Eiserne Lady geht in die zweite Runde
Davon könnte Amtskollege Hollande in Frankreich nur träumen: phantastische Zustimmungswerte um die 60 Prozent und mehr – Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaitė hatte in ihrer ersten Amtszeit immer breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Dennoch zögerte sie lange mit einer erneuten Kandidatur für die Wahlen am 11. Mai. Die konservative „Heimatunion/Christdemokraten“ unter Ex-Premier Kubilius sprach sich schon gegen einen eigenen Kandidaten und für die Unterstützung der parteilosen Grybauskaitė aus, da wusste man jedoch noch nicht, ob die Präsidentin noch einmal ins Rennen geht.
Wie alle erwartet hatten, stieg Grybauskaitė in den Ring gegen sechs weitere Bewerber um das Amt des Staatsoberhauptes. In Litauen wird es – anders als in den beiden anderen baltischen Ländern – direkt gewählt. Auch die Vollmachten des Präsidenten sind dort größer als in Estland oder Lettland. Der litauische Präsident leitet die Außenpolitik, hat ein wichtiges Wort bei der Regierungsbildung mitzureden, kann Gesetze einbringen.
Grybauskaitės Kompetenz in Fragen der Wirtschaft und der Finanzen ist unbestritten, schließlich war sie litauische Finanzministerin und EU-Budgetkommissarin. Kritische Stimmen wurden immer wieder wegen ihrer Karriere in der kommunistischen Partei und ihrer Arbeit an einer Parteihochschule laut. Ihr Vater soll ein KGB-Kollaborateur gewesen sein, was sie zu Beginn des Wahlkampfs offiziell bestritt. Ganz anders als Amtsvorgänger Adamkus, der viele Jahrzehnte in den USA verbracht hatte, ist Offenheit und Transparenz nicht ihre Stärke. Keiner weiß, was ihre Vorlieben sind, wie sie ‘privat’ lebt – was sich im Kopf hinter der nun wahrlich eisernen Fassade tut.
Auch ihr religiöser Standpunkt ist praktisch unbekannt. Natürlich läßt sich Grybauskaitė gern mit katholischen Würdenträgern fotografieren, auf ihrer Wahlkampfseite zeigt sie ein Bild der Erstkommunion, doch ihre heutigen weltanschaulichen Grundsätze erscheinen fast schon als Geheimsache (wieder im Gegensatz zum liberal-konservativen Adamkus). Die Mutter stammte aus dem Kreis Biržai im Norden Litauens, wo auch heute noch zahlreiche Verwandte der Präsidentin leben, mit denen sie aber praktisch keinen Kontakt hat. Der Mädchenname der Mutter, Korsakaitė, deutet auf reformierte Wurzeln zurück.
Trotz so manchem Schatten setzte sich Grybauskaitė aber gleich im ersten Wahlgang deutlich an die Spitze, erreicht stolze 46 Prozent. Ihr wenig sagender Wahlslogan: „Tikiu Lietuva!“ – ich glaube an Litauen. Von den wichtigen Parteien hatten auch die Liberalen sie unterstützt. In der Stichwahl am 25. Mai trat der Europaparlamentarier Zigmantas Balčytis gegen sie an. Er errang einen Achtungserfolg mit 40 Prozent, Grybauskaitė machte aber erwartungsgemäß das Rennen mit über 58 Prozent der Wählerstimmen.
Am selben Tag fanden auch in Litauen die Europawahlen statt, die dank dieser Doppelwahl eine recht hohe Beteiligung erreichten. An die Spitze konnten sich die im Seimas oppositionellen Konservativen setzen; sie überrundeten knapp die regierenden Sozialdemokraten. Auf einen guten dritten Platz und überraschend erfolgreich schnitten die Liberalen ab, gefolgt von der Partei des Ex-Präsidenten Rolandas Paksas („Ordnung und Gerechtigkeit“). Alle werden jeweils zwei Abgeordnete nach Straßburg bzw. Brüssel schicken.
Im Schatten der Wahlen in der Ukraine war die Abstimmung in Litauen den Medien in Westen natürlich kaum eine Meldung wert. Hier ist aber ein ganz ordentlicher Überblick.