Der Stolperstein der Frommen

Der Stolperstein der Frommen

Die Nachricht bestand nur aus zwei Sätzen, hatte es aber in sich: vor drei Wochen wurde Giedrius Saulytis, der leitende Pastor der Wort-des-Glaubens-Kirche, von allen seinen kirchlichen Ämtern enthoben. Neben dem lutherischen Bischof und dem Generalsuperintendenten unserer Kirche ist Saulytis das bekannteste evangelische Gesicht in Litauen – und nun so ein abruptes Ende. Was ist passiert?

Im Spätsommer letzten Jahres begann der Hauptpastor der charismatischen Kirche mit rund 35 Gemeinden ein sog. Sabbatical, eine Auszeit oder bezahlten Urlaub für vollzeitliche Mitarbeiter. Überlastung sei der Grund, so hieß es in Interviews. Das große 25jährige Jubiläum der Kirche im Oktober wurde kurzerhand um ein Jahr verlegt.

Bis heute schweigt die Kirchenleitung (ein siebenköpfiger Pastorenrat) über Gründe für den radikalen Schritt. Irgendwie verwundert dies nicht, denn die Geschichte ist äußerst unangenehm für die junge Kirche (die übrigens mit der faith movement, gegr. von Kenneth Hagin, nichts mehr gemein hat). Schließlich war Saulytis (Jg. 1966) über 20 Jahre Kopf der Bewegung, nicht nur ihr Aushängeschild, sondern ihr unumstrittener Leiter. Im Jubiläumsvideo von 2003, 15 Jahre nach Gründung der Kirche, fühlt man sich an den bekannten Reklamespot erinnert: mein Dienst, meine Initiative, meine Idee, meine Kirche – so narzisstisch kommt der Hauptpastor dort rüber (s. auch hier). Natürlich fördert auch die autokratische Leitungsstruktur so ein um sich selbst kreisendes Denken. Vor zwei Jahren machte der intelligente und belesene Pastor dann auch noch seinen Doktor in London. Noch im Spätsommer konnte er deshalb die Vision und theologische Ausrichtung der Kirche als seine Verantwortung reklamieren.

Die Kein-Kommentar-Politik führt nicht sehr weit, denn die eigenen Leute fangen an zu reden. Vor einer Woche erschien auf Delfi, dem wichtigsten Nachrichtenportal des Landes, ein Artikel über die Hintergründe des Rauswurfs: Ein Mitglied der Vilniuser Gemeinde hatte sich an die Journalisten gewandt und Klartext geredet. Und was schon unter vorgehaltener Hand überall erzählt worden war, fand hier seine Bestätigung: eine illegitime Beziehung zu einer anderen Frau wurde dem Ehemann und Vater von drei erwachsenen Söhnen zum Verhängnis. Das Sabbatical war also eine Art letzte Chance, die man ihm gegeben hatte, um die Sache in Ordnung zu bringen. Wie es scheint, schlug Saulytis diese Möglichkeit aus.

Leider ist dies nicht nur eine private Tragödie. Saulytis war auch Dekan des Vilniuser Studienzentrums des EBIs. Nach seinem langen Drängen wurde im Herbst 2012 dieses zweite Zentrum gegründet, an dem sich tatsächlich gleich um die 30 Studenten anmeldeten. Doch die Frage, wer dort überhaupt unterrichten kann und soll, war nie so recht geklärt worden. Die Fachkräfte für evangelikale Theologie fehlen eigentlich, und nun fällt auch noch ein wichtiger Lehrer weg. Den Job des Dekans wird wohl Saulytis Nachfolger im Pastorenamt in Vilnius übernehmen müssen…

Grund für Schadenfreude gibt es nicht, schließlich stolperten schon so manche frommen Leiter in Litauen über die eheliche Untreue: Juras G., Leiter der litauischen Vineyard-Bewegung, Linas A., Sekretär des Baptistenbundes, Donatas I., Pastor in Klaipėda, und die Liste ließe sich noch verlängern. In einem kleinen Land wie Litauen mit vielleicht 10.000 Evangelikalen und nur ein paar Dutzend pastoralen und theologischen Leitern sind solche ‘Ausfälle’ äußerst bitter. Sie zeigen nur, dass hier ernste Probleme vorliegen, vor allem auch, dass so manche Leiter unter Überforderung leiden.  Und wenn M. Diener, Leiter der Deutschen Ev. Allianz, die Sündenhierarchie der Frommen kritisiert, dann kann man aus litauischer Perspektive nur sagen: die sexuellen Sünden sind tatsächlich die Versuchung Nummer Eins für evangelische Leiter, Missionare eingeschlossen.

Die Wort-des-Glaubens-Kirche geht nun durch eine schwierige Zeit, die sie, so ist zu hoffen, reifen und wachsen lässt. Vielleicht wird die Aufarbeitung auch zu einer intensiveren, herzlicheren Zusammenarbeit mit den anderen evangelischen Kirchen führen. Ein erster Schritt dorthin steht Ende des Monats an: Darius Širvys, nun WdG-Pastor in Vilnius und einer der Kirchenleiter, wird sich mit den reformierten Brüdern und Schwestern in Biržai zum Austausch treffen.