„Dies ist keine Mumie“

„Dies ist keine Mumie“

Die Heiligen- und Reliquienverehrung ist bis heute ein fester Bestandteil katholischer Religiosität. Im kommenden Monat wird die katholische Welt Kopf stehen, wenn in Rom die Heiligsprechung Johannes Paul II verkündigt werden wird. Die Heiligen sind nach römischem Verständnis eine Gruppe von besonderen Christen, die durch ihren Glauben und ihre Taten herausragen. Die evangelischen Kirchen haben nie geleugnet, dass diese Personen in vielerlei Hinsicht Vorbilder sein können. Was Evangelische jedoch ablehnen, ist die Vorstellungen, dass sie Gott näher seien und dass sie daher als Vermittler zwischen Gott und uns wirken; dass wir uns im Gebet an sie wenden sollten.

Die Heiligenverehrung entwickelte sich schon ab dem 2. Jhdt. Bevor das Christentum im 4. Jhdt. zugelassen (und später Staatsreligion) wurde, unterdrückte die Obrigkeit im Römischen Reich die christlichen Gemeinden. Tausende standfeste Christen weigerten sich, dem Glauben abzuschwören und starben den Märtyrertod. Einigen dieser verstorbenen Glaubenshelden begann man jedoch bald besondere Kräfte zuzuschreiben. Um die Überreste von Märtyrern entwickelte sich bald der Reliquienkult. Die Märtyrer wurden zu Heiligen gemacht. Im Tridentinischen Glaubensbekenntnis (1564) wird dann zusammenfassend festgehalten, „dass man die Heiligen, die zugleich mit Christus herrschen, verehren und anrufen soll, dass sie für uns Gott Gebete darbringen, dass man ihre Reliquie verehren soll“. (s. auch unten der Artikel „Reliquie“ aus T. Schirrmachers “Begriffe der Konfessionskunde”.)

Wie all dies konkret aussieht, war in der ersten Märzhälfte in Litauen zu beobachten. Zwei Wochen lang reisten eine Reliquie des Hl. Johannes Bosco durchs die Bistümer des Landes.

Der Italiener Giovanni Melchiorre Bosco, meist kurz Don Bosco genannt, lebte von 1815 bis 1888. 1841 wurde er zum Priester geweiht. In Turin arbeitete Bosco unter armem und benachteiligtem Jugendlichem. Am 18. Dezember 1859 gründete er eine religiöse Vereinigung, die 1874 von Papst Pius IX. als „Gesellschaft des heiligen Franz von Sales“ (nun bekannt als „Salesianer Don Boscos“) anerkannt wurde (1872  wurde die Gemeinschaft der „Don-Bosco-Schwestern“ gegründet). Ziel beider Vereinigungen blieb die Erziehung und Fürsorge für arme und benachteiligte Jugendliche. 1929 sprach Papst Pius XI. Bosco selig und am 1. April 1934 heilig. Bosco gehört damit zu der Reihe der großen „Turiner Sozialheiligen“ des 19. Jahrhunderts.Don_BoscoII

Die Salesianer gehören mit heute 15.000 Mitgliedern zu den größten männlichen Ordensgemeinschaften der römisch-katholischen Kirche und sind in 132 Staaten aktiv. 2009 unterhielten sie dabei ca. 7610 Einrichtungen. Ab 1901 wirkten die Salesianer auch in Litauen. Stark sind sie in Indien (2442), Italien (2250), Spanien (1093), Polen (945) und Brasilien (687) vertreten. Don Bosco gilt in der Kirche als Schutzpatron der Jugend und der Jugendseelsorger. Das heutige Motto der Don Bosco-Bewegung: Damit das Leben junger Menschen gelingt.

Gewiss gibt es also Beispielhaftes im Leben und Wirken des Don Boscos, und sicher ist auch von den Salesianern zu lernen. Dies ist jedoch klar zu unterscheiden von dem Kult um die Reliquie des Heiligen. Die „Pilgerreise“ wurde im Jahr 2009 anlässlich des 150. Gründungstages der Salesianer Don Boscos eröffnet und dauert noch bis zu seinem 200. Geburtstag am 16. August 2015. Dabei ist eine Replik aus Fiberglas einer liegenden Statue Don Boscos zu sehen. Das Original liegt in der Basilika von Turin. Die Figur ist rund 65 Kilo schwer und liegt in einem gut zwei Meter langen Schrein mit Glasabdeckung. In die Statue ist ein Knochen, also die eigentliche Reliquie, des rechten Armes des Heiligen eingearbeitet.

Weil der Schrein einen unkundigen Beobachter natürlich auf falsche Gedanken bringen kann (man denke z.B. an den ähnlich aussehende einbalsamierten Lenin), betonte während der Tour ein italienischer Salesianer zu Beginn der Messen immer gleich: „Dies ist keine Mumie…“

Der Schrein Don Boscos zig auf seiner Tour durch Litauen tatsächlich Massen an – die Kirchen waren vollgepackt. Immer umringte eine Menschentraube die Statue. In der katholischen Presse und im Begleitmaterial heißt es immer, „dass diese Reliquienverehrung mit Aberglauben nichts zu tun haben darf und soll. Man kann Reliquienverehrung aber als eine Weise verstehen, sich mit einem heiligen Menschen zu verbinden, der in seinem Leben durch sein Wort und sein Tun die Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes verkörpert hat.“ Protestanten überzeugt dieses Argument keineswegs.

don bosco relic

Don Bosco-Statue aus Fiberglas

Am Stichwort Aberglauben scheiden sich noch immer die Konfessionen. Gerade in mehrheitlich katholischen Ländern haben historische gesehen die Evangelischen eine konsequent andere Religionspraxis entwickelt. Über die Hugenotten, die Protestanten Frankreichs, heißt es auf den Seiten des  Musée virtuel du protestantisme français:

„Der reformierte Christ übt eine andere Religion aus als der Katholik. Die Reformation fordert eine Reinigung der als ‘heidnisch’ und ‘abergläubisch’ angesehenen katholischen Kultformen, die die ‘Wahrheit des Christentums verfälscht’ haben. Insbesondere bedeutet reformiert zu sein: bestimmte Gesten abzulehnen – sich nicht bekreuzigen, nicht an Prozessionen teilnehmen und nicht vor Bildern und Reliquien das Knie zu beugen, in der Jungfrau Maria und den Heiligen keine Vermittler des Heils mehr zu sehen und deren Kult abzulehnen, sich nicht mehr von der Kirche beerdigen zu lassen; um jeden Aberglauben zu vermeiden, beten oder predigen die Pastoren nicht bei der Beerdigung. Die Verstorbenen werden der Barmherzigkeit Gottes anvertraut, der ihnen das Heil gewährt. Im Vertrauen auf die göttliche Gnade verzichten die Reformierten auch auf Rituale oder Gebete am Sterbebett (Bestattungszeremonien werden später wieder eingeführt). Dieser Verzicht bedeutet eine geistige Revolution gegen althergebrachte Verhaltensweisen ein : es gibt keine heilige Zeiten, Orte, Bilder oder Gegenstände mehr.

Reliquie (lat. reliquia: Überrest), ursprünglich Knochen, Asche oder Besitzgegenstände von Jesus, Maria oder Heiligen. Der christliche R.kult setzt sehr früh durch den hohen Stellenwert der Märtyrer und ihrer Gräber ein, über denen schon früh in Katakomben oder auf Friedhöfen Gottesdienste gefeiert wurden. Seit der Konstantinischen Wende im 4. Jh. wurden im großen Stil über Gräbern Altäre und dazugehörige Kirchen errichtet, von denen die Grabeskirche in Jerusalem und die Peterskirche in Rom die berühmtesten sind. Auch in D. steht am Beginn praktisch aller bedeutenden Kirchen, die Vorläuferbauten im 4.-7. Jh. haben, eine Gottesdienststätte über dem Grab von Märtyrern. Seit dem 5. Jh. war in den Westkirchen jeder Altar mit einer R. verbunden, sei es im Altar, auf dem Altar, in der Krypta unter dem Altar oder in Schreinen hinter dem Altar. In den Ostkirche verbreitete sich R.verehrung ebenfalls, ist aber in den orthod. Kirchen bis heute eher Bestandteil der Volksfrömmigkeit, als der Theologie. Im Mittelalter entschied die Bedeutung der R. im Rahmen des Kirchenschatzes über die Ablaßkraft einer Kirche, also darüber, wie intensiv dort die Zeit im Fegefeuer verkürzt werden konnte, weswegen Kirchen mit besonders vielen und bedeutenden R. zu Wallfahrtsorten wurden, in D. vor allem Trier (Apostelgrab und Heiliger Rock) und Köln (R. der Heiligen Drei Könige). Dies galt vor allem für Rom, das nicht nur über die Gräber von Petrus und Paulus und R. Jesu verfügt, sondern überhaupt über die mit Abstand größte Sammlung von R., aus denen der Vatikan regelmäßig R. an neugeweihte Kirchen in aller Welt abgibt. Durch die enge Verknüpfung mit dem Ablaßwesen gehört der R.kult des Mittelalters zu den Auslösern der Reformation. Gegenüber der scharfen Kritik aller Reformatoren und der ev. Kirchen am als Totenkult gebrandmarkten R.kult und an der historischen Unglaubwürdigkeit der meiste R. verkündigte das Konzil von Trient (1545-1563) (Tridentinum), daß die Ablehnung der R.verehrung vom Heil ausschließe. Die R.verehrung durch Prozessionen und Berührung oder Kuß der R. ist demgegenüber heute außer in der kath. Volksreligion in den romanischen und lateinamerikanischen Ländern stark zurückgegangen und es herrscht heute ein zwangloser Umgang mit der Kritik an der historischen Glaubwürdigkeit bestimmter R. R. sind aber nach kath. Kirchenrecht bis heute in jedem fest verankerten Altar in allen Kirchen zu finden (CIC Can. 1237 § 2). Dabei gibt es R. ersten Grades (Körperteile eines Heiligen), zweiten Grades (Gegenstände eines Heiligen), dritten Grades (an R. ersten Grades geweihte Gegenstände) und vierten Grades (an R. zweiten Grades geweihte Gegenstände).

Quelle s. hier.

D

Der Šiauliaier Bischof empfängt den Bosco-Schrein

D

D

In der Šiauliaier Kathedrale

D

Dichtes Gedränge um den Schrein (vorne)