Moschee – ne?
Der Islam kann in Litauen auf eine Geschichte von über sechshundert Jahren zurückblicken. Um 1400 siedelte der litauische Großfürst Vytautas die ersten Tataren im Süden des heutigen Litauens an. Das aus Zentralasien stammende Turkvolk beherrschte den Nordrand des Schwarzen Meeres (daher oft Krimtataren genannt) und hatte die islamische Religion angenommen. Möglicherweise waren die ersten Tataren in Litauen Kriegsgefangene der Litauer.
Heute bilden die Tataren den Kern des muslimischen Gemeinschaft. Sie zählt nur einige Tausend Mitglieder, hat aber den rechtlichen Status einer „traditionellen Religionsgemeinschaft“ und ist damit formell z.B. der katholischen, orthodoxen und lutherischen Kirche gleichgestellt. Im Süden und Osten Litauen stehen noch vier recht kleine Moscheen. Im Dorf „Vierzig Tataren“ (s.u. Foto) unweit von Vilnius weist neben dem Gebetshaus auch der Name auf die Wurzeln der Ortschaft hin.
In Vilnius leben Tataren seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ihr Zentrum war im Vorort Lukiškės, der sich heute im Stadtzentrum befindet. Hier stand unweit des Neris jahrhundertelang eine immer wieder neu- und umgebaute hölzerne Moschee (s. Foto ganz o. aus den 30er Jahren). Neben ihr befand sich der muslimische Friedhof. Nach 1945, in der Sowjetunion, wurde die Moschee geschlossen und anfangs als Lager genutzt, später verfiel sie; 1968 folgte der Abriss.
Heute versammeln sich die Muslime in einem Saal eines unscheinbaren dreistöckigen Mehrzweckgebäudes – über einer Autowerkstaat und einem Imbiss. Mehrere hundert Muslime müssen sich zum Gebet in den Raum drängen und dabei nicht selten auch auf das Treppenhaus ausweichen. Vor allem der Zustrom von Immigranten aus islamischen Staaten, also nichttatarische Muslime, hat zu diesem Platzmangel geführt.
Die muslimisch Gemeinschaft der Hauptstadt strebt daher schon lange den Neubau einer Moschee an. Allerdings ist das ursprüngliche Grundstück schon lange zugebaut. Die Stadtverwaltung bot eine Fläche neben einem Friedhof der Tataren und Karäer im Vorort Liepkalnis, unweit des Flughafens, an.
Doch die Politik vermasselt einmal wieder alles. Da ist auf der einen Seite die Rolle der Türkei. Neben dem traditionellen sunnitischen Muftijat, geprägt von der tatarischen Gemeinschaft, hat sich ein konkurriendes Muftijat (vergleichbar einem Bistum der Kirchen) gebildet, das die Immigranten anspricht und vor allem von der türkischen Regierung gefördert wird. Der Streit des Muslime untereinander wirft die Frage auf, wer dann überhaupt eine Moschee bauen will und darf.
Die litauischen Politiker machen nun ebenfalls einen Rückzieher. In Zeiten von HAMAS-Terror will niemand auch nur entfernt als pro-islamisch gelten. Die Finanzierung eines Moscheebaus z.B. aus dem arabischen Ausland gilt vielen als sehr verdächtig. Und der Vorsitzende des wichtigen Parlamentsausschusses für nationale Sicherheit meinte im Herbst sogar: „Das Letzte, was Litauen und unsere Hauptstadt jetzt brauchen, ist eine Moschee“. Ein „Anziehungspunkt“ wolle man unbedingt verhindern. Damit sind natürlich gewaltbereite Islamisten gemeint. Doch anders als in so manchen westeuropäischen Ländern hat Litauen bisher keinerlei Probleme mit militanten islamistischen Gruppen – allen Verdächtigen wird schon die Einreise verweigert. Warum sollte ein Moschee daher eine Gefahr darstellen?
In Litauen rühmt man sich gerne des historischen Erbes einer recht großen religiösen Toleranz. Wenn’s hart auf hart kommt, gerät aber gerade die Politik nur zu schnell ins populistische Fahrwasser. Die Muslime der Hauptstadt Litauens werden wohl noch lange auf ihre Moschee warten müssen.