450 Jahre Jesuiten in Litauen

450 Jahre Jesuiten in Litauen

1540 wurde vom Basken Ignatius von Loyola (1491–1556) die „Gesellschaft Jesu“ gegründet, der Jesuitenorden. Die Ordensgründung war Teil einer katholischen Erneuerungsbewegung, die auf die Herausforderung der Reformation reagierte. Die Jesuiten hatten im 17. Jahrhundert einen großen Anteil an der Gegenreformation, der Zurückdrängung des Protestantismus in Europa.

In Litauen war die Lage – in den Augen Roms – besonders bedrohlich. Ab etwa 1550 war der evangelische Glaube dort schnell vorgedrungen. Protestanten hatten höchste Ämter im Staat inne. Glaubenskriege konnten vermieden werden. Alles schien sich für die Evangelischen gut zu entwickeln, doch in entscheidenden Jahren schwächte Uneinigkeit die protestantische Bewegung. Zwischen 1560–70 wurden die Tauffrage und vor allem die Dreieinigkeit sehr kontrovers diskutiert. Die dogmatischen Spannungen führten auch dazu, dass eine 1564 in Vilnius gegründete Schule trotz Beschluss des Sejm von 1568 nicht zur Höheren Schule aufsteigen konnte. Auch Lehrpersonal fehlte. Erst ab 1572/73 setzte sich das Zweite Helvetische Bekenntnis durch; die Trinitätsleugner wurden isoliert. 1570 war das Bekenntnis aus der Feder des Zürchers Heinrich Bullinger bei der Synode in Sandomir  angenommen worden. Damit erhielt die Kirche Polen-Litauens endlich ein stabiles Fundament.

Vor 1570 ergab sich also für die katholische Kirche eine günstige Gelegenheit, die Initiative auf dem Gebiet des Bildungswesens zu ergreifen. Im August 1568 lud der Vilniuser Bischof Valerian Protasewicz die Jesuiten offiziell in das Großfürstentum ein. Schon ein Jahr später – vor 450 Jahren – leisteten sie der Einladung Folge; vier Brüder ließen sich im Herbst in der litauischen Hauptstadt nieder. Am 4. Oktober gründete Protasewicz in Vilnius das erste Kollegium auf dem Territorium des Landes, dessen Leitung er den Ordensbrüdern anvertraute. Erstaunlicherweise stießen weder die Ankunft der Jesuiten in Vilnius noch die Gründung des Kollegiums zunächst auf irgendeinen Widerstand seitens der Anhänger der Reformation. Die Protestanten waren mehr mit Richtungskämpfen beschäftigt und schätzen vermutlich den Wirkungsradius der in kleiner Zahl erschienenen Brüder des bisher wenig bekannten Ordens völlig falsch ein. Erst als das neu eröffnete Kollegium regen Zulauf verzeichnete (1570 schon 122 Studenten) und die Evangelischen selbst nichts Ähnliches vorweisen konnten, kam es zu den ersten Kontroversen mit den Jesuiten. Ihre Akademie in Vilnius erlangte 1579 Universitätsstatus und wurde bald zu einem mächtigen Zentrum der Gegenreformation in Litauen. Die Mission der Gesellschaft Jesu war dabei eindeutig: Litauen vor dem Abgleiten in den Protestantismus bewahren und den wahren Glauben wiederherstellen.

1573 kam mit Piotr (Petrus) Skarga auch noch einer der fähigsten Organisatoren des Ordens aus Polen nach Vilnius. Mit ihm debattierte sogleich Andreas Volanus, der aus Schlesien stammende intellektuelle Kopf der Reformierten. Volanus hatte als einer der ersten erkannt, welche Gefahr von den Jesuiten in der Verbindung von Studium und gelebter katholischer Frömmigkeit für die Protestanten ausgeht. Volanus kritisierte vor allem das katholische Abendmahlsverständnis. Skarga und andere Katholiken verfassten ihrerseits Werke, in denen sie die Argumente der Protestanten auseinandernahmen. Die pubilizistischen Gefechte in Litauen im letzten Viertel des 16. Jhdts. wurden in ganz Europa aufmerksam verfolgt.

Leider waren die Bemühungen des Volanus nicht von Erfolg gekrönt, im Gegenteil. 1608 wurde eine Ordensprovinz der Jesuiten eingerichtet, zu der knapp 300 Ordensbrüder zählten. Zahlreiche Schulen (Kollegien) wurden im ganzen Land gegründet. Mitte des 18. Jhdts. gehörten dem Orden sogar 1149 Mitglieder an. Parallel dazu nahmen die rechtlichen Schritte gegen die Evangelischen an Schärfe zu. 1668 folgte ein Konversionsverbot aus der katholischen Kirche heraus – wer einmal katholisch geboren war, durfte nicht mehr evangelisch werden. Die römisch-katholische Kirche wurde damit faktisch zur Staatsreligion. Die zahlreichen Werke des Andreas Volanus landeten komplett auf dem Index der verbotenen Bücher Roms; sie wurde im 17. Jahrhundert verbrannt und systematisch zerstört. Das gleiche gilt für das Gedenken des in vielerei Hinsicht bedeutenden Denkers Litauens (Volanus war in erster Linie Staatsdiener und nicht Geistlicher, schrieb nicht nur zu theologischen, sondern auch politischen Fragen). Seine Portraits wurden ebenfalls allesamt vernichtet, um jedes Andenken an ihn zu beseitigen.

Die Gegenreformation in Litauen ist aus der Sicht Roms eine Erfolgsgeschichte. Zwar wurde der evangelische Glaube nicht ganz ausgemerzt. Dutzende reformierte und lutherische Gemeinden hielten sich. Doch die Vorherrschaft Roms war sichergestellt. heute stehen in der Bevölkerung 77% Katholiken gerade etwa 1% Evangelischen gegenüber.

Der Jesuitenorden wurde aber auch selbst Opfer staatlicher Unterdrückung und 1820 im Zarenreich und dann in der Sowjetunion verboten. Heute gehören ihm in Litauen ein paar Dutzend Ordensbrüder an. Der Orden unterhält im Land mehrere Gymnasien, die als Eliteschulen gelten. Das Jahr 2019 wurde vom litauischen Parlament zum Gedenkjahr der Jesuitenmission erklärt (zwei Jahre zuvor fand – ebenfalls vom Seimas ‘abgesegnet’ – das Jahr der Reformation statt). Die Vilniuser Universität, die dieses Jahr auf 440 Jahre Bestehen zurückblickt, knüpft auch gerne an das jesuitische Erbe an.

Von einer offenen Feindschaft wie noch in der Reformationszeit zwischen Protestanten und Jesuiten kann nun sicher keine Rede mehr sein. Dennoch blickt die reformierte Kirche Litauens auch mit einem weinenden Auge auf die Aktivität der Jesuiten zurück. Ihr radikales Schrumpfen geht auch auf das Konto der Jesuiten.

Auf Unverständnis unter den Reformierten stieß auch die Teilnahme des lutherischen Bischofs Litauens an Feierlichkeiten der Jesuiten in Šiauliai im Januar. Mindaugas Sabutis wünschte dem Orden Segen für ihre Arbeit und drückte demonstrativ seine Freundschaft mit den Leitern der Jesuiten aus. Auch der Erzbischof der lutherischen Kirche Lettlands, der auch von konservativen Christen in Deutschland gerne eingeladen und geachtet wird, schätzt ausdrücklich die Geistlichen Übungen des Ignatius. In einem Journal der britischen Jesuiten im Reformationsjahr 2017 fragte er sich, warum Luther und Loyola, beides – so Janis Vanags – Liebhaber Christi und der Bibel, für Pole der Uneinigkeit stehen. Als reformierter Christ kann man sich da nur dies fragen: Sehen die lutherischen Brüder nicht, dass es Ignatius mit seinen Übungen auch darum ging, vom protestantischen Sola Scriptura und konkret der Klarheit und Genügsamkeit der Hl. Schrift wegzuführen?