Mit 80 Jahren Verspätung
Zwischen den Weltkriegen war Kaunas die provisorische Hauptstadt Litauens, denn Vilnius war polnisch besetzt. Die Stadt am Zusammenfluss von Memel und Neris erlebte eine Blütezeit. Zahlreiche neue staatliche Einrichtungen mussten gegründet, Hochschulen, Banken, Ministerien und Museen gebaut werden. Am eindrücklichsten repräsentiert den damals modischen architektonischen Stil der äußerst sachlichen Moderne ein Sakralbau: Die Auferstehungskirche auf dem Grünen Hügel überragt die Stadt und ist die Dominante in der Skyline. Der Entwurf der Kirche stammt vom lettischen Architekten Karlis Reisons, der ab 1930 in Kaunas wirkte und 1932 litauischer Bürger wurde.
1940 stand der Rohbau der katholischen Kirche. Im gleichen Jahr besetzten die Sowjets das Land. Auf Geheiß Stalins wurde 1952 im Gebäude eine Radiofabrik eingerichtet. Auf dem Turm hieß es nun „Ruhm der KPdSU“. 1990, kurz vor der Unabhängigkeitserklärung Litauens, wurde das Gebäude der Kirche zurückgegeben. 2006 konnte die aufwendige Restaurierung einer der größten Kirchen im ganzen Baltikum beendet werden.
Reisons entwarf außerdem den Neubau reformierten Kirche in Kaunas, der – obwohl viel kleiner – der Auferstehungskirche sehr ähnlich sieht. 1940 war der Rohbau beendet, doch zu einer Einweihung kam es auch bei dieser Kirche nicht. In der Sowjetunion wurde das Gebäude als Lager und seit den 50er Jahren von einer Polizeischule genutzt. Im freien Litauen erhielt die reformierte Gemeinde ihre Kirche jedoch nicht zügig zurück. Erbe der Schule der sowjetischen Polizei wurde die Mykolas-Römeris-Universität in Vilnius, der das Gebäude bis heute gehört. So recht von Nutzen ist die Kirche auch der Uni nicht mehr (ein kleinerer Saal ist Fitness- und Trainingsraum), aber bei staatlichen Bildungseinrichtungen gestaltet sich die Rückgabe als äußerst kompliziert. Nun schon Jahrzehnte zieht sich das Hickhack in die Länge. Zwar kann die kleine reformierte Gemeinde dort ihre Gottesdienste abhalten, doch noch immer muss sie sich die Schlüssel beim Pförtner der Hochschulfiliale abholen. Der Staat investiert natürlich nicht mehr in den Bau, der daher in einem erbärmlichen Zustand ist.
Die Verantwortlichen in der reformierten Kirche setzten bisher alle Hebel in Bewegung, um den Prozess der Rückgabe voran zu bringen. Seit einer Weile zeigt sich auch die Uni-Leitung wohlwollend. Allerdings tauchten diverse rechtliche Hindernisse auf wie der fehlende dokumentarische Nachweis der Verstaatlichung. Nun endlich, im Herbst diesen Jahres, hat ein Gerichtsbeschluss den Weg frei gemacht, um den Schlusspunkt zu setzen. Jetzt muss nur noch der Seimas, das Parlament, seinen Segen zur Rückgabe geben, womit bald zu rechnen ist. So kommt hoffentlich 80 Jahre nach Grundsteinlegung (1938) die Kirche in die Hände der rechtmäßigen Eigentümer. Schließlich sammelten die reformierten Christen in den 30er Jahren viele Spenden für den Bau.
Dann wird ein wohl kaum weniger schwieriges Stück Arbeit vor der reformierten Gemeinde und der Gesamtkirche liegen. Denn das für eine evangelische Gemeinde Litauens große Gebäude wird aufwendig restauriert werden müssen. Schließlich ist ein halbes Jahrhundert so gut wie nichts getan worden. Das Missionarsehepaar Frank und Emily Van Dalen aus den USA ist seit Anfang des Jahres vor Ort tätig und trägt mit zur Neubelebung des Gemeindelebens bei. Die Gemeinde stand schon vor dem Aus, und nun kommen regelmäßig um die zwanzig Personen zum Gottesdienst. Einige jüngere Familien haben sich der Kirche neu angeschlossen, was Hoffnung macht. Aber selbst wenn die reformierte Gemeinde noch deutlich wächst – das Gebäude hat genug Räume für weitere Gemeinden und Aktivitäten. Günstig im Zentrum gelegen könnte die reformierte Kirche zu einem evangelischen Zentrum mutieren – die Zukunft wird zeigen, welche Vision sich wird umsetzen lassen.
[…] sah es ganz so aus, als ob die Rückgabe ganz scheitert (mehr zu der Kirche und der Baugeschichte hier). Nach vielem Hin und Her stimmte aber der Seimas, das litauische Parlament, im vergangenen Herbst […]