Vor 20 Jahren: der Papst in Litauen
Darauf musste das katholische Litauen Jahrhunderte warten: ein Papst kommt ins Land! Eine Reise in die Sowjetrepublik Litauen war bis Ende der 80er Jahre kaum möglich. Aber danach setzte das polnische Oberhaupt Roms alles daran, in das Nachbarland seiner Heimat zu gelangen. Schließlich sollen einige seiner Vorfahren auch aus dem Gebiet Litauens stammen. (Übrigens wuchs auch die Mutter des heutigen Präsidenten Polens Komarowski auf einem Gut unweit von Šiauliai auf.)
Am 7. September 1993, vor fast genau 20 Jahren, war es dann soweit: Johannes Paul II landete in Vilnius und küßte wie üblich den Boden. In der Hauptstadt betete er natürlich im Tor der Morgenröte vor dem wundertätigen Marienbild – eines des wichtigsten Wallfahrtsziele für Polen. In Kaunas las er vor einer Menge von über Einhundertausend eine Messe – gewaltige Zahlen für ein Drei-Millionen-Volk.
Am 7. gegen halb Zehn landete der päpstliche Hubschrauber am Berg der Kreuze in der Nähe von Šiauliai. Mehrere Hunderttaused Pilger wie erwartet kamen doch nicht, aber mit allein etwa 300 Bussen und nicht gezählten Pkws bevölkerten sicher Zigtausend die Äcker und Wiesen an dem einzigartigen Ort. Der Papst betete auf dem Berg, besuchte anschließend noch die Jesuiten-Kirche im Zentrum der Stadt. Weiter ging es 50km nach Šiluva, dem Ort der ersten Marienerscheinung in Europa 1608.
Geradezu nostalgisch blickt man bis heute auf diesen für die katholischen Litauer so bedeutsamen Besuch zurück. Die während des Besuchs gehaltenen Reden liegen vorne auf den Internetseiten der katholischen Kirche und werden immer noch gerne zitiert. Jeder besuchte Ort wird gehegt und gepflegt und hat sein Denkmal abbekommen wie Šiauliai, Šiluva, Kaunas (Foto o.). Zahlreiche Strassen, Plätze und Schulen sind nach dem seliggesprochenen Papst benannt. Ein Johannes-Paul-II-Pilgerweg für Touristen wurde geschaffen – und mit ordentlichen staatlichen Mitteln unterstützt. Das Stichwort Papst reicht, und die klamme Staatskasse lässt dennoch Geld sprudeln. Da der verstorbene Papst so geachtet wird, hat man in diesem Jahr sogar eine Blutreliquie abbekommen, die in Kaunas aufbewahrt wird (s. hier).
Die Ehrfurcht vor dem Bischof aus Rom nimmt manchmal aber auch geradezu groteske Züge an. Für die Messe am Berg der Kreuze wurde eine Art riesiges Dach, darunter ein hölzerner Altar und Thron, errichtet (s. Foto u.). Eigentlich ein provisorischer Bau, der auch keine Baugenehmigung im eigentlichen Sinne erhalten hatte. Aber bis heute steht er – und das Betreten ist inzwischen gefährlich. Niemand von Stadt und Kreis hat es je gewagt, an diese Konstruktion Hand anzulegen – schließlich hat der Heilige Vater ja seinen Fuß darauf gesetzt…
Am 4. September fand im Seimas, im Parlament in Vilnius, eine Jubiläums-Konferenz statt. Zwar gibt es laut Verfassung keine Staatsreligion, doch Veranstaltungen wie diese zeigen die grosse Nähe der öffentlichen Einrichtungen zur Mehrheitskirche. So wundert es auch nicht, dass die Sitzungsperiode des Parlaments am 10. September u.a. mit dem Gedenken an den Papstbesuch 1993 begonnen wird. Übrigens wird im Rahmen der Jubiläumswoche auch der bekannte US-Katholik und Papst-Biograph George Weigel sprechen, Autor von Evangelical Catholicism.