Der zweite König Litauens – ein Schwabe

Der zweite König Litauens – ein Schwabe

Am 6. Juli 1253 wurde Mindaugas zum litauischen König gekrönt. Unter seiner Herrschaft wurden die litauischen Stämme erstmals geeint, tritt Litauen als staatliches Gebilde in die Geschichte ein. Sein Krönungstag ist heute offizieller Feiertag. Mindaugas wurde 1263 ermordet; seine Nachfolger blieben Großfürsten. Aus Litauen stammte dann im 14. Jahrhundert Jogaila/Jagiello, Begründer einer wichtigen Dynastie, aber er wurde eben nur zum polnischen König gekrönt. Litauen blieb bis zu seinem Untergang 1795 Großfürstentum  (ab 1569 im Staatsverband mit Polen).

Doch es gab noch einen zweiten König – zumindest einen gewählten. Herzog Wilhelm II. von Urach, Graf von Württemberg, wurde am 11. Juli 1918 zum Monarchen Litauens bestimmt, der den Namen Mindaugas II führen sollte. Seinen Thron konnte er jedoch nie besteigen. Vor genau 86 Jahren, am 24. März 1928, verstarb der Schwabe in seiner deutschen Heimat.

Im Ersten Weltkrieg eroberten deutschen Truppen zwischen März und September 1915 das gesamte litauisch besiedelte Gebiet. Dies machte eine Loslösung vom russischen Zarenreich möglich, zu dem Litauen über einhundert Jahre gehörte. Der Litauische Rat, „Taryba“,  proklamierte am 16. Februar 1918 den demokratischen Staat Litauen. Berlin anerkannte ihn im Frühjahr nur zögerlich.

Der damaligen politischen Tradition und natürlich auch den Machtverhältnissen entsprechend konnte man sich auch auf litauischer Seite nur eine konstitutionelle Monarchie als Staatsform vorstellen. Auf preußischer Seite hätte man liebsten eine Personalunion zwischen Berlin und Vilnius gesehen – Wilhelm II als deutscher Kaiser und  litauischer König. Auch einen Sachsen auf dem Thron in Litauen konnte man sich vorstellen.

Die süddeutschen Länder sahen eine weitere Ausdehnung Preußens gen Osten jedoch mit großer Skepsis. Sergej von Cube schreibt hier:

„Die Litauer wollten einen katholischen Herrscher aus dem Ausland, welcher – um ihren Wünschen gerecht zu werden – mehrere Bedingungen erfüllen mußte. Und in der Tat präsentierte der württembergische Reichstagabgeordnete und Zentrumsführer, der spätere Staatssekretär und Reichsfinanzminister, Matthias Erzberger, den Litauern einen solchen Kandidaten in der Gestalt des Herzogs Wilhelm von Urach-Württemberg.“

Der Herzog, 1864 geboren, war der älteste Sohn von Wilhelm (I.) Herzog von Urach, Graf von Württemberg, und dessen zweiter Frau, der Prinzessin Florestine von Monaco, Tochter Fürst Florestans von Monaco. In Stuttgart und auf Schloss Lichtenstein (s. Bild o.), südlich von Reutlingen, aufgewachsen, schlug er nach dem Abitur eine militärische Laufbahn ein, war im I Weltkrieg schließlich General der Kavallerie.

Wilhelm wurde mehrfach als Anwärter für einen vakanten Thron in Betracht gezogen, so zum Beispiel für den Monacos oder 1913 für den Thron des neuen Fürstentums Albanien. Weitere Bewerbungen folgten als Monarch eines möglichen Großherzogtums Lothringen und während des Ersten Weltkriegs als König von Polen. Als Chef einer Nebenlinie des Hauses Württemberg hegte er zudem vage Hoffnungen, nach dem Ableben des Königs Wilhelm II. dessen Nachfolge antreten zu können.

In Litauen schien aber alles zu klappen. Der Litauische Landesrat bot ihm in einem handschriftlichen Schreiben in Litauisch und Deutsch am 4. Juni 1918 die Krone Litauens mit folgendem Wortlaut an: „Die litauische Taryba bietet seiner Durchlaucht dem Herzog Wilhelm v. Urach Graf v. Württemberg den litauischen Thron für sich und seine männlichen, in direkter Linie von ihm abstammenden Nachfolger auf dem durch die Verfassung vorgeschriebenen Wege an. Der König nimmt den Namen Mindaugas II. an und besteigt den Thron unter folgenden Voraussetzungen…“

Mindaugas_II

Wilhelm Karl von Urach, König Mindaugas II

Von Urach stimmte all diesen Bedingungen wie Hauptwohnort in Litauen und Erlernen der litauischen Sprache zu. Als frommer Katholik schrieb der Herzog gleich dem Papst und erhielt dessen Segen. Der Landesrat fällte schließlich am 11. Juli eine klare Entscheidung und schrieb an den Württemberger: „… in dieser Sitzung wurden Sie zum erblichen König des Königreiches Litauen gewählt, auf Grundlage der am 1. Juli 1918 in Freiburg vereinbarten Bedingungen … Wir bitten… die Wahl  anzunehmen und den litauischen Thron unter dem Namen Mindaugas II. bald zu besteigen.“

Im Herbst 1918 veränderte sich jedoch die politische Großwetterlage. Auch wenn deutsche Truppen tief in der Ukraine standen, war eine Niederlage im Westen dennoch absehbar. Die neue Regierung von Max von Baden sagte im Oktober 1918 Litauen die volle Selbstbestimmung zu – die Litauer sahen die Zeit gekommen, ihre Geschicke ganz in die eigenen Hände  zu nehmen. Wozu da noch einen Monarch aus dem Ausland? Am 2. November 1918 faßte die Taryba einstimmig folgenden Entschluß: „Der Beschluß des Landesrates vom 11. Juli 1918, den Herzog v. Urach zum König v. Litauen zu berufen, gelangt nicht zur Ausführung.“

Der Herzog, Vater von vier Söhnen und fünf Töchtern, hatte schon mit dem Lernen des Litauischen begonnen und sich von Herzen auf sein neues Amt vorbereitet. Daraus wurde nun nichts. Nach gut 110 Tagen war der Traum vom Thron in Vilnius ausgeträumt. Litauen gab sich stattdessen am 15. Mai 1920 eine republikanische Verfassung.

Nach Ende des Krieges und seiner Pensionierung widmete sich Wilhelm II. Herzog von Urach wissenschaftlichen Tätigkeiten, und wurde 1922 an der Universität Tübingen mit einer Dissertation über die Stadtgeographie von Reutlingen zum Dr. phil. promoviert. Nach seinem Tode 1928 wurde er in der Schlosskirche in Ludwigsburg beigesetzt.

Mit der Verfassung von 1992 hat die Republik Litauen wieder einen relativ mächtigen Präsidenten. Auch wenn es eine litauische Monarchistenbewegung gibt – konkrete Versuche der Umwandlung in ein Königreich gibt es natürlich nicht. Mit Fürst Inigo von Urach Graf von Württemberg, Enkel von Wilhelm II, steht aber ein Nachfolger und Thronanwärter bereit. Inigo (Bild u.), Jg. 1962, ist Sohn einer Prinzessin von Thurn und Taxis. Auf verzweigten Linien reicht der Stammbaum des Majors der Reserve und Forstwirts bis zu polnischen Königen und litauischen Großfürsten zurück (s. hier). Ein schwäbisches Staatsoberhaupt in Litauen – sicher ein sympathischer Gedanke, doch das Rad der Geschichte läßt sich wohl nicht mehr zurückdrehen. Der „Prinz von Litauen“ (so die Seite der lit. Monarchisten über Inigo) wird wohl für immer inoffizieller Prinz bleiben und nie Mindaugas III werden.

urach