Von gerechten Kriegen und falschen Friedensengeln

Von gerechten Kriegen und falschen Friedensengeln

„Es kann keinen gerechten Krieg geben, nur gerechten Frieden“, meinte Margot Käßmann am vorletzten Sonntag in einem Interview. Heute wird die sicher bekannteste Pastorin Deutschlands beim Christustag in Stuttgart, einem evangelikalen Großtreffen, sprechen. Muss ein Christ, der sich der Autorität der Bibel unterstellt, gegen jeden Militäreinsatz und sich gegen jede Vorstellung eines „gerechten Krieges“ aussprechen? Ist Pazifismus allgemeine Christenpflicht? – Ein theologischer Abriss, der mit der aktuellen Debatte um Gaucks und Käßmanns Äußerungen schließt. (Bild o.: Szene aus dem Film “D-Day: Normandy 1944″)

Krieg sollte nicht sein, denn er ist an sich nichts Gutes. In Kriegen werden Menschen getötet, was gerechtfertigt sein mag, doch es ist immer mit großem Leid verbunden. Dennoch stürzen sich Regierungen und Völker, geblendet von Nationalstolz und Überheblichkeit, nur zu oft in Kriege, die hätten vermieden werden können.

So taumelte Europa vor einhundert Jahren aus nichtigem Anlass in eine Katastrophe. Der I Weltkrieg veränderte die Welt, brachte Kommunismus und Faschismus nach oben – und hinterließ 15 Millionen Tote. Allein von August bis Oktober 1914 verlor Frankreich 230.000 Männer; an einem einzigen Tag, am 22. August des Jahres, ließen sogar 27.000 Franzosen ihr Leben. In den ersten fünf Monaten zählte man auf allen Seiten schon eine Million Gefallene. Diese Statistik des Schreckens ließe sich fortsetzen.

„Ohne Grausamkeit kein Fest“

„Zerstreue die Völker, die gerne Krieg führen!“ – so ruft man mit David in Ps 68,31. Denn zu allen Zeiten gab und gibt es die Freunde des Krieges. Von Heraklit (um 500 v. Chr.) stammt der berühmte Satz „der Krieg ist der Vater und der König aller Dinge“. Militaristen schwärmen vom Schlachtenlärm, denn darin „entfalten sich die edelsten Tugenden“ des Menschen. Friedrich Nietzsche lobte in Zur Genealogie der Moral „Krieg, Abenteuer, Jagd, Tanz, Kampfspiele“. Geistliche seien dagegen die „bösesten Feinde“ des Krieges. Von Zeit zu Zeit muss und darf sich die gewaltsame Natur des Menschen „entladen“, „das Tier muss wieder heraus, muss wieder in die Wildnis zurück“. Nietzsche polemisierte gegen den „zahmen Menschen“, den „Heillos-Mittelmäßigen“. Er zitiert zustimmend den Spruch „Leiden-sehn tut wohl, Leiden-machen noch wohler“. Dies sei zwar „ein harter Satz“, doch „ein alter, mächtiger, menschlich-allzumenschlicher Hauptsatz“, denn „ohne Grausamkeit kein Fest“.

Auch bei Adolf  Hitler ging die Saat solcher Gedanken auf. Er nannte seine Programmschrift nicht zufällig Mein Kampf, denn Kampf und Krieg erhob er darin zum Ideal: „Im ewigen Kampf ist die Menschheit groß geworden, im ewigen Frieden geht sie zugrunde.“ Historiker Ernst Nolte:

„Krieg ist [für die Nazis] höchster Akt und eigentlicher Vollzug der Souveränität [des Staates]… Hitler nennt den Krieg ‘die stärkste und klassischste Ausprägung des Lebens’… Bejahung des Krieges war für Hitler von früh an eine Selbstverständlichkeit… Mitten im Krieg stellt er die Maxime auf, daß ein Friede, der länger als 25 Jahre andauere, schädlich sei für eine Nation. Die Aussicht auf einen ständigen Kriegszustand an der Ostgrenze erfüllt ihn mit Befriedigung: er werde dazu beitragen, eine feste Rasse zu bilden und Deutschland hindern, in die europäische Verweichlichung zurückzusinken… Der Begriff der ‘Weltherrschaft’ in Hitlers Sinne darf daher keinesfalls als eine permanente Friedensordnung, sondern nur als ständiger Kriegszustand mit gesichertem Übergewicht Deutschlands verstanden werden.“ (Der Faschismus in seiner Epoche)

Doch es waren und sind nicht nur die Rechtsextremen und Ultranationalisten, die den Krieg verherrlichen. Auf Seiten der Linken wird bis heute Ernesto „Che“ Guevara verehrt. Der Argentinier, der mit Fidel Castro Kuba vom Batista-Regime befreite, starb 1967 in Bolivien den kommunistischen Märtyrertod starb.  Castro nannte ihn den „neuen Menschen“; für Sartre war Che einer der „vollkommensten Menschen aller Zeiten“, der „das Opfer des Christus unserer Zeit“ darbrachte. Che war zwar kein amoralisches Monster wie Hitler und Stalin, er hatte seine hellen Seiten. Doch der Mythos verdeckt die tiefen Schatten.

In Bolivien führte der Revolutionär eine Guerillatruppe an, doch das arme Land in Südamerika war nicht mehr als das Opferlamm auf dem Altar der Revolution in ganz Amerika: „Wir müssen [Latein-]Amerika zu einem zweiten Vietnam machen, mit dem Zentrum Bolivien“. Hauptziel von Castro und Guevara war es, die USA zu einem Eingreifen in Bolivien zu provozieren. Man betrachte nur diese Hymne des Hasses und der Kriegslust: „Wie nahe wäre eine leuchtende Zukunft, wenn zwei, drei, viele Vietnams weltweit entstünden, mit ihrem Ausmaß an Tod und ungeheurer Tragödie, mit ihrem täglichen Heldentum, mit ihren ständig neuen Schlägen gegen den Imperialismus, und sie [die USA] zwängen, ihre Kräfte unter dem Ansturm des wachsenden Hasses aller Völker der Erde zu zerstreuen“. 1965 schrieb Che an die Eltern: „Ich glaube an den bewaffneten Kampf als die einzige Lösung für Völker, die sich befreien wollen“. In einem seiner letzten Texte vom Frühjahr 1967 sprach er vom „Hass als Waffe“: „unversöhnlichen Hass auf den Feind, der das menschliche Wesen dazu befähigt, über seine natürlichen Grenzen hinauszuwachsen und zu einer wirkungsvollen, entschlossenen, gezielten und eiskalten Tötungsmaschine zu werden“.

Nietzsche, der Verächter der biblischen Religionen, und Guevara, der Atheist, haben durchaus erkannt, dass das Ideal des Christentums der Frieden ist – nicht Krieg und Gewalt.

Der Gott der Bibel nennt sich zwar auch „der Gott des Heeres Israels“ (1 Sam 17,45), Anführer der himmlischen Armee (Jos 5,14), doch er ist kein Kriegsgott wie Mars. Er verabscheut mörderischen Blutrausch (s. Gen 4,23–24; 6,11.13; 10,8–11; Gen 34+49,5–7; Hos 1,4+2; 2 Kön 10,1–14; Jon 3,8). Gott selbst ist ein Gott des Friedens (Ri 6,24; 1 Kor 14,33), der seinen Schalom in der sündigen Welt wiederherstellt. Das ist das große Thema der Bibel von Anfang bis zum Ende. So ist Blutvergießen auch im AT mit seinen nicht wenigen Kriegen nie das Ideal. Und deshalb durfte David wegen des vielen Blutes an seinen Händen nicht den Tempel bauen (1 Chr 28,3).

„Der Pazifismus leugnet letztlich das Böse im Menschen…“

Die Menschen sind und bleiben jedoch Sünder; die Neigung zu Unfrieden, Gewalt und Hass ist Kennzeichen des bösen Herzens. Kriege werden daher bis zur Wiederkunft Christi zur Wirklichkeit dieser gefallenen Welt gehören (Mt 24,6). Augustinus betonte in seinem De civitate Dei (Der Gottesstaat, ab XX,5–9), dass dauerhafter Friede auf Erden, auf welcher Ebene auch immer, unauffindbar ist. Der Kirchenvater gesteht ein, dass das römische Reich lange Zeit durchaus als „Friedensgemeinschaft“ gelten konnte, „aber durch wie viele und schreckliche Kriege, durch welche Menschenschlächterei, welches Blutvergießen ward es erreicht!“ Kriege sind ein „großes, schauerliches, verheerendes Übel“, weshalb „der Weise nur gerechte Kriege führt“. Dazu zwingt ihn „die Ungerechtigkeit der gegnerischen Seite“. Ein zeitweiser Frieden kann durch solches Eingreifen erreicht werden, der „vollkommene und unangefochtene Friede“, Friede von „ewiger Dauer“ ist auf Erden nicht zu erreichen – „Frieden im ewigen Leben oder ewiges Leben in Frieden“ so seine Formel (XIX,10–11).

Nicht wenige Abschnitte sowohl im Alten (Ps 72; Jes 65; Hes 34, 20–31; Mi 4, 4; Am 9, 11–15; Sach 14, 9–21), als auch im Neuen Testament (Mt 24–25; 1 u. 2 Thess; Off 20) bekräftigen, dass vollkommener Frieden erst in der Zukunft zu erwarten ist. Radikale Pazifisten hingegen halten es dagegen für möglich, dass Kriege schon jetzt ganz von der Welt verschwinden. Dahinter steht ein optimistisches Menschenbild, das den Ernst der Sünde verharmlost. So schrieb der bekannte deutsche Journalist Franz Alt in seinen Bestsellern  Frieden ist möglich – Die Politik der Bergpredigt (1983) und Liebe ist möglich – Die Bergpredigt im Atomzeitalter (1985): „In jedem Menschen steckt ein innerer [guter] Kern, brennt eine Flamme der Liebe, leuchtet ein ewiges Licht, wacht ein verborgenes Gewissen, herrscht die göttliche Idee.“ Den göttlichen Kern der Seele gilt es zu erkennen; der Mensch, jeder Mensch, kann sich selbst aus dem Sumpf herausziehen, und daher sieht Alt eine reale „Chance zur Veränderung der Welt“.

Natürlich ist der Mensch lernfähig (s.u.), doch die Wurzel des Bösen liegt in unserem Inneren (Jak 4,1–2!). Thomas Schirrmacher: „Der Pazifismus leugnet letztlich das Böse im Menschen und setzt anstelle des radikalen Sündenverständnisses der Bibel…. eine optimistische Sicht des machbaren Friedens, wenn man nur vernünftig mit den Menschen spricht. Mit Leo Tolstoi glauben sie letztlich an Frieden durch die Selbsterlösung des Menschen“. (Ethik, III)

Weil wir in einer gefallenen Welt leben, sind auch Christen nicht zur völligen Gewaltlosigkeit verpflichtet. Es gibt kein absolutes Verbot des Tötens. Selbstverteidigung und Schutz von nahestehenden Menschen, für die man verantwortlich ist, ist erlaubt: „streitet für eure Brüder, Söhne, Töchter, Frauen und Häuser!“ (Neh 4,8; s. auch Ex 22,1-2; Mt 26,51-52; Lk 22,36; Apg 22,25-29; 23,23). Untersagt ist willkürliches Töten; erlaubt ist damit auch Schutz vor willkürlicher Gewalt. Bonhoeffers gute Zusammenfassung:

„Das erste Recht des natürlichen Lebens besteht in der Bewahrung des leiblichen Lebens vor willkürlicher Tötung. Von willkürlicher Tötung muß dort gesprochen werden, wo unschuldiges Leben vorsätzlich getötet wird. Unschuldig in diesem Zusammenhang aber ist jedes Leben, das nicht einen bewußten Angriff auf anderes Leben unternimmt und das keiner todeswürdigen verbrecherischen Tat überführt werden kann. Willkürlich ist demnach nicht die Tötung des Feindes im Krieg. Denn wenn dieser auch nicht persönlich schuldig ist, so nimmt er doch bewußt teil an dem Angriff seines Volkes auf das Leben meinen Volkes und muß daher die Folgen des Gesamtschuld mittragen. Willkürlich ist selbstverständlich nicht die Tötung des Verbrechers, der fremdes Leben antastete. Willkürlich ist auch nicht die Tötung von Zivilpersonen im Krieg, sofern sie nicht direkt beabsichtigt, sondern nur unglückliche Folge einer militärisch notwendigen Maßnahme ist. Willkürlich aber wäre die Tötung wehrloser Gefangener oder Verwundeter… Willkürlich ist die Tötung eines unschuldigen Menschen aus Leidenschaft oder um irgendeines Vorteils willen. Willkürlich ist jede bewußte Tötung unschuldigen Lebens.“ (Ethik)

Wiederherstellung der Gerechtigkeit

Einen Wert an sich hat nur der Friede. Doch wie Bonhoeffer in Schöpfung und Fall betont, ist der Friede kein „absolutes Ideal“: „Der Friede hat seine Grenze an der Wahrheit und am Recht. Dort, wo Wahrheit und Recht vergewaltigt sind, kann kein Friede bestehen“. Um den Frieden in Recht und Gerechtigkeit zu verteidigen oder zu erhalten, darf unter Umständen militärische Gewalt eingesetzt werden. Krieg dient der Wiederherstellung der Gerechtigkeit; Ziel ist Friede in Gerechtigkeit (Jes 32,17). Krieg darf also nur um des Friedens willen geführt werden. Krieg ist, wie gesagt, nie ein Wert an sich; er ist Instrument, um Gerechtigkeit wiederherzustellen. Mit Karl Barth ist daher zu fordern: „Der Krieg darf nicht als ein normales, ständiges, ein gewissermaßen wesensnotwendiges Element… der staatlichen Ordnung ausgemacht werden“ (KD, III/4).

Umgekehrt gilt damit aber auch: „Wo keine Gerechtigkeit ist, kann auch keine Gerechtigkeit verteidigt werden“, so Georg Huntemann (Biblisches Ethos im Zeitalter der Moralrevolution). Er nennt das Beispiel Jeremias, der sein Volk zur Kapitulation gegenüber Babylon aufruft (Jer 26–27) – „eine Proklamation des Pazifismus um der Buße willen“, so Huntemann. In der damaligen Situation war „einzig der Pazifismus möglich: auf Verteidigung verzichten, weil kein Recht zu verteidigen ist. Sich unterwerfen, weil die Züchtigung Gottes angenommen wird.“ Ein modernes Beispiel wäre das „Dritte Reich“: kein Deutscher war moralisch verpflichtet, das Unrechtsregime der Nazis zu verteidigen.

Kriege sind dazu da, um Recht und Gerechtigkeit zu schützen. Hier ist noch die Freiheit zu ergänzen, denn ohne sie gibt es keine Rechtstaatlichkeit. Freiheit braucht den Schutz der Macht und mitunter auch den der militärischen Gewalt. Walter Künneth sieht bei den Pazifisten eine „auffallende Geringschätzung der Freiheit“ und bemerkt: „Die pazifistische Ideologie ist für alle Völker, welche der Freiheit beraubt sind, kein Hilfe.“ (Der Christ als Staatsbürger)  Er zitiert W. Ross: „Die Geschichte der Freiheit… begann… mit militärischen Leistungen“. Recht, Freiheit und Macht bilden daher eine Einheit, gehören unbedingt zusammen. Recht ohne Macht ist ohnmächtig; und Rechtlosigkeit, das Ausgeliefertsein der nackten Macht und Willkür, ist die grausamste Weise der Unterdrückung. Und noch einmal der im Februar verstorbene Georg Huntemann hier: “Unsere Gegenwart zeigt, dass man auf diesem Raumschiff Erde ohne das Zueinander von Macht und Recht nicht überleben kann. Friede in einer kommenden Welt, nach der Wiederkunft des Welterlösers, wird die Umwandlung der Schwerter in Pflugscharen bringen. Aber solange wir in dieser Wirklichkeit leben, wird Friede ohne Macht und Recht nicht zu haben sein.”

C.S. Lewis kämpfte in den Schützengräben des I Weltkriegs, erlebte also die Grausamkeiten der Schlachten am eigenen Leibe. Aber er wusste, dass es noch Schlimmeres gibt: die Versklavung und Unterjochung von ganzen Völkern. Zu Beginn des II Weltkriegs schrieb der große Apologet des Christentums: „Natürlich ist Krieg etwas sehr Schlimmes. Aber das ist gar nicht die eigentliche Frage. Die Frage lautet, ob Krieg das schlimmste Übel auf der Welt ist, so dass ihm jeder andere Zustand, den eine Unterwerfung zur Folge haben könnte, auf jeden Fall vorzuziehen wäre.“ („Why I am Not a Pacifist“)

„Wer Krieg anfängt, der ist im Unrecht…“

Diese Überzeugungen führen zu dem Grundsatz, dass Krieg im Grunde nur zur Verteidigung geführt werden darf, keinesfalls, um neue Gebiete zu erobern. So ist der erste Krieg, der uns  in der Bibel in Gen 14 begegnet, von Seiten Kedor-Laomers ein Eroberungskrieg. Abraham dagegen reagiert defensiv, befreit seinen Neffen Lot (Gen 14,13f). Helmut Burkhardt fasst zusammen:

„In der Geschichte Israels ist es dann typisch für dieses Volk, dass es – anders als die großen Mächte der Zeit wie Assyrien, Babel oder Ägypten – keine eigentlichen Eroberungskriege geführt hat, die bloßer Machtausdehnung gedient hätten. Bei den Kriegshandlungen im Zusammenhang der Landnahme Israels handelte es sich um Maßnahmen der Existenzsicherung… Auch die späteren Kriege Israels waren alle Verteidigungskriege: das gilt von den Kriegen der Richterzeit bis zu den Kriegen Sauls und selbst Davids. Die Kriege Davids brachten zwar zugleich auch eine Erweiterung der Macht, waren in ihrer Intention aber nur defensive Präventivkriege: Antwort auf jahrhundertelange Bedrohung durch die aggressiven Nachbarn und vorbeugende Maßnahmen gegen neue Angriffe“ (Ethik II/1)

Verteidigungskriege sind rechtmäßig, so auch die Reformatoren. Luther unterscheidet in Ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können (1526) zwischen Kriegen, „die aus Lust und Mutwillen angefangen werden“, und solchen, „die aus Not und Zwang einem aufgedrängt werden“. „Der erste im vom Teufel… der andere ist ein menschlicher Übelstand, dem möge Gott helfen.“ Krieg ist zu meiden, „es sei denn, dass ihr euch wehren und schützen müßt“. Luther weiter: „Wer Krieg anfängt, der ist im Unrecht… Denn weltliche Obrigkeit ist von Gott nicht dazu eingesetzt, dass sie Frieden brechen und Kriege anfangen soll, sondern dazu, dass sie den Frieden bewirke und den Kriegführenden wehre…“

Auch Calvin stellt in Inst. IV,20,11–12 dar, dass Verteidigungskriege „rechtmäßig“ sind. Denn die Obrigkeit trägt das Schwert nicht nur, um Einzelne zu bestrafen, sondern auch, um ihr Territorium „im Wege des Krieges zu verteidigen, wenn sie feindselig angetastet werden.“

Die „Hüter und Wahrer der Gesetze“ müssen sich gegen diejenigen verteidigen, die „die Ordnung der Gesetze zerstören“ wollen. Sie können nicht zulassen, „dass das ganze Land ungestraft durch Räubereien in Not gebracht und verwüstet wird“. Wenn Böse „ruchlos mit Mord und Gemetzel wüten“, Christen dann aber „doch das Schwert in der Scheide stecken lassen und ihre Hände vom Blut rein halten“, dann „machen sie sich der äußersten Unfrömmigkeit schuldig“ (IV,20,10), so der Genfer Reformator warnend. Aber nicht weniger  streng ermahnt er die Herrschenden zur Besonnenheit: „Alle Obrigkeiten aber müssen sich mit höchstem Fleiß davor hüten, auch nur im allermindesten ihren Begierden zu gehorchen“. Sie dürfen sich keinesfalls „von jähem Zorn treiben, von Haß hinreißen lassen, dürfen nicht in unversöhnlicher Härte glühen“. In der Abwehr eines Feindes „sollen sie nicht eine geringfügige Sache zum Anlaß nehmen“, um zu den Waffen zu greifen; nur „in äußerster Not“ darf gehandelt werden. Sie müssen „zuvor alles versuchen“, einen Konflikt friedlich beizulegen, ehe sie „die Entscheidung mit den Waffen herbeiführen“.

Wer als erster zu den Waffen greift, so Luther, ist im Unrecht. Es gilt jedoch zu beachten, dass dies die Grundregel ist, die in den meisten, aber nicht allen Fällen gilt. Im Einzelfall kann auch ein Präventivkrieg gerechtfertigt sein; und unter Umständen darf ein Staat angegriffen werden, wenn er z.B. seine Bürger im Inneren massiv misshandelt und umbringt, aber nach Außen niemanden angreift. So war der Angriff auf Kambodscha durch Vietnam 1977 sicher grundsätzlich gerechtfertigt, denn das Pol-Pot-Regime hatte zuvor schon Millionen eigene Bürger ermordet. Auch die Bombardierung Serbiens durch die Nato 1999 war nötig, um das Töten der Kosovaren zu stoppen. Bekanntes Beispiel eines Präventivkriegs, um einem unmittelbar bevorstehenden Angriff zuvorzukommen, war der Sechs-Tage-Krieg 1967: Israel begann ihn mit Luftschlägen, weil dies die einzige Möglichkeit war, einen massiven (und wohl vernichtenden) Angriff der arabischen Staaten abzuwenden. Auch Hitler hätte gestoppt werden können, wenn auf den rechtswidrigen Einmarsch der Wehrmacht ins Rheinland 1936 militärisch reagiert worden wäre. Oder auf den Überfall Polens. Damals geschah nichts, unter der deutsche Diktator sah sich zu weiteren Eroberungen ermutigt.

„Der gerechte Krieg wird um des Friedens willen geführt“

Die reformatorische Tradition lässt daher Krieg unter bestimmten Umständen zu. So erlaubt das Augsburger Bekenntnis Christen „rechte Kriege [zu] führen“ (XVI). Das Zweite Helvetische Bekenntnis: „Und falls es nötig ist, sogar durch einen Krieg das Wohl des Volkes wahrzunehmen, so unternehme sie [die Obrigkeit] in Gottes Namen den Krieg, sofern sie vorher auf jede Weise den Frieden gesucht hat und nicht anders als durch einen krieg ihr Volk retten kann.“ (XXX,4: s. auch Westminster-Bekenntnis, XXIII,2)

Der Gedanke, dass zwischen gerechten und ungerechten Kriegen unterschieden werden muss und nur erstere moralisch gerechtfertigt sind, ist natürlich auch außerhalb der biblischen Religionen anzutreffen. Platon erwähnt gerechte Kriegsführung in Der Staat (470c–471c), beschränkt sie aber auf Konflikte unter Griechen – Kriege mit „Barbaren“ unterliegen keinerlei ethischen Begrenzungen. Aristoteles schreibt in der Nikomachischen Ethik: „Wir führen Krieg, um in Frieden zu leben… Niemand will Krieg und Kriegsrüstungen des Krieges wegen“ (1177b). Einflussreich wurden dann die Ausführungen des römischen Autors Cicero. In De re publica (54–51 v. Chr.) legte er dar, dass ein legitimer Grund wie „Vertreibung des Feindes“ (III,23) einen Krieg rechtfertigt. Außerdem muss dieser formal erklärt werden. In De officiis stellt Cicero die bis heute bekannte Maxime auf, dass Krieg nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfe, d.h. nur wenn der verbale Konflikt in der Diskussion nicht fruchtet, darf auf Gewalt zurückgegriffen werden (I,34). Auch er betont: Sinn und Ziel des Krieges muss ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit sein (I,35).

Im Mittelalter ging Thomas von  Aquin in seinem Hauptwerk, der Summa theologiae, auf den gerechten Krieg ein (STh II.II, q.40, a.1). Er zitiert Augustinus: „Wenn die christliche Religion die Kriege überhaupt für sündhaft hielte, so würde das Evangelium eher den heilsamen Rat geben, die Waffen abzulegen und dem Kriegsdienst überhaupt zu entsagen. Das tut es aber nicht…“ Nach Aquin ist ein Krieg gerecht, wenn er dreierlei Bedingungen erfüllt. Erstens ist es nur eine Sache der Fürsten, also der legitimen Obrigkeit, das Gemeinwesen nach Innen und Außen zu verteidigen. Zweitens muss eine „gerechte Ursache“ vorliegen: „dass nämlich die Gegner auf Grund einer Schuld verdient haben, bekämpft zu werden“. Drittens muss die „rechte Absicht“ gegeben sein: „dass nämlich Übles verhütet und Gutes befördert werde“. Und auch Aquin unterstreicht: „Der gerechte Krieg wird um des Friedens willen geführt“, und er zitiert wiederum Augustinus: „Krieg wird begonnen, damit man Frieden erlange“.

Fassen wir zusammen. Wann und warum darf ein Krieg begonnen werden? Hier geht es um Anlass, Beginn und Ziel eines Krieges (lat. ius ad bellum). Folgendes muss gegeben sein: gerechte Ursache: nur der Verteidigungskrieg ist legitim; Krieg darf nicht aggressiver (nichtpräventiver) Angriff sein; gerechte Absicht: Wiederherstellung eines gerechten Friedens; Rache, Drang zu rauben und plündern, wirtschaftliche Kontrolle usw. sind ungerechte Motive; es darf nur gekämpft werden mit dem Ziel, Gerechtigkeit widerherzustellen, Menschenrechte und Unschuldige zu verteidigen; letzter Ausweg: ein Krieg darf erst dann begonnen werden, wenn alle Verhandlungen fehlgeschlagen sind (s. z.B. Dt 20, 11!); förmliche Erklärung: Kriege dürfen nur Staaten führen, die den Kriegszustand offiziell ausrufen; begrenzte und realistische Ziele: realistische Aussicht auf Sieg und Wiederherstellung des Friedens; keine Vernichtung des Feindes, d.h. Zerstörung seiner Lebensgrundlagen; politische Lösungen.

Auch die Kriegsführung selbst muss bestimmte rechtliche Kriterien erfüllen, darf nicht unbegrenzt sein. Hier geht es also um das wie eines gerechten Krieges, um Durchführung und Mittel (lat. ius in bello): begrenzte und angemessene Gewaltanwendung: Gewalteinsatz nur soweit nötig und den Zielen des Krieges entsprechend; nur Einsatz von legitimen Waffen; gerechte Behandlung von Verwundeten und Gefangenen; Verbot des „totalen“ Krieges; Schutz der Zivilbevölkerung: möglichst großer Schutz der Zivilbevölkerung; kein Terror der Zivilisten.

Die gerechte Kriegsführung wird schon im AT gefordert. Das Kriegsrecht wird in Dt 20 ausführlich beschrieben; geschützt wird sogar die Natur (Bäume in V. 19). In Dt 21,10–14 werden die gefangenen Frauen des Gegners unter besonderen Schutz gestellt. Dt 23,10 formuliert den Grundsatz: „Wenn du ausziehst gegen deine Feinde und ein Lager aufschlägst, so hüte dich vor allem Bösen.“ Hannes Stein: „Der Weg zu einer friedlicheren Welt führt nicht über die Abschaffung des Krieges, die in utopischer Traum ist, sondern auf dem Umweg über das jus in bello. Dieses versucht, die Mittel rechtlich zu begrenzen, die im Rahmen einer bewaffneten Auseinandersetzung angewandt werden dürfen. Das jus in bello aber beginnt nirgendwo anders als in der Thora“. (Moses und die Offenbarung der Demokratie) In der Neuzeit sind dann viele dieser alten Prinzipien in die Hager (1907) bzw. Genfer Konvention (1949) eingegangen.

Natürlich gilt es zu beachten, dass in manchen an sich gerechten Kriegen ungerechte Mittel eingesetzt werden So war der Krieg gegen Hitler gerechtfertigt, aber Mittel wie massenhafte Bombardierungen von Städten gewiss nicht. Auch der Vietnamkrieg war im Grundsatz gerecht, denn die Kommunisten wollten ganz Indochina unter ihre Kontrolle bringen. Einsatz von Napalm, „Agent Orange“ und Bombardierung nordvietnamesischer Städte waren dabei jedoch falsche Methoden.

Die Lehre vom „gerechten Krieg“ hat sich natürlich weiterentwickelt und wurde immer wieder neu formuliert, kritisiert und den veränderten Gegebenheiten angepasst. Hier seien nur Paul Ramseys War and the Christian Conscience (1961), Michael Walzers The Just and Unjust Wars (1977) und Oliver O´Donovans The Just War Revisited (2003) genannt. Neue Diskussionen können nicht ausbleiben, da die Kriterien unterschiedliches Gewicht tragen, nicht alle direkt biblisch begründet werden können und die konkrete Anwendung auf Situationen mitunter sehr schwierig ist. Dies zeigte sich schon im Vietnamkrieg, der ein unerklärter Krieg war, und führt bis zu Obamas Drohnenkrieg gegen Taliban. Es ist nun viel zu billig, den „gerechten Krieg“ einfach durch das Ideal des „gerechten Friedens“ zu ersetzen (s. auch Käßmann unten) – der Friede in Gerechtigkeit war schon immer Orientierungspunkt (fast) jeder christlichen Ethik des Krieges.

Heute ist es vor allem die katholische Kirche, die – offiziell zumindest – an recht klaren Positionen festhält. Im Katechismus der Katholischen Kirche findet sich ein guter Abschnitt zum Thema (2307–2317), und in der Dissertation des Tschechen Tomáš Holub „Der Kampf gegen den Terrorismus im Lichte der Lehre vom so genannten ‘gerechten Krieg’“ („Militärseelsorge“, Sonderausgabe 2012) beginnt das Vorwort des katholischen Militärbischofsamt: „Die traditionelle ‘Lehre vom gerechten Krieg’, die vor allem mit dem Namen Thomas von Aquin verbunden ist, diente nicht – entgegen allen Missverständnissen – der grundsätzlichen Rechtfertigung von Kriegen, sondern trat der Willkür der Herrscher entgegen, die meinten, ein grundsätzliches Recht zur Kriegsführung zu besitzen, und zeigte ihr Grenzen auf, indem sie Kriterien entwickelte, nach denen ein Krieg allenfalls gerechtfertigt sei. Damit wollte sie zur Eindämmung von Kriegen beitragen.“ Auch das II Vatikanische Konzil lehnt im Dokument Gaudium et spes militärische Gewalt keineswegs grundsätzlich ab, erlaubt Selbstverteidigung, wiederholt das Prinzip der letzten Möglichkeit (ultima ratio) für den Einsatz von Streitkräften.

Zum Schwert greifen?

Auf wichtige Themen wie die Frage nach der Einordnung der „heiligen Kriege“ im AT oder dem Nuklearpazifismus soll hier nicht eingegangen werden. Es muss jedoch noch die Diskussion betrachtet werden, ob ein Christ sich an Kriegen und gewaltsamen Auseinandersetzung beteiligen darf.

Seit der Reformation widerspricht die anabaptistische Tradition der Auffassung, dass ein Christ in einem staatlichen Amt – und damit auch als Soldat – Gewalt ausüben dürfte. Ersten Niederschlag fand diese Überzeugung im Schleitheimer Bekenntnis von 1527. „Das Schwert ist eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi“, heißt es dort. Der Staat habe zwar eine gewisse Berechtigung, aber Christen zieme es nicht, „eine Obrigkeit zu sein“.

Im 20. Jhdt. gehörte der Mennonit John H. Yoder (1927–1997) zu den bekanntesten Verteidigern dieser pazifistischen Tradition. Er meint in seinem sehr einflussreichen Buch The Politics of Jesus / Die Politik Jesu, dass sich durch die Evangelien „ein starker Strang zieht, der die säkulare Obrigkeit unter der Herrschaft des Satans sieht.“ Gewiss hat der Satan als Fürst dieser Welt (Joh 12,31) Macht, viel Macht, doch das Auftreten des Widersachers in Mt 4 bestätigt gewiss nicht (wie Yoder meint), dass Obrigkeit als solche vom Satan beherrscht wird.

Yoder meint außerdem im Hinblick auf Römer 13, dass Gott die bestehende Mächte nur „ordne, in die richtige Ordnung bringe, ihnen souverän sage, wo sie hingehören“. Damit hieße Gott aber ihre Tätigkeit als solche nicht moralisch gut. „Sie sind eben da“, so der Theologe. Gott übernehme weder für ihre Gestalt, noch für ihre Identität irgendwelche Verantwortung. Gott gebraucht die staatliche Gewalt, lässt sie gewähren, ja kontrolliert sie, so Yoder, aber er meidet um jeden Preis eine Aussage, dass staatliche Gewalt von Gott selbst gewollt und menschliches Handeln in Regierung als solches nicht verwerflich ist. Yoder sieht, ja er betont sogar, dass es in Röm 12,19 und 13,4 beide Male um Rache und Zorn geht, aber ein Christ dürfe eben keine Straffunktion im Staat ausüben.

Nun ist es sicher vorstellbar, dass sich ein Christ von staatlichen Ämtern fernhält. Doch man bedenke, dass zu der Herrschaftsweise Gottes „zur Linken“, so Luther in seiner Zwei-Reiche-Lehre zu dem Bereich neben der Kirche, nicht nur der Staat gehört, sondern auch „Mandate“ (wie Bonhoeffer sagte) wie Familie und Wirtschaft (zur Zwei-Reiche-Lehre s. auch hier). Auch dort gestaltet sich Autorität und Ordnung anders als in der Kirche, muss z.B. dem Bösen widerstanden werden. Erziehung in der Familie besteht ja wesentlich auch (natürlich nicht nur) in der Eingrenzung des Bösen. Und ein Christ kann es ja als Arbeitgeber kaum tolerieren, dass ein Mitarbeiter das Unternehmen bestiehlt. Soll er ihm – dem Geist der Bergpredigt entsprechend – noch etwas mitgeben? Doch sicher nicht. Die vom Unternehmer einzusetzende Gewalt ist eine andere als die des Staates, doch auch er arbeitet unter Umständen mit Zwangsmitteln. Man hüte sich also vor einer einseitigen Dämonisierung des Staates wegen Gewalt und Zwang in ihm, denn diese Kritik fällt auch auf andere Bereiche.

Yoder grenzt sich von der Rückzugsmentalität seiner anabaptistischen Tradition ab, doch wie politische Verantwortung konkret werden soll, bleibt unklar. Auch bei Stanley Hauerwas in The Peaceable Kingdom ist viel Wahres und Hilfreiches zu lesen: Ja, das Reich Gottes ist „the peaceable Kingdom“, das Reich des Friedens (vgl. Jes 11,6–9); ja, der Christ hat gewaltlos zu handeln. Doch immer und überall? Hauerwas betont ebenfalls, dass Gewalt nie Option für Christen sei. Doch das Problem ist, dass der Methodist wie Yoder und auch Baptist James McClendon meint, die zivile Herrschaft durch Zwang und Gewalt sei eigentlich schon nicht mehr nötig. Dass die bürgerliche Gewalt bis zum Ende der Welt ihr Recht und ihre anderen Prinzipien als das Gottesreich hat, wird nicht gesehen. Er glaubt nicht, dass Gewalt dazu dienen kann, Gerechtigkeit, Freiheit usw. zu bewahren; wahre Gerechtigkeit würde nie durch den Gebrauch von Gewalt zustande kommen; Gewalt ist mit Macht verbunden, und die wird meist missbraucht. Ein gerechter Krieg ist damit natürlich im Grundsatz verworfen.

Diese Übertragung von Idealen aus dem Reich der Kirche in die Welt ist naiv und falsch. Genauso könnte man argumentieren, dass unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung verwerflich ist, weil es in ihr auch Gier gibt. Nun mag man die freiwillige Gütergemeinschaft der ersten Christen in Jerusalem (Apg 2,44–45) als Ideal in der Kirche bezeichnen – muss deshalb auch die Wirtschaft in der ganzen Welt so funktionieren? Ist das Streben nach Gewinn deshalb moralisch niedrig stehender oder gar verwerflich? Natürlich nicht.

Man muss zwischen den zwei Reichen Gottes und den verschiedenen Mandaten Gottes richtig zu unterscheiden lernen. Die Vollkommenheit ist, wie gesagt, in gewisser Weise, vorsichtig formuliert, eher in der Kirche zuhause. Dort gilt: keine Toleranz gegenüber der Sünde, Trennung vom unbußfertigen Sünder; außerhalb der Kirche ist dieser Forderung auf diese Art nicht zu erheben (s. 1 Kor 5,9–11). Dies bedeutet aber natürlich nicht, dass ein Christ in Staat und Wirtschaft die Erlaubnis zum Ungehorsam gegen Gottes Gebote hätte. Und auch im Krieg ist es deswegen ja nun nicht erlaubt, zu plündern und zu morden. Aber man hüte sich davor (s.u. Käßmann), Kriege nur deshalb im Grundsatz zu verwerfen, weil sie nicht in perfekter, vollkommen reiner Weise geführt werden können. Nach dieser Logik sollte man auch besser auf Sexualität verzichten, weil sie ja mit falschem Begehren verbunden sein könnte.

Dass das konsequent gewaltlose Leben in allen Lebensbereichen der Gegenwart nicht zu verwirklichen ist, zeigt sich bei Hauerwas in einer Fußnote. Eigentlich kann ja nach seinen Grundsätzen ein Christ, der zu absoluter Gewaltlosigkeit verpflichtet sei, nicht in den Strukturen von Gericht, Militär und Polizei dienen. Hauerwas will diesen Schluss aber vermeiden und spekuliert, ob ein Christ auch im Militär und der Polizei mitarbeiten könnte und dass man hier und im gesamten Regierungshandeln auch ohne Gewalt und Zwang auskommen könnte. Doch wie soll das gehen? Letztlich enttäuschen Yoder und Hauerwas, weil sie Christen nicht zur Übernahme von Verantwortung in staatlichen Strukturen ermutigen.

Ist der Krieg zu etwas gut?

Militärische Konflikte werden von der Welt nicht gänzlich verschwinden. Aber können wir Fortschritte machen? Platon war da skeptisch. Der Philosoph schrieb in Der Staat: „Also müssen wir uns vom Gebiet des Nachbarn etwas abtrennen, wenn wir genügend Land für  Weide und Acker haben wollen, und die Nachbarn machen es ebenso bei uns, wenn auch sie sich dem endlosen Drang nach Besitz ergeben und die Grenze des Notwendigen überschreiten“, d.h. diesem mit Gewalt abnehmen. Ursache von Kriege ist letztlich der Trieb, das leben zu verbessern und immer mehr zu erwerben, denn „dann werden wir also Krieg führen“ (373d-e).

Darin steckt viel Wahrheit, denn tatsächlich waren vielleicht sogar die meisten Kriege einfach nur große Raubzüge. Das einzige Gegenmittel will aber gar nicht den Drang nach einem besseren Leben und mehr Reichtum auslöschen. Die einzige Alternative ist friedlicher Tausch und Handel, und die höchstentwickelte Form dieser Wirtschaft ist heute der globale Kapitalismus. Ein eng über nationale Grenzen verflochtene Wirtschaft ist ein großer Friedensstifter, denn jeder Krieg schadet besonders der Wirtschaft.

Ludwig von Mises betonte daher in Liberalismus (1927), dass „der Frieden der Vater aller Dinge ist. Das, was die Menschheit allein vorwärts bringt und sie vom Tier unterscheidet, ist die gesellschaftliche Kooperation. Die Arbeit allein ist es, die aufbaut, reich macht und damit die äußeren Grundlagen für inneres Gedeihen des Menschen legt. Der Krieg zerstört nur, er kann nie aufbauen. Den Krieg, den Mord, die Zerstörung und Vernichtung haben wir mit den reißenden Tieren des Waldes gemein, die aufbauende Arbeit ist unsere menschliche Eigenart.“ Mises erinnert sehr nüchtern daran, „daß selbst der siegreiche Krieg auch für den Sieger ein Übel ist“, da er viele Ressourcen verbraucht und die Wirtschaft behindert. Aber er war kein Pazifist: „Wenn ein friedliebendes Volk von einem kriegslustigen Gegner angegriffen wird, dann muß es sich zur Wehr setzen und alles tun, den Ansturm der Feinde abzuwehren.“

Der britische Historiker Ian Morris hat in Krieg. Wozu er gut ist eine andere Perspektive eingenommen und eine breite historische Untersuchung vorgelegt. Im Interview mit dem Journal „Der Spiegel“ (2/2014) betont er auf der einen Seite nüchtern, dass wir „auf Gewalt gepolt“ sind und eben nur ungern und kaum freiwillig auf die Freiheit, andere auzurauben und zu überfallen, verzichten. Uns halten „Strafandrohung, Niederlage im Krieg oder die unmittelbare Angst davor“ im Zaum. Auf der anderen Seite hat „die Menschheit gelernt, ihre Gewalttätigkeit zu zähmen. Sie ist weniger kriegerisch geworden. Und dieser Prozess hat sich in den letzten 200 Jahren beschleunigt.“

Morris belegt dies, wie gesagt, historisch: „In Steinzeitgesellschaften kamen vermutlich zwischen 10 und 20 Prozent aller Menschen durch die Hand ihrer Mitmenschen um.“ Um 1250 musste einer von hundert Westeuropäern davon ausgehen, gewaltsam zu sterben; um 1600 noch einer von dreihundert und 1950 einer von dreitausend. Sein Resumee: „10.000 Jahre Krieg, seit der Jungsteinzeit,… haben die Gewalt insgesamt gesenkt, und zwar dramatisch… So unbequem diese Tatsache ist, der Krieg ist sehr wohl zu etwas nutze.“ Auf kurze Sicht – in einer Generation – macht Krieg natürlich schneller tot und schädigt die Wirtschaft usw. Auf lange Sicht ergibt sich jedoch ein anderes Bild: „Kriege haben im Lauf der Geschichte größere, komplexere Gesellschaften höherer Ordnung geschaffen, die sich in Staatsgebilden organisierten. Und diese vermindern das Risiko, dass ihre Angehörigen eines gewaltsamen Todes sterben.“ Was uns heute eine relativ friedliche Welt beschert hat, sind diese historisch gesehen ungeheuer komplexen und miteinander verwobenen Gesellschaften, geradezu Lichtjahre entfernt von den Stammesgesellschaften der Frühzeit.

Es waren gerade auch Denker wie Popper und Hayek, die diese Zusammenhänge sahen und davor warnten, in die Stammesgesellschaft, die ja wegen ihrer menschlichen Nähe und des Zusammenhalt durchaus attraktiv erscheinen kann, zurückkehren zu wollen. Wir müssen fortschreiten zu komplexeren, damit auch in gewisser Hinsicht unpersönlicheren Gesellschaften, und aus den militärischen Konflikten auf dem Weg dahin lernen. Natürlich wächst unter Umständen das Risiko (wie durch die Technologie der Atomwaffen), doch das Gesamtergebnis von Jahrtausenden kriegerische Auseinandersetzungen, so Morris, ist „eine friedlichere Welt, in der wir alle länger leben. Aus Verlust entsteht Gewinn.“

Kaessmann

Nur zerstörerische Kraft?

Christen, so scheint es, lieben jedoch die einfachen Worte und klaren Parolen. „Krieg soll nach Gottes willen nicht sein“, hieß es 1948 auf der Gründungsversammlung des ÖRK. Gern wird nun, wie gesagt, auch vom „gerechten Frieden“ geredet, und der „Vorrang der Gewaltfreiheit“ wird gefordert – als ob andere Konflikte immer gleich mit Gewalt lösen wollen.

Am 8. Juni gab Margot Käßmann der „BamS“ ein Interview, das diese Themen berührte. Die Pastorin und Ex-Bischöfin aus Hannover freut sich, wie sehr die Deutschen den Krieg ablehnen: „Der Satz ‚Nie wieder Krieg‘ ist fest verankert in der Gesellschaft“. Waffenexporte sieht sie sehr kritisch: „Das Mindeste ist, dass wir nur an stabile Demokratien exportieren. Rüstungsgeschäfte mit Ländern wie Saudi-Arabien sind unverantwortlich.“ Offensichtlich hat sie aber auch grundsätzlich Probleme mit der Herstellung von Waffen: „Es muss doch möglich sein, diese Arbeitsplätze in konstruktive Produktionen zu verlagern“.

Und dann zu unserem Thema: „Es kann keinen gerechten Krieg geben, nur gerechten Frieden. Als Gegenargument wird immer der Zweite Weltkrieg und die Befreiung von Hitler-Deutschland genannt. Aber selbst beim Zweiten Weltkrieg war es so, dass am Ende bei allen die Vernunft aussetzte.“ In diesem Zusammenhang erinnert sie an den Fall der „Wilhelm Gustloff“, die gegen Kriegsende mit etwa 9000 Flüchtlingen an Bord von sowjetischen Torpedos versenkt wurde. Auch die Westalliierten bekommen ihr Fett weg. „Da wird auch für die, die den Krieg für Gutes wollen, der Krieg zur zerstörerischen Kraft“, so Käßmann der „BamS“.

Zwei Tage nach den Feiern zum 70. Jahrestag der Invasion der Alliierten in der Normandie erklärt uns das vielleicht bekannteste Gesicht des deutschen Protestantismus, dass auch dieser militärische Einsatz, der mit dazu beitrug, den Kontinent von Hitler zu befreien und der allein garantierte (das solle man ja nicht vergessen!), dass nur die Hälfte Europas und die Osthälfte Deutschlands den Sowjets in die Hände fiel, dass auch dieser Einsatz kein gerechter Krieg war. Und wie begründet sie diese Frechheit? Sie erinnert daran, dass Kriege zerstörerische Kräfte freisetzen – wie hätten es beinahe übersehen… Und dass Kriege nie ‘rein’ geführt werden und oft mit viel Unrecht verbunden sind. Ein Argument gegen jeden Krieg ist da nicht herauszuhören. Käßmanns populistischem Gerede zum Trotz: Man kann Gott nur dankbar sein, dass zehntausende junge Briten, Kanadier und Amerikaner, die heute in der Normandie liegen, bereit waren, für ein freies Europa zu kämpfen und ihr Leben zu lassen. Käßmann selbst hätte sich sonst in ihren jungen Jahren nicht so frei für Ökumene und Frieden und Gerechtigkeit engagieren können.

Henryk M. Broder kommentierte in der „Welt“ treffend unter der Überschrift „Pazifismus ist Lifestyle, für den andere bezahlen“: „Der Pazifismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch dahinter steht weniger die Liebe zum Frieden als vielmehr der Wunsch, sich die Hände nicht schmutzig machen zu müssen.“ Er stellt ganz richtig fest, dass diesmal, anders als nach ihren Äußerungen zu Afghanistan „kein Ruck durch Deutschland“ ging.  „Margot Käßmann hatte kein Tor zu einer Debatte aufgestoßen, sie war durch eine weit offene Tür gestürmt“, denn „dass es einen ‘gerechten Krieg’ nicht geben kann, scheint inzwischen so weit Konsens in der Bundesrepublik zu sein, dass ein solcher Befund auf keinerlei Widerspruch stößt. Um eine abgedroschene Phrase, die gerne von Extremismusforschern benutzt wird, zu variieren: Der Pazifismus ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Auch in der Mitte der Kirchen und Freikirchen. Predigt heute ein Pastor, dass es unter Umständen wie eben im Verteidigungsfall erlaubt sein könnte, anderes menschliches Leben zu nehmen, muss er sich darauf gefaßt machen, dass während der Predigt Leute aus Protest rausmarschieren. Besser man setzt schon vorher die innere Zensurschere an.

Am vergangenen Wochenende gab Bundespräsident Gauck während seiner Norwegenreise dem Deutschlandfunk ein Interview: „Es [Deutschland] steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen. So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen. Und dann ist als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich. Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen.“

Anders als bei Käßmann ist dies klar formuliert, auch wenn er sich natürlich nicht in die konkrete Anwendung vorwagt. Es ist nun vielsagend, dass diese Passage zu harter Kritik im linken Lager der Politik und auch in Teilen der Presse geführt hat – und das gegenüber dem Staatsoberhaupt, das sonst eiegntlich nicht hart angegangen wird. Ein Kommentator auf aktuell.evangelisch.de schämt sich sogar für diesen „Bundespräsi-Pfarrer“ und erkennt in Gaucks Sätzen nur eine „einfache Hau-Drauf-Mentalität“. All diesen Lifestyle-Pazifisten sei nur eins gesagt: Bitte konsequent sein und dann auch eindeutig und kompromisslos eine Abschaffung der Bundeswehr und Auflösung der Nato fordern und begründen. Unterhält ein Staat eine Armee unter Waffen kann er als „letztes Mittel“ den Einsatz dieser Waffen nicht ausschließen. Warum sollte ein Staat Milliarden Steuergelder verpulvern, wenn er unter absolut keinen Umständen je dazu willig wäre, sie einzusetzen? Wozu dann diese gigantische Geldverschwendung?

Gauck äußerte sich schon auf der Sicherheitskonferenz in München im Januar ähnlich, was ebenfalls zu deutlicher Kritik führte. Ein Kommentator zu diesem Beitrag auf evangelisch de weist darauf hin, dass Gauck in seiner Autobiografie feststellt, „dass er kein Pazifist sei: Dieses verhängnisvolle Eingeständnis zieht sich durch all seine Reden – Und verletzt alle Pazifisten, die sich nicht beschränken auf die Ablehnung von Gewalt und Krieg“. Moment Mal, die simple Äußerung „ich bin kein Pazifist“ ist „verhängnisvoll“ und „verletzt alle Pazifisten“?? Aber es kommt noch besser: „unser Bundespräsident ist kein Pazifist!? Was dann??“ Ja, ein unverbesserlicher Militarist natürlich, was sonst. Ein anderer kommentiert bösartig-arrogant: „Bruder Gauck hat in der DDR doch einiges verpasst, er kommt mir wirklich vor wie ein Theologe des Kaiserreichs.“

Schon vor fast genau zwei Jahren fand Gauck während seines Antrittsbesuchs bei der Führungsakademie der Bundeswehr klare und nun schon mutige Worte: „Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden.“

Ganz anders als nun kommentierte Thomas Gutschker auf faz.net: „So ist in der Bundesrepublik lange nicht mehr gesprochen worden über die Bundeswehr. Es musste erst jemand kommen, der dieses Land die längste Zeit seines Lebens von außen betrachtet hat. Gauck stand – und steht bis heute – vor Augen, wie sich die alte Tradition des deutschen Militarismus in der DDR fortsetzte: von den Knobelbechern und den kaum verwandelten Wehrmachtsuniformen über die Aufmärsche im Stechschritt bis zur Militarisierung des gesamten Lebens. Wer das erlebte, versteht besser, welcher Traditionsbruch sich im Westen vollzog. Er sieht schärfer als andere, dass Pazifismus keine Antwort gewesen wäre auf Totalitarismus. Und er weiß, dass Abschreckung jahrzehntelang den Frieden gesichert hat.“

Gutschker zeigt auch, dass sich Gauck damit von der Position der EKD entfernt hat, die z.B. in ihrer Friedens-Denkschrift von 2007 nur noch den „gesellschaftlichen Konsens“ zur Sprache bringen will – und der ist eben weitgehend pazifistisch. „Dass ein Krieg ‘gerecht’ sei, dass es gute Gründe gebe, mit Gewalt zu drohen oder sie einzusetzen, dieser christliche Gedanke wird von der EKD eingemottet“, so der Journalist.

Gauck ist „Realist“ geblieben, was bei einem Mann an der Spitze des Staates nicht die schlechteste Eigenschaft ist. Vor einem utopischen und nun wirklich verbal-militanten Pazifismus kann man dagegen nur Angst bekommen. Zumindest in Ländern, die heute noch auf militärischen Schutz tatsächlich angewiesen sind. Vor einer Bundespräsi-Pfarrerin Käßmann auch.