Fremde Freunde

Fremde Freunde

Die Lippische Landeskirche unterhält seit Anfang der 90er Jahre Beziehungen zur evangelisch-reformierten und evangelisch-lutherischen Kirche Litauens. Denn die Kirche in Lippe vereinigt ebenfalls beide konfessionellen Gruppen: Unter dem Dach der Landeskirche sind in drei Klassen oder Bezirken 58 reformierte sowie 10 lutherische Kirchengemeinden vereint, die eine eigene Klasse mit Superintendenten bilden.

1992 war ein Partnerschaftsvertrag zwischen Lippe und den beiden litauischen Kirchen unterzeichnet worden. Seitdem hilft die Lippische Kirche den evangelischen Gemeinden in Litauen auf vielfältige Weise (s. hier ein Überblick). Unterstützung erhielten die Litauer vor allem durch finanzielle Beihilfen bei Bau-, Sozial- und Druckprojekten. Koordiniert wird die Partnerschaft auf Lippischer Seite vom lutherischen Pfr. Frank Erichsmeier, der vor gut zwanzig Jahren eine Weile in Gemeinden in Litauens wirkte und bis heute ganz ordentlich Litauisch spricht.

Am 17. Juni wurde der Partnerschaftsvertrag der drei Kirchen nach 25 Jahren – und passend im Jahr der Reformation – aus verschiedenen Gründen erneuert. Die Initiative dazu war vor allem von der Kirchen in Deutschland ausgegangen. Im Rahmen des evangelischen Gesangsfestes in Šilutė unterzeichneten Bischof Mindaugas Sabutis (lutherische Kirche Litauens), Generalsuperintendent Tomas Šernas (reformierte Kirche) und Superintendent Dr. Andreas Lange von der lutherischen Klasse in Lippe das Dokument. Letzteren begleiteten einige Pfarrer wie Erichsmeier und eine recht große Reisegruppe von Ostwestfalen. (Zahlreiche Fotos gibt es hier.)

Einen passenderen Ort als die Kirche in Šilutė hätte man für die Unterzeichnung wohl kaum wählen können. In der einst deutschsprachigen Gemeinde im Memelland (Heydekrug) finden sich immer noch viele deutsche Inschriften. Und auf dem einzigartigen großen Wandgemälde, das den ganzen Altarraum einnimmt, sind Zig Persönlichkeiten aus der Reformationsepoche und der Geschichte der Evangelischen dargestellt – Lutheraner und Reformierte Seite an Seite, und selbst der bei Lutheranern wahrlich nicht beliebte Zwingli ist hier dargestellt.

„Mit dem Glauben unserer Kirche unvereinbar“

Ein idealer Raum also für schöne und festliche Bilder. Diese können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die theologischen Gemeinsamkeiten zwischen den deutschen EKD-Kirchen und den lutherischen und reformierten im Baltikum immer weniger werden. Deutlich wird dies nicht zuletzt an den sexualethischen Fragen.

Ende Juni kam es überraschend schnell zur Abstimmung im Bundestag über die Einführung der sog. „Ehe für alle“. Der Paragraf 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches wird nun lauten: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Wie nicht anders zu erwarten hat die Spitze der EKD keinerlei Einwände gegen die Ehe von homosexuellen Paaren (s. hier). Nur die Evangelische Allianz stellt sich quer (hier mehr).

Die ländlich geprägte Lippische Kirche gehört zu den eher konservativen im Verbund der EKD, aber dem Trend der Zeit will man sich natürlich auch dort nicht verschließen. Am 23. November 2015 beschloss man auf der dortigen Synode mit großer Mehrheit, gleichgeschlechtliche Paare in Zukunft kirchlich zu segnen: „Menschen, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, können in einem öffentlichen Gottesdienst den Segen Gottes empfangen.“

Mehrere Landeskirchen nehmen auch schon Trauungen homosexueller Paare vor; den Anfang machte 2013 die Evangelische Kirche Hessen-Nassau, es folgten 2016 die Rheinische Kirche sowie Berlin-Brandenburg. Der Beschluss des Bundestages wird der weiteren Einführung dieser Praxis noch mehr Auftrieb geben. Wenn sogar die recht konservative Kirche in Sachsen seit diesem Jahr gottesdienstliche Segnungen zuläßt, kann man davon ausgehen, dass der Zug abgefahren ist. Noch ist die Segnung in Württemberg und Schaumburg-Lippe nicht möglich, aber auch diese werden sicher früher oder später auf den Zug aufspringen.

In den Kirchen des Baltikums betrachtet man diese Schritte mit großer Befremdung.  Schon vor gut zehn Jahren haben die Lutheraner Schwedens die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare eingeführt und Reaktionen auf der anderen Seite der Ostsee provoziert. In einem offenen Brief der drei baltischen lutherischen Bischöfe an den schwedischen Erzbischof und das Präsidium des Lutherischen Weltbundes hieß es damals:

„Die Segnung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften ist mit dem Glauben unserer Kirche, mit unserem Glaubensbekenntnis und der Lehre unserer Kirche unvereinbar. Die in unseren Kirchen geltenden Verfassungen und Bestimmungen würden es nicht zulassen, mit unseren eigenen Geistlichen zusammen zu bleiben, welche die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zulassen oder praktizieren. Folgerichtig betrifft das auch Geistliche in anderen Kirchen. Das bedeutet, daß wir die Gemeinschaft mit allen Geistlichen der Kirche Schwedens nicht mehr anerkennen und praktizieren können. Konsequenterweise heißt das auch, daß es künftig innerhalb des Lutherischen Weltbundes keine volle und uneingeschränkte Gemeinschaft geben können wird.“

Auch in einer Stellungnahme der Bischöfe der lutherischen Kirchen im Baltikum vom November 2009 wird noch einmal bekräftigt, dass „homosexuelle Handlungen mit der Jüngerschaft Christi nicht vereinbar“ sind. Die „volle Anerkennung der kirchlichen Ämter“ und die Gemeinschaft unter dem Wort und in den Sakramenten sei nun nicht mehr möglich.

„Zeichen der Verbundenheit“

Von konservativer Seite erhielt auch der lutherische Bischof Litauens national und international viel Lob für diese klaren Worte. Allerdings hatte man mit den Schweden auf litauischer Seite sowieso nicht viel zu tun. Der faktische Abbruch der Beziehungen kostete also nicht viel. Ganz anders sieht dies bei den Partnern in Lippe aus.

Im persönlichen Gespräch informierte der Autor dieser Zeilen Anfang März vergangenen Jahres Bischof Sabutis über den Beschluss der Lippischen Kirche vom November 2015. Die Brisanz war ihm sofort klar: Müsste man dann nicht auch die Beziehungen zu Lippe abbrechen oder zumindest einfrieren und zur Disposition stellen?

Wer A sagt, sollte auch B tun. Die gegenüber den Schweden demonstrierte harte Linie trifft eigentlich auch EKD-Kirchen. Eigentlich. Im April 2016 besuchte eine Delegation aus Lippe unter der Leitung des neuen Landessuperintendenten Dietmar Arends Litauen. Auch die Fortführung bzw. Erneuerung der Partnerschaft mit den litauischen Kirchen war ein Thema. Das heiße Eisen der Sexualethik packte aber niemand an, es wurde schlicht und einfach übergangen und wohl auch nicht in persönlichen Gesprächen thematisiert. Hätte man auf den theologischen Graben hingewiesen und den Abbruch der Beziehungen auch nur diskutiert, wäre es wohl zu einem Eklat gekommen – und den wollten die Spitzen der Litauer vermeiden.

Die lutherische Kirche Litauens wird von ihren Leitern gerne als „konservativ“ bezeichnet, und tatsächlich ist sie dies im Hinblick auf biblische Autorität. Außerdem sind viele hochkirchliche Praktiken in der Kirche auf dem Vormarsch (starke Betonung der Sakramente, Salböl und Bekreuzigung, Bischofsring, -stab und –hut, Anrede des Bischofs mit „Seine Exzellenz“ usw.). Doch anders als bei den Letten wurden bisher keine mutigen Beschlüsse auf Ebene der Gesamtkirche wie der Synode gefasst. Die Kritik der Segnung und Trauung gleichgeschlechtlicher Paare wurde von Bischof Sabutis geäußert – gewiss im Namen der Kirche, jedoch nicht kirchenrechtlich verbindlich und nicht getragen von einem Beschluss des Konsistoriums oder der Synode.

Die reformierte Kirche Litauens hat anders als die lutherischen Bischöfe nie öffentliche Stellungnahmen über die Kirchengemeinschaft im Kontext der Sexualethik gegeben. Dafür hat sie das traditionelle evangelische Eheverständnis schwarz auf weiß formuliert: Im Jahr 2013 nahm die Synode des Landes einen Kanon zu Ehe und Scheidung an. Darin heißt es eingangs eindeutig: „Die Ehe ist ein heiliger Bund zwischen einem Mann und einer Frau“. (Hier der Text in deutscher Sprache.)

In der Kirchenleitung ist man sich im Klaren darüber, dass solch ein Kanon in den EKD-Kirchen kaum auf Applaus stößt. In theologischer Hinsicht macht man sich nichts vor: Von der Lippischen Kirche sind Theologie und Ethik nicht zu lernen. Der neue Partnerschaftsvertrag wurde daher auch von der reformierten Seite Litauens mit wenig Enthusiasmus unterzeichnet. Man will die alten Verbindungen nicht ganz kappen, verbindet mit der fortgesetzten Beziehung aber sicher nicht eine geistliche Erneuerung der Kirche.

Es geht ein Riss durch die Kirchen Europas. Hier und da wird er offen sichtbar. Neue Partnerschaften bilden sich, und hier geht der Blick auch über Europa hinaus. Die litauische reformierte Kirche unterhält nun Beziehungen mit der Associate Reformed Presbyterian Church. Auch wenn dies noch nicht auf der Ebene eines Partnerschaftsvertrages geschieht, so ist die Hilfe doch sehr konkret: Ein Missionarsehepaar der Kirche aus den USA ist seit 2015 für geplante zehn Jahre in Litauen im Dienst. Außerdem hat die Kirche mit Beschluss der Synode vom 24. Juni die Mitgliedschaft in der World Reformed Fellowship bekräftigt (die WRF ist der kleinere und theologische deutlich konservativere reformierte Dachverband neben der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, WCRC, zu dem die litauische Kirche seit über 90 Jahren ebenfalls gehört).

Entsprechende Beschlüsse auf Seiten der Lutheraner Litauens gibt es nicht. Man ist dort auch nicht dem International Lutheran Council beigetreten, zu dem z.B. die Selbständigen Lutheraner Deutschlands (SELK) gehören. Aber damit nicht genug: Die lutherische Kirchenleitung geht die heißen Eisen nicht nur nicht an – die Fremdheit wird auch noch überspielt und schöngeredet. Anstatt sich mit klaren Beschlüssen theologisch deutlich als Kirche zu positionieren, wird Superintendent Dr. Lange am 17. Juni per Kirchenbeschluss in besonderer Weise geehrt: Als „Zeichen der Verbundenheit“ überreichte ihm Bischof Sabutis das Silberne Kreuz der lutherischen Kirche Litauens. „Möge es von nun an stets getragen werden und darin ein Hinweis auf Christus, den Gekreuzigten, sein und ein tiefer Ausdruck der Verbundenheit zwischen Lippe und Litauen“, sagte der Bischof in seiner Ansprache.

Nette und fromme Worte, aber man mache sich nichts vor: Es sind die immer noch reichlich sprudelnden deutschen Kirchensteuermittel, von denen die litauischen Kirchen Brosamen abbekommen und die den Kern dieser beschworenen Verbundenheit ausmachen. Eine echte Partnerschaft sollte es jedoch aushalten, dass über theologisch kontroverse Fragen auch einmal offen und hart diskutiert wird. Noch meiden die litauischen Kirchenleitungen diese Auseinandersetzung. Ist es aber nun nicht an der Zeit, nicht zuletzt wegen des Beschlusses des Bundestages vom 30. Juni, dass die stärker in Bibel und Bekenntnis verwurzelten Kirchen Litauens die Geschwister im Westen auch einmal ermahnen? Doch genau hier liegt ja die Crux: In der Detmolder Kirche weiß man natürlich, dass die litauischen Kirchen wie so gut wie alle in Zentral- und Osteuropa in mancher Hinsicht anders ticken, und tolerant wird dies hingenommen. Aber sich von diesen zurechtweisen lassen? Das fehlte auch noch. Bevor man sich mit dem heimischen Zeitgeist anlegt, würde dann wohl tatsächlich die Freundschaft mit den fremden Litauern gekappt werden.

(Foto o.: Bischof Sabutis verliest die Urkunde zur Verleihung des Silbernen Kreuzes an Superintendenten Lange links neben ihm; weiter links mit geneigtem Kopf Pfr. Rimas Mikalauskas von der ref. Kirche Litauens, weiter links Pfarrer der lutherischen Kirche Litauens.)