„Die Ehe ist ein heiliger Bund...“

„Die Ehe ist ein heiliger Bund…“

Warum evangelisch werden? Warum von der katholischen zu einer evangelischen Kirche übertreten? Zwischen den Weltkriegen war die wohl wichtigste Antwort in Polen und Litauen: um sich scheiden zu lassen und noch einmal heiraten zu können. Denn in beiden Ländern gab es keine standesamtliche Trauung. Ehen wurden einzig von den Priestern, Pfarrern und Rabbinern geschlossen. (Erst die litauische Verfassung von 1938 sah überhaupt die Möglichkeit einer Zivilehe vor.) Bekanntlich lässt die katholische Lehre eine Scheidung – von wenigen Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich nicht zu, da die Ehe als Sakrament angesehen wird. Protestanten leugnen Letzteres und erlauben daher traditionell z.B. bei Ehebruch (s. Mt 19,9) Scheidungen.

Die Aufhebung von Ehen ist also bei Evangelischen möglich, wenn auch nur in engem biblischen Rahmen. Unter Umständen wird dieser Rahmen jedoch gesprengt, wie dies z.B. vor dem letzten Krieg in Vilnius geschah. Die litauische Stadt war von Polen besetzt. Viele Konvertiten schlossen sich der dortigen reformierten Kirche an. Tomas Šernas, Generalsuperintendent der reformierten Kirche Litauens: „Jedes Jahr kamen zur Unitas Lithuaniae im Vorkriegs-Vilnius etwa einhundert Menschen hinzu, die sich aus ganz Polen an die Kirche gewandt hatten. In einem anderen Fall könnte man sich über die neuen Kirchenmitglieder freuen, doch die große Mehrheit von diesen wurde nur formell reformiert, denn man kam nicht wegen des Glaubens, sondern nur um der Scheidung willen.“ Es floss nicht wenig Geld an Mitgliedsbeiträgen und Gebühren für die Scheidungsprozedur – die Kirche hat sich damals also mehr oder weniger kaufen lassen.

Sernas

Tomas Šernas

Nach dem Krieg, in der Sowjetunion, nahm natürlich der Staat Eheschluss und Scheidung in seine Hand. Die Scheidungspraxis wurde nach und nach immer weiter liberalisiert. Die reformierte Kirche kämpfte ums Überleben, weshalb an eine theologische Neubesinnung nicht zu denken war. Mit der neuen Freiheit ab 1990 und der wiedergeschaffenen Möglichkeit der rechtlichen Eheschließung durch Kirchen kamen die Probleme wieder auf den Tisch. Von der reformierten Kirche wird von vielen immer noch erwartet, dass sie Scheidungen gleichsam durchwinkt und kirchliche Wiederverheiratungen leicht macht. Mehrere Scheidungsverfahren waren anhängig, so dass die Kirchenleitung endlich reagieren musste.

Nach intensiver Vorarbeit wurde der Synode der Kirche am 22. Juni ein Kanon (ein kirchenrechtlicher Beschluss) zur „Ehe und Scheidung“ vorgelegt und – wenn auch nach mitunter intensiven Debatten über jeden Punkt – mit großer Mehrheit von den Delegierten, Kuratoren und Pfarrern verabschiedet (Foto o.: Abstimmung auf der Synode in der Kirche von Biržai; eine Übersetzung ins Deutsche liegt hier). Darin wird die Ehe als von Gott geschaffene Ordnung bezeichnet. „Die Ehe ist ein heiliger Bund zwischen einem Mann und einer Frau“, und es ist Gottes Wille, dass dieser Bund ein Leben lang hält. Anschließend wird Unzucht biblisch definiert und betont, dass der Christ „im Herrn (1 Kor 7,39)“ heiraten soll. Verbindungen, die mit Nichtchristen eingegangen werden, sind zwar rechtlich gültig, können aber von der Kirche nicht gesegnet werden. Die Ehe konfessionell unterschiedlicher Partner wird nur dann gesegnet, wenn die Kinder „im evangelischen Bekenntnis“ erzogen werden.

Bei den Scheidungsgründen wird auf die Danziger Agenda (aus dem 17. Jhdt.), Calvins Genfer Kirchenordnung und natürlich die Bibel zurückgegriffen. Genannt werden Ehebruch, boshaftes und dauerhaftes Verlassen sowie die religiöse Unvereinbarkeit im Sinne von 1 Kor 7, 15 (der Ungläubige will die Ehe verlassen). Aber auch bei Ehebruch soll nicht automatisch geschieden werden: „Tut die schuldige Seite Buße und will die Lage korrigieren, soll vergeben und die Ehe bewahrt werden.“ Ist Scheidung unrechtmäßig, d.h. wird keiner der genannten Punkte erfüllt, ist Wiederheirat kirchlich nicht erlaubt und jeder neue Verbindung Untreue.

Schon im Frühjahr war diese Position mit Artikeln auf der Internetseite der Kirche begleitet und erläutert worden. Übersetzt wurde z.B. ein Text von Kevin DeYoung zum Thema. Der junge Pastor der University Reformed Chruch in East Lansing, Michigan, ist in den USA bekannter Redner und Buchautor, Mitglied der „Gospel Coalition“. Seine sieben Punkte zu Ehe und Scheidung, die den heutigen evangelikalen Konsens umreißen, finden sich im Original hier.

Die Evangelisch-reformierte Kirche Litauens kehrt damit zu biblischen und traditionell protestantischen Grundsätzen zurück. Wie es ihrem Namen entspricht, erneuert sie sich im Licht des Wortes Gottes. Sie ist wohl auch die erste protestantische Kirche im Land, die hier klare und eindeutige Prinzipien und Regeln formuliert.

Es wundert jedoch nicht, dass dieser Prozess keineswegs glatt verlief und eine Gegenreaktion erfolgte. Auf der Synode wurde der Einwand des Pfarrers der Litauischen reformierten Kirche Dr. Kęstutis Daugirdas verlesen. Dieser ist seit vielen Jahren an der ev.-theologischen Fakultät der Uni Mainz tätig. Der Entwurf des Kanons widerspreche „traditionellen reformierten Prinzipien“ und spiegele vielmehr eine „evangelikal-fundamentalistische Weltanschauung“ wider. „Sind Sie bereit, Ihre durch die Jahrhunderte hindurch gereifte theologische Identität zugunsten der eintägigen evangelikalen Ideen zu opfern?“, so der Theologe eindrücklich warnend an die Synodalen. Daugirdas hat durchaus richtig erfasst, dass in gewissem Sinne evangelikale Prinzipien hinter diesem Kanon stecken. Doch man sollte allem Getöse um Biblizismus und vermeintlichen Fundamentalismus eines nicht vergessen: die Evangelikalen haben den evangelischen Glauben erneuert und den Protestantismus bewahrt, wie die theologischen Granden der evangelikalen Bewegung wie John Stott und Jim Packer immer wieder festgestellt haben. Viele Kirche des Westens und ihre modernistischen Theologen haben den jahrhundertlangen Konsens in Fragen der Autorität der Bibel und der Ethik nach und nach aufgekündigt. Sie haben die gereifte theologische Identität verlassen und das protestantische Erbe verleugnet, nicht die Evangelikalen.

Die Synodalen haben sich in ihrer Mehrheit von den akademischen Lorbeeren des baldigen Professors aus Mainz nicht beeindrucken lassen. Gut so, denn letztlich geht es auch um den Auftrag Jesu (z.B. Mt 6,8) und des Paulus (Röm 12,2), sich von der ungläubigen Welt zu unterscheiden. Mit ihrem jüngsten Beschluss wendet sich die reformierte Kirche Gott sei Dank gegen einen gesellschaftlichen Trend. Denn zivile Scheidungen sind in Litauen recht einfach und zügig möglich. (Die Scheidungszahl ist im europäischen Vergleich hoch – und für ein katholisch geprägtes Land um so ungewöhnlicher: Auf 1000 Einwohner kamen 2011 3,4 Scheidungen, was in Europa nur noch von Lettland (4) übertroffen wird und auch weit vor dem ebenfalls katholischen Polen liegt (dort 1,7; Deutschland: 2,3). Die Scheidungsrate liegt in Litauen mit 40% leicht niedriger als in Deutschland (etwa 45%), d.h. zwei von fünf Ehen werden geschieden.)