Eigennutz und Selbstliebe

Eigennutz und Selbstliebe

„Desaströse Folgen“?

„Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.“

So lautet einer der berühmtesten Abschnitte aus Adam Smiths Der Wohlstand der Nationen. Der Wälzer des Philosophen und Ökonomen (s.o. Bild) aus dem Jahr 1776 gilt bis heute zurecht als Klassiker der modernen Volkswirtschaftslehre. In manchen Punkten ist diese sicher über Smith hinausgewachsen und hat ihn korrigiert, doch wesentliche Erkenntnisse des Schotten erwiesen sich als wahr und zutreffend. Dazu gehören die Ausführung über den Segen der Arbeitsteilung gleich zu Beginn oder auch die Sätze zum Handeln aus Eigennutz.

Eigennutz  bzw. Eigeninteresse (one‘s own interest, self-interest) und Eigenliebe (self-love) werden von Smith synonym und im ethisch neutralen Sinne gebraucht. Sie sind nicht zu verwechseln mit Selbstliebe im Sinne von Egoismus, also Ich-Zentriertheit. Eigeninteresse und Liebe zum Nächsten sind natürlich durchaus miteinander vereinbar, Egoismus steht dagegen im Gegensatz zum Altruismus, Selbstaufopferung und Hingabe an den Mitmenschen.

Dummerweise rücken gerade auch Christen Smith immer wieder in ein schlechtes Licht. Nur zu oft heißt es, er habe den Egoismus des Individuums gerechtfertigt und den Gemeinnutz verachtet. Der nur auf das Seine schauende Bäcker des Zitats wird so zum Prototyp des egoistischen Individualisten.

Hier sei als Beispiel nur Stephan Holthaus genannt, nun Rektor der FTH in Gießen. Schon in seinem insgesamt nur zu empfehlenden Trends 2000 findet sich ein Abschnitt zum Thema (2.3, „Gemeinschaft contra Individualismus“). Ausführlich geht der Theologe in dem Vortrag „Selbsterfahrung und Selbstbestimmung: Historische Streiflichter zur Geschichte des Individualismus“ (u.a. hier) auf die (angebliche) Verdrängung des Gemeinnutzes durch Eigennutz ein. Und hier findet auch Smith Erwähnung:

„War in früheren Zeiten jedes individuelle Handeln nur im Kontext des allgemeinen Nutzens wertvoll, so läutete die Gegenwart das Ende des Altruismus ein. Schon Adam Smiths Credo von 1776, dass das Streben des Menschen nach besseren Lebensbedingungen, also der Eigennutz, die Ursache und Quelle des öffentlichen Wohlstandes sei, zielte in abgeschwächter Form auf das Ende des Gemeinnutzes.“

Holthaus ist überzeugt: „Die desaströsen Folgen dieser Form des Individualismus sind heute mit Händen zu greifen. Zwar hat der moderne Mensch einen hohen Level an persönlicher Freiheit und Mobilität erreicht, aber Narzissmus, Egoismus und Einsamkeit breiten sich aus. Der moderne Mensch läuft wie ein kleiner Gott durch die Welt, selbstverliebt, aber in sich selbst verkrümmt.

In positiver Hinsicht fordert er: „Jede Individualität braucht den Gegenpol des Kollektivs, um sich überhaupt fruchtbar entfalten zu können. Wenn alle individualistisch leben, hört das Sozialgefüge auf zu existieren. Der Sinn der Freiheit des Einzelnen liegt in der Freiheit zum Wohl des Nächsten, ist Freiheit zu einem sozialen Zweck, nie Autonomie. Nur wer seinen Platz im sozialen Gefüge der Gesellschaft kennt, kann seine Stellung als Einzelner einnehmen. Was wir heute brauchen, ist Gemeinnutz, nicht Eigennutz, Hingabe an den Nächsten, nicht Selbstverwirklichung. Wer sich anderen hingibt, gewinnt. Wer großzügig gibt, empfängt. Geiz ist nicht geil, Geiz macht arm und sehr einsam. Aber sich selbst an Gott und an andere verschenken, macht unglaublich reich und schenkt viele Freunde. Genau das hat Jesus Christus getan, das genaue Gegenteil eines Individualisten. Seine Botschaft lautet: ‘Opfere Deinen Individualismus, damit Du mich und Dich selbst findest.’ ‘Liebe Deinen Nächsten, lebe für andere, dann wirst Du Erfüllung finden.’“

Gemeinnutz durch Eigennutz

Natürlich sagt Holthaus in diesen Sätzen viel Wahres. Dennoch sind kritische Bemerkungen notwendig.

Holthaus ist einer von den vielen, die Altruismus im Gegensatz zum Eigennutz sehen. Die negative Bewertung des Eigennutzes à la Smith wird konkret verantwortlich gemacht für das spätere „Ende des Gemeinnutzes“. Holthaus spricht von „desaströsen Folgen dieser Form des Individualismus“. Dies macht aber nur Sinn, wenn der Eigennutz als Egoismus, egozentrische Selbstliebe, definiert wird.

Außerdem ist Holthaus Gesamturteil in seiner Schärfe historisch mehr als fragwürdig. Und man darf nicht übersehen, dass er ein historisches Urteil fällt: Früher herrschte der Gemeinnutz, nun der Eigennutz; heute ist der Altruismus tot, denn überall laufen selbstverliebte Egozentriker durch die Gegend. Ich halte diese Bild für schlicht falsch oder zumindest grob verzerrend. Es ist sicher richtig, dass das Individuum sich heute stärker entfaltet und dies nicht nur positive Folgen hat. Doch man vergesse nicht, dass die Ursache dafür die ungeheure Ausweitung der persönlichen Freiheiten in den letzten Jahrhunderten war. Wir erachten dies heute als selbstverständlich, doch weltgeschichtlich sind freie Individuen die absolute Ausnahme. Haben wir nun mehr Freiheiten, kann auch, theologisch gesprochen, Sündersein intensiver ausgelebt werden. Waren die Menschen in den guten alten Zeiten aber weniger in sich selbst verkrümmt? Sicher nicht.

Da Smith von den wenigsten Christen gelesen wird, fällt den wenigsten auf, dass er selbst Eigennutz und Gemeinwohl durchaus im Blick hatte. „Ursache und Quelle des öffentlichen Wohlstandes“ (Holthaus) ist das Eigeninteresse – wohlgemerkt: Ursache des öffentlichen Wohlstandes. Rein private Reichtümer wurden in der Menschheitsgeschichte schon immer angehäuft, mitunter in riesigen Mengen. Das moderne, kapitalistische, arbeitsteilige, globalisierte, am Eigennutz orientierte Wirtschaften hat dagegen zu breit gestreutem Wohlstand (bei Smith general plenty) geführt, der alle Schichten der Bevölkerung erreicht, selbst die niedrigsten, so Smith damals prophetisch – das war schon in seinen Augen der größte Segen des modernen Wirtschaftens. Smith sah also durch den großen Wert des allgemeinen Nutzens durch das individuelle Handeln. Und die Geschichte gab ihm recht. So lebten römische Senatoren in einem Reichtum, den man sich heute nur schwer vorstellen kann; eine deutsche Regierungschefin lebt hingegen im Grunde so, wie Millionen ihrer Bürger.

Der Gemeinnutz der u.a. von Smith angestoßenen Wirtschaftsform war und ist gewaltig. Der öffentliche, breite Schichten der Bevölkerung durchdringende Wohlstand ruht ursächlich auf von Smith formulierten Prinzipien. Weite Schichten der Bevölkerung können sich nun auch intensiven Altruismus leisten. Dieser Wohlstand ist nicht durch einen Ausbruch einer Pandemie der Nächstenliebe zu erklären. (Dies mag gerade für professionelle Armutsbekämpfer unter den Christen demütigend sein.) Da die Fakten für sich sprechen, bleibt den Skeptikern nichts anderes übrig, als diese Wahrheit wie beiläufig zu übergehen und sie sie nur zähneknirschend anzuerkennen.

Menschliches Handeln ist immer zum eigenen Nutzen

Natürlich gab und gibt es Stimmen wie die russisch-amerikanische Autorin Ayn Rand (1905–1982), die in Werken wie The Virtue of Selfishness (1964) den Egoismus zur Tugend erhebt. Smith als hauptberuflicher Moralphilosoph (!) hätte gar nichts von solchen Thesen gehalten. In seiner Tradition steht Ludwig von Mises (1881–1973) – wie Rand ein in die USA geflohener Emigrant und ein radikaler Liberaler, den man nun dem Libertarismus zuordnet. Doch anders als die scharfte Atheistin Rand hatte Mises (ein Agnostiker) die wirtschaftlichen Zusammenhänge besser verstanden.

In Nationalökonomie (1940, erweitert dann im Englischen zu Human Action, 1949 – Mises Magnum opus) führt Mises zum Eigennutz  folgendes aus: Gehen wir von persönlichem Eigentum und Arbeitsteilung aus, also nicht von der auf dem „Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhenden sozialistischen Gesellschaftsordnung“, wo ein „Zentraldirektorium allein“ alles entscheidet, „dann bedarf es keiner weiteren Annahme, dass die Wirte [jeder Handelnde im Wirtschaftsprozess] aus Eigennutz handeln. Wenn man dem Ausdruck Eigennutz nicht ethische Färbung gibt und wenn man ihn nicht verwendet, um die Behauptung aufzustellen, dass das Verhalten der Wirte die übrigen Wirte schädigt, dann kann er nur bedeuten: jeder Einzelne zieht das, was ihn besser befriedigt, dem, was ihn weniger befriedigt, vor. Dann aber kann kein handelnder Mensch dem Eigennutz entrinnen.“

Mises hat völlig recht. Menschliches Handeln ist immer zum eigenen Nutzen – wobei Nutzen nur nicht zu eng gesehen werden darf. Sehr gut zeigt er, dass eben auch altruistisches Handeln dem Eigennutz nicht entrinnt: „Auch wenn das Handeln unmittelbar auf die Abstellung des Unbefriedigtsein anderer Menschen gerichtet ist, ist es in diesem Sinne eigennützig; der Handelnde hält es für wichtiger, dass andere essen, als dass er selbst mehr isst; die Befriedigung, die ihm im Augenblick als die dringendste erscheint, findet er in der anderen gewährten Hilfe; er sieht seinen Nutzen im Steigern der Befriedigung anderer.“

Hören wir noch auf einen weiteren großen Denker des 20. Jahrhunderts. 1945 erschien Karl Poppers (1902–1994) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. In der kritischen Diskussion von Platon, Hegel und Marx stellt der britische, aus Österreich stammende Philosoph dar, dass der wahre Individualismus im Gegensatz zum Kollektivismus steht, nicht aber zum Altruismus (oder Uneigennützigkeit, eine Art Synonym von Nächstenliebe). Der Gegensatz zum Altruismus ist viel treffender als Egoismus und Selbstsucht zu bezeichnen. Der Kollektivismus behauptet, „dass das Individuum den Interessen des Ganzen dienen solle, sei dies das Universum, der Staat, der Stamm, die Rasse oder irgendein anderer Kollektivkörper“; dass also die Gemeinschaft dem Individuum übergeordnet und also wichtiger als dieses ist. Popper geht es in diesem Buch vor allem um die Rechte des Individuums, die dem Staat, der Nation oder anderen ‘höheren’ Zielen und Zwecken nicht geopfert werden dürfen.

Der britische Philosoph zeigte, dass die Gleichsetzung von Individualismus und Egoismus schon eine Kernthese (und eine propagandistische Lüge) bei Platon war. An einer Stelle nennt er auch die Nächstenliebe, und hier zu Recht sehr kategorisch: „Der mit dem Altruismus vereinigte Individualismus ist die Grundlage unserer abendländischen Zivilisation geworden. Er ist die zentrale Lehre des Christentums. (‘Liebe deinen Nächsten’, sagt die Heilige Schrift, und nicht ‘Liebe deinen Stamm’.) Und er ist der Kern aller ethischen Lehren, die aus unserer Zivilisation erwuchsen und sie anregten.“

Schließlich soll Kenneth Minogue (1930–2013) zu Wort kommen. The Servile Mind (etwa: der knechtische Geist) hinterfragt auch dieser britische Philosoph und Volkswirt, das Bild, das Holthaus wie so viele andere zeichnen:

„Viele dieser Laster – Gier, Arroganz, Kampf um Position und Einfluß und dergleichen – sind im Verhalten vieler Menschen in allen Gesellschaften zu finden. Die Vorstellung, dass die soziale Grundlage des Kapitalismus sie verursacht, ist nur für diejenigen plausibel, die die Geschichte ebenso ignorieren wie die Anthropologie. Der zweite widerlegende Punkt ist, dass die Karikatur [des Kapitalismus] die Idee des Eigeninteresses falsch versteht, indem sie sie mit dem Laster der Selbstsucht identifiziert… Eigennutz ist im individuellen Bereich die Entsprechung zur nationalen Souveränität im Politischen. Es ist die Fähigkeit, ein rationales Urteil über die Bedingungen des zukünftigen Glücks eines Menschen zu fällen, und es kann daher nicht anders, als sich um das Glück derer zu kümmern, deren Leben von jeder möglichen Vorgehensweise beeinflusst wird. Das Eigeninteresse muss das Interesse anderer ernst nehmen, da diese anderen den Handelnden in gewissem Maße nicht weniger beeinflussen, als er sie beeinflusst…“

Wir müssen erkennen, so Minogue weiter, dass „moderne westliche Gesellschaften nicht nur von eigennützigen Anliegen geprägt sind, sondern auch in großem Ausmaß von gemeinnützigen und kulturellen Bemühungen. Wir müssten schon äußerst viel Pech haben, um nicht viel Altruismus und Hilfsbereitschaft zu erfahren. Ich denke, unser Leben entspricht nicht dem Bild des Menschen als entfremdete Atome voller gegenseitiger Antipathie. Die Anklage [gegen den individualistischen, den Egoismus fördernden Kapitalismus] schlägt eindeutig fehl. Das ist natürlich auch der Grund, warum Millionen von Menschen aus Staaten, die angeblich mit traditionellen Gemeinschaftswerten [Gemeinnutz!] gesättigt sind, so sehr daran interessiert sind, in unsere abscheuliche Welt des Kaufens und Verkaufens zu gelangen, in dem alle Bindungen und Beziehungen so erbarmungslos auseinandergerissen wurden… Jeder in modernen Gesellschaft lebende vernünftige Mensch bildet das Zentrum eines Netzwerks von Beziehungen, seien diese von Sympathie oder Antipathie geprägt… Es ist offensichtlich absurd, diesen Zustand mit der einzigen Beziehung des Kaufens und Verkaufens zu beschreiben. Die Realität sieht ganz anders aus: Da diese Individuen keineswegs isolierten Atomen gleichen, sind sie eingebunden in zahlreiche Verpflichtungen und Neigungen, von denen der Einzelne gar nicht unterschieden werden kann… Ich behaupte also, dass diese Kritik am eigennützigen Charakter der modernen Europäer auf die genau gegenteilige Wahrheit hinausläuft: ‘Nacktes Eigeninteresse’ findet man oft in traditionellen Gesellschaften; dies ist zwar überall zu finden, aber in Europa wurde es bis zu einem gewissen Grad von unserem bemerkenswerten Repertoire an ‘Moralitäten’ domestiziert. Der Individualismus lag somit an der Wurzel der westlichen Institution der Zivilgesellschaft, und es ist in höchstem Maße von Bedeutung, dass das Hauptziel aller ideologischen Bewegungen darin bestand, diese Arena der autonomen Selbstgestaltung zu zerstören, um alle Unternehmen in den Händen eines meisterhafter Staates zu zentralisieren… Diese Entwicklungen führen dazu, dass Individuen vom Staat abhängig werden“ – und frühere soziale Bindungen wurden geschwächt.

Der wahre Feind des allgemeinen Wohls 

Minogue sah (wie auch Mises und Popper), dass der Staat nur zu gerne den Gemeinnutzen für sich vereinnahmt. Seht her, ich kümmere mich um das Gemeinwohl! Hier hilft die Perspektive, die Mises so betont hat: Es handeln immer Individuen; ein Staat ist kein handelndes Subjekt im eigentlichen Sinne, besteht vielmehr aus zahlreichen Handelnden in Regierung und Verwaltung. Auch hier ist Handeln eigennützig. Es ist nun nicht direkt am Gewinn des Unternehmens orientiert wie in der freien Wirtschaft; aber der Staatsbeamte hat natürlich auch seine Interessen: Er oder sie will vor allem den eigenen Stuhl warm halten. Dies ist genauso Fakt wie das Gewinnstreben des Unternehmers.

Mit dem Gemeinwohl ist es daher gar nicht so weit her. Wie persönliches Handeln bevorzugendes Auswählen ist, so verfängt sich staatliches Handeln, das über Sicherheit und Ordnung für alle hinausgeht, im Gewirr der Bevorzugungen bestimmter Gruppen – die einen werden finanziell privilegiert, die anderen benachteiligt. Mises bissig: „Gemeinnützig ist das, was der Regierung, d.h. den Männern, die gerade über den Gewaltapparat [des Staates] verfügen, als gemeinnützig erscheint; gemeinnützig ist, was den Regierungsmännern ermöglicht, sich am Ruder zu behaupten. Wer der Regierung folgt, wird durch Privilegien belohnt; wer der Regierung gleichgültig ist oder mißfällt, wird durch Ausnahmegesetze benachteiligt.“

Der Staat hat Aufgaben im Hinblick auf das Gemeinwesen und das Gemeinwohl. Das sind in erster Linie Schutz des öffentlichen Friedens und der Rechtsordnung – und viel mehr sollte auf keinen Fall hinzukommen.  Will er mehr Nutzen stiften, und heute will er das in großem Ausmaße, führt es dazu, dass Beamte relativ willkürlich bestimmten Gruppen bestimmte Privilegien zukommen lassen. Der Wirtschaftsprozess ist im Vergleich dazu viel ehrlicher (der Eigennutz der Unternehmer und Verbraucher wird nicht geleugnet), und er schafft auch tatsächlich mehr Gemeinnutzen als staatliches Handeln. Nur kann sich kein bestimmter Akteur dieses Gesamtwohls rühmen – es ist eben die viel verspottete „unsichtbarer Hand“ bei Adam Smith, die zum Gesamtwohl führt, kein (staatlich) direkt gesteuerter Prozess.

Dies ist eine Demütigung, die der (gefallene) Mensch nicht ertragen und kann und will. Und so wird die angebliche Unordnung der Wirtschaft, ihr Ausgehen vom Eigennutz, verunglimpft. Es wird das Ende des Gemeinnutzes beschworen, so dass der korrigierend eingreifende Staat, dem angeblich allein das Gemeinwohl am Herzen liegt, als Notwendigkeit erscheint. „Desaströse Folgen“ hatten nicht Smiths Gedanken in seinem epochemachenden Werk; diese hatte und hat die Vergottung des modernen Staates, der geschickterweise einen seiner Altäre „dem Gemeinwohl“ genannt hat.

„Das höchste Ziel des Menschen…“

In diesem Text ging es um eine Apologie der Aussagen von Adam Smith. Hier zum Abschluss nur eine Skizze der theologischen Einordnung von Eigennutz und Selbstliebe.

Gott hat uns aber geboten, dass wir um uns selbst kümmern sollen und will auch, dass wir selbst Freude erfahren und es uns gut geht – eine totale Selbstverleugnung, Selbstverachtung fordert die Bibel nicht. Gefordert ist jedoch, dass wir unter Umständen (wenn die Not des Anderen dies gebietet), die Bedürfnisse des Nächsten über unsere stellen. Thomas Schirrmacher formuliert sehr gut:

„Die Bibel begründet das höchste Ziel des Menschen, nämlich ewiges Leben zu erlangen und in ewiger Gemeinschaft mit Gott zu leben, in doppelter Weise. Einerseits wird damit Gott an die erste Stellen gesetzt und der Mensch ordnet sich demütig Gottes Willen unter: Der Mensch wird Gott ewig als seinen Herrn und Erlöser preisen. Andererseits ist dies aber zugleich das Beste, was ein Mensch für sich selbst tun kann. Deswegen begründet die Bibel ein Leben nach dem Willen Gottes ohne Hemmungen mit dem Nutzen, den der Mensch davon in Ewigkeit haben wird.“ (Ethik)

Dies steht in der Tradition des Kurzen Westminster-Katechismus, dessen berühmte Antwort auf Frage 1 („Was ist das höchste Ziel des Menschen?“) lautet: „Das höchste Ziel des Menschen ist, Gott zu verherrlichen und sich für immer an ihm zu erfreuen.“ Hier steht Gott und die Liebe zu ihm im Zentrum. Gleichzeitig geht es gleich an erster Stelle auch um den Menschen. Es wird nicht gefragt, was der Sinn des Universums oder des Daseins als solches ist. Natürlich sind auch solche Fragen legitim, doch der Katechismus fragt persönlich: Warum sind wir hier? Was ist der Zweck unseres Daseins? In der Antwort steht dann Gott im Mittelpunkt: Wir sind um seines Willens da. Wir sind nicht Götter, stehen nicht im Zentrum des Universums. Aber der Mensch verschwindet eben nicht. Er löst sich nicht in einer diffusen Göttlichkeit auf. Sein Daseinszweck ist Freude an Gott. Gott wird in Ewigkeit alle Ehre gegeben werden, aber der Mensch hat auch Nutzen davon. Dieses Prinzip durchzieht die ganze Bibel. Auch die Gebote Gottes sind gegeben, damit es uns gut geht. Das Gesetz ist gut für uns, Sünde ist schlecht für uns (Dt 6,17; Spr 11,17; Ps 7,14; 38,5).

Selbstsucht ist immer Sünde. Allerdings ist nicht jede Selbstliebe böse, denn Sorge um die eigenen Bedürfnisse im Sinne des gesunden Eigeninteresses ist keineswegs als solche abzulehnen. Moralisch verwerflich ist eine Liebe, die sich nur um sich selbst dreht. Augustinus – wie später dann Martin Luther – prägten den lateinischen Ausdruck incurvatus in se (ipsum) als metaphorische Beschreibung der menschlichen Sünde: „in sich selbst verkrümmt sein“, d.h. sich ganz um die eigenen Wünschen und Begierden drehen. Wilhelm Lütgert brachte es auf den Punkt: „Selbstsucht ist nicht Selbstliebe. Der selbstsüchtige Mensch liebt überhaupt nicht, auch nicht sich selbst.“ (Schöpfung und Offenbarung)

In Augustinus Gottesstaat ist diese fehlgeleitete Liebe das herausragende Merkmal der irdischen Stadt (Kap. XIV, 28). In dieser irdischen Stadt leben auch in gewisser Weise alle Menschen, auch die Christen (was Luther dann klarer als Augustius sah). „Narzissmus, Egoismus und Einsamkeit“ (s.o. Holthaus) gehören zu ihren Kennzeichen. Nur war dies schon in Augustinus Zeiten so und wird auf Erden immer so bleiben. Smith brachte nicht einen bösen Stein ins Rollen. Im Gegenteil: Er trug zu seiner Verlangsamung bei.