„Ganz Theologin des 21. Jahrhunderts“

„Ganz Theologin des 21. Jahrhunderts“

Jeder Blick in eine deutsche Buchhandlung bestätigt es: Neben den Büchern der Päpste, Anselm Grüns und W.P. Youngs (Die Hütte, Der Weg) stapeln sich die Titel von Margot Käßmann – sie ist zur Zeit sicherlich die erfolgreichste evangelische Buchautorin im deutschsprachigen Raum. Überfüllte Säle bei Kirchentagen, zahlreiche Fernsehauftritte, Stellungnahmen zu so gut wie jedem aktuellen Thema – Käßmann ist Kult.

Das größte deutsche Nachrichtenmagazin, „Der Spiegel“, hatte der ehemaligen Bischöfin natürlich auch schon mehrere Titelgeschichten gewidmet. In seiner jüngsten Ausgabe (Nr. 30/2013) findet sich nun ein Interview mit Käßmann unter dem Titel „Dort sind alle Tränen abgewischt“. An hohen Feiertagen wie Weihnachten zeigt sich „Der Spiegel“ gerne von seiner antichristlichen Seite und dekonstruiert so gut wie jede biblische Wahrheit. Aber das sind eher die Ausnahmen. Nicht zuletzt dank Kulturredakteur Matthias Matussek, einem praktizierenden Katholiken, werden christliche Stimmen im Magazin überraschend oft laut. Auch in dem Interview zeigen die beiden Journalisten (darunter Buchautor Jan Fleischhauer) nicht nur, dass sie ihr Handwerk hervorragend beherrschen. Sie halten die Fahne des Glaubens hoch, und die Theologin aus Hannover entrümpelt systematisch das überlieferte theologische Erbe…

Die Journalisten kommen mit ihrer ersten Frage gleich zur Sache: „Frau Käßmann, glauben Sie eigentlich noch an Himmel und Hölle?“ Sie glaube an die Auferstehung, aber „ob es eine ewige Verdammnis der Sünde und eine Hölle gibt, diese Frage überlasse ich lieber Gott.“ Käßmann kritisiert diejenigen, die den „strafenden Donnergott“ zurückhaben wollen. „Es gibt die Hölle auf Erden…“ „Aber als Jenseitsort?“ fragt „Der Spiegel“ bohrend zurück. Antwort: „Ich glaube, dass der Mensch für seine Taten nach dem Tod Rechenschaft ablegen muss. Aber ich kann mir nicht vorstellen, das Gott Menschen Jahrhunderte in irgendeinem Feuer brennen läßt. Das sind für mich eher die Vorstellungen von Leuten, die ihren Feinden das Schlimmste wünschen.“  „Die Idee der ewigen Verdammnis hat auch etwas Tröstliches“, wenden die Journalisten ein. So würde schlimmen Verbrechern Gerechtigkeit widerfahren. Käßmann sieht hinter so einem Denken nur „Rachebilder“.

Auf ein weiteres wichtiges Thema kommen Pfister und Fleischhauer zu sprechen: „Warum kommt das Wort Sünde in der evangelischen Predigt kaum noch vor?“ Gute Frage. Vielsagend Käßmanns Rückfrage: „Wäre es Ihnen so wichtig, dass Ihnen Ihre Sünden vorgehalten werden?“ Noch besser aber dann diese Rückfrage der Journalisten: „Gehört das nicht zu Ihren Aufgaben?“ Käßmann eiert herum, und Pfister/Fleischhauer bringen es auf den Punkt: „Hat der Sündenbegriff überhaupt noch Bedeutung für Sie?“ „Sünde bedeutet für mich Gottesferne“, so die Ex-Ratsvorsitzende der EKD. Wohl wahr, doch eine halbwegs angemessene biblisch-theologische Definition von Sünde kommt dann nicht. Die Journalisten lassen nicht locker: „Sünde ist also an keine konkrete Tat mehr gebunden?“ Schließlich meint Käßmann: „Strafe, Sünde, Zorn – so verstehe ich die Botschaft des Evangeliums nicht.“ So kennen wir das. Und so lieben es die Massen. Als ob jemals jemand behauptet hätte, Strafe ist das Evangelium. Das Evangelium ist Befreiung von Schuld, Sünde und Zorn. Werden diese drei aber weichgespült, löst sich das Evangelium dummerweise mit auf.

Noch als Bischöfin von Hannover hatte Käßmann vor über zehn Jahren erklärt, die Vorstellung der Jungfrauengeburt Jesu sei überholt. Denn angeblich habe die historisch-kritische Bibelforschung ergeben, daß es sich ganz einfach um eine junge Frau handelte (Prof. Klaus Bergers Stellungnahme hier). Daher greift „Der Spiegel“ natürlich auch dieses Thema auf: „Wie sieht es aus mit der Jungfrauengeburt, also der biblischen Überlieferung, dass Maria bei der Geburt Jesu noch unberührt war?“ Käßmann: „Da bin ich ganz Theologin des 21. Jahrhunderts. Ich glaube, dass Maria eine junge Frau war, die Gott vollkommen vertraut hat. Aber dass sie im medizinischen Sinn Jungfrau war, das glaube ich nicht.“ Einwand der Journalisten: „Es gibt mehrere Bibelstellen, wonach sie ihr Kind vom Heiligen Geist empfängt. Damit scheidet Josef als Vater schon mal aus.“ „Gottes Geist war sicherlich am Werk“, so die Theologin. Dann nennt sie den Stammbaum bei Matthäus, ohne aber dies Argument auszuführen, und schließlich: „Ich denke, dass Josef im biologischen Sinne der Vater Jesu war. Gott war es im geistigen.“

Bei solcher Gedankenakrobatik ist nicht mehr viel zu sagen. „Der Spiegel“ geht auf eine andere Ebene: Die Kirche gibt so viel traditionelles Lehrgut  auf und deutet um – „können Sie verstehen, wenn manchen Gläubigen dabei unwohl wird?“ Nein, kann sie nicht so recht, denn sie stellt sich klar hinter die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung: „Es hat meinen Glauben nie gefährdet, die Bibel als ein Buch zu sehen, in dem Menschen ihre Erfahrungen mit Gott über die Jahrtausende aufgezeichnet haben.“ Und wieder ist dies überhaupt nicht der Punkt! Natürlich drücken sich in der Bibel die Glaubenserfahrungen der Autoren aus. Die Frage ist jedoch, ob das Menschenwort gleichzeitig auch ganz Gotteswort ist.

Käßmann mag Beauftragte der EKD für das Reformationsjubiläum 2017 sein, doch mit dem Protestantismus der Bekenntnisse der Reformationszeit hat sie kaum noch etwas gemein. Nun endlich sollten Evangelikale begriffen haben, dass die Ex-Bischöfin zwar auch ihnen nach dem Mund reden kann, aber im Prinzip einen anderen Glauben vertritt. Warum finden sich aber immer noch Titel Käßmanns auf fast jedem pietistischen Büchertisch? Sollte man dagegen nicht ab und an lieber den „Spiegel“ lesen?

Nachfolgend Ausführungen zur Jungfrauengeburt aus Holgers EBI-Vorlesungsskript zur Christologie.

Jungfrauengeburt

Die Geburt Jesu durch Maria ohne irdischen Vater ist aufgrund des klaren biblischen Zeugnisse in Mt 1,18–25 und Lk 1,26f als Tatsache anzusehen. „Geburt“ ist eigentlich nicht der richtige Begriff, denn diese war ganz normal. Die Zeugung ohne Mann, ohne Geschlechtsverkehr, war das Übernatürliche (Mt 1,20; Lk 1,35), denn sie geschah durch Gottes Kraft, seinen Hl. Geist (im Apostolischen Glaubensbekenntnis: „empfangen durch den Heiligen Geist“). Später wurde Jesus dann sicher durch Joseph adoptiert (dieser gab ihm auch den Name und galt als sein Vater, s. Joh 1,45).

Matthäus (1,22) sieht dies als Erfüllung der Prophezeiung in Jes 7,14 an („Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“ EÜ). Tatsächlich bedeutet hbr. alemah, gr. parthenos junge, nicht notwendig jungfräuliche Frau, woraus oftmals geschlossen wird, daß auch in Mt und Lk eine junge Frau, nicht eine Jungfrau gemeint sei. Doch damals war davon auszugehen, daß jede junge, unverheiratete Frau noch keinen Geschlechtverkehr hatte. Jes 7,14 drückt dies sicher nicht direkt aus, aber Mt und Lk sind eindeutig: sie war noch nicht verheiratet und hatte mit Josef noch nicht zusammengelebt; Jes ist im Licht von Mt/Lk zu deuten. Der reformierte Theologe J. Gresham Machen (1881–1937) schreibt:

„Bei keiner der sieben Stellen im AT wird das Wort alemāh eindeutig im Sinn einer Frau gerbaucht, die nicht mehr eine Jungfrau wäre. Man kann eingestehen, dass alemāh als solches nicht die Jungfräulichkeit bezeichnet wie betūlāh; esw bedeutet eher ‘junge Frau, im heiratsfähigen Alter’. Andererseits wäre es im Hinblick auf dem Wortgebrauch sehr zweifelhaft oder ungewöhnlich mit diesem Wort eine Frau zu bezeichnen, die schon nicht mehr Jungfrau ist.“ (The Virgin Birth of Christ)

Viele Theologen des 20. Jhdt. haben die Jungfrauengeburt jedoch geleugnet, als mehr oder weniger legendarisch bezeichnet oder nehmen eine agnostische Position ein, d.h. sie sei für den Glauben gar nicht wichtig und müsse deswegen auch gar nicht entschieden werden. Katholiken wie H. Küng, E. Schillebeeckx, Evangelische wie John A.T. Robinson, W. Pannenberg oder H. Thielicke oder auch W. Barclay wären hier zu nennen.

Häufig wird an den unterschiedlichen Stammbäumen Jesu in Mt 1,2f und Lk 3,23f angeknüpft (s. dazu aus evangelikaler Sicht J. McDowell/D. Stewart „Sind die Geschlechtsregister Jesu, die bei Matthäus und Lukas gegeben werden, nicht widersprüchlich?“, in: Antworten auf skeptische Fragen über den christlichen Glauben).

Die Jungfrauengeburt wird im Rest des NT direkt nicht erwähnt. Aus diesem Schweigen wird geschlossen, sie sei den ersten Christen nicht wichtig gewesen. Tatsächlich gibt es nur in Joh 1,13; Gal 4,4; Röm 1,3 gewisse Hinweise auf sie. Doch dies allein beweist kaum etwas – allein aus der Nichterwähnung kann man nichts ableiten. Sie wird eben auch nicht geleugnet. Wäre sie eine bloße Legende, hätte Johannes dies sicher als intimer Kenner Jesu und Marias in Joh richtiggestellt. Mglw. sind Joh 8,19.42 und die ungewöhnliche Bezeichnung „Sohn der Maria“ (Mk 6,3) Hinweise darauf, dass man durchaus von Jesu nichtehelicher Zeugung wußte, d.h. von Josefs Nicht-Vaterschaft. Zu Paulus ist zu sagen, daß er allgemein wenig Interesse an Details aus Jesu Leben hat (Maria und Joseph erwähnt er nirgendwo!), weil er dies einfach voraussetzt. Kaum glaubhaft ist außerdem, daß der bewußt historisch arbeitende Lukas sich mit Legenden abgegeben hätte.

Es wird behauptet, die Jungfrauengeburt täte seinem Menschsein Abbruch; ohne biologischen Vater sei er kein wahrer Mensch gewesen. Die Bibel sieht dies sicher anders, zumal der direkt von Gott geschaffene Adam doch wohl auch wahrer Mensch war. Dieser Vorwurf wendet sich gegen ein falsches Verständnis: viele deuten nämlich die Jungfrauengeburt letztlich so, als ob Gott an die Stelle des irdischen Vaters getreten wäre. Doch dann liegt das heidnische Konzept nahe und Jesus wäre ein menschlich-göttliches Mischwesen. Gott ist der ewige Vater des Logos, nicht sein biologischer Erzeuger. A.N.S. Lane schreibt sehr gut:

„Es ist entscheidend wichtig den Unterschied zwischen den Jungfrauengeburt und der Inkarnation zu sehen. Die Jungfrauengeburt betrifft den Ursprung der Menschlichkeit Jesu. Sie sagt aus, dass er als Mann keinen menschlichen Vater hatte. Sie sagt nicht aus, daß Gott sein menschlicher Vater war. Die Jungfrauengeburt ähnelt nicht den heidnischen Geschichten, in den einen Gott ein schönes Mädchen schwängert. Das Wunder der Jungfrauengeburt ist die Geburt ohne einen Vater, nicht die Vereinigung Gottes mit Maria. Das Dogma der Inkarnation betrifft, auf der anderen Seite, die Gottheit Jesu. Es sagt aus, daß der Mensch Jesus tatsächlich Gott selbst war, der Logos, der Sohn Gottes ins Fleisch gekommen. Jesus war nicht göttlich, weil er keinen menschlichen Vater hatte, sondern weil er der Mensch gewordene Gott war.“

Noch weitere Dinge werden genannt wie z.B. diese Geburt widerspräche der Präexistenz Jesu. Allgemein können wir hier entgegnen: 1900 Jahren haben Gläubige und Theologen all diese Einwände nicht bemerkt – bis eine Gruppe von Theologen im 19./20. Jhdt. so schlau wurde und diese Widersprüche endlich sah??

Was spricht für die Jungfrauengeburt? Warum ist sie wichtig?

Die biblischen Berichte unterscheiden sich von entsprechenden heidnischen, machen nämlich eine Aussage über Gottes Schöpfung. Joseph Ratzinger faßt gut zusammen:

„Der zentrale Gegensatz besteht darin, daß in den heidnischen Texten fast immer die Gottheit als befruchtende, zeugende Macht, also unter einem mehr oder weniger geschlechtlichen Aspekt und von da aus in einem physischen Sinne als der ‘Vater’ des Retterkindes erscheint. Nichts davon ist, wie wir sahen, im Neuen Testament der Fall: Die Empfängnis Jesu ist Neuschöpfung, nicht Zeugung durch Gott. Gott wird dadurch nicht etwa zum biologischen Vater Jesu, und das Neue Testament wie die kirchliche Theologie haben grundsätzlich nie in diesem Bericht bzw. in dem darin mitgeteilten Ereignis den Grund für das wahre Gottsein Jesu, für seine ‘Gottessohnschaft’, gesehen.“ (Einführung ins Christentum)

Die Jungfrauengeburt ist ein wichtiges Zeichen: gleich am Beginn des irdischen Lebens steht ein übernatürliches Element – wenn der Verstand hieran scheitert, was ist dann mit den folgenden Wundern?? Ein Zeichen eines neuen Anfangs, von Gottes Einschreiten, Eingreifen, Einbruch; ein Zeichen, das auf die Inkarnation hinweist und zur ihr paßt. Auch ein Zeichen des Urteils über uns Menschen: die menschliche Rasse selbst bringt aus sich heraus keinen Erlöser hervor – nicht durch Erziehung, Evolution, Zeugungsentschluss. Karl Barth stellt gut dar, dassie für uns, und vor allem für die Männer, demütigend ist:

„Der Mann hat mit dieser Geburt nichts zu schaffen. Es handelt sich hier, wenn man so will, um einen göttlichen Gerichtsakt. Zu dem, was hier beginnen soll, soll der Mensch mit seiner Aktion und Initiative nichts beitragen. Der Mensch wird nicht einfach ausgeschlossen: die Jungfrau ist ja dabei. Der Mann aber als der spezifische Träger der menschlichen Aktion und Geschichte, mit seiner Verantwortung für die Führung des menschlichen Geschlechts, er muß jetzt als die ohnmächtige Gestalt des Josephs in den Hintergrund treten. Das ist die christliche Antwort auf die Frauenfrage… Gott hat nicht den Menschen in seinem Stolz und in seinem Trotz erwählt, sondern… den Menschen in der Schwachheit seiner Natur, wie sie durch die Frau repräsentiert wird, den Menschen, der Gott nur mit den Worten ‘Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast’ [Lk 1,38] gegenüberstehen kann. Das ist die Mitwirkung des Menschen in dieser Sache, das und nur das!“ (Dogmatik im Grundriß)

Es gibt keine guten Alternativen zur Jungfrauengeburt. Theoretisch wäre eine Inkarnation auch anders denkbar. Doch bei Zusammentreffen von Eizelle und Sperma entsteht immer eine neue Person. Doch dann läge Adoptianismus nahe: Gott hätte den schon von Menschen gezeugten Jesus, diese Person, irgendwann später als Sohn angenommen, ihm zum Sohn erklärt, ihn also adoptiert (daher der Name dieser Irrlehre). Die Initiative zur Inkarnation ginge dann vom Menschen aus (dem wird widersprochen in Joh 1,13). Es bleibt ein Rätsel wie W. Joest die Jungfauengeburt als legendarisch leugnet, aber Christus doch „aus dem Willen und der Tat Gottes“ zu uns gekommen sei. Wir hätten außerdem das Problem einer doppelten Vaterschaft, Gott und Joseph.

Tatsächlich wird die Sündlosigkeit Jesu im NT nicht direkt mit der Jungfrauengeburt begründet (die Kirchenväter betonten diesen Punkt stark, da für sie die Erbsünde durch den Sexualakt übertragen wurde und Jesus ohne Sex entstand). Doch in Lk 1,35 wird sein Heiligsein auf den Hl. Geist zurückgeführt. Die Jungfrauengeburt verdeutlicht aber gut, warum er außerhalb der sündigen Menschenreihe von Adam her steht. Wie mit Adam beginnt mit ihm etwas Neues.

Letztlich geht es auch um die Vertrauenswürdigkeit der Bibel. Wer ihren Berichten keinen Glauben schenken will, verheddert sich in widersprüchlichen Sätzen. So meinen selbst gemäßigt kritische Theologen, diese Geburt sei „auf keinen Fall Heilstatsache“ (Joest), nicht „Glaubensgrundlage“ (Thielicke), wollen aber an der „wundersamen Geburt“ festhalten. Was soll aber an Jesus so besonderes gewesen sein, wenn er einfach nur das Kind zweier Galiläer war? Wir haben die Jungfrauengeburt zu glauben, weil wir alles in der Bibel anzunehmen haben.