Die Katechismus-Revolution

Die Katechismus-Revolution

1529 erschienen Martin Luthers Katechismen, die der Reformator immer unter seine wichtigsten Werke einreihte, denn sie beinhalten christliches Elementarwissen – Wissen, das damals vielen fehlte. Im Vorwort zum Kleinen Katechismus nennt Luther es eine „klägliche, elende Not“, dass „der einfache Mann doch von der christlichen Lehre so gar nichts weiß“. Er appelliert an die Pfarrer, sie sollen ihr Amt „von Herzen annehmen“ und sich der Menschen „erbarmen“ und helfen, „den Katechismus in die Menschen, besonders in das junge Volk zu bringen“. Wer sich diesem Unterricht verweigert, dem solle man sagen, dass sie so „Christus verleugnen und keine Christen sind“. Drastische Worte Luthers, der wie so oft kein Blatt vor den Mund nahm. Man beachte dabei, dass der große Theologe dabei jeden Christ im Blick hatte. Alle müssen sich immer wieder an diese Glaubensgrundlagen erinnern – auch er selbst: „Ich muß ein Kind und Schüler des Katechismus bleiben und bleibe es auch gerne.“

An Luther knüpfte James I. Packer bei einer Konferenz evangelikaler Anglikaner in den USA im Sommer des Jahres an. Der aus England stammende Theologe (seit einigen Jahren kanadischer Bürger) rief in seinem Vortrag zu einer „Katechismus-Revolution“ auf (s. Bild o.). Er fordert eine regelmäßige Katechese aller Altersgruppen als zentrales Element der kirchlichen Arbeit – absolut notwendig für ein gesundes Leben der Gemeinde.

Packer betont, dass das Zu-Jüngern-Machen des Missionsbefehls (Mt 28,19) vor allem auch das Lehren beinhaltet. Die Bibel selbst hämmert uns dies wie mit einem Trommelschlag ein. Er bezieht sich u.a. auf 2 Tim 1,13–14, wo von „heilsamen Worten“ und einem „kostbaren Gut“ die Rede ist; in 2,1 heißt es, dass die Lehrinhalte des Glaubens „treuen Menschen“ anbefohlen werden sollen, „die tüchtig sind, auch andere zu lehren“. Ein systematisches Lernen der christlichen Wahrheiten muss stattfinden. Bibelstudium hängt damit natürlich eng zusammen und steht in keinerlei Konkurrenz dazu. Zu regelmäßigen Bibelstunden müssen jedoch auch katechetische Einheiten treten.

„Studiert den Katechismus mit Leidenschaft und Ausdauer!“

Packer ist der letzte noch aktive große Evangelikale des 20. Jahrhunderts (bekannt auch durch seinen Bestseller Gott erkennen), der nun auf die 90 zusteuert. Gegen Ende seines Lebens erinnert er seine anglikanische Kirche und die evangelikale Bewegung noch einmal an die Grundlagen, die vor allem auch durch Katechese gelegt werden: Sie verankert die Evangelisation und das geistliche Leben in Wahrheiten; sie schafft Einheit der Glaubenden, denn, so Packer, die Katechismuslehre ist ein „Zement, der zusammenhält“. Als Calvinist zitiert er natürlich auch den Genfer Reformator: „Die Kirche Gottes kann sich nie halten ohne Katechismus; denn dieser ist gleichsam der Same, der verhindert, daß die gute Saat abstirbt…“ (Calvin 1548 in einem Brief an den Herzog von Sommerset).

Packer weist darauf hin, dass auch katholische Kirche die Wichtigkeit der Katechismen erkannt hat – schließlich erodiert christliches Grundwissen ganz allgemein. So schrieb Papst Benedikt XVI in seinem Vorwort zum Jugendkatechismus YOUCAT: „So lade ich Euch ein: Studiert den Katechismus! Das ist mein Herzenswunsch. Dieser Katechismus redet Euch nicht nach dem Mund. Er macht es Euch nicht leicht. Er fordert nämlich ein neues Leben von Euch… Studiert den Katechismus mit Leidenschaft und Ausdauer! Opfert Lebenszeit dafür!.. Ihr müßt wissen, was Ihr glaubt. Ihr müßt Euren Glauben so präzise kennen wie ein IT-Spezialist das Betriebssystem eines Computers. Ihr müßt ihn verstehen wie ein guter Musiker sein Stück. Ja, Ihr müßt im Glauben noch viel tiefer verwurzelt sein als die Generation Eurer Eltern, um den Herausforderungen und Versuchungen dieser Zeit mit Kraft und Entschiedenheit entgegentreten zu können.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Beschämt müssen Protestanten eingestehen: wir, die wir in der Reformationsepoche großartige Katechismen geschaffen haben, hängen zurück. Dabei ist gerade in Litauen die Katechese von Erwachsenen das Gebot der Stunde. Die Kommunisten hatten – strategisch geschickt – praktisch jede Katechese untersagt. Anfang der 90er wurden dann viele wieder in die lutherische und reformierte Kirchen aufgenommen – ohne dass es anschließend zu einer gründlichen Unterweisung kam. Sehr viele Mitglieder dieser Kirchen sind zwar formell konfirmiert, haben jedoch große Defizite im Hinblick auf die Grundfragen des christlichen Glaubens. Hier herrscht wirklich sehr viel Nachholbedarf!

New-City-Catechism

Ein Katechismus für das 21. Jahrhundert

Packer schrieb den Evangelikalen so Einiges ins Stammbuch, wirkte aber auch konstruktiv, gehörte z.B. zu den Mitverfassern eines neuen anglikanischen Katechismus („To Be A Christian“). In Litauen ist nun der Heidelberger Katechismus in einer guten Neuausgabe verfügbar. Und nun liegt auch der „New City Catechism“ (NCC) in einer litauischen Übersetzung vor (Naujasis miesto katekizmas). Dieser knüpft an den historischen reformierten Katechismen an und kleidet deren Inhalte in modernere Sprache.

Entstanden ist der NCC in der Redeemer Presbyterian Church von Timothy Keller in New York; beteiligt waren auch die Leiter der „Gospel Coalition“, zu der neben Presbyterianern (also Reformierten) vor allem Baptisten gehören. Keller –inzwischen durch seine Veröffentlichungen auch in Deutschland bekannt – beklagt wie Packer in seiner Einleitung, dass die Erwachsenenkatechese weitgehend in Ungnade gefallen ist; er zitiert aus Packers Buch (mit Gary Parrett) Grounded in the Gospel: Building Believers the Old-Fashioned Way. Heute Jüngerschaftskurse behandeln alles Mögliche; er sieht aber in den historischen Katechismen eine „perfekte Balance von biblischer Theologie, praktischer Ethik und spiritueller Erfahrung“.

Kern des NCC bilden 52 Fragen und Antworten im klassischen Stil der Katechismen. Die ersten zwanzig bilden den Teil 1 („Gott, Schöpfung und Fall, Gesetz“), die folgenden 15 im Teil 2 behandeln „Christus, Erlösung und Gnade“, im Teil 3 (17 Fragen) geht es „Geist, Erneuerung, Wachstum in der Gnade“.

NCC innen

Den NCC zeichnet aus, dass er neben passenden Bibelstellen (wie auch in den klassischen Katechismen) Gebete sowie Zitate aus historischen theologischen Texten und außerdem kurze Erläuterungen jeder Frage durch ein Mitglied der „Gospel Coalition“ in einem Video stellt. Es ist ein Katechismus, der wohl erstmals bewusst für PC, Tablet und Smartphone entworfen wurde (und auch als App zu beziehen ist).

Schon bald nach dem Erscheinen des NCC im Oktober 2012 wies Holger EBI-Studenten und die reformierten Geschwister auf dieses neue Hilfsmittel hin. Und auch die Leiter der evangelisch-charismatischen Wort-des-Glaubens-Kirche zeigten Interesse. Beide Kirchen vereinbarten eine Übersetzung des NCC, um die Zusammenarbeit konkret werden zu lassen und eine stabilere gemeinsame Lehrgrundlage zu erhalten. WdG-Mitarbeiter Valdas Bačkulis übersetzte die 52 Fragen und Antworten; Holger korrigierte im Vergleich mit den historischen Katechismen und fügte Parallelstellen zu den Bekenntnissen der Reformationszeit hinzu (um den Reformierten die Akzeptanz eines solchen modernen Dokuments zu erleichtern und um die nichttraditionellen charismatischen Christen mit dem Reformationserbe vertraut zu machen). Anfang Dezember erschien der litauische NCC als pdf-Datei (die 52 Fragen und Antworten, nicht die historischen Texte und auch keine Videos; miesto_katekizmas). Beide Kirchenleitungen werden ihn wohl im kommenden Jahr offiziell ‘absegnen’; auch eine gemeinsame Druckversion ist geplant. Auf Deutsch liegt der NCC, soweit uns bekannt, nicht vor.

Ob nun lutherische oder reformierte Katechismen, ob nun alte oder moderne Texte und Kurse, mit welchem Werkzeug auch immer – Aufgabe der Kirche ist es, das persönliches Wachstum des Einzelnen im Glauben zu fördern. Und ob man nun den Begriff Katechese gebraucht oder nicht (in der IFES ist span. formacion beliebt) – Ziel ist, „alles [Kirchen-]Volk zu lehren, damit es von der Predigt Nutzen hat und es auch unterscheiden kann, wenn irgendein eingebildeter Mensch eine fremdartige Lehre vorbrächte“, so Calvin. Eigene Urteilsfähigkeit, das mündige Denken des Christen, Überzeugtsein von Wahrheiten – all dies in unserer Zeit nötiger denn je. Und im heutigen postmodernen Kuddelmuddel kommt dies wahrlich einer Revolution gleich.