„Säuberung“ in der orthodoxen Kirche Litauens

„Säuberung“ in der orthodoxen Kirche Litauens

Die Nachricht schlug am Karfreitag wie eine Bombe ein: drei orthodoxe Priester Litauens verlieren ihren Job in der Kirche. Der Grund: Kritik an der Position des Patriarchen in Moskau, der bekanntlich den russischen Angriffskrieg in der Ukraine unterstützt und seit Jahren Präsident Putin nahesteht. Inzwischen haben sich vier weitere Geistliche der Kirche den dreien angeschlossen – vier von über fünfzig.

Erst Anfang des Monats hatten wir von der reformierten Gemeinde in Vilnius die orthodoxe Kathedrale in der Altstadt besucht. Gintaras Sungaila, verheiratet, Vater eines kleinen Sohnes, wurde vor ein paar Jahren zum Priester geweiht und diente in einer der ältesten Kirche des Landes, der Kathedrale der Himmelfahrt der Gottesmutter. Er erläuterte uns sehr kompetent die Geschichte und Ausgestaltung der orthodoxen Kirche sowie die Praxis der Gottesdienste. Sungaila ist außerdem Doktorand in Philosophie an der Vytautas-der-Große Universität in Kaunas.

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Pfr. Sungaila erläutert den Reformierten aus Vilnius das orthodoxe Gebet für die Verstorbenen

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Pfr. Sungaila über das Glockenspiel der orthodoxen Kathedrale in Vilnius

Hauptpfarrer der Kathedrale war Vitalijus Mockus, daneben Kanzler und Sprecher des Erzbistums, Leiter des Dekanats Vilnius, Mitglied des Vorstands der Litauischen Bibelgesellschaft und gleichsam Mund des Erzbischofs, Metropolit Inokentijus (russ. Innokentij), der aus Russland stammt und kein Litauisch spricht. Vitalis Dauparas, Anfang Vierzig, seit knapp zehn Jahren im geistlichen Dienst und Vater zwei Töchter im Schulalter, war Pfarrer an der Kirche der Hl. Paraskeva im Herzen der Altstadt. Das Gebäude gewann Ende des 19. Jahrhunderts seine heutige Gestalt, ist aber der erste erhaltene Kirchenbau in Litauen aus dem Jahr 1345. Daupara zelebrierte dort die „Göttliche Liturgie“ auch in litauischer Sprache.

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Nun nicht mehr im Dienst: die orthodoxen Priester Dauparas (l.) und Mockus

Der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar brachte die orthodoxe Kirche Litauens gleich in die Bredouille. Zwar überwiegt in der Kirche immer noch die russische Sprache und im Gottesdienst das alte Kirchenslawisch, doch nicht wenige Priester sprechen hervorragend Litauisch und empfinden sich Patrioten Litauens; immer mehr Gottesdienste sowie Artikel, Bücher usw. werden in der Landessprache angeboten. Die drei zuerst gefeuerten Priester haben Wurzeln sowohl in der litauischen wie auch in der slawischen Kultur – ein Elternteil stammt aus Litauen, der andere aus Russland bzw. der Ukraine.

Seit Jahrhunderten gehören die orthodoxen Gemeinden Litauens zum Patriarchat von Moskau. Anders als z.B. in Polen, Serbien oder Albanien bildet die orthodoxe Gemeinschaft Litauen keine „autokephale“, d.h. selbständige Kirche. Der leitende Bischof „von Vilnius und Litauen“ (inzwischen gibt es einen weiteren Bischof in Trakai) wird aus Moskau von Patriarch Kyrill entsandt. Der derzeitige Metropolit und Erzbischof Inokentijus (geb. 1947) ist seit 2010 im Amt und diente vorher in Russland und anderen Ländern.

Die orthodoxe Kirchenleitung Litauens distanzierte sich von Beginn des Krieges an von Putins Überfall und erklärte außerdem, dass man Kyrills Deutung des Angriffs nicht mittrage. Mockus und andere Priester nahmen Anfang März an einem ökumenischen Gebet auf dem Lukiškės-Platz in Vilnius teil, bei dem litauische Kirchenleiter ihre Unterstützung der Ukraine zum Ausdruck brachten. Inokentijus sprach in Stellungnahmen sogar von größerer Unabhängigkeit von Moskaus (wie sie z.B. die Kirche in Lettland besitzt), die man nun anstrebe.

Nicht wenigen Nicht-Orthodoxen in Litauen reichte dies aber nicht: Gefordert wurde eine klare, harte Verdammung des Krieges durch die litauische orthodoxe Kirche und auch eine direkte Verurteilung der Haltung des Patriarchen. Mit anderen Worten: geht, bitte schön, auf offenen Konfrontationskurs mit dem Chef in Moskau! Bei einem Treffen von Kirchenleitern im litauischen Parlament zur Ukraine zwei Wochen nach Kriegsbeginn musste sich Mockus von einem zugeschaltenen evangelischen Theologen sogar maßregeln lassen. Hilfreich war dies wahrlich nicht.

Am 6. März kamen die orthodoxen Priester Litauens zur Beratung der schwierigen Situation zusammen. Allerdings fand man keine gemeinsame Position was die Bewertung von Kyrill betrifft. Sungaila und Dauparas lehnten damals schon eine weitere Erwähnung „unseres großen Herrn und Vaters“ Kyrills im Gebet des Gottesdienstes ab. Diese Position gewann aber keine Mehrheit. Schließlich gab und gibt es einige Priester, die eher auf der Linie von Moskau und des Kremls liegen und dies auch zum Ausdruck bringen. Dauparas unterließ als erster in Litauen die Nennung Kyrills, eine Art Höchststrafe in der orthodoxen Tradition. Er und Sungaila hatten dafür aber auch den Segen von Inokentijus bekommen.

Dieser wackelige Kompromiss hielt nur einige Wochen. Denn in Moskau hat man natürlich mitbekommen, dass sich Mockus, Sungaila und Dauparas öffentlich anders positionieren als der Patriarch. Gerade Sungaila und Dauparas sind sehr gut ausgebildete Männer mit breitem Horizont und klaren ethischen Prinzipien, den man nicht mal eben den Mund verbietet. Obwohl sie sich immer sehr taktvoll und ausgewogen ausdrückten, wurde ihnen nun jeder Dienst in der Kirche untersagt. Mockus wurde aller seiner Ämter enthoben; er könnte theoretisch weiter als Priester tätig sein (z.B. strafversetzt werden), was aber eher unwahrscheinlich ist.

Alles sieht danach aus, dass die Kirchenleitung in Moskau massiven Druck auf Inokentijus ausgeübt hat und nun die Daumenschrauben enger anzieht. Die Rebellen müssen gehen. Sie verhalten sich weiter ethisch einwandfrei und zeigen z.B. Verständnis für die orthodoxen Priester, die hin und her gerissen sind und denen einfach bisher der Mut fehlt, sich klar und offen zu äußern.

Die drei Priester haben sich nun an das Patriarchat von Konstantinopel gewendet mit der Bitte, sich einem anderen orthodoxen Bistum zu unterstellen. Bartholomeos ist zwar kein Papst, aber als primus inter pares steht er den anderen orthodoxen Bischöfen vor. Er liegt seit Jahren im Klinsch mit Kyrill und steht dem Anliegen Moskau-kritischer orthodoxer Kirchen wohlwollend gegenüber.

Wie nicht anders zu erwarten, geht nun die Schlammschlacht los. Den Abtrünnigen werden von ihrer Kirche Unterstellung gemacht und unlautere Motive vorgeworfen. So hätten sie die Spaltung der Kirche schon seit langem geplant. Nun droht man ihnen sogar mit dem Entzug des Priestertitels. Man kann wieder nur vermuten, dass die Vorwürfe in Moskau konstruiert wurden, denn die persönliche Beziehung der Entlassenen zu Inokentijus war immer gut. Der Metropolit erreicht in diesem Herbst das 75. Lebensjahr und geht damit in den Ruhestand. An seine Stelle wird wohl der deutlich jüngere Bischof Amvrosijus von Trakai treten, der als deutlich loyaler gegenüber Kyrill gilt.

Die litauische Kirche als ganze wird sich also wohl kaum dem Patriarchat von Konstantinopel unterstellen bzw. die Unabhängigeit erwzingen. Je nachdem, wie viele Priester und Gemeinden sich den dreien bzw. sieben Abtrünnigen anschließen werden, könnte eine zweite orthodoxe Kirche in Litauen entstehen. Beispiele gibt es in Estland oder auch der Ukraine. Denkbar ist auch eine Anbindung an die polnische Kirche.

Der Ausgang dieses Dramas – eine konkrete Kriegsfolge in Litauen – ist offen. Für die Gefeuerten sind die Folgen schon heute klar: die Einkünfte von Seiten der Kirche fallen mit einem Schlag weg. Und eine Lohnfortzahlung durch das litauische Arbeitsamt gibt es im Fall von Geistlichen nicht. Nur wer über Arbeitsvertrag bei Kirchen angestellt ist, kommt in diesen Genuss. Dies gilt aber für katholische, orthodoxe und evangelische Pfarrer nicht. Sie leben gleichsam direkt von Unterhaltszahlungen der jeweiligen Kirche, zahlen keine Lohnsteuer; der Staat übernimmt den Grundbetrag zur Sozial- und Krankenversicherung. In der Praxis bedeutet dies eine (Mini-)Grundrente im Alter, Krankenversorgung, aber eben keinerlei Zahlung bei Verlust des Jobs.

Die entlassenen Priester handeln in gewisser Weise protestantisch – wie einst Luther folgen sie ihrem Gewissen und zahlen willig den Preis dafür. Sie stehen treu zu ihrer Konfession und rufen ihre Kollegen auf, zum Erbe der Kirche und zu den Kirchenvätern zurückzukehren. In theologischer Hinsicht sind sie im europäischen Kontext konservativ. So unterzeichnete Mockus an der Seite seines Bischofs Ende Januar eine Solidaritätskundgebung der litauischen Kirchen für die lutherischen Finnen Päivi Räsänen und Bischof Juhana Pohjola, die wegen angeblicher Homophobie dort angeklagt waren. Dennoch gibt es nun natürlich auch Beifall für die Entlassenen bzw. Aussteiger aus dem linksliberalen und progressiven Lager. Nach dem Motto: Wer gegen den homophoben Kyrill ist, den umarmen wir.

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Solidarität mit den Finnen unter Anklage: Zum Abschluss der Gebetswoche für die Einheit der Christen im Januar unterzeichnen Kirchenvertreter eine gemeinsame Erklärung. Am Tisch Erzbischof Grušas, links Mockus und Inokentijus, daneben der lutherische Bischof Sabutis und Holger für die reformierte Kirche

Der Vilniuser Bürgermeister Remigijus Šimašius lud in den vergangenen Woche die drei Priester zum Gespräch – und goß gleich Öl ins Feuer. Die litauischen orthodoxen Kirchengemeinden würden dem Moskauer Patriarchat „unrechtmäßig“ angehören. Er sprach sich für eine Rückkehr des gesamten litauischen Bistums nach Konstantinopel aus. Solche eine öffentliche Bewertung steht ihm rechtlich natürlich nicht zu, ist rein populistisch und führte sogleich zu einer scharfen Antwort von Bischof Amvrosijus.

Nicht der Staat, der hier nur wenig ausrichten kann, sondern die Kirchen sind nun gefragt. Wir als reformierte Kirche haben den gut bekannten orthodoxen Brüdern schon klar Unterstützung signalisiert. Eine Woche nach dem Rausschmiss spendete die Vilniuser Gemeinde unbürokratisch eine größere Geldsumme für die arbeitslosen Priester. Sie sammeln nun Spenden für den gemeinsamen Lebensunterhalt z.B. über Contribee und verteilen dann die Mittel je nach Bedarf. „Wie in Zeiten der Apostel“, so Dauparas im Gespräch. Das reformierte Kirchengebäude in der Stadt steht ihnen offen. Die reformierte Kirchenleitung denkt über weitere konkrete Hilfen nach.

RS

Bürgermeister Šimašius empfängt die drei entlassenen orthodoxen Priester

Sicher darf man sich nichts vormachen: zwischen den großen Konfessionen – Katholiken, Orthodoxen und Evangelischen – bestehen teilweise gravierende theologische Unterschiede. Ein Blick in einer reformierte und in eine orthodoxe Kirche zeigt es sofort. In mancher Hinsicht stehen die Katholiken uns Reformierten sogar näher. Aber trotz aller unterschiedlichen Sichtweisen merkt man schnell, wo die Machtmenschen in den Kirchen und Denominationen sind, und wem es wirklich um das Evangelium geht. Uns Reformierten in Litauen wurde vor Jahren theologischer Liberalismus vorgeworfen, aber wir haben seit 2011 vier historische reformierte Bekenntnisse veröffentlicht bzw. daran mitgearbeitet und so gezeigt, was uns wirklich wichtig ist. Sungaila sorgte für die Herausgabe eines Buches in litauischer Sprache über das Evangelium aus orthodoxer Perspektive. Diese Tage ist es im Druck, und rechtlich wird es in seinem Besitz bleiben. Taten sprechen eben für sich.

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Aufnahme anlässlich einer Podcast-Aufnahme in der bernardinai.lt-Redaktion: in der ökumenischen Gruppe trägt Sungaila noch seine ‘Amtstracht’.