Danke, Amerika!

Danke, Amerika!

Zum 75. Jahrestag der Welles-Deklaration

Im Eilschritt in die Sowjetunion

„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“, so der berühmte Satz aus dem Munde des deutschen Kommunistenführers Walter Ulbricht. Er kennzeichnet treffend die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone nach dem II Weltkrieg, die schrittweise Machtübernahme der Kommunisten. 1940, ein paar Jahre zuvor, ging Moskaus im Baltikum nach einem ähnlichen Prinzip vor: rechtlich muss die Einverleibung der Länder sauber erscheinen. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 hatten die drei kleinen Staaten keine Chance, der sowjetischen Expansion zu entkommen.

Gleich nach dem Überfall Deutschlands auf Polen musste Litauen mit der Sowjetunion im Oktober 1939 ein Abkommen unterzeichnen. Der zynische Titel: „Vertrag über gegenseitige Hilfe“. Der Köder: Litauen erhielt das Gebiet von Vilnius, welches Polen seit 1921 besetzt gehalten hatte. Die Sowjetunion hatte ja auch noch am Krieg gegen Polen teilgenommen und den Osten des Landes erobert. Großzügig überließ man davon den Litauern einen kleinen, aber symbolisch äußerst wichtigen Teil. Stolz marschierten noch im Oktober litauische Einheiten in ihrer historischen Hauptstadt ein – alles Blendwerk. Im Gegenzug bedeutete die „Hilfe“ von sowjetischer Seite, dass Truppen der Roten Armee in Litauen stationiert wurden. Damit bekam Moskau den gewollten Fuß in der Tür.

Die litauische Regierung konnte noch ein gutes halbes Jahr durchatmen, da die Sowjetunion erst noch ein anderes Aggressionsziel ins Visier genommen hatte: Finnland. Der Winterkrieg 1939/40 machte Stalin gehörig zu schaffen. Im Mai begann Hitler dann den Krieg in Westeuropa, so dass man sich in seinem Windschatten endlich die schwachen Staaten an der Ostsee vornehmen konnte. Der deutsche Diktator führte seinen Blitzkrieg im Westen, und im Osten wurde Litauen in nur sieben Wochen zu einer Sowjetrepublik.

Im Mai 1940 verschlechterte sich der Ton auf diplomatischer Ebene, und schon am 14. Juni zückte Moskau den dicksten Hammer: Außenminister Molotow forderte in einem Ultimatum die Umbildung der litauischen Regierung und den Einlass von weiteren Einheiten der Roten Armee. Präsident Smetona begriff die Lage und floh gen Westen. Ein militärischer Widerstand wie in Finnland war sinnlos. Die neue am 17. Juni gebildete „Volksregierung“ wurde mit parteilosen Gegnern des autoritären Regimes von Smetona besetzt, darunter als Außenamtschef der bekannte Schriftsteller Vincas Krėvė-Mickevičius. So versuchte man den Litauern den Umsturz als Sieg der Demokratie zu verkaufen.

Währenddessen wurden Kommunisten auf allen Ebenen gefördert und die meisten anderen Parteien bald verboten. Mitte Juli fanden Wahlen zu einem „Volks-Seimas“ statt, für den eine Art Einheitsliste gebildet worden war: „Die Union des litauischen Arbeitsvolkes“. Ins neugewählte Parlament gelangten etwa zur Hälfte Kommunisten und Parteilose. Diese ‘Volksvertretung’ trat am 21. Juli zu einer ersten Sitzung zusammen; umgehend erklärte man den Staat zur „Litauischen Sozialistischen Räterepublik“ um und bat um die Aufnahme in die UdSSR. Anfang August wurde die natürlich auch gewährt, und Litauen – weitgehend parallel verlief die Entwicklung auch in Estland und Lettland – verschwand von der Landkarte als unabhängiges Land.

„Hinterhältige Prozesse“

Moskau konnte die Annexion des Baltikums so zügig durchziehen, da Hitler mit dem Krieg gegen Frankreich und England die Welt in Atem hielt. Natürlich war niemand in der Lage den Balten direkt zu Hilfe zu eilen, aber es wurden wenigstens Knüppel zwischen die Beine geworfen.

Das Außenministerium der USA erhob direkt nach den pseudodemokratischen Wahlen zum „Volks-Seimas“ seine Stimme. Am 23. Juli erließ Sumner Welles, der „Under Secretary of State“, der gerade die Amtsgeschäfte des Außenministers führte, eine einseitige Erklärung. Hinter hier stand auch der Präsident, F.D. Roosevelt, der das Vorgehen der Sowjetunion höchst kritisch sah.

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Gleich im ersten Satz ist dort wenig diplomatisch von „verschlagenen“ oder „hinterhältigen Prozessen“ im Hinblick auf die „territoriale Integrität“ der drei baltischen Länder die Rede. Eindeutig wird die „Sympathie“ mit dem (anfangs) demokratischen Weg der drei Völker bekundet. Die angestrebte „bewusste Auslöschung“ der Staaten wird kritisiert. „Räuberischer Aktivitäten“, der Gebrauch und das Androhen von Gewalt sowie militärische Interventionen werden verurteilt. Schließlich wird betont, dass die Vereinigten Staaten auch in Zukunft zu den Prinzipien von „Vernunft, Gerechtigkeit und Recht“ stehen werden.

Die Botschaft des kurzen Dokuments war also völlig klar: Die USA finden sich mit der Einverleibung der baltischen Staaten in die Sowjetunion nicht ab und anerkennen sie völkerrechtlich nicht. Dieser öffentliche Standpunkt ärgerte die Machthaber in Moskaus natürlich gewaltig. Im Verlauf des Weltkrieges kooperierten Amerikaner und Russen bald deutlich intensiver, und Roosevelt mäßigte seinen Ton erkennbar. Diplomat Welles dagegen ruderte verbal nie zurück und verteidigte eine Erklärung vielfach, sprach von einem bloßen „Geruch der Legalität“, den die Sowjets dem aggressiven Akt der Einverleibung der baltischen Staaten gaben. Übrigens wirkte er auch an der Formulierunf der „Atlantik Charta“ von 1941 mit, die eine Grundlage der späteren NATO bilden sollte.

Die Welles-Erklärung hatte in erster Linie hohen symbolischen Wert. Wenigstens ein wichtiges Land verweigerte sofort und konsequent die Anerkennung der Besetzung des Baltikums. Dies hatte aber auch einige wichtige praktische Folgen. Die litauische Botschaft in Washington konnte ihren Betrieb aufrechterhalten; bis 1990 unterhielt das freie Litauen einen eigenen, wenn auch kleinen diplomatischen Apparat. Die litauischen Goldreserven in den USA finanzierten die Arbeit in Washington und einigen anderen Ländern über Jahrzehnte. Botschafter Stasys Lozoraitis (Sen.) war von 1940 bis zum seinem Tod 1983 oberster Repräsentant des nichtsowjetischen Litauen.1101410811_400

Ein weiteres halbes Jahrhundert lang hielten die USA an dieser Position fest: die Einverleibung des Baltikums war und ist illegal. Für die nicht wenigen Litauer im Exil wie auch den späteren Präsidenten Valdas Adamkus war dies eine ungeheure Ermutigung. Vor genau 22 Jahren, am 26. Juli 1983, bekräftigte Präsident Reagan noch einmal öffentlich den Inhalt des Welles-Erklärung.

All dies erklärt das bis heute hohe Ansehen der USA im Baltikum. Als George Bush Jun. am 22. November 2002 in Vilnius sprach, wies er natürlich auch etwas stolz darauf hin, dass „zwar viele gezweifelt haben, ob die Freiheit je in dies Land kommen würde. Aber die Vereinigten Staaten haben immer ein unabhängiges Litauen anerkannt“.

Zum 70. Jahrestag der Erklärung wurde auf dem Washington-Platz in Vilnius, unweit des Außenministeriums, eine kleine Gedenktafel eingeweiht. Sie trägt den Text des Dokuments aus dem Jahr 1940 in englischer und litauischer Sprache (s. Bild ganz oben).  Am 23. Juli diesen Jahres, 75 Jahre nach Erscheinen der Erklärungen, sprachen auf dem Platz wieder die Spitzen der Politik und sagten alle ihr „Danke, Amerika!“: Außenminister, Parlamentspräsidentin, der Vilniuser Bürgermeister, natürlich Vytaustas Landbergis, das erste Staatsoberhaupt des unabhängigen Litauens 1990, und die heutige Staatspräsidentin. Dalia Grybauskaitė schlug wie so oft eine Brücke in die Gegenwart und spielte an die Besetzung der Krim an: „Die prinzipielle Position der USA, die Annexion der baltischen Staaten durch Zwang nicht anzuerkennen, wurde zu einer Nachricht für die ganze Welt, dass ein Recht nicht durch Gewalt erworben werden kann. Leider sehen wir heute, dass derselbe Nachbar Gewalt benutzt, um ein Recht auf ein Territorium einer anderen Nationen zu erwerben…“

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Grybauskaitė und Landsbergis am 23. Juli (Foto: president.lt)