Freude an der Forschung (I)

Freude an der Forschung (I)

Eine kurze Einführung in die Grundlagen der Wissenschaft nach Psalm 111 (Teil 1)

„Groß sind die Werke des Herrn; wer sie erforscht, hat Freude daran“. Ps 111,2

I. Waren es die Griechen?

Haben Glauben und Wissen etwas miteinander zu tun? Hat die Bibel irgendetwas zu Wissen, Wissenschaft und Forschung zu sagen? Sind Philosophie und Wissenschaft – in der Antike mehr oder weniger identisch – nicht Erfindungen der Griechen? Ist es nicht bezeichnend, dass Aristoteles Wort für Wissenschaft und Wissen (episteme) im Neuen Testament praktisch nicht zu finden ist?

Glauben heißt vermuten, also nicht so genau wissen; und Wissen ist eben dann ‘echt’, wenn es begründetes und bewiesenes Wissen ist – so heißt es immer noch paradigmatisch in unserer Kultur. Überall werden die Griechen gelobt für ihre „Entdeckung der Vernunft“, so der Titel einer Ausgabe des SPIEGEL. In dem Nachrichtenmagazin wird weiter ausgeführt:

„Im Orient wogte überall der süße Duft der Religion – Opium fürs Volk, in extatischen Kulten ausgelebt, das den Menschen inneren Halt gab und zu einer Gemeinschaft verschweißte. Über hundert Götzen beteten die Assyrer an. Ägypten galt als ‘frömmstes’ aller Länder. Ganz anders bei den Griechen. Sie strebten nicht nach Glauben, sondern nach Wissen. […] Im Morgenland blieb alles beim Alten. Buddha, Jesus, Mohammed – sie alle kommen aus dem Osten. […] Die Griechen schoben die Nebelwolken des Sakralen weg. Sie hakten nach, hinterfragten, staunten über alles – und wagten sich so immer weiter aufs Meer der Erkenntnis hinaus […]. Bereits damals, vor 2500 Jahren, begannen Ost und West auseinanderzudriften. Heute ist aus dem Spalt ein Abgrund geworden. Westlicher Wissensdurst contra östliche Glaubenskraft – diese Front ist immer noch aktuell.“ (48/2006)

Es waren die Griechen, so der allgemeine Tenor. Sie erfanden Wissenschaft, und darüber hinaus Literatur und Demokratie, weswegen es in dem Entwurf der Verfassung für Europa ja auch heißt, Europa sei „die Wiege der Zivilisation“. Die Griechen begannen, so heißt es immer wieder, die Mythen und Götter zu kritisieren. Wenn es um die Geistes- und Wissenschaftsgeschichte geht, wird der jüdisch-christliche Glaube gerne übersprungen, meist ignoriert oder er landet auf Seiten der Gegner von Verstand, Fortschritt, Aufklärung. Das Christentum behindere die Wissenschaft. (Gerade der Prozess gegen Galileo Galilei im 17. Jhdt. wird häufig als Beleg dafür genannt, dass der Glaube blind für wissenschaftliche Fortschritte mache und die und die Wissenschaft hindert; s. dazu Thomas Schirrrmachers „‘Und sie bewegt sich doch!’ und andere Galilei-Legenden“, MBS-Texte 115.)

Dennoch hat sich ausgerechnet im christlichen Europa die moderne Wissenschaft entwickeln und Blüten treiben können. In anderen Ländern waren die Bedingungen nicht so günstig. An dieser Stelle muss man zurückfragen: Warum eigentlich? Welches waren denn die günstigen Bedingungen in Europa? Was behinderte anderswo?

US-Soziologe Rodney Stark stellt in The Victory of Reason die gegenteilige These auf: „Die griechische Gelehrsamkeit war ein Hindernis für den Aufstieg der Wissenschaft.“ Er zeigt darin, dass unsere Vorstellungen von Freiheit, Individualität, Kapitalismus, Fortschritt und eben auch Wissenschaft letztlich auf einer vernünftigen Theologie, auf unserer Gottesvorstellung ruhen. Der biblische Gott ist ein personaler und vernünftiger Gott, weshalb seine Schöpfung daher ebenfalls strukturiert, geordnet, in diesem Sinne rational und so eben der Vernunft des Menschen zugänglich ist. Daher waren alle großen Wissenschaftler der frühen Moderne überzeugt: es muss Naturgesetze geben, denn Gott ist vollkommen; und wir als seine Ebenbilder, mit Vernunft begabt, können und sollen in seinem Buch der Natur lesen und versuchen die Geheimnisse der Schöpfung zu erkennen. Stark zitiert Alfred North Whitehead, der in den Lowell Lectures in Harvard (1925) den Mythos von der Feindschaft von Religion und Wissenschaft bekämpfte. „Glaube an die Möglichkeit von Wissenschaft […] leitet sich von der mittelalterlichen Theologie ab“, von deren „Betonung der Rationalität Gottes“, so der Philosoph. In anderen Religionen dagegen, vor allem denen des Ostens, war das Gottesbild zu unpersönlich und zu irrational, um moderne Wissenschaft hervorzubringen.

Waren es wirklich die Griechen? Sie waren es auch. Aber es waren zuerst und vor allem die Israeliten, die wichtige Grundlagen legten. Haben wirklich die Griechen die Kritik des Mythos und der Götter erfunden? Nein. Die Religionskritik ist eine Erfindung des Alten Testaments. Ausführliche religionskritische Abschnitte finden sich z.B. in Ps 115,4–8, Ps 135,15–18, Jes 44,9–20, Jer 10,1–16. Überall heißt es dort, dass die Götzen von Menschen gemacht sind und Nichtse sind – ohne jegliche Kraft.

Doch die Propheten bleiben nicht bei der Kritik der Götter selbst stehen. Sie kommen auch zu kritischen Rückschlüssen auf die Götzenanbeter:

„Sie wissen nichts und verstehen nichts; denn sie sind verblendet, dass ihre Augen nicht sehen und ihre Herzen nichts merken können. Es kommt nicht zur Einsicht; keine Vernunft und kein Verstand ist da, dass er dächte: Ich habe die eine Hälfte mit Feuer verbrannt und hab auf den Kohlen Brot gebacken und Fleisch gebraten und gegessen, und sollte die andere Hälfte zum Götzen machen und sollte knien vor einem Klotz?“ (Jes 44,18–19)

Es ist also völlig unvernünftig an selbstgemachte Götter zu glauben. Die Vernunft war schon den Israeliten wichtig, Jahrhunderte vor den Griechen. Und sie hatten dabei schon tiefere Einblicke in die Zusammenhänge als die ersten Philosophen. In Ps 115,8 heißt es: „Die solche Götzen machen, sind ihnen gleich“. Und bei Jesaja (44,9): „Die Götzenmacher sind alle nichtig“. So kritisch oder genauer: selbstkritisch (denn bei der Götzenkritik hatten die Propheten ja meist die eigenen Landsleute im Blick) waren die Griechen noch nicht!

Man darf sein Herz nicht an die falschen Götter hängen. Zur wahren Erkenntnis kommt man nur, wenn man die richtige Herzenseinstellung hat. Die Israeliten hatten richtig erkannt, dass rechtes Erkennen, Wissen, und Glauben sowie auch Ethik alle sehr eng zusammenhängen.

Schon im AT wird also falsche Religion kritisiert und die Vernunft betont. Außerdem wird deutlich stärker differenziert als es die ersten Philosophen taten. Diese unterzogen alle Mythen der Kritik, weswegen am Ende nur ein vager Glaube an das Schicksal oder an den „unbewegten Beweger“ (Aristoteles) übrig blieb. Im besten Fall näherte man sich einem diffusen Monotheismus an. Im AT bewahrte man jedoch die Erkenntnis, dass es einen wahren Gott gibt, der wirklich existiert, der wirklich handelt und der auch den Maßstab für jegliche Kritik liefert.

Auf der einen Seite differenzierten die Israeliten stärker, auf der anderen hatten sie, wie gesagt, auch die größeren Zusammenhänge besser im Blick. Daher können wir auch in den Psalmen, in denen wir – natürlich zu recht – Gotteslob und Ausdruck von tiefen religiösen Gefühlen suchen, grundlegende Gedanken zur Wissenschaft entdecken. Einer dieser Psalmen ist der 111. An ihm anknüpfend soll deutlich werden, dass zahlreiche Grundlagen der Wissenschaft schon im AT, lange vor den Griechen, gelegt wurden.

Nicht zufällig ziert Vers 2 des Psalms in lateinischer Sprache die schwere Eichentür zum Innenhof des Cavendish Laboratory im Cambridge: Magna opera Domini, exquisita in omnes voluntates ejus (in der Vulgata Ps 110; s. Foto ganz o.). Das Laboratorium wurde 1874 als Teil der Universität Cambridge gegründet und war ganz der experimentellen Physik gewidmet. Zum ersten „Cavendish professor of physics“ wurde 1871 James Clerk Maxwell ernannt, einer der bedeutendsten Physiker in der Wissenschaftsgeschichte und ein gläubiger Christ. Einhundert Jahre späterzog das Cavendish Laboratory in moderne Gebäude am Stadtrand um. Der Bibelvers – man mag es kaum glauben – befindet sich wieder über dem Eingang, nun in englischer Sprache: The works of the Lord are great, sought out of all them that have pleasure therein.

Cavendish Lab 2

Halleluja! Ich danke dem HERRN von ganzem Herzen im Rate der Frommen und in der Gemeinde. Groß sind die Werke des HERRN; wer sie erforscht, der hat Freude daran. Was er tut, das ist herrlich und prächtig, und seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich. Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder, der gnädige und barmherzige HERR. Er gibt Speise denen, die ihn fürchten; er gedenkt ewig an seinen Bund. Er lässt verkündigen seine gewaltigen Taten seinem Volk, dass er ihnen gebe das Erbe der Heiden. Die Werke seiner Hände sind Wahrheit und Recht; alle seine Ordnungen sind beständig. Sie stehen fest für immer und ewig; sie sind recht und verlässlich. Er sendet eine Erlösung seinem Volk; / er verheißt, dass sein Bund ewig bleiben soll. Heilig und hehr ist sein Name. 10 Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang. / Klug sind alle, die danach tun. Sein Lob bleibet ewiglich.

II. Grundlagen der Wissenschaft

Gottes Werke

Wissenschaft ist nicht denkbar ohne ein Objekt, das man erforschen kann. Die Bibel nennt dieses Objekt nirgendwo neutral ‘Natur’, sondern sehr häufig „Gottes Werk“ wie in Versen 2 und 7. Denn das ganze Universum ist seine Schöpfung, „sein Werk“ wie es in Gen 2,2 heißt. Einen Überblick über die Dimensionen der Schöpfung gibt Hiob 38. Auch die Psalmen loben an vielen Stellen die Werke Gottes (z.B. Ps 8,7; 19,2; 66,3; 77,13; 92,6; 102,26). Dort wird deutlich, dass mit Werken häufig ebenfalls das Heilshandeln Gottes und sein direktes Eingreifen in den Lauf der Geschichte gemeint sind. In diesem Psalm umfasst Werke ebenfalls Gottes Wunder, seine Gesetze – alles, was mit Erlösung zu tun. Dazu später mehr.

„Werk“ bedeutet, dass Gott etwas geschaffen hat, das objektiv existiert und das sich von ihm unterscheidet. Gottes Werke sind daher erstens real: Die Schöpfungsgeschichte in Gen 1–2 macht völlig klar, dass erst das Universum nicht existierte und dann war es objektiv da. Gott hat ein wirkliches Universum geschaffen, das außerhalb von ihm existiert und nicht bloß ein Traum ist. Das klingt selbstverständlich, wurde und wird aber in der Geistesgeschichte oft geleugnet (in den östlichen Religionen wie im Hinduismus ist das physische Universum bloß Schein oder Illusion). Heute behauptet z.B. der populäre brasilianische Autor Paulo Coelho: „Unsere Träume sind die eigentlichen Bestimmungen unseres Lebens, und unser Universum selbst ist ein Traum Gottes. […] Es gibt viele Religionen, aber nur einen Gott. Er träumt unsere Welt.“ (Confessions of a Pilgrim)

Zweitens sind Gottes Werke gut. In Gen 1,31 bewertet Gott seine Schöpfung, das physische Universum. Und er kommt zu dem eindeutigen Urteil, dass alles sehr gut sei. Die Schöpfung ist gut, weil sie vom guten und nicht von einem bösen Gott geschaffen wurde. Materie ist nicht zu niedrig für ihn, weshalb er direkt die Schöpfung ausführte. Er schaltete keinen Halbgott dazwischen, der die weniger vollkommenen physischen Dinge formte wie der „Demiurg“ im Platonismus oder Gnostizismus.

Gut bedeutet außerdem, dass das Universum uns nicht feindlich im Sinne von verschlossen, völlig fremd und abweisend gegenüber steht. Es ist uns und unserer Erkenntnis und Forschung zugänglich. Wir können es verstehen und begreifen. Es ist kein geheimnisvolles Buch mit sieben Siegeln.

Nach dem Sündenfall ist die Schöpfung zwar immer noch gut (1 Tim 4,4), doch von Sünde gekennzeichnet. Alle Beziehungen wurden in Mitleidenschaft gezogen: die zu Gott, zum Mitmenschen, zu uns selbst, zu den Tieren und zur unbelebten Schöpfung. Nun kann es zu Naturkatastrophen kommen. Und Forschung – wie alle Arbeit – ist schwieriger und mühseliger geworden. Nur in diesem Sinne kann man von einer feindlichen Umwelt reden.

Drittens sind die Werke zwar Gottes, aber nicht Gott oder göttlich – ein äußerst wichtige Differenzierung. Hier unterscheidet sich der jüdisch-christliche Glaube von allen antik-heidnischen Weltanschauungen. So waren Sonne und Mond in heidnischen Religionen Gegenstände der religiösen Verehrung. Dagegen lehrt die Genesis, dass diese nichts anderes sind als am Himmel aufgehängte Lampen, um am Tag und in der Nacht Licht zu spenden – eben keine Götter, sondern nur Schöpfungen des einen, wahren Gottes (s. Gen 1,14f). Hannes Stein: „Die Himmelskörper, vor denen sämtliche Kulturvölker zitterten, waren nichts als Lampen und Uhren! Das war eine nie dagewesen Provokation, eine unerhörte Chuzpe. Die Bibel beginnt mit einer Gotteslästerung.“

Die Bibel unterscheidet klar zwischen Gott und dem nichtgöttlichen Geschöpf. Jan Assmann erinnert hier daran, dass die „Nichtunterscheidung von Gott und Welt“ das Wesen des antiken Heidentums ausmachte. Dessen Polytheismus nennt er lieber „Kosmotheismus“, denn dort lässt sich „das Göttliche nicht aus der Welt [dem Kosmos] herauslösen“. Der Ägyptologe:

„Diese scharfe Trennung zwischen Schöpfer und Schöpfung [durch die Hebräer bzw. Juden] stellte in der Alten Welt eine ungeheure Umkehrung und Umwertung aller vertrauten Denk- und Glaubensformen dar. Schöpfung galt damals als eine Verbindung, nicht eine Trennung von Gott und Welt. In der Schöpfung manifestierte sich der Schöpfer. Diese enge Verbindung konnte sich in Ägypten bis zu der Vorstellung steigern, dass die Welt der Körper Gottes sei, den er von innen beseelt. Im hellenistischen Synkretismus fanden solche Ideen weite Verbreitung, insbesondere in der stoischen, neuplatonischen und hermetischen Kosmotheologie.“ (Die Mosaische Unterscheidung)

Assmann weist darauf hin, dass sich im Monotheismus so nicht nur Gott quasi von der Welt emanzipierte und ihr als eigenständige Größe gegenübertrat. Auch der Mensch emanzipierte sich, kann zwischen sich und der Welt unterscheiden und eine gewisse Distanz zu ihr entwickeln. Er gewinnt Freiheit, von der im Polytheismus und Animismus noch fast gar nichts zu sehen ist. Eine Freiheit in der Beziehung zur geschaffenen Welt, ohne die echte Wissenschaft nicht möglich ist. Auch viele andere Denker betonten, dass die einzigartige Überzeugung über den nichtgöttlichen Charakter der Natur für die Entwicklung der Wissenschaft nötig war.

Ordnung

Vers 7 spricht von den „Ordnungen“ Gottes. Auch dieser Begriff hat eine breite Bedeutung und umfasst Gottes Heilsordnungen, seine Gesetze und Anordnungen (wie oft übersetzt) sowie auch die Ordnungen der Schöpfung. Das Universum ist geordnet, weil Gott, sein Schöpfer, ein denkendes, rationales und ‘strukturiertes’ Wesen ist. Es ist kein Zufall, dass der Schöpfungsbericht eine klare Struktur hat. Gott schuf ordentlich, d.h. nicht wild durcheinander und willkürlich.

An vielen Stellen wird die Ordnung der Schöpfung gelobt wie in Ps 104, wo es in V. 24 heißt: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet…“  (s. auch Ps 148,6; Jer 33,20; Gen 8,22; Spr 8,22f). Wissenschaft ist eine Suche nach einigen dieser Regelmäßigkeiten, Gesetzen, Ordnungsmustern in der Natur. Gäbe es sie nicht, wäre Wissenschaft unmöglich. Weil, so Galilei, das Buch der Natur in mathematischen Lettern geschrieben ist, können wir es lesen und verstehen.

Den Kosmos betrachteten auch die griechischen Philosophen vor allem als geordnet und vernünftig. Doch gerade Platon bezeichnet ihn als beseelt und sogar göttlich (der „sichtbare“ oder „werdende Gott“ im Timaios, 34af, 37c). Die Griechen stellten sich den Kosmos als lebendiges und geordnetes Wesen vor. Auch Cicero bezeichnete die Welt als göttlich. Die klare Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf fehlt hier also.

In der Bibel finden wir jedoch noch keine Systematisierung dieses Wissens der Ordnung, auch noch keine Reduzierung auf das Messbare und Zählbare. Hier gebührt tatsächlich Aristoteles das Verdienst des ersten Systematikers der Wissenschaft. Und die folgenreiche Betonung der Mathematik geht im Wesentlichen auf Platon zurück, der die Natur als von mathematischen Prinzipien beherrscht betrachtete.

Beständigkeit

Die Verse 7–8 betonen, dass diese Ordnungen Gottes absolut beständig und verlässlich sind. Dieselben Naturgesetze, die heute gelten, werden morgen keine anderen sein. So wie Wasser heute bei 100 Grad siedet, wird es dies (bei gleichbleibendem Luftdruck) auch morgen tun. Denn Gott ist ein Gott der Liebe, der sich nicht verändert, weshalb wir sicher sein können: auch die von ihm geschaffene Welt ist von Kontinuität gekennzeichnet. Sie ist nicht dazu da, um uns zu verwirren. Gott garantiert den Fortbestand der Ordnungen in der Natur wie ausdrücklich nach der Sintflut in Gen 8,22. Wir können uns auf ihn und auf die Regelmäßigkeiten in der Schöpfung verlassen. Anders wären Wissenschaft und Forschung überflüssig und ein Leben auf der Erde sowieso unmöglich.

Die Beständigkeit des Kosmos unterstrichen auch Platon und Aristoteles. Bei ihnen ist der Kosmos jedoch nichtentstanden und unveränderbar. Wandel ist letztlich Wiederholung, weshalb es auch keinen echten Fortschritt geben kann. Und die Götter der Griechen und Römer begegnen uns als unberechenbar, launenhaft und manchmal sogar bösartig.

Ein ähnliches Bild bietet der Animismus. Ist die ganze Welt von unkontrollierbaren Geistern durchdrungen, kann man nie wissen, was sie aushecken werden und was als nächstes passiert. Man kann sich die Geister durch Rituale, Opfer etc. genehm machen. Aber es gibt gar keine Regelmäßigkeiten zu entdecken.

Diese beständigen Ordnungen sind das Normale, das wir täglich erfahren. Wunder stehen in keinem Gegensatz dazu. Sie sind einfach nur das besondere Handeln Gottes zu bestimmten, konkreten Zwecken, das den Rahmen dieser üblichen Ordnungen sprengt. A.A. Hodge (1823–1886) betonte, dass sie eben das Besondere sind:

„Wenn Gott seine Kräfte nicht selbst beschränkt hätte und in der Regel im Rahmen von bekannten Gesetzen ausführen würde; wenn wir in einer Welt leben würden, in der Wunder nicht die seltene Ausnahme, sondern die Regel wären, und in der Gott ständig mit seinen übernatürlichen Kraft eingreifen würde… – wir würden feststellen, dass alles überlegtes und intelligentes Handeln unmöglich wäre. Wir könnten Gott nicht verstehen, denn wir könnten nicht begreifen, welchen Zweck sein Handeln hätte.“ (Evangelical Theology)

Heute wird geradezu inflatorisch viel von Wundern geredet – in Welt und Gemeinde. Hodge unterstrich jedoch, dass Wunder gerade deshalb etwas Besonderes und nicht alltäglich sind, weil sie eben immer ein bestimmtes Ziel haben (das wird ja auch bei den biblischen Wunderberichten deutlich; sie geschehen eben nicht einfach aus der Lust am Ungewöhnlichen heraus). Dies würde gar nicht deutlich werden, wenn sie jede Minute geschähen. Wunder sind real, aber nirgendwo in der Bibel finden wir eine naive Wundergläubigkeit nach dem Motto: je mehr, desto besser.

Forschung

Die Werke des Herrn sollen „erforscht“ werden wie es in V. 2 ausdrücklich heißt. Diese Forschung – egal, ob es nun um die Untersuchung von geistlichen oder natur- wissenschaftlichen Wahrheiten geht – ist möglich, weil wir intelligente Wesen sind. Wir Menschen sind nach Gottes Bildnis geschaffen, mit Verstand, Sprache, Kreativität und Willen. Wir können daher die Welt wirklich erkennen und die Gesetzmäßigkeiten in vernünftigen Sätzen formulieren. Der Brite John Polkinghorne: „Wissenschaft ist möglich, weil das Universum Schöpfung ist; und weil wir Geschöpfe sind, gemacht nach dem Ebenbild des Schöpfers.“ (Searching for Truth)

Schon in der Schöpfungsgeschichte finden wir ein erstes Forschungsbeispiel. In Gen 1,28–29 wird dem Menschen geboten, sich die Schöpfung untertan zu machen. 2,15 macht deutlich, dass dies nicht im Sinne von Ausbeutung der Natur zu verstehen ist. Denn den Garten Eden soll der Mensch „bebauen und bewahren“. Ein paar Verse weiter (19–20) lesen wir dann von Adam, der den Tieren ihre Namen gab. Dazu musste er sie erst einmal finden, unterscheiden, beobachten und ihnen entsprechend ihrer Eigenart Namen geben. Adam hat also – auf Geheiß Gottes – die biologische Taxonomie erfunden!

Ein rationaler Gott, eine geordnete, verstehbare Schöpfung und ein rationaler Mensch, Gott ähnlich – alle diese Elemente sind nötig, damit Forschung möglich ist. Im Vergleich dazu beschreibt der Physiker Paul Davies die Vorstellung der östlichen Religionen und zitiert Joseph Needhams Untersuchung über das frühe chinesische Denken: „Man hatte kein Vertrauen, dass der Code der Naturgesetze je entschleiert und gelesen werden könnte, weil man keine Gewissheit hatte, dass  ein göttliches Wesen […] je einen solchen Code formuliert hatte, der auch gelesen werden konnte.“ (The Cosmic Blueprint)

Forschung beinhaltet auch, dass es Fortschritt im Erkennen gibt; dass man Dinge immer besser begreift. Eine Vorstellung von Fortschritt lässt das zyklische Denken, das in der Antike vorherrschte, jedoch nicht zu. Thomas Cahill erklärt in seinem wichtigen Buch Abrahams Welt ausführlich, wie sich erstmals Abraham und seine Nachkommen, die Hebräer, vom zyklischen, an den Sternen und dem Mond orientierten Denken verabschiedeten. Sie begründeten das uns heute in Fleisch und Blut übergegangene lineare Denken und ‘schufen’ Kategorien wie Geschichte, Zeit, Individuum, Freiheit, Fortschritt, Einmaligkeit, Gerechtigkeit usw., ohne die die Wissenschaft nicht auskommen. Cahill: „Alle Religionen sind zyklisch und mythisch und kommen ohne das aus, was wir heute als historische Referenzpunkte bezeichnen würden – alle Religionen mit Ausnahme der jüdisch-christlichen Strömung, auf der das abendländische Bewusstsein basiert.“ Thomas Mann beschrieb übrigens das zyklische Denken der Ägypter gut in seinen Josephsromanen. Und Bertrand Russell in seiner Philosophiegeschichte über das zyklische Denken der Stoiker: „Der Urstoff ist, nach Zeno wie auch nach Heraklit, das Feuer. Daraus entstanden die anderen Elemente im Laufe der Zeit… Schließlich tritt ein großer Weltbrand ein, und alles kehrt ins uranfängliche Feuer zurück, und dann beginnt die ganze Welt von neuem, wie nach dem Zyklus der Lehre des Empedokles.“

Schließlich wäre Forschung nicht nötig, wenn die Schöpfung nicht kontingent wäre. Kontingent heißt in etwa so viel wie „zufällig“ (lat. contingens). Und das ist natürlich ein etwas missverständlicher Begriff. ‘Echte’ Zufälle gibt es bei Gott nicht. Aber hier ist etwas anderes gemeint. Das Universum ist nicht göttlich, sondern Gott hat es frei geschaffen. Es ist nicht notwendig so, wie wir es vorfinden – es könnte auch anders sein.

Dies bedeutet, dass wir z.B. die wesentlichen Erkenntnisse über die Welt nicht bloß durch das Studium der göttlichen Prinzipien, Gesetze, Formen, Ideale usw. erkennen können. Wir müssen die Natur selbst untersuchen. Davies: „Letztlich ist die Annahme, das Universum sei sowohl kontingent als auch verstehbar, Grundlage der empirischen Wissenschaften.“

Platon und auch noch Aristoteles dagegen leiteten einen großen Teil ihres naturwissenschaftlichen(!) Wissens direkt aus ihren metaphysischen Überzeugungen ab. „Die moderne Wissenschaft“ dagegen, so der Wissenschaftler und Theologe Polkinghorne, „nahm ihren Anfang, als man begriff, dass es nicht genügt herumzusitzen und nachzudenken, um die Wahrheit herauszufinden. Wir müssen hinausgehen und selbst nachsehen, was tatsächlich passiert ist.“ So auch Russell bissig: „Aristoteles behauptete, dass Frauen weniger Zähne als Männer haben. Obwohl er zwei Mal verheiratet war, kam er nie auf den Gedanken, diese Aussage zu überprüfen, indem er seinen Frauen in den Mund schaute.“ (The Impact of Science on Society) Natürlich setzte sich dieses Denken nicht sofort durch. Noch Kepler glaubte, dass es genau fünf Planeten geben müsse – entsprechend den fünf platonischen Körpern.

Lesslie Newbigin, der selbst rund 40 Jahre in Indien verbrachte, zu der Frage, warum die moderne Wissenschaft nur im christlichen Westen entstand:

„Das Universum ist [nach der indischen Metaphysik] die Emanation des Brahma, nicht die Schöpfung eines persönlichen Gottes. Seine letzten Geheimnisse sind deshalb nur in den Tiefen der Seele des Menschen zu entdecken, wo sie in direktem Kontakt mit der Seele des Kosmos steht. Diese Entdeckung beruht nicht auf einer genauen Beobachtung empirischer Phänomene und sorgfältiger Experimente, mit denen man die Theorie anhand von Beobachtungen prüft. Wissenschaft im Sinne unserer westlichen Kultur ist danach nicht unmöglich, aber sie ist nicht nötig. Folgerichtig hat sich in den großen Kulturen Chinas, Indiens und Ägyptens trotz ihrer großartigen intellektuellen Kräfte Wissenschaft im modernen Sinne nicht entwickelt. Und auch Griechenland, das näher als jede andere antike Kultur an der Entwicklung einer lebensfähigen Wissenschaft war, hat es nicht geschafft und fiel in die Vorstellung eines zyklischen Universums zurück.“ („Den Griechen eine Torheit“)

Die Griechen waren dicht dran. Und sie haben ihren wichtigen Beitrag geleistet (nicht zuletzt die Mathematik). Doch ihnen fehlte auch die entsprechende Lehre über den Menschen, konkret den Forscher und Wissenschaftler. Die Griechen kannten nicht die Vorstellung des Menschen als dem Ebenbild Gottes (wie übrigens auch nicht der Islam). Eine Sonderstellung des Menschen im Kosmos war ihnen fremd. Im gesamten antiken Denken hatte man daher ein eher kontemplatives Naturverständnis. Zweck der naturwissenschaftlichen Studien war die innere Vervollkommnung des Menschen und die Einswerdung mit dem Kosmos. Die jüdisch-christliche Vorstellung dagegen sieht den Menschen als den von Gott beauftragten Pfleger des Gartens der Schöpfung an. Wichtig sind hier konkrete Früchte der Arbeit und Verbesserungen des Lebens (letzteres gerade nach dem Sündenfall; Francis Bacon, einer der Väter der modernen Wissenschaft, sagte, dass die Wissenschaft auch dazu da ist, die Folgen des Sündenfalls zu beseitigen). Platon und Aristoteles dagegen ging es gar nicht um praktische, technische Anwendungen ihres Wissens. Die moderne Technik und Technologie als angewandte Wissenschaft ist praktisch ausschließlich Frucht des biblischen Glaubens.

Freude

Die Erforschung der Werke Gottes macht dem Menschen Freude, wie es in V. 2 heißt. Freude ist natürlich eines der großen Themen in den Psalmen. An vielen Stellen wird der Mensch wie hier oder auch Gott selbst wie in Ps 104,31 („der Herr freue sich seiner Werke“) oder die ganze Schöpfung wie in Ps 96,11 („der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich“) zur Freude über Gott, sein Gesetz, sein Wort, seine Schöpfung aufgerufen.

Die Erkenntnis Gottes, seiner Welt und von uns selbst macht Freude, weil wir dazu geschaffen sind. Wir sind dazu gemacht, Gottes Schöpfung immer besser kennenzulernen. Wenn wir daher unserer Bestimmung, unserer Schöpfung, gemäß handeln, so wird uns das erfreuen. Lieben bereitet Freude, weil wir liebende Wesen sind. Genauso ist aber auch der Gewinn wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ein rein rationaler oder gar trockener Vorgang. Forschung ist auch emotional befriedigend. Calvin schrieb: „Wir wollen doch nicht versäumen, in diesem herrlichen Schauhause [„Theater“, gemeint ist die Welt] aus Gottes offenbarten und uns entgegentretenden Werken fromme Erquickung zu schöpfen“ (Institutio I,14,20).