Die Existenzfrage

Die Existenzfrage

Glauben Sie an Gott?

Vor einem Jahr erschien Torsten Hebels Buch Freischwimmer, eine Art spirituelle Biographie des Gründers und Leiters der blu:boks in Berlin. Der frühere Jugendevangelist war auch in der ERF-Fernsehsendung in der Reihe „Gott sei Dank“ vom 8. Juli zu Gast. Darin ging es natürlich auch um Hebels Weg zwischen Glauben und Zweifel und seine Gottesvorstellung. Gleich zu Beginn der Sendung fragte Moderatorin Mirjam Hinrichs die Zuschauer: „Glauben Sie an Gott?“

Glaube an Gott? Dahinter steht natürlich die Frage, ob es Gott gibt oder nicht. Hebel hat sie in seinem Buch den Gesprächspartnern gestellt. Die Aufzeichnungen dieser Unterhaltungen bilden einen Hauptteil von Freischwimmer. Auch Andreas Malessa, bekannter Radio- und TV-Journalist und Buchautor sowie ordinierter Pastor im Baptistenbund, beantwortete die Fragen seines alten Bekannten bei einer Flasche Wein.

Malessa betont, dass Gottes Existenz und seine Nichtexistenz nicht beweisbar sind. Soweit gebongt. Zur Begründung heißt es dann aber: „Denn ‘Es gibt’ wäre ein Naturgesetz, ein irgendwie feststellbares Vorhandensein. ‘Es gibt’ übrigens auch kein Leben nach dem Tod. Wenn, dann ‘gibt er’ ein Leben nach dem Tod, der Auferstandene. ‘Es gibt’ Wärme und Kälte, mechanische Gesetze etc., aber in Bezug auf die Gottesfrage ist die Wortwahl unpassend. Du hast die Wahl zwischen: ‘Will ich vertrauen, dass die Überlieferungen, die mir immerhin eine Reihe von auch nicht ganz dummen Leuten bezeugen, wahr sind? Will ich deren Zeugnisse glauben […]?’“

Auch wenn das Dasein Gottes nicht zu belegen ist, will Malessa glauben und „weder Atheist und Agnostiker sein, denn wenn ich mein Leben vertrauensvoll auf diese Vermutung hin führe, dass es Gott gibt, dann geht es mir besser, als wenn ich mich hinstelle und sage: ‘Gott gibt es nicht!’“ Wir brauchen Gnade, weil sie „lebensförderlicher und menschlicher“ ist als die gnadenlose Natur. „Von der unbeweisbaren, gewollten Hypothese auszugehen, dass es einen Gott gibt, erscheint mir für mein Leben sinnvoller, als nicht zu vertrauen.“

Gewiss gibt der christliche Glauben dem Leben einen Sinn. Und natürlich muss jeder sich persönlich fragen: Will ich glauben? Dennoch werfen Malessas Sätze weitere Fragen auf: Warum sollte ich als ein Atheist an Gott glauben? Weil es mir dann besser geht? Weil mein Leben gefördert und menschlicher und sinnvoller wird? Ist das, was der Glaube meist mit sich bringt, auch die Grundlage des Glaubens? In Debatten mit Neuen Atheisten würde man auf diese Art wohl kaum weit kommen, denn diese fühlen sich in ihrer Weltanschauung oft pudelwohl. Außerdem enttäuschen Malessas Ausflüge in die Wissenschaftsphilosophie auch sonst auf ganzer Linie, ja sie führen sogar in die Irre.  Dabei hat er selbst die Latte hoch gelegt: auf seiner Homepage schreibt Malessa sich das „saubere Argumentieren“ zu.

Der Existente schlechthin

Naturgesetze gehen von der beobachtbaren und vermessbaren Welt aus, deren Phänomene unseren Sinnen und Instrumenten zugänglich sind. Sie formulieren u.a. in Gesetzen wahrgenommene Regelmäßigkeiten. Mechanische Gesetze gibt es nicht in derselben Weise, wie es Wärme und Kälte gibt. Denn das eine sind Phänomene, die anderen sind in menschlichen Worten formulierte Zusammenhänge.

Vor allem sind Existenzsätze („es gibt…“) nun wahrlich nicht das herausragende Kennzeichen der Naturwissenschaften. Meist wird in diesen von bestimmten Gegebenheiten ausgegangen, weil sie eben einfach gegeben sind. So setzen Wissenschaftler allermeist voraus, dass es dies und jenes Phänomen (wie insgesamt unsere wahrnehmbare Welt) tatsächlich gibt. Sie gehen von Daten aus (lat. datum – das Gegebene). Natürlich beschäftigen sie sich auch mit Existenzsätzen, aber die für sie interessanten sind häufig in Form von Hypothesen oder Fragen wie „Gibt es ein Graviton?“ oder „Existiert außerirdisches Leben?“ formuliert. Existenzsätzen begegnen wir in der Logik und Mathematik, und mit Fragen wie „Gibt es eine Seele?“, „Gibt es freien Willen?“ und „Gibt es ein Weiterleben nach dem Tod?“ gehen wir in die Philosophie, Religionswissenschaft, Theologie usw. über.

Empirische Wissenschaft geht also von elementaren Sätzen wie „dies ist ein blaues Haus“ oder „dieser Schwan ist weiß“ aus. Existenzsätze wie „es gibt einen schwarzen Schwan“ können große Bedeutung haben, wenn z.B. die Hypothese, dass alle Schwäne weiß sind, widerlegt werden soll. Aussagen wie „es gibt Äther“, „es gibt Telepathie“ oder auch „es gibt Hexen“ zeigen, dass diese offensichtlich in den Bereich der Deutung von Daten und in die Theoriebildung hineinführen; damit gehen sie auch in den Bereich der Metaphysik über. Was wir für tatsächlich wirklich und wahr halten, hat auch mit unserem Deutungsrahmen zu tun, und der ist wahrlich nicht nur empirisch bestimmt.

Malessa führt Hebel und die Leser auf die genau falsche Fährte. Die Naturwissenschaften sind bei den Gibt es-Fragen zwar auch beteiligt, aber sie müssen passen, sobald man tiefer buddelt und die grundlegenden Themen angeht. In Bezug auf die Gottesfrage ist es eben auch die Theologie, die Antworten zu geben hat – und gerade sie. Die Wortwahl „es gibt“ ist hier durchaus passend! Wer, wenn nicht die Theologen und Philosophen kann und soll die Frage klären, ob es Gott gibt oder nicht!? Es ist doch genau umgekehrt, als Malessa zu verstehen gibt: In den Naturwissenschaften bleibt so gut wie alles letztlich hypothetisch und offen für Widerlegung. Beweise im strengen Sinn gibt es nur in der Logik und Mathematik. Selbst die Existenz der realen Welt ist für einen Naturwissenschaftler nur eine unbewiesene Hypothese (mit der sich aber gut arbeiten lässt).

Natürlich will Malessa sagen, dass Gott nicht in der Weise ein feststellbares, wahrnehmbares, untersuchbares Ding ist wie der Baum vor meinem Fenster oder die Mechanismen der Gravitation. Gottes Wesen und Existenz ist eben anders erkennbar als die Phänomene meiner unmittelbaren Wahrnehmung. Damit sagt er wenig Neues. Und im Ergebnis stellt er alles auf den Kopf. Noch einmal: In den Naturwissenschaften wird gar nichts bewiesen, und wir können uns dort keiner Sache völlig sicher sein. Selbst die vermeintlich harten Fakten zerrinnen uns dort nur allzu oft zwischen den Fingern (was ist auf Quantenebene das Materielle der Materie?). Gott hingegen ist gleichsam das absolute Faktum. Er ist uns nicht gegeben, wie die Dinge, die ich direkt sinnlich erfahre. Er ist aber allem gleichsam mitgegeben. Er ist die Tatsache, die alle anderen Tatsachen ermöglicht, sie schafft und ihnen Sinn gibt. Weil es Ihn gibt, gibt es alles andere. Gäbe es Ihn nicht, existierte nichts. Alle Existenz hängt letztlich an Gott, weshalb er der Existente schlechthin ist. „Es gibt“ ist vor allem von Ihm auszusagen! Weil Er ist, gibt „es“ überhaupt anderes.

„Ob es Gott gibt? Keine Ahnung“

Dies ist ja auch das Bild, das die Bibel von der ersten bis zur letzten Seite zeichnet. Sie argumentiert keineswegs so zurückhaltend wie Malessa. Gibt es Gott? Gibt es ewiges Leben? Gibt es Auferstehung? „Natürlich!“ schallt uns dort überall entgegen. Der Gott Israels existiert wirklich und objektiv, alle andere Götter sind dagegen nur „Vogelscheuchen im Gurkenfeld“ (Jer 10,5).

Gott ist da, und Er hat nicht geschwiegen. Das ist mit das Grundlegendste, was von Gott auszusagen ist. Nicht zufällig hat Francis Schaeffer dies für einen Buchtitel genutzt (He Is There and He Is Not Silent, 1972). Die Existenz Gottes ist das eine, seine Kommunikation das andere. Ohne Offenbarung könnten wir von Gott nichts wissen. Nun hat er sich offenbart wie in seiner Schöpfung. Jeder Mensch kennt daher in gewisser Weise Gott (Röm 1,19–21). Doch diese Kenntnis ist „verworrenes Wissen“; erst die Offenbarung in seinem geschriebenen Wort bringt dies Wissen um Gott „in die richtige Ordnung, zerstreut das Dunkel und zeigt uns deutlich den wahren Gott“, so Johannes Calvin (Inst. I,6,1). Warum also können wir klar und bestimmt aussagen, dass es Gott gibt? Schlussendlich, weil dies die Bibel sagt.

(Andy Stanley von der „North Point Community Church“ in einem Vorort von Atlanta, Georgia, sieht dies ausdrücklich anders, s. seine vor einigen Wochen gehaltene Predigt „The Bible Told Me So“, die eine Kontroverse in den USA ausgelöst hat. Stanley, regelmäßiger Gast des Willow Leadership Summits, hält die Bibel keineswegs für eine Grundlage des Glaubens und betrachtet es als falsch, wenn man sagt: Ich glaube an Gott, weil dies die Bibel sagt. Der Baptist Al Mohler oder der Presbyterianer Michael J. Kruger verfassten gute Entgegnungen.)

Hier schließt sich natürlich der Kreis. Malessa führt einen schlauen Eiertanz in dieser so wichtigen Frage auf, weil er mit dem ‘weil Gott dies in der Bibel sagt, ist es so und glaube ich es’ nicht mehr allzu viel anfangen kann. Schließlich sei er aus einem „rechtskonservativen, kleinkarierten, evangelikalen Milieu rausgewachsen“. Das mag ja sein, aber wie steht es um den Status der Überlieferungen der Bibel, denen auch Malessa vertrauen will? „Wahr“ sollen sie sein. In welcher Weise? Wirklich wahr? Objektiv wahr? Ist „Gott existiert“ und „es gibt ein Leben nach dem Tod“ wahr?

„Im Studium haben mich jene Dozenten am meisten fasziniert, dir mir kein ‘verbalinspiriertes, irrtumsloses, widerspruchsfreies’ Schriftverständnis um die Ohren gehauen haben, sondern solche, die auch Fragen hatten […]. Dadurch habe ich ein positives und geistlich hilfreiches historisch-kritisches Schriftverständnis bekommen […].“ Sicher, wenn der persönliche Glaubensentschluss und das sinnvolle Leben in den Mittelpunkt rücken, dann kann man die objektive Offenbarung Gottes in seinem Wort ruhig ein wenig kritisch sehen und im Ergebnis zerstückeln. Man kann ja trotzdem glauben. Wie auch Christina Brudereck, die sich für ein Leben mit Gottvertrauen entschieden hat und in Freischwimmer provozierend meint: „Ob es Gott gibt? Keine Ahnung.“

Das klingt ganz wie bei Peter Rollins: „Ich denke manchmal, dass es möglicherweise einen Gott gibt, aber für mich ist das keine christliche Frage. Die christliche Frage ist nach der Umkehr, ob Gott inmitten und unter uns ist; es geht darum, dass wir die Gesellschaft zum Guten verändern […]. Gottes Existenz ist keine Ja- und Nein-Antwort. Stattdessen ist Gott mehr etwas Relationales.“

Der gesunde Menschenverstand kommt bei solchen Sätzen nur zu oft ins Trudeln. Historisch prägende Kraft hat solch ein Denken nicht entwickelt. Das Christentum, zahlreiche einzelne Christen, haben in den letzten Jahrtausenden viele Gesellschaften zum Guten verändert. Aber bestimmt nicht mit einem Glauben, der die Existenz Gottes irgendwo zwischen Ja und Nein schweben ließ. Es waren Christen, die in Gottes inspirierten und wahren Wort Orientierung fanden.