Das Ende des Litas

Das Ende des Litas

Wenn es in diesen Tagen in den deutschen Medien um den Euro geht, dann meist um den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Diese Möglichkeit wird nun auf einmal ins Spiel gebracht, um eine linksextreme Mehrheit bei den Wahlen dort Ende des Monats zu verhindern. Wenig Aufsehen machte dagegen die Nachricht, dass Litauen am 1. Januar als letzter der drei baltischen Staaten den Euro eingeführt hat (Estland führte die europäische Währung 2011 ein, Lettland im vergangenen Jahr). Nun werden in der zweiwöchigen Übergangsphase die Kunden in allen Geschäften immer gefragt: „Wollen Sie in Euro oder Litas zahlen?“ Ab dem 15. Januar wird die nationale Währung Litas dann Geschichte sein.

Natürlich verabschiedet man sich auch in Litauen schweren Herzens von der eigenen Währung. Gut 21 Jahre war der Litas im Land im Umlauf. Doch die Bindung an ein Zahlungsmittel ist in Litauen nicht so groß wie z.B. bei den skandinavischen Nachbarn, denn in den letzten einhundert Jahren wechselte die Währung im Land an die zehn Mal.

Im Zarenreich galt natürlich der russische Rubel. 1915 besetzten im Ersten Weltkrieg deutsche Truppen das ganze Land. 1916 wurde u.a. für „Ober Ost“ (Litauen, Kurland, Weißrussland) der Ostrubel eingeführt. Die  beherrschten russischen Gebiete mussten weiter mit Geld versorgt werden. Im April 1918 trat die Ostmark hinzu – neues Papiergeld aus Berlin.

Schon im Februar 1918 erklärte Litauen seine Unabhängigkeit, doch erst im November wurde eine Regierung gebildet. Eine eigene Währung konnte der neue Staat mehrere Jahre nicht einführen, so dass die deutsche Ostmark weiter im Umlauf blieb. Erst durch den Friedensvertrag mit der Sowjetunion im Sommer 1920 gelangte Litauen an 3 Millionen Goldrubel Kompensation. Mit dieser Goldreserve als Grundlage konnte über die Schaffung einer eigenen Währung nachgedacht werden. Die Zeit drängte, denn die Mark, die die Golddeckung seit 1914 nicht mehr besaß, wurde in den Strudel der Inflation gerissen.

Im Sommer diskutierte der Seimas, das litauische Parlament, zahlreiche Namensvorschläge für die neue, eigene Währung: Mark und Dollar waren dabei, „Auksinis“ (der Goldene) oder „Vytis“ (der Ritter im Nationalwappen, der sich übrigens nun auf den litauischen Euro-Münzen befindet) waren Ideen. Es setzte sich die Neuschöpfung „Litas“ durch. Ab dem 2.Oktober 1922 wurde er eingeführt und zu einem Kurs von einem Litas für 175 Ostmark getauscht. Für zehn Litas bekam man einen US-Dollar. Dieser Kurs wurde bis 1940 gehalten. Ein Grund für die große Stabilität der Währung war natürlich die (teilweise) Golddeckung: für einen Litas waren 0,150462 Gramm Gold hinterlegt (was auf dem o. abgebildeten Schein links unten in der Ecke auch vermerkt ist).

1940 wurden die baltischen Staaten in die Sowjetunion gezwungen. Der sowjetische Rubel wurde Ende November Zahlungsmittel. Moskau forderte die Goldreserve Litauens ein, die in westlichen Ländern deponiert lag. Nur Schweden kam dieser Forderung nach und lieferte das litauische Gold in die UdSSR. Mit der deutschen Besetzung 1941 kehrte für drei Jahre die Mark, genauer: die Reichsmark, zurück auf litauisches Gebiet. Große Bedeutung hatte dies nicht, da die allermeisten Waren streng rationiert waren und nur auf Bezugsscheine ausgegeben wurden.

1944/45 kam der Rubel zurück. Zwei Generationen lebten in Litauen mit dieser Währung, die nach einer Reform 1961, bei der zwei Nullen gestrichen wurden, einen recht hohen Nennwert besaß (Verdienste um 200 Rubel waren normal). Sehr viele Produkte bekam man schon für „Kapeikos“ (Kopeken, der hundertste Teil des Rubel) – viele Ältere gebrauchten umgangssprachlich „Kapeikos“ auch noch für die Cents des Litas.

Talonas

„Tierchen“: Zahlungsmittel in Litauen von 1992 bis Sommer 1993

Im Frühjahr 1990 erklärte der frei gewählte Oberste Sowjet Litauens die Unabhängigkeit des Landes. Und wie ab 1918 war der Weg zur eigenen Währung nicht einfach. 1991 blockierte Moskaus nicht nur Waren und Energie, sondern auch den Nachschub von Bargeld. Um nicht ganz auf dem Trockenen zu sitzen und den Übergang zum neuen Litas zu schaffen, wurden im August 1992 die „Talonai“ als Zahlungsmittel eingeführt, die im Oktober den Rubel ganz ersetzten. Da auf den Scheinen litauische Wildtiere wie Elch und Wisent abgebildet waren, nannte man sie auch „Tierchen“. Ein anderer Name war dem damaligen Premier Gediminas Vagnorius zu verdanken: „vagnorkės“. Diese Währungsreform war für viele Litauer sehr schmerzhaft, da Ersparnisse in Rubel radikal an Wert verloren (und wegen mangelnden Möglichkeiten, sein Geld auch auszugeben, hatten die Bürger eben oftmals viel auf der hohen Kante). Mehrere tausend Rubel, die z.B. Rimas Eltern auf dem Sparkonto hatten und die sie nicht rechtzeitig in Gebrauchtsgüter anlegten, verflüchtigten sich so in Tagen.

Im folgenden Jahr war es dann endlich soweit: am 25. Juni 1993 wurde der Litas wieder eingeführt (zum Kurs von 1 Litas für 100 Talons). Beihilfe zur Stabilität leistete mit Devisen nun Schweden, das so die Auslieferung des Goldes an die UdSSR wiedergutmachte. 1994 koppelte die Litauische Bank den Kurs an den US-Dollar (4 Litas zu einem Dollar). Schon im Hinblick auf die Mitgliedschaft in der EU wurde 2002 zur Bindung an den Euro gewechselt: 1 Euro zu 3,453 Litas. Mit diesem festen Wechselkurs lebte man in Litauen also zwölf Jahre. Die Einführung des Euro ist damit der abschließende Schritt der Integration in den Euro-Raum.

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Nun bald nicht mehr im Umlauf: 100-Litas-Schein

Man mag über den Euro denken wie man will – für die baltischen Staaten ist die Aufnahme in den Euro-Raum eine Erfolgsgeschichte. Schon 2007 hätte Litauen den Wechsel der Währung schaffen können. Damals riss man äußerst knapp die Latte des Inflationskriteriums (3%, Litauen hatte eine 1 hinter dem Komma). Es fehlte damals der politische Wille, denn Sparmaßnahmen im Haushalt wären nötig gewesen. So kamen die Esten den Litauern dann zuvor.

Umso erstaunlicher, dass Lettland und Litauen es nach dem Krisenjahr 2009 geschafft haben. In beiden Ländern schrumpfte die Wirtschaft im zweistelligen Bereich; Staatsbankrotte drohten; Lettland musste Hilfe des IWF in Anspruch nehmen. Die Mitte-rechts-Regierungen in beiden Ländern bekamen die dramatische Krise jedoch in den Griff. Es gelang ihnen sogar, die Haushalte für den Euro fit zu machen. In Lettland wurde die Regierungskoalition wiedergewählt. Im Litauen kann nun die sozialdemokratisch geführte Regierung die Früchte der Arbeit von Premier Kubilius und Finanzministerin Šimonytė (2008–2012) ernten. Für den Euro-Klub sind die baltischen Staaten nun eine Bereicherung, da sie für solide Finanzen einstehen (Estland glänzt hier ja noch mehr – das Land hat einen der niedrigsten Schuldenstände im Euro-Raum).