Musik liegt in der Luft

Musik liegt in der Luft

Der Sommer ist kurz im Baltikum. Wenn die Abende sehr lang und die Temperaturen ab Anfang Juli meist angenehm sind, gibt es zahlreiche musikalische Freiluftveranstaltungen. Am bekanntesten sind die großen Liederfeste, die in den drei Ländern alle fünf Jahre organisiert werden. Am vergangenen Sonntag endete in Litauen die mehrtägige Dainų šventė, die Feier der Lieder oder das Liederfest mit 350 Chören aus dem ganzen Land beim Abschlusskonzert im Vingio-Park in Vilnius.

dainu_svente_360x180

Die Esten haben den gleichen Rhythmus wie die Litauer und veranstalten ihr üldlaulupidu ebenfalls in den ersten Julitagen. Dort nehmen für ein 1-Million-Völkchen erstaunliche 70.000 Zuschauer an den Konzerten teil, an die 900 Ensembles und zehntausende Sänger. Im nördlichsten der drei baltischen Länder ist die Tradition der Liederfeste am stärksten verwurzelt – das erste Fest datiert von 1869. Auch in Lettland gab es Veranstaltungen dieser Art schon Ende des 19. Jahrhunderts, die dort ebenfalls eng mit dem nationalen Aufbruch der kleinen Völker verbunden sind. Heute wird  das Allgemeine lettische Lieder- und Tanzfest in einem Vorort von Riga, dem Erholungsgebiet Mežaparks (Waldpark) abgehalten (zuletzt 2013; Foto o. von Dainis Matisons, 2008). 2003 wurden die Sängerfeste übrigens von der UNESCO in die Reihe der „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit“ aufgenommen.

tallinn-liederfest-bild-100~_v-image512_-6a0b0d9618fb94fd9ee05a84a1099a13ec9d3321

Liederfest in Tallinn

Doch damit nicht genug. Großereignisse sind das eine, doch dann gibt es gerade im Sommer noch eine Fülle von Musikfestivals und Konzertreihen mit oftmals hochkarätigen Künstlern. Am 6. Juli, einem der drei litauischen Nationalfeiertage, wurde in Šiauliai das Festival der Chaim-Frenkel-Villa eröffnet. Frenkel war vor etwa einhundert Jahren der sicher wichtigste Industrielle am Ort, seine Lederfabrik eine der größten im russischen Reich. Frenkels prächtige Villa überstand Krieg und Sowjetunion und ist seit einigen Jahren nach aufwendiger Restauration attraktivstes Besucherobjekt in der Stadt. Im nun ebenfalls wieder hergerichteten Park des jüdischen Unternehmers gaben das Šiauliaier Symphonieorchester sowie ein Jazz-Quartett mit beliebten Melodien aus der ganzen Welt ein buntes Eröffnungskonzert.

Gerade die zahlreichen schicken Gutshöfe, lit. dvarai, organisieren gerne eigene Musikfestivals. Man braucht daher im Sommer gar nicht nach Wien zu jetten (dort gibt’s in diesen Monaten ja eh nur ein Touristenprogramm), sondern kann sich das Top-Konzert in der Nähe aussuchen. Vor einer guten Wochen waren wir mit zweien der Kinder im Hof von Bistrampolis, ein halbe Autostunde südlich von Panevėžys. Dort brillierte der russische Pianist Michail Petuchov mit Stücken von Wagner, Liszt und Rachmaninov – alles ohne Noten gespielt.

Nicht zu vergessen sind natürlich die zahlreichen Konzerte für die Freunde des Jazz. In der Freiluftsaison ragt hier gewiss im Juni das Klaipėda Castle Jazz Festival heraus, organsiert von der Frau des Bürgermeister der Hafenstadt (der selbst Jazz-Trompeter ist).

Zwei wirklich warme Monate in der Mitte des Jahres – aber dann liegt fast überall Musik in der Luft.

D

Konzert in Šiauliai vor alten Fabrikhallen

 

D

Die Chaim-Frenkel-Villa

 

D

Das Gut von Bistrampolis

D

D

Konzerte in der ehemaligen Reithalle

D

D

Isabelle, Rima, Ludvic