„Aus Wasser und Geist“

„Aus Wasser und Geist“

„Die Taufe ist ein Bad der Wiedergeburt“

Nach Beginn der Reformation um 1517/19 dauerte es gerade ein Jahrzehnt, bis sich drei Hauptströme der Evangelischen bildeten. Die Hauptursache war, dass Schweizer um Zwingli sowie Oberdeutsche wie Bucer in Straßburg eine andere Lehre der Sakramente als Luther und seine Anhänger im Norden entwickelt hatten. Beim Religionsgespräch in Marburg im Jahr 1529 konnten beide Seiten im Punkt des Abendmahls zu keiner Einigung finden, die ein Zusammengehen hätte möglich gemacht. In der Schweiz selbst trennten sich die Täufer ab 1525 von den anderen Evangelischen. Sie sahen die Taufe gläubiger Erwachsener durch Untertauchen als Pflicht der Christen an.

Die Taufe entzweite aber nicht nur die Täufer (Anabaptisten) und Reformierten. Diese hielten zwar wie die Lutheraner an der Kindertaufe fest, hatten und haben aber eine andere Tauftheologie. Diese Unterschiede sind z.B. in den heutigen EKD-Kirchen, gerade den unierten, kaum wahrzunehmen. Konfessionelle Lutheraner und theologisch konservative lutherische Christen lassen jedoch durchaus erkennen, dass die Taufe sehr großen Wert hat und viel bewirkt – mehr als die Reformierten zugestehen wollen.

Schon Martin Luther entwickelte eine prägnante Tauftheologie. Im Kleinen Katechismus betont der Reformator: Die Taufe „wirkt Vergebung der Sünden.“ Sie schafft neues Leben im Täufling, wirkt die neue Geburt. Zahlreiche Schriften aus lutherischer Feder ließen sich hier anführen. Hier sei nur das Enchiridion (1593/1603) von Martin Chemnitz genannt – eine Art ausführlicher Pastorenkatechismus, der vor einem halben Jahr auch in litauischer Sprache erschien.

Chemnitz (1522–1586) war einer der führenden Köpfe der Lutheraner in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Er wirkte u.a. in Braunschweig. Im Enchiridion (Handbuch) bekräftigte er die lutherische Tauflehre: „Wir werden neugeboren aus dem Wasser und Geiste, auf dass wir in das Reich Gottes kommen, Joh. 3; item, die Taufe ist ein Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welcher reichlich über uns ausgegossen wird, auf dass wir gerecht und selig werden, Tit. 3.“ (231)

Diese Aussagen werden u.a. mit Paulus Schriften begründet, denn dieser „spricht Tit. 3, die Taufe sei ein Bad erstlich der Wiedergeburt, nämlich dass wir, die wir Kinder des Zorns waren, aus dem Wasser und Geist neu geboren werden, dass wir um Christus willen Gottes Kinder sind. Zum andern sei die Taufe auch ein Bad der Erneuerung des Heiligen Geistes.“ (238) Die Wiedergeburt, „das ist die Kindschaft und Vergebung der Sünden“, sei „ganz und vollkommen, sobald ein Gläubiger getauft wird“; gleichzeitig „erstrecket [sie] sich doch gleichwohl durch das ganze Leben des Menschen“ (241).

Diese Wiedergeburt kann jedoch verloren werden (235). Allein dies zeigt schon, dass mit dieser Tauflehre ein Bündel anderer theologischer Grundannahmen verbunden ist. Im lutherischen Pietismus kam es später zur Vorstellung von mehreren Wiedergeburten, angefangen bei der in der Taufe; oder die Wiedergeburt wurde von der Taufe gelöst und auf die spätere Bekehrung übertragen.

„Ein Einweihungs- und Verpflichtungszeichen“

Unter den Reformierten lehnte als erster Huldrych Zwingli die Taufwiedergeburt ab. Schon früh leugnete er, das Taufwasser habe sündentilgende Kraft. In einem Brief an Straßburger Brüder aus dem Jahr 1524 betonte er, „dass die Taufe auch für die gegeben wurde, die erst später einmal zum Glauben kommen sollten; sie sind dann eben zu dem Zweck getauft, dass sie später Christus kennenlernen sollten.“ Man dürfe von der Taufe nicht erwarten, „was allein die Gnade Gottes vermag: Wir dürfen nicht glauben, die Seele werde durch das Taufwasser gereinigt…“

Zwingli bezeichnete die Taufe als „ein Einweihungs- und Verpflichtungszeichen“ (Kommentar über die wahre und falsche Religion, 1525). Gegen die mittelalterliche Theologie sowie Luther betonte er, dass sowohl die Taufe des Johannes wie die Christustaufe, zwischen denen er keinen wesentlichen Unterschied sah, nichts „bewirkt“ – im Gegensatz zur „inneren Taufe“ durch den Heiligen Geist, die den Glauben tatsächlich wirkt oder schafft. Die beiden äußeren, so Zwingli, führen zu Christus hin und fordern ein neues Leben. Der Zürcher Reformator unterschied klar zwischen dem Zeichen des Sakraments und der bezeichneten Sache, dem Sterben und Auferstehen mit Christus, der neuen Geburt:

„Es ist etwas Äußerliches, wenn man mit den [bei der Taufe gesprochenen] heiligen Worten ‘im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes’ untergetaucht wird, und es ist nur das Zeichen und die Zeremonie der eigentlichen Sache. Wenn bei einem Kaufhandel etwas durch Handschlag übergeben wird, so ist der Handschlag nicht die Übergabe selbst, sondern ein sichtbares Zeichen, durch das wir bestätigen, dass das Geschäft von beiden Seiten vollzogen ist. So sind die Zeremonien äußere Zeichen, welche anderen Menschen beweisen, dass derjenige, der diese Zeichen annimmt, sich zu einem neuen Leben verpflichtet hat oder dass er Christus bekennen will bis in den Tod.“

Zwingli hatte sich damit weit vom bisher vorherrschenden Taufverständnis entfernt. So wundert es auch nicht, dass die ersten Täufer in der Eidgenossenschaft zuvor meist Anhänger Zwinglis waren; sie gingen nur einige Schritte weiter als der Reformator und verabschiedeten sich ganz von der Kindertaufe.

„Der Geist, der das Wasser ist“

Johannes Calvin stand in seinem Sakramentsverständnis in mancher Hinsicht zwischen Luther und Zwingli. Aber auch er glaubte nicht wie Chemnitz und andere Lutheraner, dass Joh 3,5 von der Wassertaufe die Rede sei. In seinem Hauptwerk, der Institutio (1559), führt er aus:

„Christus hatte doch dem Nikodemus zunächst die Verderbnis der Natur dargelegt und ihn gelehrt, dass eine Wiedergeburt von Nöten sei. Da aber Nikodemus von einer leiblichen Neugeburt träumte, so zeigt Christus an dieser Stelle die Art und Weise an, in der uns Gott solche Wiedergeburt schenkt, nämlich eben ‘aus Wasser und Geist’. Es ist, als ob er sagte: es geschieht durch den Geist, der die Seelen der Gläubigen reinigt und besprengt und damit die Rolle des Wassers erfüllt. ‘Wasser und Geist’ verstehe ich also einfach so: ‘der Geist, der das Wasser ist’.“ (Inst. IV,16,25)

Zum Vergleich zitiert Calvin die Aussage von Johannes dem Täufer über Jesus in Mt 3,11: „… der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“. Der Geist in der Widergeburt hat „Amt und Natur des Feuers“ inne. Entsprechend bedeute „aus Wasser und Geist“ somit „nichts anderes als jene Kraft des Geistes empfangen, die an der Seele das ausrichtet, was das Wasser am Leibe vollbringt. Ich weiß, dass andere diese Stelle anders auslegen; aber ich zweifle nicht daran, dass dies hier ihr lauterer Sinn ist.“

Heinrich Bullinger, Zwinglis Nachfolger in Zürich, argumentiert etwas anders als Calvin, unterstreicht aber ebenfalls, dass die Rede vom Wasser in Joh 3,5 „nicht dem äußeren Zeichen der heiligen Taufe gemäß zu verstehen [ist], sondern der inneren und vor allem geistlichen Wiedergeburt durch den Heiligen Geist. Da Nikodemus dies nicht klar zu erfassen vermochte, stellte sie der Herr bildlich dar und erläuterte sie durch die Vergleiche mit dem Wasser und dem Geist, d.h. mit dem Wind oder der Luft [gr. pneuma für Geist meint auch Hauch, Wind], mit den feinsten Elementen also“. Bullinger weist auf Joh 3,8 hin: „Der Geist weht, wo er will.“ (Dekaden V, 8)

Bullinger zitiert außerdem Joh 3,12 über irdische und himmlische Dinge und bemerkt: „Nun war aber der Gegenstand, den er ihm vortrug, ganz und gar nicht irdisch… [Joh 3,3]… Doch die Art und Weise, wie der Herr diese himmlische Lehre weitergegeben, erläutert und dargestellt hat, ist irdisch. Denn für den schwerfälligen und irdischen Menschen deutet er das Geistige und Himmlische, indem er irdische Dinge heranzog und es ihm sozusagen zur Betrachtung vor Augen stellte. Wie sich die Beschaffenheit des Leibes durch das Wasser und die Luft oft verändert und Luft und Wasser eine wundersame Wirkung auf den Leib ausüben, so wirkt auch der Heilige Geist auf die Seele des Menschen, die er verändert, reinigt, belebt usw.“

„Kein ‘Wasser’ kann den ‘Geist’ ergänzen“

Als dritte Stimme aus den Reihen der Reformierten sei Karl Barth zitiert. In der Kirchlichen Dogmatik (Band IV/4, S. 131f) schreibt der Schweizer Theologe: „‘Erzeugt aus Wasser und Geist’ tritt V. 5 erklärend für das ein, was in Jesu erstem Wort  V. 3 ‘erzeugt von oben’ (anothen) heißt.“ Es könnte Joh 3,5 von einem Sakrament der Taufe die Rede sein, wonach gilt: „durch sie und nur durch sie… komme Einer ins Reich Gottes, weil in ihr und nur in ihr in und mit der Wirkung des Wasser – so oder so verstanden – auch die Wirkung des Heiligen Geistes stattfinde. Die herrschend gewordene christliche Tauftheologie hat sich in ihren verschiedenen Variationen tatsächlich auf dieser Linie bewegt.“

Barth glaubt aber nicht, dass Jesus dort ein Taufsakrament im Blick gehabt habe. Vielmehr liegt es nahe „davon auszugehen, dass es sich in dieser Formel um eines von den zahlreichen für die Denk- und Redeweise des vierten Evangeliums typischen spannungsvollen Begriffspaare handeln möchte“ (Barth nennt einige Beispiele). Er betont  – auch gegen die katholische Deutung von Joh 19,34: „Was aus dem Leib des getöteten Jesus hervorgeht, ist nicht Blut und außerdem auch Wasser, sondern sein allein darin heilskräftiges Blut, dass es das die Dürstenden tränkende Wasser ist. Jesus ist nicht die Auferstehung und dann auch noch das Leben, sondern darin und nur darin ist er die Auferstehung, dass er das Leben ist.“

Barth weiter: „Und nun müsste es mit merkwürdigen Dingen zugehen, wenn nicht auch das Begriffspaar ‘Wasser und Geist’ in die Reihe dieser dynamisch-kritischen Synthesen gehörte: Was das ‘Wasser’ ist, durch das Einer ‘von oben erzeugt’ wird, das wird restlos und also exklusiv durch ‘Geist’ erklärt. Es gibt in der Funktion, die ihm hier zugeschrieben wird, kein ‘Wasser’ außer und neben dem des ‘Geistes’: das Wasser vom Brunnen Jakobs (4,6f) nicht, das vom Teich Bethesda (5,2f) nicht und auch nicht das… christliche Taufwasser, und dieses auch nicht als Repräsentant, Mittel oder Zeuge des Geistes. In dieser Funktion kann kein ‘Wasser’ den ‘Geist’ ergänzen, kein ‘Wasser’ ihn als Sekundärursache vermitteln, keines ihn offenbaren. ‘Wasser’ in dieser Funktion ist allein durch ‘Geist’ zu definieren. Der einen Menschen ‘von oben erzeugt’, ist ausschließlich Er, der Geist, der weht, wo er will, dessen Stimme wohl zu hören, der aber nicht zu lokalisieren ist (V. 8). Er, der Geist allein ist das ‘lebendige Wasser’ (4,10f; 7,38). Seine, die Geistestaufe ist die eigentlich, die wirkliche, nämlich eben: die einen Menschen ‘von oben erzeugende’, ihn zum Sehen und Betreten des Reiches Gottes befähigende und ermächtigende Taufe.“

Trotz aller Unterschiede im Detail und verschiedener Akzente gibt es einen historischen Konsens der reformierten Theologie im Hinblick auf die Taufe. Hier sei nur noch der lange in Wien lehrende Eduard Böhl (1836–1903) zitiert, der ebenfalls zwischen Taufakt und Wiedergeburt klar unterscheidet: „Die Realisierung dessen, was bei der Taufe von Gottes wegen versprochen wurde, geschieht in der Wiedergeburt. Dass nun diese Wiedergeburt immer gerade mit dem Momente des Taufaktes zusammenfiele, ist nicht Schriftlehre. Das hieße sie an einen äußerlichen Vorgang binden.“ (Dogmatik, 1887)

Böhl gesteht zu: „Die Sakramente nehmen aber den Namen des durch sie bezeichneten Dinges an. So heißt das Brot ‘Christi Leib’; das Lamm heißt ‘Passah’.“ So auch schon Zwingli in einem Brief aus dem Jahr 1523. Man solle das Brot des Abendmahls besser Brot nennen, den Wein als Wein bezeichnen. „Wenn man hingegen das Brot lieber Leib nennt und den Wein Blut, so können wir das wohl tun. Aber es gilt nur in dem Sinne, wie wir sagen, die Taufe tilge die Sünden, wo doch nicht das Eintauchen – denn taufen heißt eintauchen – sie tilgt, sondern der Glaube. Ebenso dürfen wir nur in übertragenem Sinne Brot als den Leib und Wein als das Blut bezeichnen, womit uns Christus frei und rein macht.“

Unter den zeitgenössischen Theologen geht auch der Kanadier D.A. Carson (geb. 1946) in seinem Johanneskommentar davon aus, dass  Wasser und Geist in dem Vers aus Kapitel drei eine Einheit bilden und einen inneren Vorgang beschreiben. Jesus tadelt Nikodemus für sein Unverständnis, was wenig Sinn machen würde, wenn er das Sakrament der Taufe im Blick gehabt hätte. Nikodemus konnte aber den Sinn begreifen, da schon im Alten Testament sowohl der Geist als lebensschaffend als auch das Wasser im übertragenen Sinne als erneuernd und reinigend bezeichnet wurden. So gibt es zahlreiche Stellen, die von einem Ausgießen – wie Wasser – des Geistes reden (z.B. Hes 36,25–27). Carson glaubt daher, dass es in dem Abschnitt nicht um einen Ritus geht; betont wird vielmehr die Notwendigkeit des radikalen Wandels. Er will nur die Möglichkeit offen lassen, dass in Joh 3 ein zweitrangiger Hinweis („secondary allusion“) auf die Taufe vorliegt.

„Der Geist wirkt durch die christliche Taufe“

Die lutherische Lehrentwicklung nahm mit dem Konkordienbuch (1580) ihren Abschluss. Nach den zum Teil heftigen Streitereien mit den Reformierten im 16. Jahrhundert über die Sakramente wurde ihre Position festgeschrieben. In der Konkordienformel (1577) wird zur Taufe eindeutig festgehalten, dass sie im Getauften radikal verändern wirkt, denn sie bewirkt eine Befreiung des zuvor versklavten Willens. „Darum ist ein großer Unterschied zwischen den getauften und ungetauften Menschen.“ (SD, II)

So erkennt man bis heute an der Deutung von Joh 3 und anderen Stellen im Neuen Testament, welcher konfessionellen Strömung ein Autor zuzurechnen ist. Der lutherische Theologe Joachim Jeremias (1900–1979) schließt von Joh 3,5 sogar auf eine bereits existierende Kindertaufpraxis: „Denn das Johannesevangelium würde den Satz, daß nur die durch Wasser und Geist Gezeugten Einlaß in das Reich Gottes erlangen können (Joh. 3,5) schwerlich so uneingeschränkt formuliert haben, wenn man zu seiner Zeit noch bei den in christlicher Ehe geborenen Kindern auf die Taufe verzichtet hätte.“ (Die Kindertaufe in den ersten vier Jahrhunderten)

Ganz lutherisch meint auch Edmund Schlink (1903–1984) in Die Lehre von der Taufe: „Die Taufe auf den Namen Jesu Christi ist zugleich Taufe durch den Geist… ‘Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerechtfertigt worden durch den Namen des Herrn Jesu Christi und durch den Geist unseres Gottes’ (1 Kor 6,11). Dies alles ist in einem Akt dem Täufling widerfahren.“ Schlink meint, dass „den neutestamentlichen Taufaussagen gemeinsam ist, daß von der Taufe und dem Geisteswirken als einem Akt gesprochen wird. Die christliche Taufe geschieht durch den Geist, der Geist wirkt durch die christliche Taufe. Nirgends wird hier unterschieden zwischen ‘Wassertaufe’ und ‘Geistestaufe’, oder auch zwischen Sündenvergebung und Geisteswirken als zwei verschiedenen Akten.“

Auch Werner Neuer bekräftigt (s. hier) als Lutheraner, dass die Taufe etwas „bewirkt“, nämlich „dass Gott in der Taufe handelt und dem Menschen das ewige Heil zueignet!“ Für ihn lassen zahlreiche Stellen im Neuen Testament keinen Zweifel „am sakramentalen Charakter der Taufe und bezeugen nichts Geringeres, als dass der Mensch in der Taufe die Gnade der Gotteskindschaft empfängt. Ebenso eindeutig ist freilich, dass die Taufe nach dem Zeugnis des Neuen Testaments den Glauben nicht überflüssig macht, sondern auf ein Leben im Glauben und in der Christusnachfolge zielt“.

Konservative Lutheraner wie Neuer haben meist wie auf Abruf eine ganze Reihe von Versen aus dem Neuen Testament parat, die wir selbstverständlich bekräftigen sollen, dass die Taufe tatsächlich neues Leben schafft und Sündenvergebung wirklich bewirkt. Sie berücksichtigen dabei aber nicht, dass in der frühchristlichen Situation Buße, Glaube, Umkehr, Bekenntnis, Taufe, Wiedergeburt und Geistempfang in der Erfahrung der Christen so dicht zusammen lagen, dass sie gleichsam eine feste Einheit bildeten. Dieses siebenfache Geschehen (nach den genannten Substantiven) ist nach der Apostelgeschichte und den neutestamentlichen Briefen zeitlich und sachlich eng beieinander.

Auf dieser Linie deutet auch Robert H. Stein in Difficult Passages in the New Testament Joh 3,5. Die ‘Elemente’ der christlichen Initiation können auf überraschend verschiedene Weise kombiniert werden. Mitunter kann das Neues Testament Glaube und Taufe verbinden (z.B. Gal 3,25–27 und Kol 2,12); oder Glaube und Wiedergeburt, d.h. Geistempfang  (Gal 3,2); Taufe wird auch zusammen mit der Wiedergeburt genannt (Tit 3,5 und Apg 9,17–18; 10,44–48); an anderen Stellen bilden Glaube und Bekenntnis (Röm 10,9) oder Taufe und Bekenntnis (Apg 22,16) ein Paar; an wieder anderen sind es Glaube und Buße (Mk 1,15; Apg 20,21). Neben diesen Paaren finden sich im Neuen Testament außerdem Dreierreihen wie Buße, Wiedergeburt und Taufe (Apg 2,38; 11,15–18). Schließlich werden in Apg 19,2–6 vier Elemente aufgeführt: Glaube, Taufe, Wiedergeburt und Buße. Erlösung kann daher der Buße (2 Pt 3,9), dem Glauben (Apg 16, 31), dem Bekenntnis (Röm 10,13), der Wiedergeburt (Joh 3,3–5) oder der Taufe (1 Pt 3,21) zugeschrieben werden.

Dieser Befund ist ernst zu nehmen und sollte vor voreiligen Schlüssen bewahren. Denn in welche sachliche Ordnung diese Aspekte zu bringen sind und wie genau Handeln bzw. Wirken Gottes und des Menschen in diesen Aspekten oder Elementen der Initiation zu gewichten sind, muss im Einzelnen sorgfältig festgestellt werden. Dass hier Unterschiede bestehen, ist ja offensichtlich. So ist ja Glaube eine menschliche Aktivität, gleichzeitig aber auch eine Gabe Gottes; Wiedergeburt ist dagegen ganz Gottes Wirken. Hier muss exegetisch gearbeitet werden, um z.B. festzustellen, wo von welchem Phänomen die Rede ist (wie eben auch: meint Joh 3,5 die Taufe als Ritus?). Und hier muss darauf geachtet werden, dass in das einzelne Element nicht zu viel hineingelesen wird. Vor allem darf zwischen engen Zusammenhängen wie zwischen Wassertaufe und Geistestaufe nicht gleich auf eine ursächliche Beziehung geschlossen werden: die Taufe bewirke die Geistestaufe.

Man sollte nicht leugnen, dass die eigenen hermeneutischen und dogmatischen Überzeugungen die Sichtweise der genannten Stellen mitprägen. Ein Lutheraner oder Katholik sieht bei der Nennung von Taufe als notwendigem Teil des Christwerdens sein Verständnis direkt bestätigt. Nun könnte aber genausogut ein Zwinglianer (wie Barth in diesen Fragen) kontern: Ihr meint, dass es in der Taufe vor allem um Gottes Wirken geht – wie in der Wiedergeburt; ich glaube aber, dass die Taufe in erster Linie ein menschliches Handeln ist – wie auch das Bekenntnis oder die Buße.

Stein  nennt in diesem Zusammenhang einen hilfreichen Vergleich. Ein Ehering ist mit so gut wie jeder Eheschließung eng verbunden. Der Ring gehört in der Praxis fast schon untrennbar zum Beginn der Ehe, dass man ohne Probleme formulieren könnte: das Anstecken der Ringe ist der Eheschluss. Die Ringe stehen symbolisch für die Ehe, wobei sie tatsächlich nicht durch den Ringtausch o.ä. geschlossen wird. Dies geschieht formell durch die Unterschriften vor Zeugen auf einem Dokument. Übertragen auf die Taufe würden Reformierte also festhalten: Wie die Ringe zur Ehe gehören und ihren Anfang symbolisieren, so kennzeichnet die Taufe den Beginn des Christseins; aber die Taufe wirkt nicht das Eigentliche (Sündenvergebung, Wiedergeburt), sie ist – ähnlich den Ringen – Zeichen oder Zeugnis.

Nur menschliche Handlung?

Es bleiben also deutlich unterschiedliche Sichtweisen. Für die einen handelt in erster Linie Gott in der Taufe. Lutheraner (und Katholiken) betrachten das Symbol oder Zeichen als wirkungsmächtig; es  bezeichnet nicht nur, sondern es wirkt zugleich, was es  bezeichnet. Zeichenhandlung und Vergebungszusage fallen hier in eins zusammen.

Barth dagegen behauptet kaum weniger kategorisch, die „christliche Taufhandlung“ sei mit „höchster Wahrscheinlichkeit nicht als ein den Menschen reinigendes und erneuerndes göttliches Gnadenwerk und Gnadenwort“ zu verstehen. Die Taufe mit Wasser als solche vermittelt das Heil nicht, bewirkt im Blick auf die Sündenvergebung nichts. Sie ist „auf das Tun und Reden Gottes antwortende, echt und recht menschliche Handlung“, womit sich Barth auf der Linie Zwinglis bewegt und auch nichts gegen die Bezeichnung seiner Tauftheologie als „neo-zwinglianisch“ hat (s.o., S. 140f).

Die reformierte Tradition in ihrer Gesamtheit ist jedoch keineswegs konsequent Zwingli gefolgt (und auch nicht dem Neuansatz bzw. der Kritik Barths). Calvin betonte immer auch das Handeln Gottes in der Taufe und sah das Wahre in der lutherischen Position. So heißt es im Genfer Katechismus, es sei sicher, „dass uns die Vergebung der Sünden und das neue Leben in der Taufe angeboten und von uns empfangen werden“(328). Dies geht über das zwinglianische „nichts“ deutlich hinaus. In der Institutio (1559): „Er [der Herr] gewährt uns aber auch nicht nur eine Augenweide, indem er uns etwa bloß das äußerliche Schaubild sehen ließe, sondern er führt uns an die Sache selbst heran und bringt das, was er bildlich darstellt, zugleich wirkungskräftig zur Erfüllung“ (IV,15,14).

Das von Calvins Theologie geprägte Niederländische Bekenntnis (1562) formuliert in seinem Taufkapitel ähnlich: „Gott selbst gewährt wirklich, was durch die Sakramente bezeichnet wird“ (34). Im folgenden Jahrhundert heißt es auch im Westminster-Bekenntnis der Presbyterianer, dass das in der Taufe Bezeichnete „wirklich dargereicht und übertragen“ oder übereignet („conferred“) wird. Dennoch werden aber wieder in Abgrenzung von der lutherischen Position Taufakt und Wiedergeburt bzw. Sündenvergebung getrennt: Das wirkliche Darreichen geschieht „zu der von ihm [Gott] bestimmten Zeit“, denn „die Wirksamkeit der Taufe ist nicht an den Zeitpunkt gebunden, zu dem sie gespendet wird“ (28,6).

Die relative Vielfalt der reformierten Lehre mag als Schwäche erscheinen. Denn im Vergleich dazu treten Katholiken und Lutheraner dank sehr klar formulierter Überzeugungen geschlossen und nicht selten mit großer Bestimmtheit auf. Die Reformierten haben schließlich nie ein für alle verbindliches Bekenntnis angenommen und ihre Vielfalt bewahrt. Ihre Stärke lag dabei auch darin, dass sie in dieser Vielfalt zu Konsens fähig waren – der Name Consensus Tigurinus (Übereinkunft von Zürich) zwischen Genf und Zürich, zwischen Calvin und Bullinger aus dem Jahr 1549 sagt es schon. Damals kam man zu einer Übereinkunft in der Frage der Sakramente und verhinderte ein Auseinanderdriften der reformierten Bewegung.

In Abgrenzung von der lutherischen Lehre heißt es im Consensus eindeutig: „Die Sakramente verleihen die Gnade nicht.“ Es wird festgehalten, „dass ihnen [den Sakramenten] Gottes Gnade keineswegs derart angeheftet ist, dass jeder, der das Zeichen in Händen hält [so beim Abendmahl], auch die Sache selbst erlangt“ (17). Auch Artikel 19 entkoppelt den Akt oder Gebrauch der Sakramente von der unmittelbaren Gnadenwirkung. Über Zwingli hinausgehend wird aber betont, dass „der Glaube durch die Sakramente bestärkt wird und wächst und die Gaben Gottes in uns bekräftigt werden“. Und in Artikel 20, ähnlich wie später im Westminster-Bekenntnis: „Die Gnade der Sakramente ist so wenig an deren Vollzug gebunden, dass deren Frucht manchmal erst nach dem Vollzug erfasst wird.“

Einige Jahre später verfasste Bullinger 1562 ein persönliches Bekenntnis, das dann als Zweites helvetisches Bekenntnis 1566 veröffentlicht wurde und über die Schweiz hinaus Bedeutung gewann. Es ist auch in der reformierten Kirche Litauens bis heute Lehrgrundlage. Der Zürcher Hauptpastor schreibt dort: „Inwendig werden wir wiedergeboren, gereinigt und von Gott erneuert durch den Heiligen Geist; äußerlich empfangen wir die die Bekräftigung der herrlichen Gaben durch das Wasser, in dem auch jene herrlichen Gaben dargestellt und uns gleichsam augenscheinlich dargeboten werden“ (XX,3). Von einem Übertragen oder wirklich Gewähren schreckte Bullinger hier offensichtlich zurück.

Auf dieser Linie betont dann auch der Heidelberger Katechismus: Nur der Heilige Geist „wirkt“, die Sakramente „bestätigen“ oder bekräftigen (65). Den reformierten Zweiklang in der Sakramentenlehre finden wir schließlich auch in der Dordrechter Lehrregel aus dem Jahr 1618: Das „Werk der Gnade“ wird durch „die Predigt des Evangeliums“ begonnen (also nicht durch die Taufe) und u.a. durch „den Gebrauch der Sakramente“ erhalten, fortgeführt und vollendet  (V, Art. 14).

Taufe ist die Wiedergeburt – so klipp und klar auch der jetzige Papst vor zwei Jahren zu Ostern. Konservative Lutheraner sehen dies kaum anders, fügen noch die Notwendigkeit des Glaubens betonend hinzu. Reformierte Christen widersprechen. Taufe ist zwar auch Handeln Gottes, denn Er stärkt unseren Glauben; sie ist aber auch Handeln des Menschen – bezeugende und verpflichtende Antwort. Und sie weisen auf die große Spannung, ja den Widerspruch in der lutherischen wie katholischen Auffassung hin: Der in der Taufe wirkende Gott soll groß gemacht werden, aber Er (konkret der Hl. Geist, auch Gott) wird an den Vollzug der Sakramente gebunden – und damit unterliegt Er der Verfügungsgewalt von Menschen, der Priester und Pastoren.

An dieser entscheidenden Stelle wird Gott also klein gemacht. Trotz mancher Differenzen im Detail haben alle Reformierten, angefangen bei Zwingli, Bullinger und Calvin, betont: Die „Freiheit des göttlichen Geistes, der sich doch einem jeden nach Belieben mitteilt“, darf nicht durch die zu enge Bindung an die Zeichen eingeschränkt werden, so schon Zwingli (Kommentar über die wahre und falsche Religion). Der Geist, Gott, ist nicht in den Sakramenten eingeschlossen, so Calvin und Bullinger. Das Wasser aus Joh 3,5 ist nicht die von Menschen zelebrierte Taufe. Es bleibt dabei: „Der Geist weht, wo er will.“ (Joh 3,8)