Lutherische Kirche nimmt Christen aus Syrien auf

Lutherische Kirche nimmt Christen aus Syrien auf

Vor einer Woche, am 26. Februar, landete eine Transportmaschine der litauischen Luftwaffe auf dem Flugplatz von Šiauliai. An Bord waren 40 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, alle Angehörige der christlichen Minderheit im Land. Die zehn Familien sind auf Einladung der Ev.-lutherischen Kirche Litauens angereist. Das Gustav-Adolf-Werk (GAW) , das evangelische Minderheitskirchen unterstützt, und dann auch „idea“ meldeten:

„Die Flüchtlinge werden in litauischen Familien und Pfarrhäusern untergebracht. Bischof Mindaugas Sabutis (Vilnius) erklärte dazu: „Wir haben uns dafür entschieden, insbesondere christliche Familien bei uns aufzunehmen.“ Christen seien im syrischen Bürgerkrieg immer wieder Zielscheibe muslimisch-extremistischer Rebellen. Laut Sabutis genießen die Flüchtlinge Gaststatus und dürfen so lange bleiben, bis der Krieg zu Ende ist. Die Motivation für die Hilfe entspringe Erfahrungen, die Christen im ehemals kommunistisch besetzten Litauen gemacht hätten: „Litauische Lutheraner haben nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und den USA Zuflucht vor den sowjetischen Besatzern gefunden.“ Litauer hingegen, die nach Schweden flohen, seien zurück in die Sowjetunion geschickt worden. Sabutis: „Wir wissen um den Schmerz, verfolgt und auf der Flucht zu sein und keine Zuflucht zu finden.“

Bischof Sabutis, einige Pfarrer und andere Mitarbeiter der Kirche begrüßten die Syrer am Šiauliaier Flughafen. Das Wort ergriff dort auch der Außenminister Litauens, denn das Ministerium stellte Visa für ein Jahr aus. Das Verteidigungsminister übernahm den Transport der Flüchtlinge.

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Bischof Sabutis am Flughafen

Sabutis betont, dass die Kirche auf eigene Initiative gehandelt hat und die Syrer aus ihren Mitteln versorgt werden. „Die Familien aus Syrien sind als unsere Gäste gekommen, nicht als Bürger mit Flüchtlingsstatus. Weder unserem Staat noch den Steuerzahlern werden dadurch Belastungen entstehen – sie bitten den Staat nicht um Unterstützung, und Litauen hat ihnen gegenüber keine Verpflichtungen übernommen. Es ist unsere Verantwortung als Kirche. Die Entscheidung zur Hilfe haben die Mitglieder der Kirche eigenständig getroffen. Zehn syrische christliche Familien haben wir für ein Jahr eingeladen. Wenn ein dauerhafter Frieden in Syrien erreicht wird, können die Menschen auch früher in ihre Heimat zurückkehren.“

„Idea“ lobt, dass die litauische Kirche selbst aktiv geworden ist und es nicht bei den üblichen kirchlichen Appellen belassen hat. Im Grundsatz ist dies richtig, und gewiss sollen Kirchen Geschwistern in Not helfen. Tatsächlich sind die Christen in Syrien ja immer noch recht zahlreich, geraten aber gleichsam zwischen die Fronten des Krieges. Auch ihr Hauptsiedlungsgebiet (rot auf der Karte o.) liegt eingezwängt zwischen dem der schiitischen Alawiten im Westen (tiefes blaugrün) und dem der Sunniten im Osten (gelb).

Dennoch stellen sich auch kritische Fragen.

In den zahlreichen Pressemeldungen heißt es immer, dass die lutherische Kirche als ganze die syrischen Christen eingeladen habe. Vier Monate habe die Vorbereitung, d.h. vor allem die Abstimmung mit dem Außenministerium und die Organisation der Reise gedauert. Ein Beschluss des Konsistoriums der Kirche zur der Aktion datiert aber erst von Ende Januar, also knapp vier Wochen vor Ankunft der Familien. Wurde hier etwas im Nachhinein abgesegnet, was lange vorher schon in Gang gebracht worden war? Man fragt sich, mit welchen Vollmachten hier überhaupt zuvor gehandelt wurde, konkret: konnte der Bischof überhaupt im Namen der Kirche eine Einladung aussprechen? Konnte er mehr oder weniger allein solche weitreichenden Entscheidungen treffen?

Man wundert sich auch, dass bis heute keinerlei Text der Kirche selbst veröffentlicht worden ist, der die Einladung begründet und erläutert. Auch auf der Internetseite der Kirche sind einzig Agentur- und Zeitungsmeldungen zu finden. Die allermeisten Lutheraner erfuhren erst aus den säkularen Medien von den Gästen. In unserer hiesigen Gemeinden (Lutheraner und Reformierte) kam dies nicht besonders gut an.

Die lutherische Kirche Litauens ist alles andere als reich; die Kasse der Gesamtkirche ist notorisch leer, so heißt es zumindest meistens. Umso mehr ehrt der mutige Schritt die Kirche. Einerseits. Doch warum gibt es dann keinen öffentlichen Spendenaufruf in der Kirche? Ein Spendenkonto? Man hört, dass es Spenden gibt, aber es gibt für die allermeisten Lutheraner (solche, die in in Orten wohnen, wo keine Syrer untergebracht sind) bisher keine Information, wie sie helfen können. Und es ist keine einzige Aussage zu der doch wichtigen Frage zu finden, wie die immerhin 40 Geschwister über ein Jahr hinweg versorgt werden sollen. Sicher, manche von diesen bringen etwas Geld mit; die direkte Unterbringung verursacht nur wenig direkte Kosten. Aber alles andere: Verpflegung, Arztbesuche, Reisen, dann die Frage des Schulbesuchs der Kinder, womöglich Übersetzer, Psychologen usw. … Wenn ausdrücklich betont wird, dass ein ganzes Jahr lang der Staat in keiner Weise finanziell belastet werden soll – wie sehen dann die Konturen eines kirchlichen Budgets für den Gästeaufenthalt aus? Hier reicht doch kein „schau‘n wir mal“?! Vieles deutet leider darauf hin, dass hier eine mehr oder weniger spontane Idee des Bischofs und einiger seiner befreundeten Pfarrer mal eben so zu einer Aktion der Kirche wurde.

Das erwähnte GAW ist ein sehr erfahrener Partner in vielen sozialen Hilfsprojekten. Nun ist aber auf dem GAW-Blog zu lesen, dass einer der federführenden lutherischen Pfarrer aus Litauen einen GAW-Mitarbeiter „auf dem Sprung zum Flughafen“, d.h. am 26.02., anrief und fragte: „Was kann das GAW uns raten im Rahmen von Flüchtlingsarbeit?“ Man bedenke: die Flüchtlinge sind schon im Anflug, aber erst dann – Monate zu spät! – kommt jemand auf den Gedanken, die kompetenten Ratgeber in Deutschland zu konsultieren. Was soll man davon halten? Offen schreibt der GAW-Mitarbeiter in dem Blogeintrag:

„Nur – wie wird es mit der Verpflegung sein? Wer kommt für die Folgekosten auf? Nicht leicht… Mindaugas Kairys, der erwähnte Diakoniepastor hatte dafür noch keine Antwort. Beeindruckend ist es, dass diese kleine Kirche sich dieser Herausforderung annimmt. Überhaupt ist es sehr bemerkenswert, wie die Diakonie Litauens, genannt SANDORA, immer wieder für wichtige gesellschaftliche Herausforderungen einsetzt.“

Noch einmal: die Flüchtlinge oder Gäste stehen schon vor der Tür, aber ein Verantwortlicher hat keine Antworten auf solche Fragen?? Man fasst sich an den Kopf. Die Kirche hat offensichtlich keinen Plan. Oder zumindest nicht einen Plan, der der Situation und den Herausforderungen angemessen ist. Nun wird in Litauen wahrlich viel improvisiert und kurzfristig organisiert, aber kann man so mit 40 Bürgerkriegsflüchtlingen umgehen? Der diakonische Einsatz der lutherischen Kirche ist zu loben, doch es ist mindestens genauso bemerkenswert, wie – so scheint es doch – blauäugig man sich hier in ein Abenteuer stürzt. Und sei es auch ein Abenteuer der Nächstenliebe. Entscheidungen dieser Reichweite sollten wahrlich nicht aus dem Bauch getroffen werden, bedürfen einer breiten Beratung. Gewiss ist die Ausgangsfrage, ob notleidenden Geschwistern auf der Flucht geholfen werden soll, eine geistliche. Doch die Umsetzung ist vor allem ein Managementproblem.  Und dessen Herausforderungen sollten nicht beiseite geredet werden.

Am Tag der Ankunft der Syrer haben sich mehrere Abgeordnete des litauischen Parlaments, darunter der Außenminister der vorigen Regierung, in einer Erklärung an Ministerien und Behörden gewandt. Darin heißt es: „Wir respektieren die Initiative der Evangelisch-lutherischen Kirche, erkennen jedoch, dass die weitere Integration der Flüchtlinge auch die Verantwortung des ganzen Staates sein wird. Daher ist es notwendig, vorab die einzugehenden Verpflichtungen der staatlichen Behörden gegenüber den Anreisenden festzustellen und zu definieren, damit sie am Ende nicht ihrem Schicksal überlassen bleiben.“

Die Abgeordneten der oppositionellen Konservativen/Christdemokraten weisen auf ungeklärte Fragen im Hinblick auf den Status der Syrer hin, und sie widersprechen damit auch in Teilen der Darstellung des Bischofs. Denn es ist ja tatsächlich nicht damit getan, die Flüchtlinge einfach zu den privaten Gästen der Kirche zu erklären. Faktisch sind sie Flüchtlinge, die vom Flüchtlingsstatus durchaus profitieren könnten. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Kirche würde sich um staatlich anerkannte Flüchtlinge kümmern? (Und hierfür gibt es ja Beispiele in anderen Ländern.) So gibt es nun keinerlei Garantie, dass sich jemand auch nach einem Jahr um die Syrer kümmern wird. Was tun, wenn der Kirche die Puste ausgeht? Und man fragt sich auch, wie die Betreuung der im ganzen Land verstreuten kleinen Gruppen in ein paar Monaten aussehen soll. In einer ganz fremdem Kultur, in einer auch fremden Kirche (die Syrer sind katholisch und orthodox), überwiegend in litauischen Kleinstädten – wie soll da die soziale, psychologische und pädagogische Versorgung gestaltet werden? Ein paar Wochen lang wirkt noch der Reiz des Neuen, kann den Syrern dies und jenes gezeigt werden, aber in einem halben Jahr? Wenn ihnen die Decke auf den Kopf fällt?

Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Geschichte weiterentwickeln wird. Vielleicht erscheinen die kritischen Anfragen manchem als miesepetrig. Doch es wäre eben nicht das erste Mal, dass litauische Kirchen und Werke bei der Betreuung von ausländischen Gästen schludern.