Kippt nun doch die Stimmung?
Am 8. Juni war es wieder soweit: an die zehntausend Demonstranten zogen mit der Regenbogenflagge durch das Zentrum der litauischen Hauptstadt. Beim ersten „Baltic Pride“-Marsch der LGBTQ-Aktivisten vor neun Jahren waren es gerade ein paar Hundert. Ganz so schrill wie bei den „Homo-Paraden“ in Westeuropa oder den USA ging es nicht zu; gewaltsame Auseinandersetzungen gab es jedoch auch nicht. Zwar hat sich die frisch gegründete „Partei der Freiheit“ des Vilniuser Bürgermeisters Remigijus Šimašius ganz den Rechten der Schwulen und Lesben verschrieben, doch teilnehmen wollte er dann lieber doch nicht. Mit von der Partie waren dafür nicht wenige Botschafter wie aus Schweden, Norwegen, den USA oder Israel.
Der bunte Marsch ist schwer zu deuten. Auf der einen Seite spüren die „progressiven“ Kräfte Aufwind. Gerade in der Hauptstadt und unter jungen, gut ausgebildeten Leuten ist das konservativ und katholisch geprägte Denken tendenziell eher auf dem Rückmarsch. Außerdem stehen die Parteien im linken und liberalen Spektrum den Anliegen der LGBTQ-Anhänger positiv gegenüber. Und geradezu dramatisch ist der Umschwung der eigentlich konservativen Partei „Heimatunion“. Der junge Parteichef Gabrielius Landsbergis positioniert die Partei neu, offen für alles Progressive. Dazu passt, dass die Präsidentschaftskandidatin der Partei im Wahlkampf klar die standesamtliche Registrierung von gleichgeschlechtlichen Paaren forderte.
Doch immer noch gilt, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Litauer, immerhin Zweidrittel, jede rechtliche Registrierung von Verbindungen homosexueller Paare ablehnt. Und der „Homo-Ehe“ stehen 72% negativ gegenüber. Dies ergab eine Umfrage vom Beginn des Jahres. Aber wie der „Baltic Pride“-Zug immer länger wird, so bröckelt die stabile Mehrheit für die traditionelle Ehe langsam, aber kontinuierlich weg. Im Herbst 2014 lehnten immerhin noch 79% die Registrierung von homosexuellen Partnerschaften und 82% die „Homo-Ehe“ ab.
Bestenfalls jeder Siebte stimmt heute der Ehe eines gleichgeschlechtlichen Paares zu, doch in der Hauptstadt und in den Medien gewinnt die „tolerante“ Position langsam Oberhand. Nach seinem Wahlsieg im Frühjahr besuchte der Bürgermeister noch in der Wahlnacht mit seiner Frau demonstrativ eine Schwulenbar. Das offizielle Vilnius arbeitet weiter an dem Image der „LGBT+ friendly city“. Das wichtige Nachrichtenportal „15min“ ist Medienpartner der LGBT-Bewegung. In sehr positivem Ton sind auch die Beiträge zum Thema des öffentlichen Senders LRT gehalten.
Vor vier Jahren meinte „ein Schwulenaktivist aus Vilnius“ im „Spiegel“, im ganzen Baltikum habe sich die Stimmung „grundlegend geändert“, sei eine „neue Toleranz“ auf dem Vormarsch (hier mehr). Auch wenn hier eher der Wunsch Vater des Gedankens war, müssen die Kirchen Litauens aufpassen, dass sie der Entwicklung nicht bloß hinterherlaufen.
Vertreter der Partei “Liberale Bewegung”, ganz links der Europaabgeordnete und frühere Parteichef Petras Auštrevičius
Mit Flagge: der Botschafter Israels in Vilnius, Amir Maimon
Rechts der Vorsitzende der Lithuanian Gay League Vladimiras Simonko
EIn Häuflein patriotischer, konservativer Katholiken vor der Kathedrale
Mit dabei – ein ordinierter Pfarrer (aus den USA?)