Der falsche Weg

Der falsche Weg

Mit der Waffe, aber ohne Flasche

Gebet statt Alkohol: Mönche gegen Litauens Suchtproblem.“ So der Titel einer halbstündigen Sendung auf „Arte“ am 10. Januar. Einleitend heißt es zu der Reportage: „Laut WHO wird nirgends in der EU so viel getrunken wie in Litauen. Die Folge: Jedes Jahr sterben durchschnittliche 2.900 Männer und 950 Frauen an den Folgen des Alkohols. Bruder Gediminas ist Franziskaner-Mönch. Er hat dem Alkohol den Kampf angesagt und mitten im Nirgendwo ein Kloster errichtet. Er hilft den Menschen, sich von ihrer Sucht zu befreien und Gott zu finden.“

Niemand bestreitet, dass der Alkoholverbrauch in Litauen hoch ist, doch die Zahlen der WHO beruhen auf einer recht eigentümlichen litauischen Statistik und sind daher auch im Land selbst sehr umstritten. Es gibt durchaus die Tendenz, die Lage möglichst schwarz zu malen, um damit scharfe Maßnahmen zu rechtfertigen. Ähnliches gilt für die auch bei „Arte“ genannten Todeszahlen. Unter „Folgen des Alkohols“ kann man viel verstehen, denn dies sind nicht nur Folgen der Alkoholsucht oder Alkoholvergiftungen.

Es geht um Dramatik, und eine dramatische Stimmung wird von vielen bewusst geschürt. Dies hat zur Folge, dass in Litauen nicht nur die Anhänger der Abstinenzbewegung, sondern auch andere wichtige öffentliche Stimmen den Alkohol geradezu verteufeln, ihn als solchen zu einem Übel erklären, ja bewusst den Alkoholkonsum stigmatisieren. Eine wirklich vernünftige Debatte über tatsächlich sinnvolle Maßnahmen kann sich da kaum entwickeln.

Dabei hat der weitaus größte Teil der Bevölkerung überhaupt kein Alkoholproblem! Der Anteil der Menschen mit einem „Problemkonsum“ oder der wirklich Abhängigen dürfte auch in Litauen nicht wesentlich höher als z.B. in Deutschland sein. In Litauen trinken einzelne Gruppen deutlich zu viel (nämlich meistens Hochprozentiges), und das schlägt sich dann in der Statistik nieder. Die jungen Leute konsumieren gar nicht mehr als in westeuropäischen Ländern. In dieser Gruppe geht der Verbrauch ja tendenziell zurück.

Man sieht es oft genug an den Supermarktkassen: Die Schnapsflaschen – und gleiche mehrere davon – legen sich meist die Älteren aufs Band, und nicht nur die Unterschicht, auch das gutbürgerliche Klientel. Junge Leute wie Studenten geben ihr Geld eher für anderes aus. Aber auf sie lässt sich bekanntlich ja leicht eindreschen. Die Jugend hat immer an allem schuld, und sowieso… So wundert es nicht, dass mit dem neuen Alkoholkontrollgesetz, das Anfang des Jahres in Kraft trat, vor allem die Jugend eine Watschen abbekam: Erst ab dem vollendeten 20. Lebensjahr darf Alkohol erworben werden. Wie schon gesagt: Die jungen Leute in Litauen haben schlicht und einfach kein besonderes Alkoholproblem. Aber an dieser Schraube lässt sich drehen – und daher wird gedreht.

Vor einigen Jahren führte Litauen, erschreckt von der Besetzung der Krim durch Putin, holterdiepolter wieder die Wehrpflicht ein. Junge Männer werden seitdem wieder gezogen, selbst ein frisch Verheirateter wie Rimas Neffe Rokas. An der Waffe muss man auch mit 18 oder 19 schon dienen, doch ein Bier darf sich der Soldat nicht kaufen. Verkaufen dürfen aber auch 18-Jährige…

Zerschnittene Journale

Die erträumten Spezialgeschäfte für Alkoholika konnte die Regierung unter Führung der „Bauernpartei“, die sich ganz der Abstinenz und dem Kampf gegen das Trinken verschrieben hat, nicht durchsetzen. Noch nicht. Der Verkauf in der Läden wurde nun aber zeitlich beschränkt: Nach 20 Uhr gibt‘s nichts mehr. Nach 20 Uhr darf außerdem in Gaststätten, Kneipen und Bars nur noch gezapfter und direkt eingeschenkter Alkohol konsumiert werden. Eine schon erworbene Flasche darf nun auch nicht mehr auf dem Tisch eines Restaurants stehen bleiben (!) – sie wandert nach jedem Einschenken wieder hinter die Bar.

Noch absurdere Folgen bringt nun das komplette Werbungsverbot für alkoholhaltige Getränke ab Anfang Januar mit sich. Da sich in ausländischen Journalen mitunter nicht gerade wenig Werbung für Bier, Wein und Spirituosen befindet, ist ihr öffentlicher Verkauf in Litauen eigentlich nicht möglich. Ein litauischer Pressevertrieb mit hunderten ausländischen Titeln im Angebot ging daher im Januar dazu über, entsprechende Werbung in jedem einzelnen Heft zu überkleben oder ganze Seiten auszuschneiden; ein kommentierendes Blatt erklärt die Maßnahme (s.o. Foto). Was für eine Arbeit!

Dieses Geschnipsel erregte landesweit natürlich viel Aufsehen. Selbst die Präsidentin sprach von einer Schande, obwohl sie das Gesetz selbst gutgeheißen und kein Veto eingelegt hat. Die Parlamentarier, die das Gesetz mit großer angenommen hatten (nur die Liberalen stimmten nicht zu), duckten sich weg.  Der Gesundheitsminister und der Chef der „Bauern“ schoben den schwarzen Peter den Pressevertreibern zu: Dies hätten die internationalen Partner warnen müssen, dass in Litauen nun neue Regeln gelten. Ja ja, Forbes, Focus und Esquire werden dann litauische Versionen ihrer Journale ohne Alkoholwerbung auf den Markt bringen… Manchmal wird die Realitätsverweigerung von Politikern richtig peinlich.

Die Schnipselei wird wohl erst einmal aufhören, da das Amt für Drogen-, Tabak- und Alkoholkontrolle den Vertrieb internationaler Journale nicht kontrollieren will. Vorerst. Aber eine richtige Lösung des Problems ist dies nicht. Womöglich wird es eine Korrektur am Gesetz geben. Verunsicherung ist jedoch Gift für jedes Unternehmen, aber vielleicht ist diese Vergiftung ja auch gewollt.

Alkohol und Kultur

Auf Seiten der Abstinenzfanatiker, bis hinauf in die Regierung und das Parlament, wird leider so getan, als ob man Litauen von der Seuche Alkohol ganz befreien könnte. Natürlich ist das eine Utopie. In Europa lebt man seit Jahrtausenden mit dem Alkohol, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Die Frage ist, wie sich eine zivilisierte Form des Alkoholkonsums entwickeln kann, eine positive Alkoholkultur, eine Kultur des echten Alkoholgenusses.

Doch niemand anderes als der Gesundheitsminister, Psychiater von Beruf und ohne bisherige Politikerfahrung, leugnete öffentlich, dass es so etwas wie eine Kultur des Alkoholkonsums gibt. Die Wörter Alkohol und Kultur passen für ihn grundsätzlich nicht zusammen. Nun mag man solche eine private Meinung haben, aber in hoher staatlicher Verantwortung sollte man sich so nicht äußern; die Folgen können fatal sein.

Solche Äußerungen zeigen das ganze Dilemma des Kampfes gegen die Trinkerei. Das Saufproblem wird sich nicht durch Verbote allein regeln lassen.  Versuche dieser Art gab es schon in der Sowjetunion, und auch nun gibt es schon wieder erste Anzeichen, dass wie damals Herstellung, Verkauf und Konsum in den Untergrund wandern. Wie gesagt, eine neue Kultur muss heranwachsen, doch gerade die jüngsten politischen Beschlüsse trampeln gleichsam auf den zarten Pflänzchen einer echten Kultur des Bier- und Weintrinkens herum.

So ist fraglich, ob die zahlreichen kleinen Bierbrauereien im Norden Litauens alle werden überleben können. Die Biergiganten wie Carlsberg, denen auch die meisten der großen Brauereien Litauen gehören, werden mit den Maßnahmen irgendwie zurechtkommen. Aber die Träger von lokaler, oft tief verwurzelter Bierkultur – sie geraten womöglich unter die Räder.

Um eine hoher Weinkultur hat sich 2003 der „Vyno klubas“, der Weinclub, des Ehepaars Starkus verdient gemacht. Das Familienunternehmen vertreibt gute Weine aus der ganzen Welt und alles, was dazu gehört, unterhält einige Geschäfte, organisiert Weinproben und bildet sogar zum Sommelier aus. Und nun werden den sympathischen Förderern einer echten Weinkultur Stöcke zwischen die Beine geworfen! Das 2005 gegründete Weinjournal erscheint vorerst nicht mehr. Propagierung eines gemäßigten Alkoholkonsums – man ist Teil und Förderer des Netzwerks „Wine in Moderation“! –  wurde nur schwieriger. So dürfen auch in Artikeln keine konkreten Produktbezeichnungen mehr vorkommen. Auszeichnungen von Weinen dürfen nicht mehr vorgestellt werden. Über Wein lässt sich so kaum professionell schreiben.

Eine neue Kultur muss vor allem in den Familien heranwachsen. Kinder lernen vom Vorbild ihrer Eltern, und ein gemäßigter Alkoholkonsum muss vorgelebt werden. Doch ausgerechnet diese Prägung von Kultur wird  durch die Abstinenzfanatiker dämonisiert: Es sei ja wohl das Schlimmste und unbedingt zu vermeiden, vor den Augen der Kinder Alkohol zu trinken. Was für eine primitive Psychologie! Als ob dies den Nachwuchs direkt zu Alkoholikern machen würde. Sollen die Eltern besser heimlich trinken? Auch das bekommen Kinder mit, und sie lernen dann: Erwachsene trinken, aber man darf sich dabei nicht erwischen lassen. So wird nicht Kultur, sondern Heuchelei gefördert.

„Ich trinke, also bin ich“   

Die Stunde der wirklich Konservativen hat nun geschlagen. Das Positive, das die Tradition uns überliefert hat, erkennen, bewahren und fördern sie. Eine Gesellschaft ohne Alkohol streben sie nicht an; vielmehr geht es ihnen darum, Bedingungen zu schaffen, so dass der zivilisierte Genuss von Bier, Wein oder Whiskey zunimmt. Aber selbst die konservative Partei Litauens, die Heimatunion, gibt sich in diesen Fragen eher dem populistischen Machbarkeitswahn hin.

Es wäre Zeit, auf den großen konservativen Philosophen Roger Scruton zu hören. Der Engländer (geb. 1944) hat mit I Drink Therefore I Am – sicher ein bewusst provokanter Titel – eine philosophische Einführung in den Weingenuss geschrieben. Er betont, dass wir dem Wein mit unserer Persönlichkeit, unserer Kultur und auch unseren Problem nähern und auf diese Weise erst eine Weinkultur schaffen. Der Wein ist Gottes gutes Geschöpf, das sich aber – wie alles in der Schöpfung – missbrauchen lässt. Werden Wein und Alkohol zu einem Übel an sich erklärt und damit verteufelt, schiebt der Mensch die Ursache des Problems von sich auf das Produkt. Letztlich steht dahinter eine mechanistische und materialistische Weltauffassung. In Litauen ist sie natürlich auch ein Erbe des kommunistischen Zeit. Leider sehen dies viele Christen und schlagen sich ganz auf die Seite der Abstinenzfanatiker.