30 Jahre litauische Bibelgesellschaft
Christen in der Sowjetunion hatten es bekanntlich äußerst schwer an Bibeln heranzukommen. Wie durch ein Wunder gaben die Kommunisten 1972 die Erlaubnis, die neue Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Litauische von Česlovas Kavaliauskas zu drucken. Die nicht zu große Auflage von 10.000 Exemplaren war aber schnell vergriffen. Viele evangelische Christen wie auch der Baptistenpastor Albertas Latužis aus Klaipėda konnten kein neues NT ergattern.
Ende der 80er Jahre, in Zeiten von Glasnost und Perestroika, wurde es dann möglich, das Neue Testament in hoher Auflage herauszugeben (1988 und 1989). Das schwarze NT dieser Auflagen ging in die litauische Kirchengeschichte ein – für viele Christen war dies das erste gedruckte Wort Gottes, das sie in den Händen hielten.
Herausgeber dieser Ausgaben war die katholische Kirche. Aber ein katholischer Priester, Lehrer am Priesterseminar und Mitgründer des katholischen Journals Katalikų pasaulis bemühte sich um ökumenische Kontakte. Vaclovas Aliulis (1921-2015) besuchte in den letzten Jahren der Sowjetunion eines Tages Pastor Latužis in Klaipėda. Beide schmiedeten Pläne für eine Litauische Bibelgesellschaft, zu deren Gründung es dann 1992 kam. Noch davor wurde ein Redaktionskomitee gegründet, das die Kavaliauskas-Übersetzung überarbeitete. 1993 erschien die korrigierte Version der Ausgabe von 1989 als erste Bibelausgabe der neuen Bibelgesellschaft.
Aliulis war viele Jahre Präsident der Litauischen Bibelgesellschaft (heute ist es der lutherische Bischof Sabutis). Latužis (geb. 1945), obwohl von einer langjährigen Krebskrankheit gezeichnet, ist bis heute Vizepräsident. Er war auch aktives Mitglied in der Redaktionsgruppe, die in den 90er Jahren die Übersetzung des Alten Testaments ins Litauische von Antanas Rubšys überarbeitete. 1999 war des dann endlich so weit: die Gesamtbibel in litauischer Sprache konnte erscheinen (Rubšys/Kavaliauskas).
Seitdem wurden über 100.000 Gesamtbibeln gedruckt und verbreitet, hinzu kommen Bibelteile wie vor allem das Neue Testament. Inzwischen kann der Leser zwischen Ausgaben in verschiedener Größe und mit unterschiedlichen Einbänden wählen. Hinzu kommt weitere christliche Literatur wie z.B. eine Konkordanz, die vor etwa zehn Jahren erschienen ist.
Neun christliche Buchhandlungen (meist katholische) setzen zusammen in etwa so viele Bibeln um, wie die anderen 80 Verkaufspunkte (andere Buchhandlungen) im Land. In den letzten Jahren ist zudem der Direktversand über Bestellungen im Internet bedeutender geworden. Ein wichtiges Projekt der letzten Jahre ist außerdem das Portal manobiblija.lt. Dort können mehrere Übersetzungen direkt miteinander verglichen werden (neben Rubšys/Kavaliauskas die des Protestanten Algirdas Jurėnas und des katholischen Bischofs Skvireckas, diese allerdings aus der lateinischen Vulgata). Dem Bibelausleger helfen daneben zahlreiche Begriffserklärungen und kurze Erklärungen zu zahlreichen Themen aus der biblischen Welt, also ein gar nicht so kleines Bibellexikon.
Die Bibelgesellschaft finanziert sich hauptsächlich durch den Verkauf der eigenen Produkte. Viel Unterstützung erfährt man auch durch die Deutsche Bibelgesellschaft aus Stuttgart und andere internationale Sponsoren. Die Personalkosten des kleinen Mitarbeiterteams sind dabei überschaubar, der Großteil der Mittel fließt tatsächlich in den Druck. Leider muss man sagen, dass das Spendenaufkommen aus Litauen selbst sehr gering ist. Jedes Jahr erhält die Bibelgesellschaft gerade drei bis viertausend Euro Spenden von Gemeinden und Einzelpersonen im Land.
Wegen der Pandemie konnte die Jahreshauptversammlung der Bibelgesellschaft zwei Jahre nicht stattfinden. Dafür feierte man in diesem Jahr am 26. März umso mehr, zumal man auf 30 Jahre seit der offiziellen Gründung zurückblicken konnte. Auf der Jubiläumsversammlung (traditionell in Räumen der luth. Gemeinde in Vilnius) dankte man für die Jahrzehnte der gesegneten Arbeit. Pastor Latužis skizzierte noch einmal die Geschichte der litauischen Bibelübersetzungen (s.o. Foto). Die Direktorin Vilhelmina Kalinauskienė stellte aktuelle Projekte vor wie z.B. die Bibel in Gebärdensprache.
Die Arbeit an einer neuen Übersetzung des NT ins Litauische geht ebenfalls voran (s. hier). Bisher sind die Paulusbriefe, übersetzt von Giedrius Saulytis, erschienen. Er arbeitet nun an den Evangelien. Irgendwann in den nächsten Jahren sollte daher eine neue, zusätzliche Ausgabe des NT erscheinen, die sich um genaue Wiedergabe der Bedeutung des griechischen Textes bemüht.
Bislang hat der litauische Leser nur die Auswahl zwischen zwei Ausgaben bzw. Übersetzungen auf dem Markt. Neben Rubšys/Kavaliauskas gibt es noch die Burbulys-Bibel, die auch die erste Gesamtbibel in litauischer Sprache Mitte der 90er Jahre war. An einer korrigierten Neuausgabe arbeitet z.Z. der Verlag „Ganytojas“ (Hirte) des Gemeindesbundes der evangelischen Gemeinden (vormals Tikėjimo žodis, Wort des Glaubens). Besonders zahlreiche charismatische, pfingstlerische und baptistische Gemeinden bevorzugen diese Übersetzung (wobei Baptisten- und Pfingstbund Mitteilhaber der Bibelgesellschaft sind).
Die Litauische Bibelgesellschaft ist womöglich die einzige wirklich gut funktionierende ökumenische Organisation in Litauen. Hier begegnet man sich tatsächlich brüderlich, begegnet sich und diskutiert auf Augenhöhe. Der freundschaftliche Geist der Anfangsjahre von Aliulis und Latužis wirkt weiterhin. Gott sei Dank! Holger ist ab diesem Jahre von der reformierten Kirche in den Vorstand der Bibelgesellschaft delegiert.