Bekenntnisse – wozu?

Bekenntnisse – wozu?

Im Herbstsemester des vergangenen Jahres unterrichtete Holger am EBI für die Studienanfänger „Einführung in die Theologie“.  Unerläßlich ist dabei auch ein Überblick der Bekenntnisse des Christentums. Hier ein überarbeiteter Einleitungstext. 

Die Kirche kann nicht bestehen ohne Bekenntnis, und Bekenntnisse nicht ohne Kirche. In einem Bekenntnis spricht die Kirche aus und hält fest, was sie glaubt, und zwar auf Grundlage des Wortes Gottes. Bekennen bedeutet daher, das Wort Gottes bejahen. Es ist also keinesfalls willkürlich, sondern orientiert sich eng an der Offenbarung.

Dieses Muster ist schon in der Bibel zu entdecken. In Exodus 34,6–7 offenbart sich Gott Mose wie folgt:

„Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue: Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, lässt aber den Sünder nicht ungestraft; er verfolgt die Schuld der Väter an den Söhnen und Enkeln, an der dritten und vierten Generation.“

An vielen anderen Stellen in der Bibel wie z.B. Ps 86,15; 103,8; 145,8; Nah 1,3 bekennen sich Menschen dann zu genau diesem Gott, indem sie Worte dieser beiden Verse für das eigene Bekenntnis nutzen.

Im Neuen Testament rückt dann natürlich Jesus Christus in den Mittelpunkt des Bekenntnisses. Jesus selbst sagte: „Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ (Mt 10,32). Der Kern des christlichen Bekenntnisses ist, dass Jesus der Herr ist (Röm 10,9) oder wie in Apg 8,37: „Ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist“. Es geht um seine Identität und sein Handeln. Christen glauben, dass „Christus… für unsere Sünden gestorben [ist]“, so der Beginn des Abschnittes 1 Kor 15,3f. So wundert es auch nicht, daß die Christologie den Kern der altkirchlichen Bekenntnisse bildete.

Bekenntnisse haben zahlreiche Aufgaben. Hier ist zuerst das Lob Gottes zu nennen. Schon im NT gestaltet sich das Bekennen oft in Form von Hymnen wie in Phil 2,6f. Loben und Bekennen bilden in der Bibel eine Einheit, da auch gr. homologein beides bedeuten kann (s. z.B. Hbr 13,15). Daher haben Bekenntnisse in vielen Kirchen ihren Platz in der gottesdienstlichen Liturgie gefunden.

Christus ist die Wahrheit und sagte die Wahrheit. Der Glaube bejaht diese Wahrheit, hält an ihr fest und verteidigt sie gegen Falschheit und Lüge. Bekenntnisse haben daher auch die Funktion, die christliche Wahrheit gegen Verfälschungen und Verzerrungen zu schützen. Dabei geht es nicht um abstrakte intellektuelle Spiele, sondern um Tod und Leben. Denn wer das wahre Bekenntnis verwirft, der verwirft auch die Seligkeit.

Im bekannten Abschnitt in Eph 6,10f über die „Waffenrüstung Gottes“ beginnt Paulus mit der Wahrheit: „Bindet den Gürtel der Wahrheit um eure Hüften“ (V. 14). Die Wahrheit bildet einen Gürtel, ohne den der Kämpfer zur Schlacht gar nicht bereit ist. Dieser Gürtel muß eng genug anliegen, ansonsten kann er seine Aufgabe nicht erfüllen. Bekenntnisse haben die Aufgabe, diesen Gürtel der Wahrheit straff zu halten. Nur wenn die Wahrheit gleichsam eng am Körper der Kirchen bleibt, behält sie die nötige Bewegungsfreiheit für den Kampf.

Bekenntnisse haben natürlich auch katechetische Funktion, d.h. sie dienen der Weitergabe der biblischen Lehre. Sie sind auch wichtig für die Apologetik, die öffentliche Verteidigung des Glaubens. Schließlich ist das Christentum keine Geheimreligion, vielmehr offen nach Außen (s. 1 Pt 3,15). Nicht zuletzt bilden Bekenntnisse auch für jeden Einzelnen eine Quelle der Erkenntnis und der Ermutigung.

Bekenntnisse erscheinen vielen heute als autoritär, von Oben herab kommend. Und natürlich haben sie Autorität. Meist wird jedoch übersehen, dass damit aber eine wichtige kritische Funktion verbunden ist: Amtsträger in der Kirche wie z.B. Pastoren sind auf Bekenntnisse verpflichtet, denen auch sie sich unterzuordnen haben. Ihre Lehre und Verkündigung kann durch den Maßstab der Bekenntnisse kontrolliert werden. Eine Gemeinde ohne schriftliche Bekenntnisse ist nur allzu leicht der Lehrwillkür ihres Geistlichen ausgeliefert. Es gibt dort kaum ein wirksames Instrument, um dem Mißbrauch ihrer Lehrautorität Einhalt zu gebieten. Bekenntnisse beugen also dem Machtmißbrauch Einzelner vor, weil sie von Kollektiven (der Kirche, ihren Versammlungen und Synoden) angenommen worde sind.

In 2000 Jahren Kirchengeschichte haben die begabtesten Köpfe der Christenheit um die Formulierungen von Bekenntnissen gerungen – und heute sind sie weitgehend irrelevant. Auf Internetseiten von Gemeinden, Kirchenkreisen sowie Kirchen und Verbänden sucht man sie oftmals vergeblich. Und man betrachte nur einmal, nach welchen Kriterien man sich heute eine Gemeinde oder Kirche aussucht. Der Wohlfühl-Faktor spielt eine wichtige Rolle, genauso Musik und Stil im Gottesdienst, natürlich die Kinderbetreuung und die Persönlichkeit des Pastors. Man fragt, ob man nett aufgenommen wird und unter diesen Menschen Freunde findet. All das ist als solches natürlich nicht zu verwerfen. Problematisch ist nur, dass nach dem Bekenntnis meist an letzter Stelle gefragt wird – wenn überhaupt.

Man wundert sich nur noch, wenn auch ein studierter Theologe wie Burkhard Weitz, Redakteur beim wichtigen deutschen evangelischen Journal „chrismon“, zu der Frage „Was muss man wissen, um zu glauben?“ („chrismon“, April 2012) schreibt:

„Die ersten Christen kamen ohne ­religiöses Wissen aus, ohne komplizierte Lehren, ohne lange Bekenntnisse. Sie folgten dem Beispiel Jesu. Glauben hieß für sie, in Jesu Liebe beständig zu bleiben… Biblischer Glaube richtet sich nicht auf Lehrsätze oder Dogmen, die man sich merken oder für wahr halten kann.“

Hier wird ignoriert, dass die Wurzeln der Bekenntnistradition schon in der Bibel selbst liegen. Und hier wird auseinandergerissen, was zusammengehört, und nicht unterschieden, wo es dringend notwendig ist. Konkretes Nachfolgen und in der Liebe Bleiben wird dem „religiösen Wissen“ und „Lehrsätzen“ entgegengesetzt – als ob dies Gegensätze sein müßten! So recht glaubt auch Weitz nicht, was er schreibt, denn er führt selbst zwei „Lehrsätze“ an, die die ersten Christus auch wußten und bekannten: „dass Jesus der Chris­tus, also der Messias sei“ und dass er „als gnädiger Weltenrichter wiederkehren“ würde. Dies sind Doktrinen oder Dogmen, die sich in mehr oder weniger langen Bekenntnissen niedergeschlagen haben.

Der britische Kirchenhistoriker Carl Trueman, der in den USA lehrt, schildert in seinem ganz hervorragenden Buch The Creedal Imperative (2012, das erste Kapitel hier) die Schwierigkeiten, mit denen Bekenntnisse heute zu kämpfen haben. Er nennt die   Herausforderungen durch Wissenschaft und ihrem Glauben an Fortschritt, durch Technologie, Konsumgesellschaft und Pragmatismus. Im Hintergrund steht meist eine allgemeine Verachtung der Vergangenheit, der Tradition und der Kirche.

Da Bekenntnisse aus menschlichen Wörtern und wohlüberlegten Sätzen bestehen, stellt für sie ein falscher Mystizismus eine besondere Gefahr dar. Die Mystik ist meist mit einer Verachtung der Worte verbunden; das Wesentliche der Religion und des Glaubens liege jenseits der Worte. Gerade die nun auch im Westen immer populäreren östlichen Religionen propagieren dieses Denken. Madonnas Song „Bedtime story“ (1995) steht für viele in unserer heutigen Kultur:

„Today is the last day that I’m using words / They’ve gone out, lost their meaning / Don’t function anymore … / Words are useless, especically sentences / They don’t stand for anything / How could they explain how I feel.“ (Heute ist der letzte Tag, an dem ich Wörter benutze / Sie sind verschwunden, haben ihre Bedeutung verloren / Sie funktionieren nicht mehr… / Wörter sind nutzlos, besonders Sätze / Sie stehen für nichts / Wie könnten sie erklären, was ich fühle)

Selbst unter den Christen reden junge Leiter und Autoren wie Rob Bell oder Pete Rollins einem neuen Mystizismus das Wort. Wie ernst die Sache ist, zeigt auch Rolf Krügers Beitrag „Das Evangelium in 30 Sekunden“ auf dessen Blog. Krüger. Redakteur des Portals jesus.de, verantwortet vom Bundesverlag der FeG, schreibt dort:

„Es macht keinen Sinn, sich alter Bilder zu vergewissern, auch wenn die fraglos ihre Zeit und ihren Sinn hatten. ‘Sie haben ihren geschichtlichen Wert, aber kaum noch einen aktuellen. Und sie sind nicht “die Wahrheit”, sondern Modelle. Bei einem Modell kommt es darauf an, dass es wirkungsvoll erhellt, was es erklären soll.’ [hier zitiert er diesen Beitrag] Wenn aber die Welt sich weitergedreht hat und die Menschen durch diese Bilder Jesu Botschaft und den Sinn seines Kommens, Wirkens, Leidens und Auferstehens nicht mehr verstehen? Dann haben sie ihre Berechtigung als Erklärungen der Wirklichkeit verloren. Im Gegenteil besteht die Gefahr, dass sie das Geschehen am Kreuz klein machen, verharmlosen. Durch ihre eigene Wirkungslosigkeit nehmen sie auch der Sache die Wirkung, die sie erklären sollen.“

Die Arroganz, mit der hier implizit bewährtes Erbe vom Tisch gefegt wird, läßt einem den Atem stocken und ist vielsagend. Seinen Text über die Versuche, das Evangelium „in neue, für die heutige Zeit verständliche und relevante Worte zu gießen“, beendet Krüger jedoch mit diesem Resumee: „Ich bin mehr überzeugt denn je: Es ist nicht möglich, das Evangelium in 30 Sekunden zu erklären. Auch nicht in einer Predigt oder einem knappen Text.“

Konseqent wäre es nun für Krüger und Co., dem Grundsatz Wittgensteins zu folgen („Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen“). Doch natürlich nutzen wir auch weiterhin Wörter, da Gott uns schließlich als sprechende Wesen geschaffen hat. Und genauso haben wir alle ein Bekenntnis – die Frage ist nur, ob ein klar formuliertes, niedergeschriebenes, öffentliches und damit kritisierbares oder nicht.

Zahlreiche Bekenntnisse haben Test der Jahrhunderte bestanden. Zu ihnen gehören die folgenden drei aus der alten Kirche (Apostolische Bekenntnis; Bekenntis von Nicäa-Konstantinopel; Athanasisches Bekenntnis), fünf der Reformation (Augsburger Bekenntnis, Schmalkaldische Artikel, Niederländisches Bekennntnis, Heidelberger Katechismus, Westminster Bekenntnis) und vier aus den letzten beiden Jahrhunderten (Bekenntnis der Hamburger Bapisten; Barmener theologische Erklärung, Allianz-Bekennntis, Chicago-Erklärung zur biblischen irrtumsloisgkeit). [In weiteren Teilen folgte im Unterricht und in Artikeln ein Überblick dieser Bekenntnisse.]

Bild oben: Szene aus der Westminster-Assembly in London (1643–1649), die das Westminster-Bekenntnis und zwei Katechismen verabschiedete.