Evangelische Pastoren in Litauen
Litauen ist trotz manch religiösem Schein ein stark säkularisiertes oder entkirchlichtes Land. Ein „Berg der Kreuze“ bei Šiauliai, gnadenstiftende Marienbildnisse, viele Kirchen in der Altstadt von Vilnius sowie noch recht hohe Taufzahlen verdecken die Gleichgültigkeit vieler gegenüber Gott und dem Evangelium. Dies lässt sich auch an Zahlen festmachen. In der glaubensfeindlichen Sowjetunion hielten etwa 600 Priester am Dienst in der katholischen Kirche fest – heute sind es gerade einhundert mehr, und das ist im internationalen Vergleich wenig für ein Land mit großer katholischer Mehrheit.
Für die Evangelischen, einer kleinen Minderheit im Land, gab und gibt es keine exakten Statistiken. Gut zwanzig lutherische Pfarrer, sieben bei den Reformierten (Missionare eingerechnet), eine Handvoll im Baptistenbund und bei den Freien Christen (Mennonitenbrüder), ein gutes Dutzend im Pfingstbund und im (charismatischen) Bund evangelischer Gemeinden, jeweils zwei bei Methodisten und Heilsarmee. Daneben gibt es außerhalb der Bünde nicht wenige Gemeinden baptistischer oder pfingstlerischer Prägung. Insgesamt kommt man auf wohl knapp einhundert Gemeindehirten.
Allerdings gibt es nur ganz wenige protestantische Gemeinden, die das Prädikat „groß“ verdient hätten. Wohl einzig im charismatisch-pfingstlerischen Spektrum versammeln sich in einigen Gemeinden mehr als hundert Christen zum sonntäglichen Gottesdienst. Der regelmäßige Gottesdienstbesuch der meisten Gemeinden bewegt sich zwischen 20 und 50, bei vielen aber auch darunter.
Waren die Pfarrer vor dem letzten Krieg noch gleichsam Beamten des Staates mit entsprechender Entlohnung, so müssen sich nun alle ‘freikirchlich’ finanzieren, d.h. aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Das gilt im übrigen auch für die katholische Kirche. Überschaubare Mitgliedszahlen bedeuten widerum, dass wahrscheinlich nur ein paar Dutzend evangelische Pastoren (wenn überhaupt) vollzeitlich im Gemeindedienst arbeiten und auch ganz durch die Gemeinde bzw. Kirche finanziert werden. Nicht wenige haben eine zusätzliche Arbeit oder sind unternehmerisch tätig. Für manche ist die Gemeindearbeit daher faktisch eher Nebenjob.
Nicht selten betreuen Pastoren mehrere Gemeinden, d.h. kümmern sich zusätzlich zu einer ‘größeren’ auch um kleinere. Das gilt vor allem für die lutherischen Pfarrer, die im Memelland oder Nordlitauen für zwei, drei oder gar vier Gemeinden Verantwortung tragen. Durch zahlreiche Amtshandlungen haben sie ihr Auskommen, verdienen aber eher bescheiden (litauischer Durchschnittverdienst nun gut 1300€ netto). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Ehepartner allermeist berufstätig sind; auch ein Kindergeld gibt es (knapp einhundert Euro pro Kind bis zur Volljährigkeit bzw. Schulabschluss, kindereriche Familien ab drei Kindern erhalten höhere Summen).
Man kann daher durchaus wohlhabende Pastoren treffen, aber das sind nur Einzelfälle. Es gibt Gemeinden, die aufgrund eines hohen Spendenaufkommens (z.B. durch die Praxis des Zehnten) ihre Hirten gut entlohnen. Meist steckt hinter guter finanzieller Versorgung aber die eigene gut laufende Firma, gut verdienende Ehepartner o.ä. Insgesamt gilt, dass Arbeit in Gemeinde, Diakonie oder in missionarischen Werken in finanzieller Hinsicht ein ausgesprochen schlechter Karriereschritt ist. Wen wundert‘s, dass sich kaum junge Männer zu solchen Diensten berufen sehen. Auf manche Kirchen kommt daher ein riesiges Nachwuchsproblem zu.
Und die Frauen? In Schweden, auf der anderen Seite der Ostsee, sind die weiblichen lutherischen „Priesterinnen“ schon in der Mehrheit. Die lutherische Kirche Litauens ging in die andere Richtung und hat sich schon vor Jahrzehnten von der Frauenordination verabschiedet (allerdings ohne entsprechenden kirchenrechtlichen Beschluss). Bei den Reformierten ist eine Pastorin tätig. Landesweit gibt es nur eine Handvoll Frauen im vollzeitlichen Gemeindedienst. Wie immer man es bewertet – das Pastorenamt ist in Litauen nach wie vor eine männliche Domäne.
Die Reformation führte auch zu einer Erneuerung und Verbesserung der Ausbildung der Gemeindehirten. Die damals meist sehr schlecht ausgebildeten katholischen Priester hatten den Evangelischen kaum etwas entgegenzusetzen. Heute dagegen sind die katholischen Hirten Litauens, die Bischöfe, gut ausgebildet: mehrere haben einen Doktortitel. Und dank eines recht hohen Niveaus an den Priesterseminaren sind auch die Priester auf einen guten Ausbildungsstand.
Auf evangelischer Seite sieht dies nun ganz anders aus. In den jüngeren Gemeinden haben nicht wenige Pastoren keine ordentliche Ausbildung, und selbst bei den lutherischen und reformierten Pfarrern darf man keineswegs bei allen von soliden Kenntnissen der reformatorischen Fundamente ausgehen. Die Folgen zeigen sich natürlich in Predigt und Lehre. Schnelle Abhilfe ist hier nicht in Sicht, da es kaum Ausbildungsstätten gibt. Der Pfingstbund unterhält ein College, der Baptistenbund kümmert sich um Gemeindemitarbeiter. Auch am EBI stellen interessierte Laien die große Mehrheit der Studierenden – nur der eine oder andere bereitet sich dort auf den vollzeitlichen Dienst vor (Träger sind der Bund evangelischer Gemeinden und die reformierte Kirche).
Nachdem der Lehrstuhl für evangelische Theologie an der Uni Klaipėda vor vielen Jahren geschlossen worden war, kann man dies Fach auf Hochschulniveau fast nirgendwo in Litauen studieren (an der LCC International University in Klaipėda kann ein „BA in Theology“ erworben werden). Es bleibt nur der Gang ins Ausland oder ein Fernstudium. Doch Beispiele zeigen, dass die Rückkehrer selbst mit ‘perfekter’ Ausbildung hier manchmal nicht mehr Fuß fassen.
Zur Weiterbildung nutzen manche die Angebote und Konferenzen des „European Leadership Forum“, und am EBI tun wir unser Bestes. Häufig mangels Zeit oder Überarbeitung, teilweise aber auch aus Nachlässigkeit kümmern sich viele nicht um die nötigen Kenntnisse für den Hirtendienst. Hinzu kommt die insgesamt schlechte Zusammenarbeit der Evangelischen untereinander. Trotz konservativer theologischer Grundhaltung bei der großen Mehrheit bleiben alle weitgehend unter sich.
Auch wenn sich nicht wenige Pastoren für wenig Geld abrackern, bleiben die Aussichten, menschlich gesehen, eher trüb. Hoffnung machen die sog. Laien – Mitarbeiter, Älteste oder Prediger ohne den Status als Pastor. Sie zeigen nicht selten Lerneifer, der den der ‘Profis’ in den Schatten stellt. Langfristig werden sich die pastorenzentrierten Kirchen Litauens wandeln – wandeln müssen.
(Bild o.: Pfarrer der lutherischen Kirche Litauens)