“Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so”
Vor zwei Tagen wurde bei Maischberger in der ARD-Sendung „Homosexualität auf dem Lehrplan: droht die ‘moralische Umerziehung’?“ hart diskutiert. Der Protestant Harmut Steeb von der Allianz und die Katholikin Birgit Kelle schlugen sich tapfer und hatten gewiss den gesunden Menschenverstand auf ihrer Seite (mehr dazu auch hier). Von Autorin Hera Lind kann man dies wohl kaum behaupten, wenn sie etwa meinte: „Ich stehe allem wertneutral gegenüber.“ Etwa auch der Pädophilie?
Welches Chaos bei der Deutung der Begriffe Toleranz und Akzeptanz herrscht, zeigte auch der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn. Er kann die Aussage von Steeb, der „froh“ ist, dass keines seiner zehn Kinder schwul oder lesbisch ist, „nicht akzeptieren“. Denn das gäbe ja den Homosexuellen das Gefühl: „Du bist weniger wert“. Und das dürfe ja wohl nicht sein.
Der wohl beste Kommentar zur Sendung stammt von Matthias Matussek auf „Die Welt online“. Vor ein paar Wochen hat er beim SPIEGEL seine letzte Reportage abgeliefert (aus Kuba). Brillant wie so oft. Die üblichen Klischees der primitiven, tumben und rückständigen Christen prallen an ihm ab. Es gibt wohl kaum einen Journalisten, der sich in der Kultur- und Geistesgeschichte besser auskennt – von Mao bis Mose, vom Argentinier Che bis zu dessen Landsmann Franziskus. Und nun also sein bissiger Text (in Anlehnung an Wowereits Spruch): „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“.
„Homophobie hat mittlerweile dem Antisemitismus als schlimmste ideologische Sünde den Rang streitig gemacht,“ so Matussek, Autor zahlreicher Bücher wie z.B. Das katholische Abenteuer. Und provozierend fragt er: „Warum wird eigentlich der Sadomasochismus im Lehrplan der Baden-württembergischen Kindererziehung übergangen?“
Gegen Ende zitiert er den Katholiken Spaemann:
„Was für ein Eiertanz um die einfache Tatsache, dass die schwule Liebe selbstverständlich eine defizitäre ist, weil sie ohne Kinder bleibt. Der Philosoph Robert Spaemann hatte es in einem Interview mit der WELT so ausgeführt: ‘Das Natürliche ist auch moralisches Maß für die Beurteilung von Defekten. Nehmen Sie die Homosexualität: Die Abwesenheit der sexuellen Anziehungskraft des anderen Geschlechts, auf dem die Fortexistenz der menschlichen Gattung beruht, ist ein solcher Defekt. Aristoteles nennt das einen Fehler der Natur. Ich sage, es ist einfach ein unvollständig ausgestattetes Wesen, wenn es über die Dinge nicht verfügt, die zu einem normalen Überleben gehören.’“
Und weiter:
„So, und nun lasse ich mich gerne dafür steinigen, dass ich Spaemann und Aristotels zustimmend zitiere. Oder auch dafür, dass ich keine Lust habe, mich von den Gleichstellungsfunktionären plattmachen zu lassen, egal wie oft sie mir vorhalten mögen, dass es auch in der Natur bei irgendwelchen Pantoffeltierchen Homosexualität gebe und dass meine Haltung mittelalterlich sei.“
Und abschließend zu der elenden Frage, wer sich wie wertgeschätzt fühlt:
„Ich glaube nicht, dass die Ehe zwischen Männern oder Frauen gleichen Geschlechts derjenigen zwischen Mann und Frau gleichwertig ist. Punkt. Nicht, dass die Veranlagung Sünde wäre – ich glaube, der liebe Gott liebt alle seine Geschöpfe. Doch ich glaube auch an die Polarität der Schöpfung und daran, dass es für Kinder wichtig ist, diese Polarität zu erleben.“
Ich liebe ihn!
Hier noch ein Auszug aus der Replik Holgers zu „Ist Homosexualität Sünde?“, der dreiteiligen Artikelserie von Andrius Bielskis im Juni-Juli 2010 auf www.delfi.lt.
Was sagt die Wissenschaft wirklich?
Bielskis liefert keine schlüssigen biblischen und theologischen Argumente, warum die traditionelle Sicht geändert werden sollte. Sein Hauptzeuge ist nämlich die Wissenschaft:
„Die Errungenschaften der moderne Psychologie und Sozialwissenschaften der letzten 50 Jahre sind sehr wichtig. Sie ergaben, dass die homosexuelle Orientierung keine Pathologie ist und dass in jeder Gesellschaft, unabhängig von ihrer kulturellen Praktiken und Werten, immer bis zu 10 Prozent homosexuelle Menschen gab und geben wird. Homosexuelle Menschen wählen ihre sexuelle Orientierung genauso wenig wie heterosexuelle. Für die meisten Menschen ist diese völlig natürlich, so dass jeder Versuch, diese zu behandeln oder auf den ‘richtigen Weg’ zu führen nicht nur wirkungslos ist, sondern auch die Würde des Menschen verletzt. In diesem Kontext der Errungenschaften der Sozialwissenschaften – am besten geben diesen die wichtigsten Verbände der wissenschaftlichen Psychologen und Soziologen wieder, die sich einig sind, dass Homosexualität keine Perversion oder eine Krankheit darstellt – müssen wir die Hinweise auf homosexuelle Praktiken in der Bibel verstehen.“
Sollen wir auf die Wissenschaft hören, um die Bibel besser zu verstehen? Ja, das ist durchaus hilfreich und kann zu großem Erkenntnisgewinn führen. Doch Bielskis geht weit darüber hinaus: Diese angeblich eindeutigen Erkenntnisse sollen mehr oder weniger vorgeben, wie wir die Bibel zu verstehen haben. Es sollte dagegen umgekehrt sein: die Bibel hat oberste Autorität. Bielskis sollte so ehrlich sein und zugeben, dass er der „modernen“ Wissenschaft (oder das, was er dafür hält) mehr Autorität einräumt als den Worten der „archaischen“ Texte der Bibel.
Bielskis Auffassung von Wissenschaft selbst ist aber ebenfalls recht seltsam. Warum zitiert er die uralten Zahlen, die seit den Sexualreports von Kinsey durch die Welt geistern: immer gab es bis zu 10 Prozent homosexuelle Menschen. Nach neueren Untersuchungen (und sonst ist doch bei ihm „neu“ immer gleich „besser“!) sind etwa 2(-3)% der Männer rein homosexuell empfindend, also nicht 10%.
Auf Alfred Kinsey (1894-1956) gehen nicht nur die mythischen 10 Prozent zurück. Vor allem definierte er die menschliche Sexualität ganz neu. Der Zoologe und Sexualforscher isolierte das Lustprinzip und löste es aus den Bezügen zur gesamten Person heraus. Dies besagt, dass der Sinn der Geschlechtlichkeit des Menschen vor allem in individuellem Lustgewinn bestehe und insbesondere von dem Aspekt der Zeugung von Nachkommenschaft abzulösen sei. In welcher Form dieser Lustgewinn erzielt wird, ist dabei gleichgültig. Den Niederschlag dieser auf Kinsey fußenden Theorien finden wir inzwischen sogar in amtlichen Verlautbarungen von Kirchen im Westen.
Tatsächlich wurde der Abschnitt über Homosexualität schon 1974 von der Vereinigung der amerikanischen Psychiater (APA) von der Liste der psychischen Störungen gestrichen und 1992 aus der internationalen Klassifikation psychischer Störungen, der ICD-10, kommentarlos genommen. Doch dies war ein politischer Akt und eben nicht wissenschaftlich wirklich begründet. Für die Granden der Psychotherapie wie Freud, Adler und Jung war noch klar, dass es wünschenswert ist, dass ein homosexuell Orientierter seine Homosexualität überwinden kann. Adler kommt in Das Problem der Homosexualität (1917) zu dem Schluss, dass sie nicht erbbedingt ist.
Nun sind Freud und Co. ja nicht mehr „modern“. Hat die Wissenschaft in den letzten 50 Jahren, wie Bielskis meint, Fortschritte in der Frage gemacht, wie Homosexualität entsteht? Hier ist in jedem Fall zu betonen: Die Fachwelt ist sich nicht einig. Ständig zu behaupten, dass allgemein etwas angenommen und gewusst wird, ist einfach unredlich. Man sollte zumindest zugeben, dass die Ergebnisse sehr komplex sind und z.T. verschiedene Interpretationen zulassen (das wird doch auch im Hinblick auf die Bibeltexte von ihm gefordert!).
Der Theologe und Wissenschaftler Simon Burton fasst in The Causes of Homosexuality – What Science Tells Us die Ergebnisse von Gehirnforschung, Genstudien, Untersuchung von Zwillingen, Psychologie und Sozialstudien sehr gut zusammen. Sein Schluss: Eine biologische Anlage zur Homosexualität mag existieren, doch eine große Bedeutung haben die Entwicklung und familiären Beziehungen und auch die persönlichen Entscheidungen. Charles Socarides (Leiter der NARTH, „National Association for Research and Therapy of Homosexuality“, gegr. 1992) stellt fest:
„Es gibt keine wissenschaftliche Arbeit, die physiologische Ursachen für Homosexualität nachweist. Biologische Faktoren… können möglicherweise zu einer größeren Empfänglichkeit für eine homosexuelle Entwicklung führen. Dagegen hat die wissenschaftliche Forschung zahlreiche Hinweise darauf, dass ein Mensch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit homosexuell wird, wenn er in der Kindheit bestimmten seelischen Verwundungen und bestimmten Störungen in der Familienstruktur ausgesetzt war.“
1996 veröffentliche Jeffrey Satinover Homosexuality and the Politics of Truth. In einem Interview meinte der Psychiater aus den USA:
„Ich traf viele bemerkenswerte Persönlichkeiten und entdeckte, dass Homosexualität nicht leicht zu verändern ist. Sie berührt das Herz von Beziehungen und wird zu einem völlig dominanten Zug im Leben… Sexualität ist das wichtigste emotionale Band, das Menschen haben. Immer wenn diese Beziehungen schwierig, schmerzhaft, gestört oder verändert wird, ist dies Ursache von Leid. Das gilt natürlich auch für jeder heterosexuelle Beziehung.“ (WORLD magazine, 16/2009)
Satinover schildert, dass sich in den 90er Jahren eine neues Paradigma durchgesetzt hat: Homosexualität ist genetisch bedingt, natürlich und unveränderbar. Wer sich ändern will, erfährt daher keine Hilfe, im Gegenteil. Doch dieser neue ‘Konsens’, auf den sich natürlich auch Bielskis beruft, ist laut dem Wissenschaftler „zu 95 Prozent Ideologie“. Man müsste konsequent zurückfragen: welche konkreten Ergebnisse widerlegen die frühere Auffassung und stützen die neue? Satinover: „Fraglos würde eine objektive wissenschaftliche Debatte in überwältigendem Maße von denen gewonnen werden, die Homosexualität für primär umweltbedingt ansehen.“
Doch wer es wagt auf offene Fragen hinzuweisen, wird der Diskriminierung einer Minderheit angeklagt. Therapien, die Homosexuellen helfen, ihre Orientierung zu ändern, werden mehr und mehr tabuisiert. Satinover: „In der APA standen wir schon mehrfach kurz davor die Hilfe eines Therapeuten für Patienten, die ihre sexuelle Orientierung ändern möchten, als ethischen Verstoß zu ahnden“. Doch warum sollen Betroffene, die an ihrer Orientierung leiden und sich verändern wollen, nicht eine Therapie erhalten? Warum verletzen Reparativ-Therapien die Menschenwürde? Der amerikanische Psychotherapeut Dr. Joseph Nicolosi (von der NARTH) erklärte am 24.04.09 in der BBC, dass keiner das Recht habe, homosexuell empfindenden Menschen vorschreiben zu wollen, ihren Lebensstil nicht verändern zu dürfen.
Man fragt sich also: Ist es nicht purer Dogmatismus, eine allerhöchstens mäßig begründete wissenschaftliche Erkenntnis zur einzig selig machenden Wahrheit zu erheben? Woher diese Furcht vor konkurrierenden Theorien? Wo sitzen denn hier die eigentlichen Fundamentalisten? An anderer Stelle meinte Bielskis im Internet: „Politik und die mit ihr verbundene Machtausübung kann und muss auf einem Meinungspluralismus gegründet sein, d.h. in der demokratischen Politik wird und kann es nicht nur EINE Position geben. Wenn die Politik von einer einzigen Meinung oder Ideologie dominiert wird, hört sie auf Politik zu sein wird zur Despotie.“ Sollte das nicht auch für die Wissenschaft gelten??
[…] immerhin Vizepräsidentin des Bundestages, auf Matthias Matusseks Beitrag in der „Welt“ (s. hier). Unter der schon kategorischen Überschrift „Über Homosexualität darf man nicht streiten“ […]