Karlspreis für Präsidentin Litauens

Karlspreis für Präsidentin Litauens

Karl der Große, fränkischer König und 800 auch zum Römischen Kaiser gekrönt, gilt als einer der Väter Europas. Schließlich reichte sein Reich vom Baskenland bis Ungarn und von Holstein bis nach Rom. Obwohl Karl natürlich Germane war, sehen besonders die Franzosen „Charlemagne“ als den Begründer ihrer nationalen Größe an. Ende des achten Jahrhunderts machte Karl Aachen zu seiner Lieblingspfalz, wo er sich bis zum Tod 814 bevorzugt aufhielt.

Aachen lag damals mitten in Reich der Franken, und auch heute sind die westeuropäischen Nachbarstaaten nur wenige Kilometer entfernt. Die Stadt mit dem Thron des Königs und dem Karlsschrein steht für die enge Verbundenheit der europäischen Völker. So wundert es nicht, dass man nach dem Gemetzel des II Weltkriegs gerade dort auf den Gedanken kam, einen  Preis für Verdienste um Europa und die Europäische Einigung zu verleihen. Am 14. März 1950 wurde die „Gesellschaft zur Verleihung des Internationalen Karlspreises der Stadt Aachen“ gegründet. Zum Direktorium, das die Auswahl der Preisträger trifft, gehören u.a. der Oberbürgermeister der Stadt, der Dompropst in Aachen und der Rektor der RWTH Aachen.

Traditionell wird der Preis an Christi Himmelfahrt im Aachener Rathaus überreicht. Zu den  Persönlichkeiten, „die den Gedanken der abendländischen Einigung in politischer, wirtschaftlicher und geistiger Beziehung gefördert haben“, gehörten seit 1950 z.B. Europa-Väter aus Frankreich wie  Monnet und Schuman,  Staatsmänner wie Winston Churchill, Tony Blair und Bill Clinton, wichtige US-Politiker wie Henry Kissinger und der Vater des Marshall-Plans George Marshall, deutsche Präsidenten wie Scheel und Carstens, Kanzler wie Adenauer und Kohl, Monarchen wie Juan Carlos und Beatrix. Preisträger aus dem ehemals kommunistischen Ländern Zentraleuropas waren bisher die Ungarn Gyula Horn und György Konrad sowie die Polen Tusk,  Geremek sowie Johannes Paul II.

In diesem Jahr wurde erstmals ein Vertreter aus dem Baltikum ausgezeichnet: die Präsidentin Litauens, Dalia Grybauskaitė. Sie gilt tatsächlich als eine der besten Experten in Sachen Europa und EU. Schließlich war die heute 57jährige ab 2004 erste litauische EU-Kommissarin, zuständig für Haushalt und Finanzen (mehr zu Grybauskaite s. auch „Labas“ Mai 2009, S. 5). In der diesjährigen Begründung des Direktoriums wird einleitend gut – wenn auch etwas blumig – der große Wandel im Europa der letzten 25 Jahre betont:

„Bis zum Beginn der 1990er Jahre war die Ostsee ein Mikrokosmos der Spaltung Europas. Eine scharfe Trennlinie lief durch ihre Mitte. Heute machen wir eine ganz andere Erfahrung: Die Ostsee ist wieder, wie so oft in ihrer Geschichte, Beispiel und Medium für die Einheit Europas. Sie ist – mit Ausnahme von Russland – vollständig von EU-Mitgliedstaaten umgeben und damit ein Binnenmeer der Europäischen Union; sie trennt nicht mehr, sondern sie verbindet… Vom Eis des Kalten Krieges befreit ist die Ostsee zu einem Meer der Möglichkeiten geworden, und das ist vor allem auch den noch jungen EU-Mitgliedsländern im Baltikum zu danken.“

Heute droht wegen der Wirtschafts-, Finanz- oder Schuldenkrise einer neuer Riss durch Europa zu gehen. Die Begründung greift auch diese Lage auf: „In diesen Tagen lohnt es, den Blick in den Nordosten der Europäischen Union zu richten, wo eindrucksvoll der Beweis angetreten wird, wie mit klarer Strategie, großer Disziplin und Opferbereitschaft auch tiefgreifende Krisen bewältigt werden können.“ Dann wird ein Artikel in der FAZ zitiert, wo sich das Staatsoberhaupt wie folgt äußerte:

„Zwischen 1998 und 1999 traf es uns zum ersten Mal, da kamen wir in den Strudel der russischen Krise. Schon damals haben wir kein Geld geliehen, und wir lernten, wie man mit so einer Lage umgeht. Heute bekommen wir ohnehin Unterstützung aus den europäischen Kohäsions- und Landwirtschaftskassen. Das sind für uns ziemlich bedeutende Summen. Als die Krise [2009] dann kam, wussten wir aber sofort, dass wir selbst sehr weit gehende Maßnahmen ergreifen und vor allem die Ausgaben reduzieren mussten. Unsere Währung ist an den Euro gebunden, so dass uns nur ein Schnitt bei den Ausgaben übrig blieb. Hinzugehen und um Geld zu bitten hatte keinen Sinn. Märkte reagieren auf die Stärke und die Leistungen von Regierungen und nicht darauf, wie viel Geld sie vom Internationalen Währungsfonds oder von anderen Institutionen erbitten. Regierungen, die um Hilfe bitten, beweisen damit nur, dass sie sich nicht alleine helfen können. Litauen hat nun begonnen, sich zu erholen“ (FAZ, 20.6.2011).

Auch in Litauen ist Grybauskaitė für ihre klaren Worte bekannt. In einer TV-Show wird die Darstellerin der Präsidentin meist von einem Henker begleitet, da sie schon viele Köpfe im Staatsapparat hat rollen lassen. Dennoch oder gerade deswegen führt sie noch immer die Rangliste der beliebtesten Politiker an. Es wird vermutet, dass die Parteilose bei den Wahlen im kommenden Jahr wieder antreten wird. Spekuliert wird außerdem über eine erneute Karriere von Grybauskaitė in der EU, womöglich sogar als Präsidentin des Europäischen Rates.