Lennart Meris prophetische Worte
„Fürchte Gott, rede die Wahrheit, tue Recht und scheue niemand“. So heißt es in deutscher Sprache auf dem Rathaus in Tallinn, der estnischen Hauptstadt. Jahrhundertelang wurde der Ort, Reval genannt, von einer deutschen Oberschicht bestimmt. Die Verbindungen zu Deutschland sind historisch eng, und daran knüpfte vor genau zwanzig Jahren auch der Präsident Estlands in seiner Rede in Hamburg an. Lennart Meri (1929–2006) war wie Vaclav Havel ein Literat und Schöngeist an der Staatsspitze – und dennoch ein nüchterner Realist. Fast ein ganzes Jahrzehnt amtierte der konservative Politiker als Präsident des kleinen Landes (1992–2001).
Am 25. Februar 1994 erinnerte Meri im Rahmen des Matthiae-Mahl im Großen Saal des Rathauses daran, dass die Esten ein „zum westeuropäischen Kulturkreis gehörendes Volk“ sind. Sie schätzen die Freiheit hoch, denn lange wurde diese ihnen genommen. Meri war mit seiner Familie nach Sibirien verbannt worden. „Die Freiheit jedes einzelnen, die Freiheit der Wirtschaft und des Handels, ja auch die Freiheit des Geistes, der Kultur und der Wissenschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Sie bilden die Voraussetzung für eine lebensfähige Demokratie“, so der Präsident.
Meri nutzte seinen Auftritt in Deutschland aber auch dazu, Tacheles zu reden: Er will „ganz offen sagen, dass mein Volk und ich mit gewisser Sorge beobachten, wie wenig im Westen erkannt wird, was sich in den Weiten Russlands jetzt zusammenbraut.“ Man bedenke, dass damals Jelzin in Moskaus am Ruder war, kein Putin. Er warnte davor, „das Wünschenswerte mit der Wirklichkeit zu verwechseln“. Der Präsident weist die Zuhörer auf ein Dokument aus dem Kreml hin, in dem es heißt, „dass das Problem der russischen Volksgruppen in den benachbarten Ländern durch Russland nicht nur mit diplomatischen Mitteln gelöst werden kann. … Aus dieser Moskauer Denkschrift lässt sich doch nur der Schluss ziehen, dass nötigenfalls auch andere Mittel eingesetzt werden dürfen. Welche Mittel das sein können, haben wir Esten – gemeinsam mit anderen kleineren Nationen – in unserer jüngsten Geschichte auf bittere Weise auskosten müssen.“
Schon vor zwanzig Jahren gab es solche warnenden Stimmen: „Es beunruhigt mich, dass in der russischen Außenpolitik und in der russischen politischen Philosophie in letzter Zeit wieder das Irrationale überhandnimmt.“ Was sich „im demokratischen Westen aus Bequemlichkeit als Realpolitik ausgibt“ ist für Meri „eine ebenso bedenkliche Tendenz“, und konkret: „Das ist die Neigung zu einer Haltung, die man als “appeasement” bezeichnen kann. Durch diese Haltung macht man sich wider besseres Wissen zum Komplizen imperialistischer Kräfte in Russland, die glauben, sie könnten die immensen ungelösten Probleme ihres Landes durch Expansion nach außen und Bedrohung ihrer Nachbarn lösen.“
Das estnische Staatsoberhaupt ist überzeugt: „Wer heute Russland und dem russischen Volk wirklich helfen will, der muss die russische Führung nachdrücklich davon überzeugen, dass es für eine neue imperialistische Expansion keine Chancen gibt. Wer dies nicht tut, hilft in Wirklichkeit den Feinden der Demokratie in Russland und in den anderen postkommunistischen Staaten.“
Meri noch deutlicher: „Die westliche und vor allem die deutsche Politik steht vor einer schicksalhaften Alternative: Will man eine neo-imperialistische Politik der Großmacht im Osten tolerieren, finanzieren und womöglich davon auf kurze Sicht auch noch profitieren?… Oder will man der Idee der Demokratie, der Freiheit, der Verantwortung und des Friedens im ganzen gewaltigen Raum zwischen Ostsee und Pazifik zum Erfolg verhelfen? Wenn man das will, dann sollte der demokratische Westen entschlossen zur Stabilität und zur Sicherheit der mittleren und kleineren Staaten östlich der deutschen Grenze beitragen. Ich meine hier den ganzen Raum Mitteleuropas, der für mich von der estnischen Grenzstadt Narwa an der Ostsee bis an die Adria reicht und auch die Ukraine mit einschließt.“
Zehn Jahre später, 2004, wurden die baltischen Staaten in Nato und EU aufgenommen. Das Baltikum genießt nun tatsächlich viel Sicherheit und Stabilität. Aber man beachte, dass Meri damals schon die Ukraine in diesen mittel- oder zentraleuropäischen Raum miteingeschlossen hat. Meris geostrategisches Vision: „Wenn es uns gelingt, diesen Staatengürtel in die demokratische Welt einzugliedern – dann wird von diesen Ländern eine Beispielwirkung auf den russischen Raum ausgehen. Wir wollen, vielmehr wir müssen im Westen sicher verankert sein. Von einer solchen festen Position aus – und nicht als etwaige Grauzone – können wir unsere Brückenfunktion in ost-westlicher Richtung wahrnehmen und dabei den demokratischen Kräften Russlands helfen.“
Eine „Beispielwirkung auf den russischen Raum“? Genau das ist jedoch auch die Horrorvision des jetzigen Machthabers im Kreml. Eine funktionierende Demokratie in der Ukraine, Sicherheit und Stabilität auch dort – das würde nun wirklich auch auf Russland abstrahlen und autokratische Herrschaft dort erschweren. Selbst im Baltikum nutzt der Kreml immer noch alle Möglichkeiten der Einflussnahme und Propaganda, und zum Glück befinden sich diese nicht mehr in der Grauzone. Doch die Ukraine ist noch mitten darin.
Meri sprach damals in Hamburg genau ein Tag nach dem estnischen Unabhängigkeitstag (zum Gedenken an den 24. Februar 1918). Das Baltikum war vor zwanzig Jahren „tatsächlich zu einem Prüfstein für die europäische Idee geworden“. Nun ist es die Ukraine. Hier die ganze Rede:
Rede des Staatspräsidenten der Republik Estland S.E. Lennart Meri anlässlich der Matthiae-Mahlzeit am 25. Februar 1994 in Hamburg
Verehrter Herr Bürgermeister, Exzellenzen, meine Damen und Herren !
Ich bin der Präsident der Republik Estland. Wenn ich die spitzen Kirchtürme der Freien und Hansestadt Hamburg vor mir sehe, könnte ich meinen, ich wäre daheim, in der alten Hansestadt Reval/Tallinn am Finnischen Meerbusen. Trotzdem habe ich hier und heute eine ehrenvolle Aufgabe zu erfüllen – eine Aufgabe, die ich für besonders wichtig halte: Es geht mir darum, Ihnen eine Botschaft aus meinem Lande zu übermitteln, das Hamburg eigentlich ganz nahe liegt
Der hanseatische Geist, dem sich außer Tallinn noch mehrere Städte Estlands bis heute verbunden fühlen, war immer ein weltoffener Geist. Er ist aber auch ein unternehmender, ja sogar kämpferischer Geist gewesen, wenn es um die Freiheit und ihre Bewahrung ging.
Auf dem Revaler Rathaus steht bei uns in deutscher Sprache ein Satz, der diesen hanseatischen Geist verdeutlicht: “Fürchte Gott, rede die Wahrheit, tue Recht und scheue niemand” – Dieser jahrhundertealten Forderung möchte ich heute gerecht werden und Ihnen offen die Wahrheit sagen, wie sie sich gegenwärtig für mein Volk und mich darstellt.
Die Freiheit jedes einzelnen, die Freiheit der Wirtschaft und des Handels, ja auch die Freiheit des Geistes, der Kultur und der Wissenschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Sie bilden die Voraussetzung für eine lebensfähige Demokratie.
Das estnische Volk hat in Jahrzehnten der totalitären Unterdrückung den Glauben an diese Freiheit niemals aufgegeben. Diese Freiheit, die Idee der Freiheit war in unserem Land seit vielen Jahrhunderten aus den Verbindungen gewachsen, die wir mit dem übrigen Europa gehabt und gepflegt haben. Ohne unbescheiden zu sein: Es gibt im östlichen Teil Mitteleuropas kaum eine Nation, die enger mit Europa verbunden war und ist als das estnische Volk. Noch heute lässt sich dies an der Lebensweise auch des einfachsten meiner Landsleute sofort erkennen.
Gerade weil wir ein zum westeuropäischen Kulturkreis gehörendes Volk sind und weil wir leider in einer geostrategisch sehr exponierten Lage leben, haben wir mehr als so mancher andere Europäer einen Instinkt für Probleme und Gefahren entwickelt, die in unserer Nachbarschaft drohen. Diese Fähigkeit des Erkennens ist in unserer modernen Welt weitgehend abhandengekommen. Um es anschaulich zu machen: Es ist wie mit unsichtbaren Seuchenbazillen – diese kennen wohl den Menschen, der gewöhnliche Mensch aber erkennt sie nicht, er hat Angst vor ihnen.
Es waren ja die kleinen, von der Welt bereits vergessenen baltischen Völker, die eigentlich das große und mächtige Sowjetreich zum Einsturz brachten – und zwar friedlich, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern und ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Wir handelten nach unserem gesunden Menschenverstand – oft allerdings gegen nicht immer selbstlose, konformistische Warnungen.
Ich möchte Ihnen, so wie es der Forderung des zitierten Spruchs aus unserem Rathaus entspricht, ganz offen sagen, dass mein Volk und ich mit gewisser Sorge beobachten, wie wenig im Westen erkannt wird, was sich in den Weiten Russlands jetzt zusammenbraut.
Es ist subjektiv verständlich, dass der Westen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein gewisses Triumphgefühl verspürte, ebenso ist subjektiv verständlich, dass der Westen alle seine Hoffnungen und Sympathien auf die echten oder angeblichen Reformkräfte in Russland konzentrierte. Dadurch ist aber der Westen in die Gefahr geraten, das Wünschenswerte mit der Wirklichkeit zu verwechseln.
Wir alle, auch das estnische Volk und die anderen Völker Mittel- und Osteuropas wünschen uns ebenso wie der Westen ein wirtschaftlich und sozial stabiles Russland. Wenn wir aber die Ereignisse der letzten Jahre betrachten, dann müsste uns eigentlich das bange Gefühl überkommen, dass wir uns von diesem Ziel immer weiter entfernt haben.
Was beunruhigt die Esten, aber nicht nur sie, an der heutigen Entwicklung in Europa? Uns hat erstaunt, dass der Westen russische Soldaten und Panzer nach Sarajevo eingeladen hat. Seit Bismarck und dem Berliner Kongress 1878 war es doch die Politik des Westens, die Russen im Namen des Friedens möglichst fern vom Balkan zu halten. Nach dem zweiten Weltkrieg haben die USA und der Westen mehr als achtzig Milliarden Dollar investiert, um den Titoismus am Leben und die Sowjets fern von der Adria zu halten.
Fragen wir uns: Kann ein Staat, der selber mit schwersten ungelösten ethnischen und ethischen Problemen zu ringen hat, als Schiedsrichter und Friedensstifter in anderen Staaten mit ethnischen Problemen glaubwürdig auftreten? Das Unbehagen wird umso grösser, wenn man eines der neuesten Dokumente des russischen Außenministeriums zur Hand nimmt. Hier heißt es, dass das Problem der russischen Volksgruppen in den benachbarten Ländern durch Russland nicht nur mit diplomatischen Mitteln gelöst werden kann. Diese russischen Volksgruppen aber haben sich oftmals dort im Tross der Okkupanten und nach massenhaften Zwangsdeportationen der eingesessenen Bevölkerung niedergelassen.
Aus dieser Moskauer Denkschrift lässt sich doch nur der Schluss ziehen, dass nötigenfalls auch andere Mittel eingesetzt werden dürfen. Welche Mittel das sein können, haben wir Esten – gemeinsam mit anderen kleineren Nationen – in unserer jüngsten Geschichte auf bittere Weise auskosten müssen.
Also, es beunruhigt mich, dass in der russischen Außenpolitik und in der russischen politischen Philosophie in letzter Zeit wieder das Irrationale überhandnimmt. Solschenizyn hat seinerzeit die Russen aufgerufen, vom Imperium Abschied zu nehmen und sich stattdessen auf sich selbst zu konzentrieren. Er benutzte das Wort “Selbstbegrenzung” und forderte die Russen auf, ihre eigenen wirtschaftlichen, sozialen aber auch geistigen Probleme zu lösen. In Missachtung dieses Postulats ihres großen Landsmanns sprechen verantwortliche russische Politiker plötzlich wieder offen von einer angeblich “besonderen Rolle” Russlands, von einer Funktion als “Ordnungsmacht”, die das neue Russland auf dem Territorium der ganzen ehemaligen UdSSR zu erfüllen habe. Herr Karaganow, einer der engsten Berater des Präsidenten Jelzin, hat das neulich in der Form scheinbar zurückhaltend, in der Sache aber ganz hart ausgedrückt, als er sagte: Russland werde im ganzen Raum des ehemaligen Sowjetimperiums die Rolle eines “primus inter pares” – eines Ersten unter Gleichen – ausfüllen. Das erinnert mich an den Ausspruch George Orwells, der einmal im Blick auf den Sowjetkommunismus das Wort prägte: “Alle sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen!”
Warum weigert sich das neue, postkommunistische Russland, das angeblich mit den bösen Traditionen der UdSSR gebrochen hat, hartnäckig, zuzugeben, dass die baltischen Nationen, die Esten, Letten und Litauer 1940 und dann wieder 1944 gegen ihren Willen und gegen das Völkerrecht besetzt, annektiert und anschließend fünf Jahrzehnte lang bis an den Rand ihrer nationalen Existenz sowjetisiert und russifiziert wurden? Erst heute erklärte der stellvertretende Moskauer Außenminister Krylow ganz offiziell als Antwort an die baltischen Staaten, 1940 hätten sich Estland, Lettland und Litauen “freiwillig” der Sowjetunion angeschlossen. Jetzt fehlt nur noch die Behauptung, Zehntausende Esten – darunter auch meine Familie und ich selber – hätten sich durch die Sowjets “freiwillig” nach Sibirien deportieren lassen.
Meine Damen und Herren, wie erklären wir uns in allem Ernst und bei ruhigem Gemüt dies alles? Natürlich, ist das ein mehr oder weniger bekannter Irrationalismus, der von Russland ausgeht und die russische Politik unberechenbar erscheinen lässt. Doch gibt es auch eine ebenso bedenkliche Tendenz, die sich im demokratischen Westen aus Bequemlichkeit als Realpolitik ausgibt. Das ist die Neigung zu einer Haltung, die man als “appeasement” bezeichnen kann. Durch diese Haltung macht man sich wider besseres Wissen zum Komplizen imperialistischer Kräfte in Russland, die glauben, sie könnten die immensen ungelösten Probleme ihres Landes durch Expansion nach außen und Bedrohung ihrer Nachbarn lösen.
Der ganze freie Westen empört und entsetzt sich über die bekannten Erklärungen Schirinowskijs. Aber erstaunlicherweise nimmt kaum jemand davon Kenntnis und protestiert niemand, wenn der russische Außenminister Kosyrew dieser Tage erklärt: die Moskauer Regierung halte die weitere Anwesenheit russischer Truppen in den ehemaligen Sowjetrepubliken für wünschenswert.
Unsere konsequente Haltung in der Frage der aktuellen politischen Situation Europas geht aus geschichtlicher Erfahrung und aus unserem Verantwortungsbewusstsein hervor: In unserem Rücken befindet sich kein leeres Brachland, sondern da sind andere freie europäische Staaten.
Die sozialpolitischen oder wirtschaftlichen Prozesse in Russland, das auch heute noch mehr ein Superkontinent denn ein Staat ist, kann man bei bestem Willen von außen her kaum steuern. Das hat die Erfahrung der letzten Jahre klar bewiesen: Die im freien Westen verbreitete Neigung, den jeweils in Moskau amtierenden Chef – sei es nun Chruschtschow, Breschnew, Gorbatschow oder Jelzin – für unersetzlich zu halten, hat zu gigantischen Fehlinvestitionen und Fehlurteilen geführt. Wer heute Russland und dem russischen Volk wirklich helfen will, der muss die russische Führung nachdrücklich davon überzeugen, dass es für eine neue imperialistische Expansion keine Chancen gibt. Wer dies nicht tut, hilft in Wirklichkeit den Feinden der Demokratie in Russland und in den anderen postkommunistischen Staaten.
Wie gesagt, meine Damen und Herren: Estland liegt Deutschland und Hamburg sehr nahe. Die westliche und vor allem die deutsche Politik steht vor einer schicksalhaften Alternative: Will man eine neo-imperialistische Politik der Großmacht im Osten tolerieren, finanzieren und womöglich davon auf kurze Sicht auch noch profitieren? – Das wäre eine Politik, verehrte Zuhörer, die nicht über den Rand des eigenen Suppentellers schaut. – Oder will man der Idee der Demokratie, der Freiheit, der Verantwortung und des Friedens im ganzen gewaltigen Raum zwischen Ostsee und Pazifik zum Erfolg verhelfen? Wenn man das will, dann sollte der demokratische Westen entschlossen zur Stabilität und zur Sicherheit der mittleren und kleineren Staaten östlich der deutschen Grenze beitragen. Ich meine hier den ganzen Raum Mitteleuropas, der für mich von der estnischen Grenzstadt Narwa an der Ostsee bis an die Adria reicht und auch die Ukraine mit einschließt.
Wenn es uns gelingt, diesen Staatengürtel in die demokratische Welt einzugliedern – dann wird von diesen Ländern eine Beispielwirkung auf den russischen Raum ausgehen. Wir wollen, vielmehr wir müssen im Westen sicher verankert sein. Von einer solchen festen Position aus – und nicht als etwaige Grauzone – können wir unsere Brückenfunktion in ost-westlicher Richtung wahrnehmen und dabei den demokratischen Kräften Russlands helfen. Dann kann man, von West nach Ost fortschreitend, Demokratie, Marktwirtschaft, Privateigentum und nicht zuletzt dem Rechtsstaat im östlichen Raum zum Erfolg verhelfen.
Wenn aber jene Staaten, zu denen auch Estland gehört, sich selbst überlassen und ungeschützt einem etwaigen neoimperialistischen Appetit Moskaus ausgesetzt werden, dann wäre der Preis dafür so hoch, dass ihn ganz Europa nicht mehr bezahlen könnte.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen hier einige der schwersten Sorgen vorgetragen, aus denen hervorgeht, dass das Baltikum tatsächlich zu einem Prüfstein für die europäische Idee geworden ist. Wenn wir aber den gemeinsamen Willen aufbringen, die Ursachen für diese Sorgen zu überwinden, dann steht vor uns die hoffnungsvolle Vision einer friedlichen Zukunft. Diese stützt sich auf überzeugende Tatsachen. Wir sehen gemeinsame Interessen zwischen Estland, dem nordwestlichen Russland sowie dem gesamten Ostsee- und Nordseeraum. Wir können dann über eine Erdgasleitung sprechen, die das norwegische Erdgas über die Halbinsel Kola und die freien baltischen Staaten bis nach Hamburg führt. Wir sehen, wie eine Autobahn von St. Petersburg über Estland, Lettland und Litauen bis nach Berlin und weiter führt – die “Via Baltica”. Wir sehen etliche Freihandelszonen und Freiräume für neue Initiativen. So wie einst, würde dann Reval/Tallinn als Vermittler zwischen Hamburg und anderen Hansestädten im Westen und Nowgorod, also dem russischen Raum, aktiv sein. Eine der Hanse ähnliche Zusammenarbeit ist die natürliche Zukunftsperspektive für alle Staaten, die an die Ostsee und an die benachbarte Nordsee grenzen.
Die Republik Estland , die innenpolitisch, wirtschaftspolitisch und sozial zu den stabilsten Staaten der Region gehört, möchte Ihnen, meine Damen und Herren, gute Dienste, Solidarität und Freundschaft anbieten.
Wir bemühen uns, Ihre Situation zu verstehen. Meine Bitte geht dahin: Bitte, verstehen Sie auch unsere Situation. Es liegt im gesamteuropäischen und damit auch in Ihrem deutschen und Hamburger Interesse, dass Estland demokratisch und frei bleibt.
Quelle: http://vp1992-2001.president.ee/ger/k6ned/K6ne.asp?ID=9402