn „er bringt nichts von dem Unseren, um Gottes Gnade zu erwerben, sondern empfängt von Christus, was uns gebricht!“ Traditionell wird oft das Bild der leeren Hände für die echte Glaubenshaltung gebraucht, so auch schon im bekannten Kirchenlied „Rock of Ages“ von A.M. Toplady (1740–1778): „Nothing in my hand I bring / Simply to the cross I cling“ (Nichts bringe ich in meiner Hand / Allein an das Kreuz halte ich mich).

Für die oben genannte aktuelle Diskussion ist dies natürlich sehr relevant. In weiten Teilen der evangelikalen Tradition besteht die Tendenz, dass der Glaube eben doch mehr als bloßes Werkzeug ist und sich gleichsam zur Heilsgrundlage verselbständigt. Dazu hat sicher auch die evangelistische Praxis des Altarrufs seit dem 19. Jahrhundert mitbeigetragen. Sie führt nur zu leicht zu dem Glauben, dass man auf Grund der eigenen Glaubensentscheidung gerettet wird. Auch Hebel sieht den Altarruf in Freischwimmer nun sehr kritisch und ist damit genau auf der richtigen Fährte. Ist der Glaube mehr als Instrument, wird seine Qualität von entscheidender Wichtigkeit, Zweifel werden zum Tabu. Hebel hinterfragt dies zu Recht. Nur wendet er sich nicht (und Rollins schon gar nicht) dem propter Christum zu, dem „Simply to the cross I cling“.

Glaube – „stets mit Unglauben vermischt“

Es ist außerdem sehr wichtig zwischen der Definition des Glaubens und der Erfahrung der Glaubenspraxis zu unterscheiden. Calvin fasst den Glauben als feste und gewisse Erkenntnis auf. Und er steht damit natürlich nicht allein. Der Heidelberger Katechismus spricht in Fr. 21 („Was ist wahrer Glaube?“) ebenfalls von „zuverlässiger Erkenntnis“ und „herzlichem Vertrauen“. Heinrich Bullinger kennzeichnet den echten Glauben im Zweiten helvetischen Bekenntnis sogar als „felsenfestes Vertrauen“, als ein „ganz gewisses Erfassen der Wahrheit Gottes“ (XVI,1).

Nehmen die protestantischen Väter den Mund nicht zu voll? Doch man beachte, dass dies eben die Definition des Glaubens ist. Die Glaubenspraxis bleibt oft genug hinter dieser Vollkommenheit zurück. Dies wäre nur dann ein heilsbedrohendes Problem, wenn die Glaubenserfahrung uns retten würde – tut sie aber Gott sei Dank nicht.

Calvin konnte daher auch feststellen, „dass in allen Gläubigen der Glaube stets mit Unglauben vermischt ist.“ (III,2,4) Wegen der „verschiedensten Zweifel“ kommt „das Gemüt der Frommen selten zur Ruhe“ (III,2,37). Es gibt also keinen Christen, der einen perfekten Glauben, d.h. eine einwandfreie Glaubenspraxis vorzuweisen hat. Hier liegt das Wahrheitselement in Rollins „Gläubiger und Zweifler“. Ja, kann man nur sagen, wir sind auf Erden immerdar eine solches Mischwesen. Leider.

Calvin betont in nüchternem Stil weiter, „dass unser Glaube, solange wir in der Welt Prilgrime sind, ‘eingewickelt’ ist, und zwar nicht nur, weil uns noch viele Dinge verborgen sind, sondern weil wir auch in dem vielen Nebel des Irrtums, der uns umgibt, nicht alles begreifen können. Denn auch für den Vollkommensten besteht die höchste Weisheit darin, fortzuschreiten und in stiller Gelehrigkeit weiterzustreben. […] und tagtäglich begegnen wir, wenn wir in der Schrift lesen, vielen unverständlichen Stellen, die uns überführen, wie unkundig wir noch sind. Durch diesen Zügel hält uns Gott bei der Bescheidenheit; er misst jedem Einzelnen das ‘Maß des Glaubens’ (Röm 12,3) zu, damit auch der beste Lehrer zum Lernen bereit sei.“ (III,2,4)

„Nebel des Irrtums“ klingt geradezu postmodern. Aber Calvin geht es darum, dass Christen fortschreiten, Erkenntnisse gewinnen, Zweifel überwinden. Rollins und Co. dagegen lieben gleichsam den Nebel.

Calvins Menschenbild führt zu seiner realistischen Einschätzung; er warnt eindringlich vor Selbstüberschätzung, denn „das Menschenherz enthält soviel Verstecke für die Eitelkeit, soviel Schlupfwinkel der Lüge, es ist in derart betrügerische Heuchelei verkappt, dass es sich gar oft selber täuscht!“ (III,2,10) Ganz anders als Rollins spricht er  von einem „natürlichen Trieb zum Unglauben“ (III,2,20). Die gute Nachricht ist dabei aber, dass Gott selbst den Gläubigen bewahrt: „Der Glaube mag in den Erwählten noch so gering sein, noch so schwach sein, so kann doch sein eingegrabenes Zeugnis nie mehr aus ihrem Herzen herausgerissen werden, da für sie der Heilige Geist das sichere Unterpfand und Siegel ihrer Kindschaft ist.“ (III,2,12) Auch das reformierte Westminster-Bekenntnis betont, dass der Glaube stärker und schwächer sein kann und Schwankungen unterworfen ist, endet dann aber mit einer positiven Note: „Dieser Glaube weist verschiedene Grade auf. Er ist schwach oder stark, kann oft auf ganz verschiedene Art und Weise angefochten und geschwächt werden, behält jedoch den Sieg…“ (XIV,3)

Es bleibt für Calvin also die Spannung zwischen dem Glauben, der durch volle Gewissheit definiert wird, und unserem mangelhaften Glauben: „Wenn wir lehren, dass der Glaube gewiss und sicher sein soll, so verstehen wir darunter ganz gewiss nicht eine Gewissheit, die kein Zweifel mehr berührte, keine Sicherheit, die keine Sorge und Angst mehr bedrängte; nein, wir sagen, dass die Gläubigen immerfort im Kampfe liegen gegen ihren eigenen Mangel an Vertrauen.“ (III,2,17)

Anschließend nennt er das Beispiel Davids. Allgemein gilt ja, dass die biblischen Glaubenshelden wie z.B. Abraham und andere aus der Liste in Hbr 11 durchaus auch schwachen Glauben, Versagen und Zweifel zeigten. Calvin stellt weiter gut dar, dass uns die Unvollkommenheit immer begleiten wird: „Das gläubige Herz empfindet also in sich eine Verschiedenheit: einerseits fühlt es sich in der Erkenntnis der göttlichen Güte mit Süßigkeit durchströmt, andererseits sieht es sich durch das Empfinden der eigenen Not bitter geängstigt, – einerseits ruht es sicher auf der Verheißung, die das Evangelium zuteil werden lässt, andererseits erzittert es über dem Zeugnis der eigenen Ungerechtigkeit, – einerseits freut es sich hoch, weil es das Leben ergreifen darf, und anderseits erschrickt es vor dem Tod! Diese Verschiedenheit kommt daher, dass der Glaube unvollkommen ist; denn im Lauf dieses Lebens ist es um uns nie so gut bestellt, dass wir von der Krankheit unsers Mangels an Vertrauen gänzlich geheilt und völlig vom Glauben erfüllt und in Besitz genommen sind.“ (III,2,18)

Die gute Nachricht ist aber, dass schon „das mindeste Tröpflein Glaube“ (III,2,19) ausreicht, um gerettet zu werden. Auf diesem Wissen darf man sich aber nicht in falscher Weise ausruhen: „uns allen ist unsere Unkundigkeit ein Anstoß“; wir ringen damit und bemühen uns darum, Zweifel zu überwinden, im Glauben zu wachsen – „dass unsere Unvollkommenheit der Grund ist, weshalb wir uns immer neu mit Lernen üben müssen“ (III,2,20).

Calvin geht es also um Wachstum des Glaubens. Anfangs sind Gläubige noch von „allerlei Unwissenheit umhüllt, die langsam entweicht“ (III,2,19) – langsam, wohlgemerkt. Ein Christ steht in einem lange andauernden Kampf, da Fleisch und Geist, alter und neuer Menschen, sündige und erneuerter Natur, miteinander ringen (III,2,18). Calvin hält daher nichts von einer versöhnten Verschiedenheit von Glaube und Zweifel.

In diesem Kampf „schützt sich der Glaube mit dem Wort des Herrn“. Das Bild vom Schild des Glaubens (Eph 6,16) verdeutlicht gut, von welcher Art der Kampf ist:  „Der Unglaube regiert nicht drinnen, im Herzen der Frommen, sondern er berennt sie von außen; er kann gegen sie anstürmen, aber er verwundet sie mit seinen Pfeilen nicht zu Tode; verletzt er sie, so ist die Wunde wenigstens nicht unheilbar!“ (III,2,21)

„Verwirrte Gefühle“

Calvin war ganz und gar kein verkopfter akademischer Theologe, für den ihn viele leider halten. Der Reformator war in erster Linie ein Hirte und machte viele pastorale Erfahrungen in Jahrzehnten seines Dienstes. Er erfuhr selbst Zweifel am eigenen Leibe. Man denke nur an seinen ersten Rauswurf aus Genf oder den recht frühen Tod seiner Frau. Calvin wusste, dass Gott den Zweifel wie auch Krankheiten, Leid und Anfechtungen gebrauchen kann. In den Erwälten muss letztlich auch der Zweifel dem Glauben dienen.

Calvins Spiritualität war gleichsam im Feuer gestählt. So wundert es nicht, dass er die Psalmen wertschätzte. In seinem Kommentar des biblischen Buches: „Ich bin gewohnt, dieses Buch eine Anatomie aller Seelenteile zu nennen, weil es kein Gefühl des Menschen gibt, das nicht hier wie in einem Spiegel dargestellt wäre. Sogar, um es noch besser zu sagen, der Heilige Geist hat hier alle Schmerzen, Traurigkeiten, Ängste, Zweifel, Hoffnungen, Besorgtheiten, Bestürzungen bis bin zu den verwirrten Gefühlen, von denen der Geist der Menschen gewöhnlich bewegt ist, sehr scharf gekennzeichnet “

Wenn „verwirrte Gefühle“ in Gemeinden angemessen thematisiert und angesprochen werden, dann käme es vielleicht auch weniger zum Vorwurf des „phrasenhaften Glaubens“ (s.o. Hebel). Aber bedeutet dies auch, dass wir viel mehr zweifeln sollten? Calvin wäre da nüchterner. Zweifel ist nicht das Ideal, keine Tugend und keine Hängematte, in der man sich ausruhen kann. Schließlich ruft auch niemand nach mehr Schmerzen, mehr Ängste, mehr Besorgtheiten.

Der Zweifel ist eine ernste Sache. Zu ernst, um ihn Aposteln des Zweifels wie Rollins zu überlassen. Mehr Hilfe bekommt man bei Calvin, dem „Mensch zwischen Zuversicht und Zweifel“, so der Untertitel der deutschen Ausgabe von Herman Selderhuis Biographie des Franzosen.

(Bild o.: Elihu Vedder, Between Doubt and Faith, 1887)