Auf dem Weg zur Gewissheit

Auf dem Weg zur Gewissheit

Noch im Winter wird das Westminster-Bekenntnis in litauischer Sprache als schön gestaltetes Buch erscheinen. Hier zum Thema Glaubengewissheit, dem sich das Bekenntnis recht ausführlich widmet. 

Wie können wir des Heils gewiss sein? Diese Frage stand am Beginn der Reformation. Der Ablassprediger Tetzel verkaufte den gutgläubigen Menschen in Sachsen Ablassbriefe, die angeblich ihr ewiges Heil garantierten. Schon in den 95 Thesen vom Herbst 1517 widersprach Martin Luther. In der letzten der Thesen klingt Luthers Kritik an, die er später noch viel schärfer formuliert: Ablässe geben eine falsche Sicherheit. Der trügerischen Ruhe aufgrund von Papieren der Kirche o.ä. stellte er die Gewissheit des Glaubens gegenüber wie dann erstmals klar in der heute wenig bekannten lat. Schrift Pro veritate inquirenda et timoratis conscientiis consolandis (Zur Erforschung der Wahrheit und zur Tröstung der geängsteten Gewissen) vom Sommer 1518.

Glaubensgewissheit ist also von Anfang an ein wichtiges Thema und eine Kernüberzeugung aller Protestanten. Erst zum Abschluss der Reformationsepoche findet sich im Westminster-Bekenntnis eine ausführliche und sehr ausgewogene Darstellung. Gerade hier zeigt sich das ‘akademische’ Bekenntnis von seiner pastoralen und praktischen Seite!

Zu Beginn von Kapitel 18 wird betont, dass nicht jede subjektiv empfundene Sicherheit auch echte Sicherheit ist, denn „Heuchler und andere nicht wiedergeborene Menschen [können] sich selbst mit falschen Hoffnungen und fleischlicher Vermessenheit betrügen, als ob sie unter Gottes Gnade und im Stand der Errettung lebten.“ Schließlich gibt es falschen und echten Glauben. Nur diejenigen, „die wahrhaft an den Herrn Jesus glauben und ihn aufrichtig lieben, indem sie sich bemühen, in allem guten Gewissen vor ihm zu leben“, können echte Gewissheit erlangen. Auch Calvin betonte schon: „Wahrhaft gläubig ist nur ein Mensch, der mit fester Gewissheit überzeugt ist, dass Gott sein gnädiger und wohlgesinnter Vater ist, und der von seiner Güte alles erwartet“; ein Gläubiger ist nur derjenige, „der in der sicheren Gewissheit seines Heils getrost dasteht und des Teufels und des Todes fröhlich spottet.“ (Inst. III,2,16)

Der Glaube wird von allen Evangelischen als festes Vertrauen definiert. Doch die Glaubensgewissheit ist „nicht eine Gewissheit, die keine Zweifel mehr berührte“, so Calvin. Gläubige sind „immerfort im Kampfe“, haben immer „Mangel an Vertrauen“, erleben viele „Erschütterungen“ (Inst. III,2,17). Dies ist ja schon in der Bibel deutlich zu erkennen (man denke an die Psalmen 38, 73 oder 88), und das Westminster-Bekenntnis unterscheidet gut in 14,3: „Dieser [rettende, echte] Glaube weist verschiedene Grade auf. Er ist schweach oder stark, kann oft und auf ganz verschiedene Art und Weise angefochten und geschwächt werden, behält jedoch den Sieg…“ Nüchtern daher auch in Kapitel 18: „Diese unfehlbare Gewissheit gehört nicht so zum Wesen des Glaubens, dass ein wahrhaft Gläubiger nicht auch lange zu warten und mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben könnte, bevor er Anteil an ihr gewinnt.“ (18,3)

Gott verlangt keinen perfekten, ganz ausgereifen Glauben, damit wir gerettet werden. Es muss also unterschieden werden zwischen rettendem Glauben (hier genügt der Senfkornglaube [Mt 17,20]) und der klaren und vollen Gewissheit, die gleichsam eine Frucht dieses echten Glaubens ist. Daher können rettender Glauben und ein gewisses Maß an Zweifel beide zusammen auftreten (Calvin sogar: Gewissheit ist „immer mit dem Zweifel untermischt“, Inst. III,2,18). Und deshalb kann die Gewissheit des Heils „in den wahrhaft Gläubigen auf verschiedenen Weise erschüttert, geschwächt oder unterbrochen werden“. Sehr nüchtern endet das Kapitel 18, mit der Zusicherung, dass wahrhaft Gläubige „vor der völligen Verzweiflung bewahrt“ werden (18,4) – was implizit eben auch bedeutet, dass Verzweiflung oft genug unser Begleiter ist.

Das Westminster-Bekenntnis betont also im ersten Abschnitt die Möglichkeit der Gewissheit; im zweiten wird der Grund erläutert. Sie ruht auf objektiven, nicht zu widerufenen Zusagen Gottes: die „unfehlbare Gewissheit im Glauben“ gründet sich „auf die göttliche Wahrheit der Verheißungen des Heils“ (18,2). Diese Verheißungen sollen wir, so Calvin, „innerlich ergreifen und uns so zu eigen machen“ (Inst. III,2,16). Dies geschieht im Glauben und ist vor allem ein Werk des Heiligen Geistes, der daher in Kapitel 18 mehrfach erwähnt wird. Die Grundlage des Heils ist ganz objektiv; darauf baut gleichsam die Gewissheit auf, die daneben auch das Wirken des Geistes in uns zur Grundlage hat. Das Bekenntnis verzahnt hier sehr gute die subjektive und objektive Ebene.

Dies wird auch deutlich bei den konkreten Schritten, die die Gläubigen tun sollen, damit die Gewissheit wächst. In 18,3 heißt es, dass durch den „rechten Gebrauch der gewöhnlichen Mittel“ Gewissheit zu erlangen ist. Damit sind das Hören und Studieren des Wortes Gottes, der Gebrauch der Sakramente und das Gebet gemeint. Denn der Geist wirkt allermeist durch Mittel: Er schafft den anfänglichen Glauben durch Mittel und stärkt ihn durch Mittel. Der Geist nutzt vor allem auch die Sakramente als „Siegel“, „bestätigt ihn [den Glauben] durch den Gebrauch der heiligen Sakramente“, so der Heidelberger Katechismus (Fr. 65–66). Daher spricht auch das Westminster-Bekenntnis im Kapitel über die Sakramente vom „Werk des Geistes“ (27,3). Der Geist wirkt in den Sakramenten nicht automatisch, aber er nutzt sie, um unseren Glauben zu kräftigen und so auch Gewissheit zu schaffen.

Mittel wollen genutzt werden, und deshalb darf ein Christ auch nicht faul herumsitzen und gleichsam auf eine Erleuchtung warten. In 18,3 wird Aktivität gefordert: „Darum hat jeder die Pflicht, allen Fleiß daranzusetzen, seine Berufung fest zu machen“. Das bedeutet konkret und sogar zentral Gottesdienstbesuch und allgemein: unter das Wort kommen – das gepredigte, gelehrte Wort, und das sichtbare Wort der Sakramente.

(Bild o.: Das „Jerusalem Chamber“ in der Westminster Abbey, in der die meisten Sitzungen der Westminster-Versammlung stattfanden, die das gleichnamige Bekenntnis verfasste.)