Schlacht gewonnen, Krieg verloren

Schlacht gewonnen, Krieg verloren

Abtreibungen sind in Litauen in den ersten drei Lebensmonaten völlig legal. Immer noch regelt einzig ein recht alter Ministererlass die vorgeburtliche Tötung. Nun sah es endlich einmal nach Fortschritt für den Lebensschutz aus: Ende Juni nahm der Seimas, das litauische Parlament, in letzter Lesung ein Gesetz an, das dem gesamten Bereich der künstlichen Befruchtung erstmals klare Richtlinien gibt. Danach wird die Befruchtung „in vitro“ (im Reagenzglas, IVF) zwar erlaubt, aber nur bis zu drei Embryonen dürfen hergestellt werden, die dann auch alle in der Gebärmutter einzupflanzen sind. Überzählige entstünden so gar nicht (ein Hauptproblem der IVF); ein Einfrieren wird untersagt. Auch die Samen- und Eispende ist danach nicht legal; einzig Keimzellen von Ehepaaren dürfen verwendet werden. (Hier mehr.)

Am 4. Juli verkündete die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė ihr Veto zu dem Gesetzesbeschluss des Seimas. Litauen ist eben eine präsidial-parlamentarische Demokratie. Das Staatsoberhaupt hat nicht nur hauptsächlich repräsentative Funktionen wie z.B. in Deutschland. Er oder sie leitet die Außenpolitik, mischt bei der Regierungsbildung kräftig mit, hat Gesetzesinitiative und kann auch schon angenommene Gesetze auf Eis legen bzw. korrigieren. Die Frage ist dann, wie der Seimas mit solch einem Veto umgeht. Er kann sich durch eine erneute Abstimmung darüber hinwegsetzen, und dann bleibt alles beim alten.

Gestern war genau dies beim neuen Arbeitsrecht der Fall. Die sozialdemokratisch geführte Regierung hatte eine recht liberale Neufassung durchs Parlament gebracht, gegen das die Präsidentin mit eher linken Argumenten ein Veto einlegte (eine pikante Konstellation, rechnet sich Grybauskaitė doch eher dem rechten Lager zu). Das neue Recht tritt nun aber doch ein Kraft, da dies Veto klar abgeschmettert wurde.

Beim Gesetz zur künstlichen Befruchtung lief es am 14. September allerdings anders. Mit 53 gegen 40 Stimmen bei 4 Enthaltungen wurde das Veto Grybauskaitės mit ihren Änderungen angenommen. Die Zahl der herzustellenden und einzupflanzenden Embryonen ist nun nicht mehr begrenzt, und auch die Samen- und Eispende ist in Zukunft erlaubt. Aus dem „konservativen“ Gesetz wurde ein „liberales“. Die Reproduktionsmediziner sind alle aus dem Häuschen, denn nun wird die Sozialkasse diese teuren Prozeduren übernehmen.

Möglich wurde dieser Umschwung, weil die Fronten in dieser Frage quer durch manche Parteien verlaufen. Die allermeisten Sozialdemokraten (und nun auch der Premier, der eigentlich der katholischen Kirche recht nahe steht) und Liberalen sind natürlich für die ‘modernere’ Gesetzesvariante. Eher ablehnend stimmten die Rechtspopulisten von Expräsident Paksas und auch die linkspopulistische „Arbeitspartei“. Deren Vertreter stehen mit der Moral in der Regel auf Kriegsfuß, doch D. Mikutienė aus ihren Reihen, die das Komitee des Seimas für Gesundheitspolitik leitet, vertritt sehr kompetent Positionen des Lebensschutzes. Die Konservativen-Christdemokraten dagegen sind keineswegs mehr eine politische Bastion der Kirche. Ähnlich wie in Deutschland modernisieren sie sich, versuchen neue Wählerschichten zu erschließen. Jüngst erklärte der junge Parteivorsitzende Gabrielius Landsbergis (Enkel von Patriarch V. Landsbergis), dass er – persönlich – für ein Gesetz zur Partnerschaft von homosexuellen Paaren sei. Genuin Konservatives kommt ihm kaum über die Lippen, und auch im Hinblick auf künstlichen Befruchtung denkt er ‘fortschrittlich’. Die Abgeordneten stimmten aber mehrheitlich gegen das Veto der Präsidentin.

Nun jubilieren alle Vertreter dieses Fortschritts, darunter auch viele Journalisten. In der gestrigen LRT-Sendung von „Dėmesio centre“ (etwa: im Fokus der Aufmerksamkeit) zum Thema zeigte sich Edmundas Jakilaitis, einer der einflußreichsten seines Faches im Land, parteiisch wie schon lange nicht. Einer seiner Gäste, der Chef der litauischen Gynäkologen, versuchte den Zuschauern mit vielen Worten klarzumachen, dass dieser Zellklumpen ja kein Mensch sei, obwohl er es nicht wagte, dies auch klar zu sagen. Die Parlamentsabgeordnete M.A. Pavilionienė von den Sozialdemokraten brachte erneut die Demographie ins Spiel. Und wieder fiel die Zahl der 50.000 ungewollt kinderlosen Paare im Land – als ob diese nun auf einmal in Massen IVF-Nachwuchs produzieren lassen würden. Dass den Allermeisten durch eine Vielzahl von Maßnahmen und sehr oft auch durch in vivo-Befruchtung geholfen werden kann, wird geflissentlich ignoriert. Das nun liberalere Gesetz wird vielleicht für einhundert Schwangerschaften mehr pro Jahr sorgen, wenn überhaupt – und dabei fehlen in Litauen zehntausend Kinder jährlich. Ein Prozent wird als Lösung des Problems der Bevölkerungsschrumpfung verkauft – pure Augenwischerei.

Pavilionienė ist außerdem überzeugt, dass es um Menschenrechte geht – die der Mutter natürlich. Sie spricht von einem Recht auf ein Kind; ein Recht, das die Steuer- und Beitragszahler zu finanzieren haben. Hier sieht man einmal wieder, wohin die Ausweitung der Menschenrechte und der Kategorie der Rechte überhaupt führen kann. Die klassischen Schutzrechte kommen unter die Räder; nach dem Lebensrecht, das ja wohl das grundlegendste überhaupt ist, fragt in dem Zusammenhang kaum jemand. Die ‘positiven’ Anspruchsrechte dominieren dann ganz schnell und hebeln die ‘negativen’ Schutzrechte aus. Eigentlich sollten Liberale auf diese Zusammenhänge hinweisen, aber selbst die den Kirchen nahestehenden Politiker aus ihren Reihen wie der neue Chef der Partei, der Vilniuser Bürgermeister, schwimmen lieber mit dem Strom…

Im Juni wurde eine Schlacht im Lebensschutz gewonnen, aber nun sieht es ganz danach aus, dass der Krieg vorerst verloren geht. Nun wäre es an der Zeit, einen „Marsch für das Leben“ zu organisieren, wie er am kommenden Wochenende in Deutschland durchgeführt werden wird. Dort wollen die EKD-Kirchen nicht mitmachen; in Litauen wären gewiss alle, aber auch wirklich alle christlichen Kirchen für so eine Demo zu gewinnen.