Liberale im Schockzustand
Am 12. Mai schlug in Litauen eine politische Bombe ein: Die Korruptionsjäger des STT griffen einmal wieder hart durch und nahmen mehrere Hausdurchsuchungen vor. Und das nicht bei irgendjemandem. Ausgerechnet in der Wohnung des Parteichefs der „Liberalen Bewegung“ wurde eine Viertel Million Euro in bar gefunden. Davon soll Eligijus Masiulis genau 106.000 Euro vom Vizepräsidenten des Konzerns „MG Baltic“ erhalten haben. Die Übergabe dieser Summe Geldes hat wohl ein paar Tage vor der Aktion in einem Auto stattgefunden. Noch am folgenden Tag legte Masiulis, Vorsitzender der liberalen Fraktion im Seimas, sein Parlamentsmandat nieder und trat vom Vorsitz seiner Partei zurück. Vizepräsident Kurlanskis sitzt in Untersuchungshaft; nach der Aufhebung der Immunität hat die Staatsanwaltschaft auch Anklage gegen Masiulis erhoben, der alle Vorwürfe leugnet und weiterhin auf freiem Fuß ist. Es geht um illegale „Einflussnahme“. Unklar ist, wessen Gunst sich erkauft werden sollte. (Bild o.: Masiulis stellt sich der Presse nach der Vorladung in die Generalstaatsanwaltschaft.)
Seitdem vergeht kein Tag, an dem nicht über die Hintergründe dieser heißen Geschichte spekuliert wird. Was sollte mit dem Geld in Masiulis Wohnung bezweckt werden? Kaum einer glaubt, dass sich der junge liberale Politiker (Jg. 1974), Verkehrsminister in der Regierung Kubilius (2008–12), persönlich bereichern wollte. Illegale Parteienfinanzierung? Oder sollte Stimmverhalten der Liberalen im Seimas erkauft werden? Bisher deutet wenig auf Letzteres hin. Die Führungsriege der Partei zeigt sich geschockt vom Fund der großen Summe.
Antanas Guoga übernahm gemäß Parteistatut den Vorsitz, sorgte jedoch mit konfusen Vorschlägen für noch mehr Verwirrung. Er brachte ernsthaft die Idee ins Spiel, die Spitze der Partei einem Test am Lügendetektor zu unterziehen, sprach sogar von einer Mafia in der „Liberalen Bewegung“. Guoga sitzt für die Liberalen im Europaparlament – ein Seiteneinsteiger in die Politik, der mit einer Kette von Wettbüros und dem Pokerspiel Millionen machte. Er hoffte auf die Spitzenkandidatur bei der kommenden Parlamentswahl im Herbst. Doch nun hatte er sich mit all den flotten Sprüchen verpokert: In der Partei rumorte es so stark, dass Guoga nach ein paar Tagen das Handtuch schmiss: Er trat nicht nur vom Parteivorsitz zurück, sondern auch gleich aus der Partei aus.
Nun übernahm Remigijus Šimašius das Ruder der Liberalen. Niemand zweifelt, dass er bei einem außerordentlichen Parteitag im Juni als Chef bestätigt werden wird. Der beliebte Bürgermeister der Hauptstadt ist tatsächlich der wohl einzige, der das Ansehen der „Liberalen Bewegung“ noch retten kann. Der ehemalige Justizminister Šimašius gilt als moralisch integer und macht nach eigenen Aussagen keinerlei Kompromisse mit seinem Gewissen, nimmt er doch seinen katholischen Glauben ernst. Gleich ordnete er eine unabhängige Untersuchung der eigenen Partei an. Aber kann es sein, dass Masiulis ganz auf eigene Faust gehandelt hat? Wer waren seine Mitwisser?
Da ein Untersuchungsverfahren läuft, ist von den Beschuldigten nicht Konkretes zu hören. Darius Mockus, Gründer und Leiter von „MG Baltic“, schweigt natürlich ebenfalls. Der jugendlich wirkende Mockus (Jg. 1965), Vater von vier Kindern, ist einer der prominentesten Wirtschaftsführer des Landes. Zu seinem Mischkonzern gehört ein breites Firmengeflecht, darunter der meistgesehene Fernsehkanal LNK, Bau- und Immobilienfirmen, Einzelhandelsketten wie „Apranga“; eine besonders starke Position im Land hat der Konzern außerdem in der Spirituosenherstellung („Stumbras“, „Alita“) und im Vertrieb von Alkoholika („Mineraliniai vandenys“). Sollte mit Schmiergeld eine Verschärfung des Alkoholkontrollgesetzes verhindert werden? Oder ging es um lukrative Bauaufträge?
Die „Liberale Bewegung“ rangierte im Umfragen bislang schon auf dem zweiten Rang hinter den Sozialdemokraten, konnte sogar die konservative „Heimatunion“ überflügeln. Nun sieht es gar nicht danach aus, dass die Wahlen zum Seimas im Herbst einen weiteren Triumph der Partei darstellen werden, im Gegenteil. Die politische Konkurrenz ist natürlich aus dem Häuschen. Die „Heimatunion“ unter Politikneuling Gabrielius Landsbergis spürt wieder Aufwind. Gleiches ist von der rechtspopulistischen Partei „Ordnung und Gerechtigkeit“ von Expräsident Rolandas Paksas zu sagen. Die eigenen Korruptionsgeschichten verfolgen diese schon lange. Der jüngste Skandal relativiert auch diese Schmutzflecken. Profitieren dürfte auch die „Union der Landwirte und Grünen“ unter Agro-Magnat Ramūnas Karbauskis. Die Partei profiliert sich derzeit mit einer anti-liberalen Kampagne für Abstinenz und scharfe Alkoholaufsicht.
Als „MG Baltic“-Partei bezeichnet schließlich auch Artūras Zuokas spöttisch die „Liberale Bewegung“. Der frühere Bürgermeister von Vilnius kann dabei die Schadenfreude nicht verbergen. Vor zehn Jahren trennten sich viele bekannte Liberale wie Masiulis, Steponavičius, Gentvilas, Šimašius und andere von den „Liberalzentristen“ unter der Führung von Zuokas, weil dieser in Korruptionsskandale verwickelt war (und in einem Fall auch verurteilt wurde und daher nun vorbestraft ist). Damals gaben die Gründer der „Liberalen Bewegung“ ein Versprechen der Ehrlichkeit und Sauberkeit in der Politik ab – eine Latte, die zumindest ihr Parteichef nun wohl selbst in dramatischer Weise gerissen hat. Zuokas führt nun die liberale „Freiheitsunion“ an, die vor zwei Jahren aus der Fusion der Liberalzentristen und Zuokas Partei TAIP hervorgegangen war. Der Skandal der liberalen Konkurrenz kann die Partei womoglich aus dem Umfragetief holen.
Wie auch immer das Verfahren gegen Masiulis und Kurlanskis ausgehen wird – es steht zu befürchten, dass der Liberalismus allgemein stark geschwächt aus der Geschichte hervorgehen wird. Šimašius, eine der wenigen politischen Nachwuchshoffnungen, wird wohl nur das Schlimmste verhindern können. Wahrscheinlich werden auch bei der nächsten Wahl zum Seimas wieder diverse Populisten großen Erfolg haben. Eine Neuauflage einer Mitte-rechts-Reformregierung wie unter Kubilius ist unwahrscheinlich, genauso eine große Koalition aus Sozialdemokraten und Liberalen.
Die Moral von der Geschicht? Vor vier Jahren hielt ich einige Vorträge in Zuokas Partei TAIP zum Thema Christentum und Liberalismus. Einer der Akzente: der Liberalismus ist (auch) im christlichen Glauben verwurzelt, und heutige liberale Politiker brauchen diesen Glauben, um Freiheit und Moral in angemessener Weise verbinden zu können. Ein liberaler Laizismus („Gott hat in der Politik nichts zu suchen!“) leistet der Anfälligkeit für Unmoral nur zu leicht Vorschub. Das Christentum erinnert außerdem durch seine Lehre von der Sündhaftigkeit aller Menschen an die Fehlbarkeit und Versuchbarkeit aller Politiker. Daher gilt, frei nach Tocqueville, dass der Liberale am besten gläubig ist. Und ist er es nicht, droht er seine Liberalität zu verlieren.
Vielleicht hat ja nun die Stunde der werteorientierten (und gottesfürchtigen) Liberalen geschlagen, zu denen neben dem Katholiken Šimašius auch der liberale Bürgermeister von Klaipeda gehört. Vytautas Grubliauskas ist einer der Initiatoren des Gebetsfrühstücks in der Hafenstadt, trat auch bei der Evangelisation „Festival der Hoffnung“ mit Franklin Graham vor fünf Jahren auf. Gebet braucht nun nicht nur das Land, sondern auch die eigene Partei. So Gott will, kann der derzeitige Rummel eine Erneuerung der Liberalen Bewegung einleiten.
[…] als Premier gehandelt, sitzt nun auf der Anklagebank und riß seine ganze Partei mit in die Tiefe (hier mehr). Grubliauskas verließ rechtzeitig das in seinen Augen sinkende Schiff und tritt nun mit […]
[…] Parteien bei der Parlamentswahl ab. Die „Liberale Bewegung“ wurde doch nicht durch den Korruptionsskandal im Jahr 2016 um den damaligen Vorsitzenden Eligijus Masiulis in die Tiefe gezogen. 2019 wurde […]