Papstblut in Kaunas

Papstblut in Kaunas

Luther hatte seinem Landesfürsten Friedrich dem Weisen viel zu verdanken. Ohne dessen Schutz wäre die Reformation wohl schon in den Anfängen erstickt worden. Friedrich hatte aber auch eine ganz und gar nicht evangelische Leidenschaft: das Sammeln von Reliquien. Sage und schreibe 19.000 Stück soll seine Kollektion enthalten haben – Körperteile von Heiligen, Kleidungsreste Jesu, Splitter von dessen Kreuz usw. Ein großer Reliquienfan war auch Albrecht von Mainz. An den Erzbischof als seinen Vorgesetzten sandte Luther seine 95 Thesen. Jedes Stück aus seinem großen Schatz ließ der Hohenzoller in einem kostbaren „Heiltumsbuch“ abbilden.

Litauen wurde erst um 1400 christianisiert, und da war im ‘Supermarkt der Reliquien’ schon kaum noch etwas einzukaufen (heute ist der Handel auch kirchenrechtlich verboten). Die litauische katholische Kirche ist daher recht arm an diesen verehrten Gegenständen. Vom Nationalheiligen Kasimir befindet sich aber der ganze Sarkophag im Dom von Vilnius. Und die Peter-und-Paul-Kathedrale in Kaunas kann sich nun rühmen einer der wenigen Orte mit einer Blutreliquie von Johannes Paul II zu sein.

Bei einer medizinischen Untersuchung waren dem Papst kurz vor dem Tod 2005 vier Ampullen Blut abgenommen worden. Zwei der vier befinden sich in Rom, zwei in Besitz des Krakauer Erzbischofs, Kardinal Stanislaw Dziwisz. Seitdem Johannes Paul II im Mai 2011 von seinem Nachfolger Benedikt XVI selig gesprochen wurde, gilt das Blut aus diesen Ampullen als Reliquie, die verehrt werden darf. Noch im Sommer des Jahres trat sie eine vierwöchige Reise durch Mexikos Diözesen an. Mit der Prozession sollte der Frieden in dem von Bandenkämpfen geplagten Land gestärkt werden.

Als erste deutsche Kirche erhielt die Aschaffenburger Sandkirche im Oktober 2011 eine Blutreliquie des seliggesprochenen Papstes. Weitere befinden sich heute z.B. in Dortmund, Berlin, Hannover und im niederrheinischen Wallfahrtsort Kevelaer.

Und nun also Kaunas. Anfang Mai 2013 wurden in der Kathedrale 600 Jahre Gotteshaus und Taufe Niederlitauens (Žemaitija) 1413 mit großem Pomp gefeiert. Zwanzig Jahre nach dem Papstbesuch in Litauen überreichte Dziwisz den litauischen Amtsbrüdern die Blutreliquie seines polnischen Freundes. An der Messe nahm auch die komplette Staatsspitze teil (Präsidentin, Premier und Parlamentspräsident sowie weitere hochrangige Politiker Litauens).

Versetzte das Papstblut in Mexiko die Massen in Hysterie, so war das Echo im Baltikum doch recht reserviert. Die Pressemeldungen der katholischen Kirche zu der Messe und der 600-Jahr-Feier erwähnten die Blutreliquie noch nicht einmal. Riecht das Ganze doch zu sehr nach Mittelalter?  Wie auch immer – Reliquien bleiben fester Bestandteil der katholischen Tradition. Dies macht auch eine aktuelle Sonderausstellung im Vilniuser „Museum des künstlerischen kirchlichen Erbes“ zum Thema „Reliquien und Reliquiare“ deutlich.

Evangelische lehnen den Reliquienkult seit Beginn der Reformation ab – wie beim Ablass erst die Auswüchse, bald aber auch grundsätzlich (was Friedrich den Weisen allerdings nicht daran hinderte, sich noch bis 1522 – drei Jahre später starb er – um seine Sammlung zu kümmern). Im Zweiten Helveticum (1566) zitiert der Zürcher Reformator Heinrich Bullinger auch Kirchenvater Augustinus aus dessen Werk „Die wahre Religion“: „Unser Glaube soll nicht bestehen in der Verehrung von Toten. Wenn sie nämlich fromm gelebt haben, so dürfen wir von ihnen nicht annehmen, dass sie auf derartige Ehren Anspruch erheben, sondern dann wollen sie, dass jener von uns verehrt werde, durch dessen Erleuchtung sie sich freuen, dass wir Genossen ihres Verdienstes sind. Daher sind sie zu ehren, weil sie der Nachahmung wert sind, aber sie sind nicht in religiösem Sinne anzubeten.“ Wenn wir also, so Bullinger, diese Toten nicht verehren sollen, „um so weniger glauben wir, dass man die Überreste der Heiligen anbeten oder verehren dürfe“.