Das Ende der grünen Männchen

Das Ende der grünen Männchen

Architektur lässt sich nicht so einfach entsorgen. Selbst deutsche Minister sitzen in Bauten aus der Nazizeit, und auch in Litauen werden natürlich Gebäude aus der sowjetische Epoche weitergenutzt. Ganz anders sieht das bei der Symbolik der vergangenen Diktaturen aus. Wie in der Bundesrepublik das Hakenkreuz so sind in Litauen Hammer und Sicher in der Öffentlichkeit verboten. Rote Sterne, früher allgegenwärtiges Zeichen der Gegenwart der Besatzer, muss man nun schon sehr lange suchen. Fündig wird man eigentlich nur noch auf den zahlreichen sowjetischen Kriegsgräberstätten.

Die kommunistischen Denkmäler wurden allermeist schon 1991 geschleift. Meist traf es Lenin, auch zahlreiche Rotarmisten und andere Siegesfiguren. Sie standen in der Regel auf prominenten Plätzen, die bis heute oft leer geblieben sind wie der Lukiškės-Platz mitten in Vilnius. Viele der beseitigten Skulpturen und Büsten sind nun im privaten Grūtas-Park in Südlitauen, einer Art sowjetischem Freilichtmuseum, zu besichtigen.

Acht Figuren (Darstellungen von sechs Männern und zwei Frauen) überlebten jedoch lange auf wundersame Weise: die mannshohen Skulpturen auf beiden Seiten der „Grünen Brücke“. Im Herzen der Hauptstadt, nur ein paar Hundert Meter vom Sitz des Premiers, unweit der Oper und in Sichtweite des Gediminas-Hügels, des Wahrzeichens der Stadt, – und hier Relikte der Sowjetzeit: je zwei Personen symbolisieren die „Landwirtschaft“, die „Jugend der Wissenschaft“, „In der Wacht des Friedens“ (zwei Soldaten) und „Industrie und Bau“.

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Die Grüne Brücke mit Blick auf den Stadtteil Šnipiškės

Am nordwestlichen Rand der Vilniuser Altstadt wurde schon im 16. Jahrhundert eine Brücke über den Nėris errichtet. Bei der Erneuerung 1766 erhielt sie einen grünen Anstrich und wird seitdem die Grüne Brücke genannt. Von den Deutschen Anfang Juli 1944 zerstört bauten die Sowjets 1952 die wichtige Brücke neu auf. Sie wurde nach dem General der Roten Armee Iwan Tschernjachowski benannt, der im Februar 1945, keine 40 Jahre alt, in Ostpreußen gefallen war. Litauische Künstler fertigten die acht Skulpturen an. Zuletzt wurde die Brücke 2006 rekonstruiert. Dem Namen entsprechend (nach 1990 wieder der alte) ist die tragende Stahlkonstruktion seit 1993 wieder grün.

Warum verschwanden die propagandistischen Figuren nicht gleich Anfang der 90er Jahre? Weil sie als Teile der Brücke mit dieser unter Denkmalschutz stehen. Als Denkmäler auf freier Fläche hätten sie nicht lange ‘überlebt’, aber als Bauelement einer wichtigen Verkehrsverbindung schon. 25 Jahre lang gab es mitunter heftige Diskussionen um ihr Schicksal. Die Puritaner der Unabhängigkeit, der Verband der politisch Verfolgten und Vertriebenen, liefen natürlich Sturm gegen die Skulpturen und forderten immer wieder ihre Entfernung. Auch manche der Bürgermeister, gerade die aus den Reihen der Konservativen, verhehlten nicht ihre Absicht: die grünen Männchen müssen weg. Schließlich ergriffen Intellektuelle des Landes das Wort, und auch ihr Tenor war überwiegend negativ: zwei Rotarmisten und sowjetischer Realismus an dieser Stelle in der Hauptstadt – eine Dauerprovokation, die endlich beendet werden muss.

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Die Rotarmisten am nördlichen Ende der Brücke…

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… nur noch mühsam zusammengehalten.

Interessanterweise sahen die Bürger selbst dies nicht unbedingt so streng. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2010 sprachen sich an die 80% der Vilniuser gegen eine Entfernung der Skulpturen aus. Man hatte sich schlicht und einfach an sie gewöhnt. Wenn Mehrheiten den letzten KP-Chef Algirdas Brazauskas zum Präsidenten und später Premier Litauens gemacht haben, so wundert auch in diesem Fall nicht, dass die Sowjetkunst zum Teil des Kulturerbes erklärt worden ist.

Wie man es dreht und wendet: Im Falle der acht Figuren zeigte sich die Stärke des litauischen Rechtsstaates. Eine Stadtregierung kann nicht mal eben so geschützte Kunstobjekte beseitigen. Alles muss sich im Rahmen des Rechts bewegen, und vor fünf Jahren meinte der oberste Denkmalschützer sogar: solange die Grüne Brücke steht, werden die Skulpturen bleiben.

Da hat er jedoch die Rechnung ohne das nordische Klima gemacht. Denn jedem Vorbeigehenden war schon eine Weile klar: Hier fällt einem bald etwas auf den Kopf. Die natürlich nicht aus purer Bronze o.ä. gegossenen Skulpturen zerbröselten nach und nach. Wegen akuter Baufälligkeit ließ Remigijus Šimašius, der frischgewählte junge Bürgermeister, am 20. und 21. Juli die acht Figuren endlich beseitigen. Sie sind nun auf einen städtischen Bauhof zwischengelagert. Bis auf weiteres. Denkmalgeschützt sind sie immer noch, aber es steht kein Geld für eine Restaurierung bereit. (Vor Jahren hatte die Moskauer Stadtregierung angeboten, diese Kosten zu übernehmen, was dankend abgelehnt wurde.) Niemand rechnet daher damit, dass die grünen Männchen und zwei Frauchen noch einmal auf ihre Brücke zurückkehren werden. Irgendwann einmal wird auch ihr rechtlicher Status geändert werden. Manchmal ist eben auch Abwarten und Aussitzen eine Lösung. Und Vilnius ist nun um eine Touristenattraktion ärmer.

ZT

Die demontierten Figuren