„Starker Glaube an Europa“

„Starker Glaube an Europa“

Vor etwa fünfzehn Jahren mußte man noch nach ihm suchen, doch inzwischen ist der Mittelpunkt Europas schick hergerichtet. An einem Obelisken können sich Touristen fotografieren lassen; nebenan flattern die europäischen Flaggen im Wind; sogar ein Golfplatz liegt um die Ecke. Das geographische Zentrum des Kontinents, eine halbe Autostunde nördlich von Vilnius, kann sich sehen lassen.

Vėliavos

Herausgeputzt hat sich auch die Hauptstadt selbst. Denn mit dem 1. Juli übernimmt mit Litauen erstmals ein baltischer Staat die EU-Ratspräsidentschaft. Auch politisch wird das kleine Land für ein halbes Jahr im Mittelpunkt stehen. Gleich zu Beginn der Periode wird vom 11. bis 13. Juli Bundespräsident Gauck Litauen besuchen. Am 5. Juli wird die EU-Kommission in Vilnius tagen und die Ratspräsidentschaft damit eröffnet.

Turnusmäßig wechselt der Vorsitz im Rat der Mitglieder der Europäischen Union jedes halbe Jahr. Der vorsitzende Staat ist Gastgeber für einen Gipfel und zahlreiche Sitzungen, koordiniert die Arbeit von Arbeitsgruppen, Aussschüssen und Kommissionen, vertritt die Interessen aller Mitgliedsstaaten, führt (mit dem Parlament) die EU-Gesetzgebung. 20 hochrangige Ministertreffen, 200 Veranstaltungen, 30-40.000 erwartete Besucher – das staatspolitische Examen Litauens beginnt. Die Präsidentin der Republik, die die Außenpolitik des Landes leitet, ist als ehemalige EU-Kommissarin natürlich bestens für diese repräsentative Aufgabe vorbereitet. Dalia Grybauskaitė (die auch schon als Nachfolgerin von Rompuy und Barroso im Gespräch ist):

„Europa erlebte harte Zeiten. Wir, die Litauer, wissen genau, was das bedeutet. Wir überlebten eine Reihe von Besetzungen und kämpften für unsere Freiheit. Wir gaben niemals auf. Wir zweifelten niemals am von uns gewählten europäischen Weg. Wir hoffen, dass unser starker Glaube an Europa alle Europäer inspirieren und anstecken kann.“

Solche Sätze werden von den Nachbarn in Skandinavien und Deutschland sicher gerne gehört. Die Bundeskanzlerin im Mai: „In Europa brauchen wir Wachstum und solide Finanzen gleichermaßen“, so Merkel beim Besuch des litauischen Premiers in Berlin. „Litauen hat hier schon einen bemerkenswerten Reformprozess hinter sich gebracht.“

Natürlich ist so eine hohe Verantwortung und der Fokus der Medien für ein kleines Land auch eine hervorragende Gelegenheit, Werbung in eigener Sache zu betreiben. Die Seite zur Ratspräsidentschaft tut hier ihren Beitrag und gibt unter „Litauen“ einen kompakten Überblick zum Land. Das „zweitstärkste Wirtschaftswachstum in der EU“ wird stolz erwähnt, und etwas beschämend für Deutschland, wo man mit diesem Problem in manchen Landkreisen ringt: „Litauens Internet verfügt über die schnellste Uploadgeschwindigkeit in Europa und die zweitschnellste weltweit“ (dank Glasfaser). In der Bildung belegt Litauen in drei Bereichen Platz Eins. Erfolge in der Laser- und Biotechnologie werden genannt, und – man höre und staune – das weltweit zweitgrößte Verkaufsportal von Apps für Mobiltelefone, „GetJar“, wurde von einem jungen Litauer gegründet, dem heute 37jährigen Ilja Laurs.

Logo Litauen ES

Die Idee des Logos der litauischen Ratspräsidentschaft stammt von Simona Mykolaitytė, die aber nicht mit Rima (mit dem gleichen Mädchennamen) verwandt ist

Für PR-Zwecke wollen natürlich auch andere Gruppen die Ratspräsidentschaft nutzen. Der Verband der Schwulen und Lesben Litauens plant Ende Juli einen Marsch über den Gediminas-Prospekt in Vilnius („Unter den Linden“ der litauischen Haupstadt), was der junge Bürgermeister der Stadt, der Liberale Artūras Zuokas, bisher jedoch untersagt.

Das EU-Institut für „Gender Equality“ (Gleichheit der Geschlechter) mit Sitz in Vilnius (und dort ebenfalls am Gediminas-Prospekt) macht nun auch von sich reden. Jüngst veröffentlichte man den „Gender Equality Index“. In dem Bericht wird schon auf den ersten Seiten deutlich: Hier geht es nicht um gleiche Rechte für alle, sondern um Gleichmacherei, die staatlich propagierte Einebnung aller Unterschiede zwischen Mann und Frau. Das ist die dunkle Seite der EU, und es wundert nicht, dass man sich in manchen Staaten Zentraleuropas hier keine Vorschriften machen läßt.

Ein Blick lohnt sich übrigens auch in die „Europa-Liste“ des Goethe-Instituts: Was denken über 22.000 Befragte aus 30 Ländern über Europa? Die Antworten auf die Frage „Wie sehen Sie die Zukunft Europas?“ zeigen: Die grössten Europa-Optimisten leben nicht im ‘alten’ Europa, sondern in Ländern wie Finnland oder im Baltikum. In Lettland und Litauen schauen um die 80% der Befragten in eine gute bzw. sehr gute Zukunft des Kontinents (in den Staaten Südeuropas 25–35%).

Andere Statistiken ergänzen dies Bild. Nach „Eurobarometer“ bewerteten 2012 50% der Litauer die Mitgliedschaft in der EU positiv. Angesichts noch vieler sozialer Probleme und antieuropäischer Stimmungsmache in manchen Zeitungen ist dies ein guter Wert. Natürlich gibt es noch Europaskepsis in der Bevölkerung, aber im Parlament sitzt keine offen europafeindliche Partei, und die politische Spitze ist in Litauen wie auch in Lettland und Estland klar auf Europakurs.

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