Die Religion des Sowohl-Als auch

Die Religion des Sowohl-Als auch

Was trennt römisch-katholische und protestantische Kirchen? Zwischen beiden stehen keineswegs nur verschiedenen Bräuche und Äußerlichkeiten, Traditionen und Akzente. Es gibt einige grundlegende Unterschiede, von denen hier nur einer genannt werden soll. In der Padua-Erklärung von 1999, hauptsächlich verfaßt vom italienischen evangelikalen Theologe Leonardo De Chirico, heißt es: „Der Römische Katholizismus ist ein Meister des Einverleibens von Elementen in sein System, die nicht nur verschieden, sondern widersprüchlich und vielleicht sogar unvereinbar sind.“ In einem weiteren Dokument des IFED, einem Forschungsinstitut der Evangelikalen Italiens, wird weiter ausgeführt:

„Die katholische Denkweise ist charakterisiert durch eine Haltung weiter Offenheit. Sie ist in sich dynamisch und umfassend, fähig Lehren, Ideen und Praktiken zusammen zu halten, die in anderen christlichen Traditionen als unvereinbar gelten. Durch diese inklusive Sowohl-Als Auch–Denkweise können in einem katholischen System zwei offensichtlich widersprüchliche Elemente in einer Synthese vereint werden, die beide umfasst. Im Prinzip ist das System weit genug, um alles und jeden willkommen zu heißen… Von einem katholischen Blickwinkel aus bedeutet etwas zu bekräftigen nicht notwendiger Weise, etwas anderes abzulehnen, sondern lediglich die eigene Perspektive auf die ganze Wahrheit hin zu erweitern.“

Was für viele in Deutschland etwas abstrakt und vielleicht sogar übertrieben klingt, kann in mehrheitlich katholischen Ländern anschaulich beobachtet werden. In Litauen war das Sowohl-Als auch jüngst wieder bei Mariä Himmelfahrt am 15. August offensichtlich. Das Fest Mariä Aufnahme in den Himmel geht auf ein Marienfest zurück, das schon Cyrill von Alexandrien im 5. Jahrhundert einführte. Nur in einigen deutschen Gegenden (sowie in Österreich, Liechtenstein und den katholischen Kantonen der Schweiz) ist dies heute eine offizieller Feiertag .

In Litauen ist der Feiertag Mitte August recht beliebt, weil er – je nach Fall in der Woche – zum Ende des Sommers oft noch einmal ein langes Wochenende beschert. Gern besucht man Verwandte. Wie auch beim Johannistag im Frühsommer gibt es zahlreiche öffentliche Veranstaltungen. Auch in diesem Jahr organisierten die Šiauliaier Stadtverwaltung, das städtische Kulturzentrum und der Botanische Garten der Universität eine Feier zu „Žolinė“, so der Name des Himmelfahrtsfests im Litauischen. Von Maria ist darin nichts zu hören; žolė ist im Litauischen Gras, žolės sind Kräuter. Žolinė ist also das Kräuterfest, und dies deutet schon auf die heidnischen Wurzeln hin.

Natürlich begannen auch die diesjährigen Feierlichkeiten in Šiauliai mit Messen in der hiesigen Kathedrale, dann ging’s in den Kräutergarten der Uni, und abgeschlossen wurde alles von „baltischen“ (also heidnischen) „Kulthandlungen“. Dazwischen wurden Seminare angeboten wie „Žolinė – vorchristliche und christliche Traditionen“. Ein echter Widerspruch zwischen diesen beiden wird natürlich nicht gesehen.

Pranė Dundulienė (1910–1991), große Ethnokulturexpertin, schreibt in ihrem Buch über die traditionellen litauischen Feste: „In alter Vorzeit war dieses Fest der großen Göttin, der Gebärerin Lada geweiht, der Früchte der jüngsten Ernte geopfert wurden. Mit der Einführung des Christentums wurde das Fest Mariä Himmelfahrt eingeführt, aber noch Jahrhunderte brachten die Frauen die ersten Erntefrüchte in die Kirchen… So vergingen die alten animistischen Religionselemente nicht, sondern verwoben sich einträchtig mit dem christlichen Muttergottes-Kult. Sowohl die große Göttin Lada, als auch Maria segnen – sie weihen die aufgewachsene Ernte und nachdem sie ihrer Pflicht nachgekommen sind, Getreide und Früchten Wachstum zu schenken, treten sie in den Himmel ein“.

Sowohl Lada, als auch Maria. Sowohl Gebet zum Allmächtigen und einzigen Gott, als auch heidnische Magie und Aberglaube. Denn bis heute werden zu Mariä Himmelfahrt in Litauen Kräuter in der Kirche geweiht, die dann magische Schutzwirkung haben sollen. (Foto o.: Verkauf von Blumen und Kräutern vor der Kathedrale in Vilnius)

Der Protestantismus dagegen ist die Religion des Entweder-Oder, denn genau dies ist ja auch das Muster in AT wie NT: keine Kompromisse in Lehre und Kult mit den fremden Religionen. Dem katholischen Sowohl-Als auch setzten die Reformatoren das fünffache Allein (lat. solus, sola) der wiederentdeckten biblischen Lehre entgegen: die Schrift allein, Christus allein, die Gnade allein, allein aus Glauben und Gott allein die Ehre.