„Verweltlichung von innen“

„Verweltlichung von innen“

Einen anderen Weg als die Litauische reformierte Kirche mit ihrem Beschluss zu Ehe und Scheidung (s. „Die Ehe ist ein heiliger Bund…“) hat offensichtlich schon seit einer Weile die EKD eingeschlagen (Foto o.: Kirchenamt in Hannover). Nur einige Tage vor der reformierten Synode in Litauen stellte der evangelische Kirchenbund in Deutschland die „Orientierungshilfe“ zur Familie unter dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ vor (hier als pdf ).

zwischen-autonomie-und-angewiesenheit

Drei Jahre haben die 14 Mitglieder der Ad-hoc-Kommission der EKD an dem Papier gearbeitet. Bewusst wird der Familienbegriff – entsprechend der staatlichen Rechtsprechung der letzten Jahre – stark erweitert. Eine Familie bildet nun z.B. auch ein „gleichgeschlechtliches Paar mit den Kindern aus einer ersten Beziehung“. Die Ehe wird nicht mehr als Grundlage der Familie gesehen. Überall dort, wo man sich verlässlich aneinander bindet, füreinander Verantwortung übernimmt und fürsorglich und respektvoll miteinander umgeht, überall dort sei auch Familie. Die „Form, in der Familie und Partnerschaft gelebt werden“, sei „nicht ausschlaggebend“. Daher „müssen“(!) „alle familiären Beziehungen“, in denen Liebe, Treue und Fürsorge gelebt werden, „auf die Unterstützung der evangelischen Kirche bauen können“. Mit anderen Worten: die Kirchen müssen auch das gleichgeschlechtliche Paar unterstützen.

Ehegeluebde

Die Orientierungshilfe hat sicherlich recht, wenn die „bürgerliche Ehe“ und die Trennung von häuslicher bzw. privater und beruflicher Welt als Entwicklung des 19. Jhdts. dargestellt wird. Tatsächlich muss man sich davor hüten, voreilig alle „traditionellen Geschlechterrollen“ mit der Bibel zu rechtfertigen. Aber warum das Kind mit dem Bade ausschütten? Warum wird die Ehe als „göttliche Stiftung“ abgelehnt? Was würde der allseits geschätzte Dietrich Bonhoeffer dazu sagen? In seiner Ethik bezeichnete dieser die Ehe als „die älteste aller menschlichen Ordnungen“. „Ehe ist mit der Schöpfung der ersten Menschen gegeben. Ihr Recht ruht in den Anfängen der Menschheit.“ Neben Arbeit, Obrigkeit, Kirche ist die Ehe ein „göttliches Mandat“, ein göttlicher Auftrag, „von oben her in die Welt hineingesenkt als Gliederungen , –‘Ordnungen ’– der Christuswirklichkeit“. Ehe und Familie  werden „durch ein göttliches Gebot in Anspruch genommen“.

Bonhoeffers „Gebot“ kommt jedoch im biblischen und theologischen Sinne nur als Zitat von Luther und im „Elterngebot“ im EKD-Text vor. Der Begriff „Scheidungsverbot“ wird zwei Mal genannt, „Ehebruch“ ein einziges Mal, „Unzucht“ – wen wundert‘s? – gar nicht. Zig Male ist dagegen von „Angebot“ die Rede, und ein weiteres Lieblingswort der EKD-Autoren ist natürlich „Vielfalt/vielfältig“. Manchmal sagt die Statistik der Wortwahl eben schon alles.

Gegen Ende der Orientierungshilfe wird die „Vielfalt von privaten Lebensformen“ als Ergebnis „des tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandels“ genannt. Familie sei „neu zu denken“, was natürlich so allgemein nicht verkehrt ist. Diese Vielfalt sei aber durch die Kirche „unvoreingenommen [!] anzuerkennen und zu unterstützen“. Hierbei gehe es nicht nur um eine Anpassung, die Kirche will und soll also nicht nur einem Trend hinterherlaufen. Diese Anerkennung sei auch als eine „normative Orientierung“ zu verstehen. Was ist damit gemeint? Der Sinn erschließt sich nur im Zusammenhang. Die „traditionellen Leitbilder“ werden pauschal als heute unzureichend erklärt, gleichsam auf dem Misthaufen der Geschichte entsorgt. Die neue Vielfalt wird also zur Norm erhoben. Leider vermengt man diese willkürliche Normsetzung auch noch mit der „befreienden Botschaft des Evangeliums“, die das „das Versprechen der Freiheit und Gleichheit aller Menschen“ sei – hier kann man den Autoren nur wünschen, noch einmal die protestantischen Bekenntnistexte zu studieren. (Die theologisch konservative Konferenz Bekennender Gemeinschaften bezeichnete die Orientierungshilfe als „schrift- und bekenntniswidrig“, sie sei ein „ernstzunehmender Rückschlag“ für die Ökumene.)

Matthias Kamann kommentierte daher in „Kirche gibt dem Scheitern von Ehen ihren Segen“ (welt.de vom 18. Juni, s. hier) völlig zurecht: Es wird auf 160 Seiten, „gar nicht erst versucht, die lebenslange Treue von Ehepaaren und Eltern [das traditionelle Leitbild eben] mit normativer Kraft auszustatten.“ Die EKD weicht daher „das Leitbild der lebenslangen Treue in der Ehe auf.“ Eine „eigenständige (Gegen-)Position der Kirche“ zum gesellschaftlichen Trend kann Kamann kaum noch erkennen. Am 30. Juni nennt Kamann die Orientierungshilfe unverblümt ein „theologisches Armutszeugnis“. Er kritisiert „die Tendenz, die Theologie immerzu in Einklang bringen zu wollen“ mit dem gerade vorherrschenden Verständnis in der Gesellschaft. Das Dokument liefert kein „Licht von außen“, das so nötig wäre. „Die eigentliche Katastrophe dieses Textes aber besteht darin, dass die Sprache des Glaubens in Schwammigkeiten abrutscht und nur noch der gesellschaftlichen Realität hinterherzuschlittern vermag.“

Geradezu erschreckend ist in dem Dokument die mangelnde biblische Ableitung von Behauptungen, Thesen und Normen. So heißt es: „Das Scheidungsverbot Jesu erinnert die Paare und Eltern an ihre Verantwortlichkeit und macht Kirche und Gesellschaft deutlich, dass Verlässlichkeit für jede Gemeinschaft konstitutiv sind“. Natürlich erinnern diese Worte Jesu auch daran, aber war‘s das? Wie sollen wir heute dies Verbot deuten? Wie ist es zu verstehen und anzuwenden? So einfach semantisch entsorgen lässt es sich wohl nicht.

Auch im Hinblick auf homosexuelle Paare wird ein „Grundton“ in der Bibel entdeckt. Und dann heißt es: „Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen.“ Es wird einfach festgestellt und dekretiert, solide Argumentation – Fehlanzeige. Trotz aller beteiligten Doktoren und Theologie-Experten hat man keine Theologie im eigentlichen Sinne betrieben: die Anwendung des Wortes Gottes im ganzen heutigen Leben. Der Präses des Gnadauer Verbandes sah in seiner Stellungnahme daher auch nur „Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen“ und fragte: „Wieviel hermeneutischer und theologischer Einseitigkeit bedarf es eigentlich, um wegzudeuten, dass in der gesamten biblischen Überlieferung die Polarität der Beziehung von Mann und Frau als schöpfungsgemäß und konstitutiv betrachtet wird?“

Diese Verachtung der biblischen Argumentation ist ja nicht neu. In der „Welt am Sonntag“ meinte Margot Käßmann 2007 zu ihrer Scheidung: „Wenn Zwei nicht mehr aneinander wachsen, sondern sich gegenseitig kleiner machen, kann es nicht Gottes Wille sein, dass ein Zusammenbleiben erzwungen wird.“ Nicht mehr aneinander wachsen, sich kleiner machen – sind solche Schwabbel-Kriterien in irgendeiner Weise biblisch zu begründen? Sind Protestanten nicht dazu berufen, Gottes Willen in der Bibel zu suchen und zu finden?

Auch in dem Dokument „Zur ethischen Orientierung für das Zusammenleben in Ehe und Familie“ aus dem Jahr 1997 (auf der Internetseite der EKD, s. hier) bemüht man sich in keiner Weise von der kurz umrissenen biblischen Position zu den Fragen und der Lehre der Reformatoren die Brücke zu folgendem Wust zu schlagen:

„Die Scheidung einer Ehe ist ein Notbehelf, ein letzter Ausweg, wenn die Gemeinsamkeit zwischen zwei Menschen unbehebbar zerstört ist. Sie ist in einem solchen Falle auch nach christlichem Verständnis zu akzeptieren, weil kein Mensch auf sein Versagen und Verschulden festzulegen ist, jede und jeder eine Chance zu einem neuen Anfang haben soll. Vielleicht ist der Entschluss zur Auflösung einer Ehe ein notwendiger Schritt aus Selbstachtung. Und zu dieser Selbstachtung gehört auch die Annahme des Scheiterns. Die Aufrechterhaltung eines sinnentleerten Zwanges, einer bloßen Fassade kann nicht im Sinne eines evangelischen Eheverständnisses liegen.“

Jan Fleischhauer kommentierte die jüngste Orientierungshilfe in seiner Kolumne auf spiegel.de (s. hier). „Das wichtigste Ergebnis vorneweg: Wer demnächst vor den Traualtar tritt, kann unbekümmert das Eheversprechen ablegen – auch wenn der Pastor sagt, es gelte, ‘bis dass der Tod euch scheidet’. Keine Sorge, das ist nicht länger wirklich ernst gemeint.“ Der Spiegel-Journalist (Autor von Unter Linken): „Wir haben hier vielmehr das Dokument eines spektakulären Versuchs der Verweltlichung von innen, wie ihn so noch keine der großen Religionen unternommen hat.“

Fleischhauer hat die Aufgabe jeder wahren Ethik gut erkannt: „Die Evangelische Kirche will nicht mehr urteilen, sondern nur noch verstehen. ‘Fühl dich wohl’, heißt die frohe Botschaft ihrer Vertreter. Alle sind ihr gleichermaßen lieb…“ Alle streng und bevormundend erscheinenden Text wurden entschärft, und daher solle man „im Gegenzug nur nicht mehr erwarten, dass man weiterhin auch zu den Fragen verlässlich Auskunft bekommt, für die sie bislang das Privileg besaß – also alle, die über das Diesseits hinaus weisen.“ Das ‘Kerngeschäft’ der Kirche wurde also in Mitleidenschaft gezogen. Der Journalist bissig: „Versuchen Sie mal, Näheres über Himmel und Hölle zu erfahren. Das wird nicht einfach, wie ich aus Erfahrung weiß.“ Klare Auskünfte gibt es dagegen zum Kapitalismus und zur Globalisierung: „Genau besehen gibt es nur einen Bereich, in dem die Kirche noch für sich in Anspruch nimmt, den Sündern heimzuleuchten, und das ist die Wirtschaft.“

Fleischhauers Resümee ist nichts hinzuzufügen: „Es ist eine Sache, sich der Nöte der Menschen anzunehmen – und etwas ganz anderes, dabei auf jeden normativen Anspruch zu verzichten. Wer für alles Verständnis zeigt, wird irgendwann sprachlos. Dann ist auch der gute Rat nichts mehr wert.“