Niedergetrampelt

Niedergetrampelt

Um 1600 herrschte in Litauen eine Art konfessionelle Pattsituation. Abgesehen von den orthodoxen und unierten Gebieten im weiten Osten des Fürstentums standen sich in etwa gleich große kirchliche Gruppen gegenüber: rund 250 evangelische Gemeinden (davon bis auf ein Dutzend alle reformiert) und ähnlich viele Pfarreien, die Rom treu geblieben waren.

Allerdings waren die Herrscher des Großfürstentum Litauens und Polens (ab 1569 in Realunion) nicht zur Reformation übergegangen. Am meisten Sympathien zeigte noch der letzte Regent aus dem Geschlecht der Jagiellonen, Sigismund II August. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts konnten Protestanten höchste Ämter im Staat übernehmen. Doch schon unter Stephan Bathory (ab 1575) verschlechterte sich nach und nach die Lage der Evangelischen.

1569 kamen die ersten Ordensmitglieder der Gesellschaft Jesu nach Litauen; 1608 wurde eine Ordensprovinz der Jesuiten eingerichtet. Ihre Akademie in Vilnius erlangte 1579 Universitätsstatus und wurde zu einem Zentrum der Gegenreformation in Litauen. An der Universität selbst und in zahlreichen Schriften disputierten der Kopf der Reformierten Litauens, Andreas Volanus, und Jesuiten wie Piotr Skarga miteinander. Die Mission der Gesellschaft Jesu war eindeutig: Litauen vor dem Abgleiten in den Protestantismus bewahren und den wahren Glauben wiederherstellen.

Ab Mitte des 17. Jahrhunderts nahmen parallel zum Wirken des Ordens auch die rechtlichen Schritte gegen die Evangelischen an Schärfe zu. 1658 wurden die antitrinitarischen Unitarier aus ganz Polen-Litauen verbannt. 1668 folgte ein Konversionsverbot aus der katholischen Kirche heraus – wer einmal katholisch geboren war, durfte nicht mehr evangelisch werden. Die römisch-katholische Kirche wurde damit faktisch zur Staatsreligion. 1717, vor dreihundert Jahren, verlor die Oberschicht der protestantische Adeligen (die Szlachta, der niedere Adel) die letzten Privilegien, die ihre freie Religionsausübung garantierten. Die Epoche der Gleichberechtigung innerhalb des Adels zwischen Katholiken und Protestanten seit 1573/88 war damit vorbei.

Die Gegenreformation in Litauen ist aus der Sicht Roms eine Erfolgsgeschichte. Zwar wurde der evangelische Glaube nicht ganz ausgemerzt. Dutzende reformierte und lutherische Gemeinden hielten sich. Doch die Vorherrschaft Roms war sichergestellt. Im 19. Jahrhundert brachte die russische Herrschaft dann sogar eine Erleichterung für die Protestanten. Zahlenmäßig geradezu aufgeblasen wurde der Anteil der Evangelischen in den Zwischenkriegsjahren, als das lutherische Memelland zu Litauen kam. Doch heute stehen in der Bevölkerung 77% Katholiken gerade etwa 1% Evangelischen gegenüber.

Einen Eindruck von der Bedeutung der Gegenreformation in Litauen vermittelt die prächtige Kirche der Heiligen Johannes (der Täufer und der Evangelist, Šv. Jonų bažnyčia) mitten in der Hauptstadt. Die Universitätskirche wurde vom aus Schlesien stammenden Architekten Johann Christoph Glaubitz Mitte des 18. Jahrhunderts im Barockstil umgebaut (Glaubitz entwarf übrigens auch die lutherische Kirche in der Stadt). Das große Kirchenschiff wird von der Universität gerne bei feierlichen Anlässen genutzt.

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Johanneskirche mit Glockenturm als Zentrum der Universität – mitten in der Altstadt von Vilnius

Spuren der Gegenreformation muss man in der ganzen Uni jedoch suchen. In einem Nebeneingang der Johanneskirche, fast schon versteckt hinter zwei Türen, wird man fündig: In einer mannshohen Skulptur hält der Ordensgründer der Jesuiten, Ignatius von Loyola, in seiner linken Hand ein aufgeschlagenes Buch. Mit einem Fuß steht er auf der Schulter einer liegenden männlichen Figur. Diese hat ihre Hand in einem zugeschlagenen Buch, die andere umgreift eine Schlange; der Mund ist gestopft (s. Foto ganz oben).

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Eine ganz ähnliche Skulptur – sicher eine Art Vorlage – befindet sich an mehreren Orten in Rom wie z.B. in der Chiesa di Sant’ Ignazio di Loyola, der Kirche des Hl. Ignatius von Loyola. Der Autor und Blogger Tim Challies beschreibt auch sie in seiner kurzen protestantischen Tour durch Rom.

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Das Buch in der Hand des Ignatius trägt dort eine Aufschrift: „ad maiorem Dei gloriam“ (zur größeren Ehre Gottes) – das persönliche Motto des Ordensgründer. Auf der anderen Seite wird der Titel bezeichnet: die Ordenssatzung der Jesuiten. Der liegende Mann personifiziert die Häresie und den Hauptgegner des Ordens – die Protestanten. Die Schlange steht natürlich für die teuflische Verführung, das geschlossene Buch wird die Irrlehren der Reformatoren repräsentieren. Von Challies wie auch von anderen wird der Mann mit Martin Luther identifiziert. Genauere Belege dafür konnte ich bisher nicht finden, aber dies macht natürlich insofern Sinn, als „Lutheraner“ recht lange als Gattungsbegriff für alle Anhänger der protestantischen Lehre galt. Luther war in den Augen der Jesuiten der Erzhäretiker schlechthin.

In der Chiesu del Gesù, der Kirche Jesu, der Hauptkirche der Jesuiten, befindet sich eine weitere Skulptur, die der gleichen Thematik gewidmet ist und Licht auf diese Zusammenhänge wirft. In der Skulptur Pierre Le Gros der Jüngeren „Die Religion vertreibt die Ketzerei“ (oder „Der Glaube triumphiert über die Irrlehre“) stößt Maria mit einer Flamme in der einen und einem Buch in der anderen und wiederum mit dem Fuß zwei Männer in einen Abgrund. Auch hier ist wieder eine Schlange präsent. Die Männer werden mit Jan Hus, dem 1415 hingerichteten Vorreformator, und Martin Luther identifiziert.

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In dieser Skulptur sind auf den insgesamt drei Büchern (eins unter der vordern Figur, ein weiters hinter ihr) noch die Namen ihrer Autoren zu erkennen: Martin Luther, Johannes Calvin, und ein kleiner Engel links rupft Seiten aus dem Werk Zwinglis. Hier ist völlig klar: die Lehre der Reformatoren wird als teuflisch verdammt, Luther und Co. trifft das göttliche Feuer des Gerichts und der Verbannung aus dem Himmel.

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In Litauen hatte der Kampf gegen die Bücher eine sehr aktuelle Dimension. Die zahlreichen Werke des Andreas Volanus landeten komplett auf dem Index der verbotenen Bücher Roms; sie wurde im 17. Jahrhundert verbrannt und systematisch zerstört. Das gleiche gilt für das Gedenken des in vielerlei Hinsicht herausragenden Denkers in Litauen (Volanus war in erster Linie Staatsdiener und gar nicht ordinierter Geistlicher, schrieb nicht nur zu theologischen, sondern auch politischen Fragen). Seine Portraits wurden ebenfalls allesamt vernichtet, um jedes Andenken an ihn zu beseitigen. Niemand weiß daher heute, wie Volanus aussah. Was für ein Kontrast zu Luther, der wegen der zahlreichen Abbildungen einer der ersten Pop-Stars der Weltgeschichte war! Aber in Deutschland als Ganzem siegte eben die Gegenreformation nicht.

Wie die Figur der Skulptur, ob nun Luther oder nicht, wurde die Reformation in Litauen nach und nach niedergetrampelt. Recht kümmerliche Reste blieben übrig. Jedes Jahr wird dies in Šiluva vor Augen geführt. Der heute nicht große Ort, eine gute Autostunde südlich von Šiauliai gelegen, war Anfang des 17. Jahrhunderts ein reformiertes Zentrum Niederlitauens, in dem es sogar ein theologisches Seminar gab. 1608 erschien dort mehrfach – gerade recht – die Jungfrau Maria, bei einer Erscheinung angeblich sogar zwei reformierten Geistlichen. Die erste offiziell anerkannte Marienerscheinung in Europa erleichterte die katholische Rückgewinnung des Ortes. Ab dem 7. September strömen wieder Massen zur Woche des Ablasses.

Häretiker sind Evangelische in den Augen Roms nicht mehr, und heute leistet man sich selbst bei einem Ablass einen ökumenischen Gottesdienst (dieses Jahr in Šiluva am 13. September). Dabei überrascht diese Souveränität der römischen Kirche nicht: die marginalisierten Protestanten Litauen stellen keinerlei Herausforderung mehr dar.