Flüchtlinge erster und dritter Klasse
Im vergangenen Sommer ließ der belarussische Machthaber Lukaschenko tausende Flüchtlinge über sein Land an die EU-Außengrenzen schleusen. Litauen rief daraufhin im Grenzgebiet den Notstand aus und erließ verschärfte Vorschriften für Geflüchtete. Wer illegal die Grenze übertreten hatte, durfte danach grundsätzlich im Land keinen Asylantrag mehr stellen und wurde meist direkt in Aufnahmelagern inhaftiert.
Der Europäische Gerichtshof entschied nun Ende Juni nach Anfrage eines litauischen Gerichts: Die Praxis Litauens, Menschen ohne Annahme ihres Asylantrags abzuweisen oder sie in Gewahrsam zu halten, ist rechtswidrig. Litauens Begründung, dass durch die hohe Migrantenzahl die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gestört werde, sei nicht ausreichend.
Kurz zuvor erhielt die litauische Regierung eine weitere Ohrfeige: Amnesty International beklagte in einem Bericht („Lithuania: forced out or locked up“, abgedrängt oder eingesperrt) schwere Menschenrechtsverletzungen in den Internierungslagern. Selbst wenn nicht alle Aussagen von Betroffenen (vor allem Schwarzafrikanern) der Wahrheit entsprechen sollten, ist der Bericht schlicht ein Skandal. Es ist offensichtlich, dass die Behörden mit menschenunwürdigen Umständen abschrecken und zu einer „freiwilligen“ Rückkehr drängen wollen. Leider sieht es danach aus, dass der im Frühjahr in Litauen verhängte Ausnahmezustand alle möglichen Rechtsbrüche rechtfertigen soll.
In großem Kontrast dazu steht die Aufnahme Zehntausender Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie genießen in Litauen Freizügigkeit, werden gerne integriert und erhalten zahlreiche Privilegien, die ins Stutzen bringen. So können ihre Pkws in Litauen auch ohne Haftpflichtversicherung und TÜV weiterfahren. Die Lebensmittelpakete für diese Fliehenden sind mit geradezu exquisiten Speisen gefüllt. All dies zeigt nur: Wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg. Aufmerksamkeit für Geflohene und Migranten aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten bei der katholischen Caritas.
Anfang August wagte „Amnesty“ eine Kritik der Militärtaktik der ukrainischen Armee im Krieg gegen Russland (s. hier). Seitdem ist die weltweit wohl bekannteste, vor über 60 Jahren gegründete Menschenrechtsorganisation in Litauen gleichsam unten durch. Man versucht sie als fünfte Kolonne Moskaus darzustellen und will sie nicht mehr ernst nehmen. Leider muss man feststellen, dass der Menschenrechtsdiskurs im Land einen Tiefstand erreicht hat.