Einfrieren oder Nichteinfrieren

Einfrieren oder Nichteinfrieren

Das letzte Wochenende im Juni war in Litauen ungewöhnlich heiß. Traditionell nutzten viele den freien Johannistag (24.) und die folgenden Tage für einen Kurzurlaub am Meer oder an den Seen in Land. Im Seimas, dem Parlament des Staates, nahmen sich die Abgeordneten in den letzten Junitagen gleich eine Reihe heißer Fragen vor – heiß, weil in ethischer Hinsicht umstritten.

Hohe Wellen schlägt vor allem wieder das Gesetz, das erstmals die künstliche Befruchtung näher regelt. Wie schon vor genau fünf Jahren – so lange zieht sich die Debatte schon hin – stritten die Parlamentarier über Einfrieren oder Nichteinfrieren. Dabei ging es nicht um Beeren oder Gemüse, sondern um… und da scheiden sich schon die Geister: menschliches Leben, Leben mit menschlichem Potential, Zellhaufen?

Am 28. Juni wurde mit recht großer Mehrheit das Gesetzesprojekt angenommen, das die Befruchtung „in vitro“ (im Reagenzglas, IVF) zwar erlaubt, aber eine strengere Reglementierung vorsieht: Nur bis zu drei Embryonen dürfen hergestellt werden, die dann auch alle in der Gebärmutter einzupflanzen sind. Überzählige entstünden so gar nicht (ein ethisches Hauptproblem der IVF, s.u.); ein Einfrieren wird untersagt. Auch die Samen- und Eispende ist danach nicht legal; einzig Keimzellen von Ehepaaren dürfen verwendet werden.

Mitte Juni 2011 hatte ein ‘liberalerer’ Gesetzentwurf in erster Lesung das Parlament passiert. Damals führte die konservative Heimatunion-Christdemokraten die Regierung an. Heute sind die Sozialdemokraten stärkste Kraft im Seimas und stellen den Premier – und ein Gesetz wird verabschiedet, das die Kirchen befürworten. Dies zeigt schon, dass die Fronten quer durch die Parteien und auch quer durch Regierungs- und Oppositionsparteien verlaufen. Die Abgeordneten stimmten am 28. frei nach dem Gewissen ab. Weitgehend geschlossen für eine ‘moderne’ Reproduktionsmedizin argumentieren einzig die Politiker der „Liberalen Bewegung“.

Im Hintergrund der Debatte steht vor allem die Kostenerstattung durch die litauische Krankenkasse. Künstliche Befruchtung in vivo und in vitro ist auch bisher schon legal, aber gerade die Prozeduren außerhalb der Mutterleibes sind sehr kostenintensiv. Es geht hier um relativ viel Geld. Der Verlauf der Fronten ist dabei recht klar: die einen betonen den Lebensschutz; die anderen meinen: lasst uns doch den Familien ihren Kinderwunsch erfüllen. Die einen rufen: bloß nicht vor der katholischen Kirche kuschen; die anderen warnen: nur nicht dem Lobbismus der Reproduktionsindustrie auf den Leim gehen.

Der weltweite Trend verschafft den Progressiven natürlich Aufwind. Pop-Diva Katy Perry gab der Stimmung vor ein paar Jahren in einem Interview mit dem „Rolling Stone“ Ausdruck: „Ich brauche keinen Typen. Wir leben im Jahr 2014!“ In ein paar Jahren werde sie Mutter, ob mit oder ohne Partner.

Nach der Annahme des Gesetzes ging ein Aufschrei durch die Medien, für die ja viele progressiv Gesonnene arbeiten. Die recht strenge Beschränkung der IVF wird dort meist negativ bewertet. Dies würde viele kinderlose Paare ins Ausland treiben; außerdem sei die demographische Situation Litauens doch wohl so schlecht, dass fast schon jedes Mittel voll auszunutzen sei, um zu mehr Kindern zu kommen. Das Gesetz erschwert es eben, viele Versuche der IVF vorzunehmen. Die sozialdemokratischen Frauen und andere Gruppen forderten die Präsidentin auf, gegen das Gesetz ihr Veto einzulegen. Es gab auch Demonstrationen von Lebensschützern, die das Staatsoberhaupt aufforderten, Embryonen nicht als Abfall zu behandeln und das Einfrieren zu verhindern (s. Foto).

„Völlig unakzeptabel“

Die christlichen Kirchen hielten sich diesen Sommer mit öffentlichen Stellungnahmen sehr zurück. Man wollte den antiklerikalen Gegnern in Politik und Presse nicht noch mehr Angriffsfläche bieten. Es ist auch schon alles gesagt. Vor fünf Jahren, Mitte Mai 2011, hatten hohe Vertreter von orthodoxen, katholischen und evangelischen Kirchen, darunter der lutherische Bischof Sabutis, ein Kommunikat veröffentlicht. Darin wird eingangs Mitgefühl gegenüber den ungewollt kinderlosen Paaren ausgedrückt. Es wird jedoch auch klar festgehalten: „Die christliche Ethik wird nie der Befruchtung im Reagenzglas zustimmen“. Die Samen- und Eizellspende wird ebenfalls abgelehnt. Die Kirchenvertreter betonen, dass der Beginn menschlichen Lebens mit der Befruchtung der Eizelle gegeben ist, die Produktion von überzähligen Embryonen daher „völlig unakzeptabel“ ist, genauso wie ihr Einfrieren und Töten nach Ablauf des ‘Haltbarkeitsdatum’. Da der Embryonenschutz im aktuellen Gesetzentwurf recht weitgehend ist, sprachen sich nun die katholische Kirche und konfessionelle Vereinigungen auch klar für diesen aus.

Am 4. Juli trat die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė vor die Presse und verkündeten gleich mehrere Vetos zu Gesetzesbeschlüssen des Seimas. Auch das Paragraphenwerk zur künstlichen Befruchtung gefällt ihr ganz und gar nicht. Die Interessen von „50.000 Patienten“ würden darin nicht berücksichtigt. Damit meint sie alle ungewollt kinderlosen Paare. Dass den meisten von ihnen durch das Gesetz und gerade die Möglichkeiten der in vivo-Befruchtung geholfen werden kann, wird einmal wieder geflissentlich ignoriert. Ein liberaleres Gesetz würde womöglich für vielleicht einhundert Kinder mehr pro Jahr sorgen – mehr nicht. Wohl nicht zufällig erst nach dem Veto der Präsidentin reagierten die Hierarchen der drei Kirchen am 7. Juli mit einem neuen Statement. Darin verteidigen die Erzbischöfe Grušas und Inokentijus sowie der lutherische Bischof Sabutis das angenommene Gesetz und warnen vor einer Revision.

Das Parlament kann das Veto des Staatsoberhauptes überstimmen und damit ablehnen. Pikant an der ganzen Geschichte, dass Grybauskaitė noch vor zwei Jahren ganz anders sprach. In einer TV-Sendung mit ihrem Konkurrenten im anstehenden zweiten Wahlgang zum Präsidenten bezeichnete sie die Beseitigung von überzähligen Embryonen als „sehr unethisch“. So etwas lehne sie ab. Ein von ihr heute befürwortetes liberaleres Gesetz sieht diese Möglichkeit dagegen vor.

Hier noch ein Überblick Holgers zu den Methoden der künstlichen Befruchtung, der sich in litauischer Sprache in „Prizmė“ 2000/3 befindet:

Künstliche Befruchtung und die Sicht der Theologen   

In den westlichen Industrieländern bleibt rund jedes fünfte Paar ungewollt kinderlos. Eine der Möglichkeiten dieser Paare zu Nachwuchs zu gelangen, ist die künstliche Befruchtung. Folgende Methoden stehen zur Verfügung:

  • Insemination [Intrauterine Insemination, IUI]: Samenzellen werden direkt in die Gebärmutterhöhle eingebracht. Wenn bei der Insemination Samen des (Ehe-)Mannes verwendet wird, spricht man von homologer I. (engl. Artificial Insemination of the Husband, AIH), bei Einbringung von Fremdsamen eines anonymen Spenders von heterologer I. (Artificial Insemination of a Donor, AID) I. wird seit Ende des 19. Jhdt. duchgeführt.
  • In-Vitro-Fertilisation (IVF): Die weibliche Eizelle wird – meist wegen eileiterbedingter Sterilität – außerhalb des Mutterleibes befruchtet (im Reagenzglas). In der Regel zwei Tage nach der Befruchtung wird der Embryo in die Gebährmutter verplanzt (Embryonentransfer, ET). Für eine erfolgreiche IVF müssen mehrere Eizellen befruchtet werden. Stammt der Same vom Ehemann, spricht man von homologer IVF, bei Samenspende von heterologer IVF. Weiterhin sind möglich die Eizellenspende, falls die Frau keine vermehrungsfähigen Eizellen besitzt, die Embryonenspende, falls Mann und Frau völlig unfruchtbar sind, und die Leihmutterschaft, bei der eine Frau den Embryo eines anderen Paares austrägt. IVF wird seit 1978 (dem ersten „Retortenbaby“ Louise Brown) erfolgreich durchgeführt.
  • Gametentransfer (Gamete intrafallopian transfer, GIFT): Gameten (Ei- und Samenzelle) werden entsprechend der IVF gewonnen. Die Gameten werden anschließend gemeinsam in den Eileiter eingebracht, wo die Befruchtung stattfindet.
  • Zygotentransfer (Zygote intrafallopian transfer, ZIFT): S. GIFT. Die Befruchtung findet jedoch in-vitro statt. Anders als bei der IVF wird aber kein Embryo verpflanzt, sondern das direkte Verschmelzungsprodukt der Gameten, die Zygote.
  • Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (Intracytoplasmic sperm injectiong, ICSI): IVF, bei der ein einzelnes männliches Spermium, durch Punktion aus dem Samenleiter des Mannes gewonnen, mit Hilfe einer Mikropipette in eine Eizelle injiziert wird. ICSI ermöglicht Männern Nachwuchs, in deren Ejakulat sich kein befruchtungsfähiges Spermium befindet. ICSI wird seit Anfang der 90er Jahre durchgeführt.

Alle Methoden sind in Litauen erlaubt. Allerdings ist nur die künstliche Befruchtung einer verheirateten Frau durch den Ehemann vorgesehen, also keine dritten Parteien. S. „Dėl dirbtinio apvaisinimo tvarkos patvirtinimas“, LR sveikatos apsaugos ministro įsakymas, 1999 05 24 Nr. 248.

Katholische und evangelische Theologen sind sich bisher weitgehend einig darin, dass der menschliche Embryo absolut schutzwürdig ist. (Einige evangelische Theologen wie der Münchner Dogmatiker und Ethiker Trutz Rendtorff fordern aber die Freigabe von menschlichen Embryonen zur Forschungszwecken.) So heißt es in der Instruktion Donum vitae (DV) der Glaubenskongregation des Vatikans von 1987: „Vom Moment der Befruchtung an ist der Mensch zu achten und als Person zu behandeln; und daher müssen von diesem Moment an seine Rechte als Person anerkannt werden, wozu zuallererst das unverletzlich Recht eines jeden unschuldigen Menschen auf Leben gehört.“ (I,1)

Auf allgemeine Ablehnung stößt daher die IVF, und zwar im wesentlichen wegen der dabei in Kauf zu nehmenden vielen Versuche und der ‘überflüssigen’ Embryonen, die eingefroren, für Forschungszwecke verwendet oder getötet werden. [Dass dies bei der IVF üblich ist und die beschlossene Regelung in Litauen im internationalen Vergleich recht ‘eng’ ist, zeigt die heftig ablehnende Reaktion aller IVF-Befürworter im baltischen Land – nach dem Motto: Wenn schon IVF, dann aber richtig.] In DV heißt es: „Jeder Mensch ist als solcher zu achten und kann nicht im Wert reduziert werden auf ein bloßes Mittel, damit andere Vorteile haben. Es ist daher nicht im Einklang mit dem moralischen Gesetz, durch In-Vitro-Befruchtung gewonnene menschliche Embryonen bewußt dem Tod auszusetzen.“ (I,5) Und der Protestant Heinz Bhend: „Zusammenfassend kann man sagen, damit 1 von 10 Paaren ein Kind erhält, opfert man 99 Embryonen, das sind 99 Menschenleben.“ („Medizinische Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin und der pränatalen Diagnostik“ in: Fortpflanzungstechnik und Gentechnik am Menschen, idea-Dokumenation Nr. 9/92) [Dieses Zahlenverhältnis hat sich in den vergangenen 25 Jahren sicher deutlich verbessert.]

Ein weiteren grundsätzlichen Einwand nennt der Anglikaner David Atkinson: „Der IVF liegt in der Praxis häufig die Annahme zu Grunde, dass Paare ein Recht auf eigene biologische Kinder und Frauen ein Recht auf eine Schwangerschaft haben… Aber das traditionelle christliche Denken sagt: Eltern besitzen ihre Kinder nicht; sie haben kein Recht, Kinder zu bekommen. Empfängnis ist Gottes Gabe, nicht bloße menschliche Wahl.“ (Pastoral Ethics)

Grundsätzlich wird die IVF auch deswegen skeptisch gesehen, weil menschliches Leben nun im Labor ‘geschaffen’ und nicht mehr ‘empfangen’ wird. DV: Homologe IVF und ET „wird außerhalb des Leibes der Eheleute mit der Hilfe der Handlungen dritter Personen durchgeführt, deren Kompetenz und technische Leistung den Erfolg des Eingriffs bestimmen; sie vertraut das Leben und die Identität des Embryos der Macht der Mediziner und Biologen an und errichtet eine Herrschaft der Technik über Ursprung und Bestimmung der menschlichen Person. Eine derartige Beziehung von Beherrschung widerspricht in sich selbst der Würde und der Gleichheit, die Eltern und Kindern gemeinsam sein muß.“ (II, 5, s. auch KKK §2377)

Und in einfachen Worten der Anglikaner John Stott (1921–2011): „Aber selbst in Fällen, in denen es keine fremde Samenspende gibt, wurde die Heiligkeit der menschlichen Fortpflanzung aus dem Schlafzimmer ins Laboratorium verlegt, aus dem von Gott entworfenen Vorgang wurde eine menschliche Technik…“ (Issues Facing Christians Today)

Die verschiedenen Techniken der Insemination werden nur von einem Teil der Protestanten pauschal positiv gesehen. Norman Geisler: „.. es scheint aus biblischer Perspektive keine moralischen Gründe gegen AIH oder AID zu geben.“ (Christian Ethics)

Mehrheitlich stimmen die Evangelischen mit DV überein: „Heterologe künstliche Befruchtung widerspricht der Einheit der Ehe, der Würde der Ehepartner, der der Eltern angemessenenBerufung und dem Recht des Kindes, in der Ehe empfangen und in der Ehe geboren zu werden.“ (II, 2)

Manche Protestanten wie Gilbert Meilaender verbinden ihre Skepsis gegenüber der Spende von Samen oder Ei eines Dritten mit weitergehenden Fragen: „Wenn Gameten von Spendern außerhalb des Paares verwendet werden, behandelt die Medizin nicht länger eine Krankheit des Mannes oder der Frau. Es wird dann nämlich vielmehr der Wunsch des Paares nach einem Kind ‘behandelt’. Aber wenn dies das Ziel der Behandlung ist – warum sollte man sich dann begnügen mit der bloßen Schaffung eines Kindes? Warum nicht auch gleich noch ein Kind herstellen, das bestimmte gewünschte Eigenschaften erfüllt?“ (Bioethics; Meilaenders Befürchtung ist in vielen Ländern schon ansatzweise Wirklichkeit, wo die „Präimplantationsdiagnostik“ (PID) erlaubt ist. PID bedeutet, daß der In-Vitro gewonnene Emrybo genetisch getestet wird, bevor er als ‘gut’ befunden und eingepflanzt wird.)

Auf die Kritik der heterologen Befruchtung beschränkt sich der Katholik H.-G. Gruber: „Nach christlicher Überzeugung gehört… zum Werden und zur personalen Entfaltung eines neuen Menschen die Einheit von Ehe und Familie, die Einheit von genetischer und sozialer Mutter- und Vaterschaft. Unter dieser Rücksichtnahme sind alle Formen der korporalen wie der exktrakorporalen heterologen Insemination, bei der die Eizelle der Frau mit der Samenzelle nicht des Ehemannes, sondern eines anonymen Samenzellspenders befruchtet wird, ethisch genauso strikt abzulehnen wie alle Formen der Leihmutterschaft.“ (Familie und christliche Ethik) Die offizielle Position der Katholischen Kirche geht in der Ablehnung jedoch deutlich weiter und schließt die homologen Verfahren mit ein: „Techniken, die durch das Einschalten einer dritten Person (Ei- oder Samenspende, Leihmutterschaft) die Gemeinsamkeit der Elternschaft auflösen, sind äußerst verwerflich… Werden diese Techniken innerhalb des Ehepaares angewendet (homologe künstliche Insemination und Befruchtung), sind sie vielleicht weniger verwerflich, bleiben aber dennoch moralisch unannehmbar.“ (KKK, §§ 2376–2377) Schließlich noch der Protestant Georg Huntemann in Biblisches Ethos im Zeitalter der Moralrevolution: „Heterologe Insemination ist Ehebruch. Es kann die Eizelle einer Frau immer nur mit dem Samen des eigenen Mannes befruchtet werden.“

Fazit: IVF wird ganz überwiegend abgelehnt, wobei die Katholische Kirche grundsätzlicher und strenger urteilt als die Protestanten, die meist von der Methode nur abraten. AID trifft überwiegend auf Skepsis, AIH nur zum Teil (besonders von der Katholischen Kirche). Neue technische Möglichkeiten wie die ICSI haben neist noch keine Berücksichtigung in der theologischen Literatur gefunden und erfordern neue Antworten.