Auf den Spuren der jüdischen Stadt

Auf den Spuren der jüdischen Stadt

Die meisten Städte Litauens – einmal abgesehen von denen im Memelland – waren über Jahrhunderte nicht so sehr litauische, sondern jüdische Orte. Im späten Mittelalter siedelte die ersten Juden im Großfürstentum. Von Deutschland und Böhmen aus wanderten sie ein, so dass ihre Zahl bis ins 19. Jahrhundert deutlich zunahm. Um 1900 stellten Juden die Mehrheit in Städten wie Kalvarija (sogar um die 70%), Ukmergė und Kupiškis. Steinbauten im Zentrum all der Orte waren meist im Besitz jüdischer Handwerker und Händler.

In Šiauliai durften sich Juden erst seit dem späten 17. Jahrhundert ansiedeln. Vor etwa einhundert Jahren stellten sie fast jeden zweiten der gut 20.000 Einwohner der Stadt. Zwischen den Kriegen war ihr Anteil an der Bevölkerung etwa 30%. 1701 wurde ein großer Friedhof für die jüdische Gemeinde eingerichtet. Ein halbes Dutzend Synagogen wurde errichtet, Gymnasien, ein Krankenhaus usw. Als großer Förderer seiner Gemeinde tat sich um 1900 natürlich der Lederfabrikant Chaim Frenkel hervor.

Der Holocaust löschte das Judentum in Litauen fast ganz aus (etwa 94% der Juden im Land wurden ermordert; die meisten der litauischen Juden in der Sowjetrepublik und bis heute sind aus Russland Zugewanderte und ihre Nachkommen). Doch damit nicht genug: Heute muss man nach den Spuren der jüdischen Vergangenheit schon genau suchen. Die Frenkl-Villa, heute ein schickes Museum, ist da die einzige Ausnahme. Wo einst die prächtige Hauptsynagoge stand, wird keinem Besucher durch Hinweisschilder o.ä. erläutert. Dass die Zahntechnische Klinik oder eine Fakultät der Uni in ehemals jüdischen Gebäuden sitzen – wer weiss das schon? Ein beliebtes Schnellrestaurant, einen Steinwurf vom Busbahnhof,  war ebenfalls einst ein Gotteshaus. Nichts deutet heute darauf hin.

Nicht immer haben die Deutschen oder der Krieg für die Zerstörung gesorgt. Der große Friedhof wurde erst 1965 von den Sowjets dem Erdboden gleichgemacht. An der Front im Norden schleifte man das große Eingangstor (s. Foto u.). Gleich dahinter wurde ein Kindergarten errichtet. Nur die Umfassungsmauer im Osten ließ man ganz stehen (auf der Westseite blieben nur einzelne Reste, s. Foto u.). Und nur ein paar Grabplatten auf dieser mehrere Hektar großen Fläche weisen heute noch an die ursprüngliche Nutzung hin. Seit einigen Jahren erinnert zum Glück ein Gedenkstein an den Friedhof.

Wo sind die vielen Grabsteine und –platten gelandet? Man verarbeitete sie in den frühen 70er Jahren zu kleinen Mauern, die die neuangelegte Fußgängertreppe von der Kathedrale zum Alten Friedhof umfaßt (s. Foto u.). Eine Gedenkplatte aus dem Jahr 1992, die an die Herkunft der Steine erinnerte, wurde irgendwann von Metalldieben abgerissen. Geradezu peinlich ist übrigens, dass in Siauliai bis heute kein einziger Straßenname an die jüdische Vergangenheit erinnert. Die Namen von kommunistischen Schriftstellern zieren immer noch manche Straße und Schule, doch selbst dem großen Wohltäter Frenkl will man nicht einmal eine Gasse wirdmen. Traurig.

1965 traf es übrigens auch die Grabstätte der Juden im Vilniuser Stadteil Užupis. In den kleineren Orten der Provinz sind die jüdischen Friedhöfe aber oft noch erhalten.

In Deutschland jährt sich in in diesen Tagen zum 75. Mal die Pogromnacht. Am 9. November 1938 begannen Ausschreitungen gegen die Juden, denen 1400 Synagogen und 1500 Menschen zum Opfer fielen. Ab Montag zeigt eine Ausstellung in der Neuen Synagoge in Berlin, Oranienburger Straße, Berichte von Zeitzeugen: „Von innnen nach außen. Die Novemberprogrome 1938 in Diplomatenberichten aus Deutschland“ (organisiert vom Außenwärtige Amt und dem Berliner Centrum Judaicum).

Zydu Tor

Das prächtige Friedhofstor vor dem Krieg

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“Der alte jüdische Friedhof” – Gedenkstein

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Ein ungenutztes Areal hinter einer Kindertagesstätte

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Mauerreste am Westrand des früheren Friedhofs

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Noch vollständig erhaltene Mauer am Ostrand des früheren Friedhofs

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Eine letzte Grabplatte

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In den Bordüren an den Seiten befinden sich seit 40 Jahren die Reste der Grabsteine