Frauen in kirchlicher Verantwortung

Frauen in kirchlicher Verantwortung

Vor einigen Wochen erschien das wohl erste Buch in litauischer Sprache, das sich mit der Frage von Frauen in Leitungsämtern der Kirche beschäftigt. Autorin Anželika Krikštaponienė, seit über 25 Jahren Pastorin der „Wort der Wahrheit“-Gemeinde (Tiesos žodis) in Šiauliai, gibt in Moteris – ganytoja? (Die Frau als Hirtin?) einen geschichtlichen und aktuellen Überblick zur Situation von Frauen in gemeindlichen Ämtern in Litauen. Sie stellt die beiden theologischen Hauptpositionen vor und läßt natürlich auch ihre langjährige berufliche Erfahrung einfließen. Sicherlich geht es auch gleichsam im Rückblick um eine Rechtfertigung des eigenen Berufs bzw. der erlebten Berufung. Das Buch entstand aus ihrer Abschlussarbeit am EBI.

Ende des Monats wird die Neuerscheinung bei einer öffentlichen Veranstaltung in der Stadt vorgestellt werden. Bei einer Podiumsdiskussion werden methodistische Kirche, Baptistenbund, „Wort des Glaubens“-Bund und reformierte Kirche vertreten sein. Bis auf Rimas Mikalauskas, reformierter Pfarrer in Biržai, werden alle Vertreter(innen) die egalitaristische Position einnehmen bzw. sich offen dafür zeigen und sie mehr oder weniger stark verteidigen. Mikalauskas dagegen befürwortet seit einigen Jahren die komplementaristische Sicht: das Pfarramt ist Männern vorzubehalten.

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Im Buch Die Frau als Hirtin? heißt es, die reformierte Kirche Litauens tendiere nun zum Komplementarismus. Dies kann so aber sicher (noch) nicht gesagt werden. Neben Mikalauskas und dem Autor dieser Zeilen gibt es in der gesamten Leitung der Kirche wohl niemanden, der halbwegs klare und feste Überzeugungen in dieser Frage hätte und dabei zum Komplementarismus neigt. Vor etwa 90 Jahren öffnete die Kirche das Amt des Kurators, angesehene Laienälteste, für Frauen; vor knapp zehn Jahren wurde eine Frau als Pastorin ordiniert, die ihr Amt bis heute ausführt. Würde die Synode nun über die Abschaffung der Frauenordination abstimmen, würde sich gewiss eine Mehrheit für den Erhalt finden. Der Komplementarismus ist bislang wahrlich eine Minderheitenposition in der fast 460 Jahre alten Kirche.

Mikalauskas wird bei der Buchvorstellung etwas gegen den Strich bürsten, obwohl seine Kirche aus egalitaristischer Sicht zu den Vorreitern in der Gleichberechtigung von Frauen in Litauen gehört. Mehrere Baptisten werden bestimmt die egalitaristische Flagge hochhalten, obwohl es in und außerhalb des Bundes noch keine einzige baptistische Pastorin gibt (ähnliches gilt für die Freien Christen und den Pfingstbund). Dies allein zeigt schon, wie komplex diese Frage ist und wie quer hier die Fronten verlaufen.

Das neuentdeckte Diakonat

Der Aufschrei nach der Entscheidung der lutherischen Kirche Lettlands im Juni über die Abschaffung der Frauenordination zeigte einmal wieder, dass trotz aller Komplexität hier nur zu gerne schwarz-weiß gemalt wird: hier angeblich die Befürworter des Fortschritts, dort die Rückständigen; hier diejenigen, die die Rechte und die Würde von Frauen achten, dort diejenigen, die in patriarchalischen Denkmustern gefangen sind. Gewiss gibt es in dieser sensiblen Frage Grundpositionen: Entweder öffnet man alle Ämter in der Kirchen bis hinauf zum Bischof für Frauen oder eben nicht. Egalitaristen wollen das erste, und Komplementaristen ziehen irgendwo eine Linie. Meist wollen Letztere die Ämter in der Gemeindeleitung wie das des Pastoren und des Ältesten Männern vorbehalten. Doch es ist zu beachten, dass hier durchaus unterschiedliche Linien gezogen werden.

Nur zu leicht wird von Egalitaristen die komplementaristische Position verzerrt. Das wundert nicht, bringt man doch heute für diese gerade in Westeuropa kaum noch Verständnis auf. Auch Krikštaponienės Buch ist nicht frei von Einseitigkeiten. So schildert sie recht ausführlich die Rolle der Frau in der reformierten Kirche Litauens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In ihrem historischen Abriss bleibt aber ganz unerwähnt, dass die Reformierten Europas schon vor über vierhundert Jahren das weibliche Diakonat wiederentdeckt hatten. Frauen in kirchlichen Diensten mit zum Teil hoher Verantwortung gab es also in der Vergangenheit. Aber die Hochschätzung des Dienstes von Frauen ging eben nicht mit Egalitarismus einher; das Pfarramt kannte vor dem 20. Jahrhundert keine reformierte Kirche.

Grundlage des Diakonenamts ist 1 Tim 3,8–16 und natürlich Apg 6,1–6: die Einsetzung der ersten Diakone in der Urgemeinde, obwohl dort der Begriff Diakon selbst nicht fällt. Die Gemeinde ist für ihre eigenen Mitglieder sozial verantwortlich, sofern nicht Verwandte die Versorgung übernehmen können. Die einzige Qualifikation, die der Diakon im Unterschied zum Ältesten/Aufseher nicht notwendig vorweisen muss, ist die Fähigkeit zu lehren. Dazu passt, dass die Diakone in Apg 6 eingesetzt werden, damit die Apostel – und in ihrer Nachfolge Pastoren/Älteste – den „Dienst am Wort“, also Predigt und Lehre, nicht vernachlässigen. Die soziale Aufgabe der Diakone steht daher sicher im Vordergrund, was jedoch nicht ausschließt, dass sie auch weitere Aufgaben wahrnahmen (s. die evangelistische Tätigkeit von Stephanus und Philippus, Apg 6,8f und 8,4f).

Leider geriet das Amt des Diakons in der Kirchengeschichte immer mehr in Vergessenheit bzw. wurde umgedeutet. Der Diakon diente bald nicht mehr den Armen, sondern den Bischöfen und Priestern. Auch heute sind Diakone in der römisch-katholischen Kirche vor allem Assistenten der Priester. In manchen evangelischen Kirchen ist das Diakonat bloß ein Schritt auf dem Weg zum Amt des Pfarrers, hat also mit der biblischen Füllung so gut wie nichts mehr zu tun.

Thomas Schirrmacher schreibt hier: „In vielen Kirchen wurde das Diakonat zu einem reinen Durchgangsstadium auf dem Weg zum Presbyterat. Diese Entwicklung war maßgeblich schuld daran, dass Frauen keine Diakone werden konnten, weil dies praktisch bedeutet hätte, dass sie auch Älteste bzw. Pastoren bzw. Priester hätten werden können. Es macht durchaus Sinn, im Diakonenamt eine natürliche, wenn auch nicht zwingende Vorstufe für das Presbyteramt, also mit Calvin darin eine ‘Stufe zur Presbyterwürde’, zu sehen. Aber dies erfordert nicht, dass das Diakonenamt zwingend zum Presbyteramt führen muss und man sich mit Übernahme des Diakonenamtes bereits verpflichtet, das Presbyteramt in absehbarer Zeit anzustreben.“

Gerade die reformierten Kirchen haben schon früh für eine Wiederbelebung des Diakonats als Amt der Armenfürsorge gesorgt. Johannes Calvin, hier wieder von Bucer lernend, bezeichnete den Dienst an den Armen der Kirche als eine „heilige Sache“. In der Genfer Kirchenordnung (1561): „In der Alten Kirche hat es immer zwei Arten von Diakonen gegeben: Die einen waren damit beauftragt, das Armengut entgegenzunehmen, zu verteilen und zu verwalten, sowohl tägliche Almosen, als auch Besitztümer, Zinsen und Renten. Die anderen waren damit beauftragt, sich um die Kranken zu kümmern und sie zu pflegen, und die Armen zu speisen.“ Auch in der Institutio spricht Calvin von zwei Gestalten des Diakonats: „Die einen [Diakone] dienen der Kirche, indem sie die Angelegenheiten der Armen verwalten, die anderen, indem sie für die Armen selber sorgen“ (Inst. IV,3,9).

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Vorsteherinnen

Die meisten reformierten Kirchen ließen außerdem auf Grund von Stellen wie Röm 16,1, wo die Diakonin Phoebe namentlich erwähnt wird, weibliche Diakoninnen zu (s. auch 1 Tim 5,9–10). Ob unter den Frauen in 1 Tim 3,11 die Frauen von männlichen Diakonen oder Diakoninnen gemeint sind, ist umstritten. Schirrmacher und andere gehen davon aus, dass dort von Diakoninnen die Rede ist. Sein Resumee: „Frauen können durchaus verantwortliche Aufgaben übernehmen, nicht jedoch die Vaterschaft einer Gemeinde oder mehrerer Gemeinden.“

Besondern in den Niederlanden setzten sich Frauen in der Leitung von diakonischen Diensten der Kirche schon um 1600 durch (s. Bild o.: die Vorsteherinnen des St. Elisabeths-Krankenhauses in Haarlem, Gemälde von Johannes Cornelisz Verspronck). Elsie A. McKee in „Johannes Calvins Lehre vom Diakonat“ (in: Calvinismus – Die Reformierten in Deutschland und Europa) zur Neubelebung dieses Amtes in der reformierten Konfession: „Die maßgeblichen Beiträge der Lehre Calvins vom Diakonat sind das Prinzip der Kollektivverantwortung der Kirche als Körperschaft für die ‘Geringsten’ sowie das Prinzip, dass dieses Amt Teil der notwendigen Arbeit jeder geordneten christlichen Kirche ist und von einem bestimmten Amt geführt werden sollte. Jede Ortskirche müsse sich um die Bedürftigen kümmern, ausgeführt durch ein Diakonat aus Laienamtsträgern, die besonders ausgewählt und hervorgehoben werden, um die Gemeinde im diakonischen Dienst zu leiten.“

Zu Calvins Verständnis: „Die Männer verwalten das Geld, die Frauen kümmern sich persönlich um die Kranken.“ Aus heutiger Sicht klingt dies sehr einschränkend, doch damals waren Frauen in kirchlicher Verantwortung neu: „Als einzige Protestanten billigten die Calvinisten den Frauen eine Rolle in den regulären Fürsorgeämtern zu […].“

McKee weiter: „Die englischen Separatisten und die Holländer gehörten zu den wenigen, die die Praxis der weiblichen Diakone aktiv einführten. Bereits um das Jahr 1566 wurden Frauen in Amsterdam ausgewählt, die sich um Witwen und alleinstehende Frauen zu kümmern hatten. Sie wurden auf dieselbe Art und Weise wie die männlichen Diakone ausgewählt und ihre Namen ab 1583 schriftlich festgehalten, aber als Frauen nahmen sie an der Männerarbeit im Konsistorium oder bei der Verwaltung der Finanzen nicht teil.“

Nun will auch Franziskus „eine Kommission einsetzen, die überprüft, ob das Diakoninnenamt für Frauen geöffnet werden kann“, so Schirrmacher vor ein paar Monaten zu einer Initiative des Papstes. Die reformierten Kirchen waren schon vor Jahrhunderten so weit. Sie waren eben nicht in patriarchalischen Denkmustern gefangen, sondern sahen durchaus, dass Frauen viele Dienste in der Kirchen übernehmen können und sollen. Die Kirchengeschichte war nicht so frauenverachtend, wie oft gerne dargestellt. Man zog damals eine Linie, die man klar in der Bibel begründet sah: das Pfarr-, Hirten-, Lehr- und Bischofsamt (letztlich ja eines) und nur dieses allein ist Männern vorbehalten. Ich glaube nicht, dass die von Verspronck hervorragend portraitierten Damen sich in ihrer Würde verletzt sahen, im Gegenteil.