Heute hui, morgen pfui
Das kleine Litauen hat nicht viele Sportler von Weltrang hervorgebracht. Dazu gehört natürlich der Basketballer Arvydas Sabonis (geb. 1964), dessen Sohn ebenfalls erfolgreich in der amerikanischen NBA spielt. In die Fußstapfen des Vaters, Olympiasieger und Weltmeister Virgilijus Alekna, trat auch Diskuswerfer Mykolas Alekna, der in diesem Jahr bei der Weltmeisterschaft überraschend Bronze holte.
Bei den Eislaufeuropameisterschaften, die gerade in Kaunas begonnen haben, ist der Litauer Saulius Ambrulevičius mit seiner amerikanischen Partnerin Allison Reed im Eistanz am Start. Vielleicht schafft das Paar, das seit 2017 zusammenläuft, nun sogar den Aufstieg in die Spitzenklassen. Bei den Wintersportarten hatte Litauen in der Vergangenheit eigentlich immer nur eine Medaillenhoffnung: das Eistanzpaar Povilas Vanagas und Margarita Drobiazko.
Vanagas (geb. 1970) wuchs in Kaunas auf und fing schon sehr früh mit dem Eislaufen an, da seine Mutter schon in der Sowjetunion als Trainerin arbeitete (und bis heute den litauischen Eislaufverband leitet). Seit 1988 läuft Vanagas mit der Russin Drobiazko, beide starteten ab 1990 im Eistanz immer für Litauen – und das mit recht großem Erfolg. Das Paar nahm an fünf Olympischen Spielen teil, 2002 in Salt Lake City erreichten sie Rang fünf. Im Jahr 2000 gelang der Schritt aufs Siegerpodest: Bronze im Eistanz bei der Weltmeisterschaft. In dem Jahr heiratete das Paar auch standesamtlich.
Schon 1993 hatte Drobiazko aufgrund ihrer Verdienste um den Sport des Landes die litauische Staatsbürgerschaft (zusätzlich zur russischen) durch Beschluss des Staatspräsidenten erhalten. 2006, nachdem sie bei Europameisterschaften noch einmal Bronze holten, wechselte das Paar ganz in den Profisport über und lebt seitdem in Russland, das ganz andere Trainings- und Arbeitsmöglichkeiten bietet als Litauen. Wohnort und soziales Umfeld wurde beiden nun aber nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine zum Verhängnis.
Weder Vanagas noch Drobiazko äußersten sich in irgendeiner Weise positiv zum Einmarsch der russischen Truppen, huldigten in keiner Weise der Regierung in Moskau. Doch im August letzten Jahres nahmen sie mit anderen (russischen) Eislauflegenden an einer Revue in der russischen Schwarzmeerstadt Sochi teil – das Ballett „Schwanensee“ auf Eis. Organisiert hatte die Veranstaltung Tatjana Navka, eine frühere Kollegin der beiden, ebenfalls Eistänzerin. Dummerweise ist sie die Frau des Pressesprechers des russischen Präsidenten Putin, Dmitri Peskow. Navka wurde von der EU und den USA mit Sanktionen belegt.
Der Auftritt des Paares in Sochi schlug in Litauen hohe Wellen und von der politischen und medialen Elite meist sehr kritisch bewertet. Vanagas wurde zügig ein hoher Orden Litauens aberkannt. Aber damit nicht genug: alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, um Drobiazko die litauische Staatsbürgerschaft wieder abzunehmen. Anfang des letzten Jahres verabschiedete das litauische Parlament eine Änderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes, die es ermöglicht, einer Person mit doppelter Staatsbürgerschaft die litauische zu entziehen, wenn sie öffentlich ihre Unterstützung für einen Staat zum Ausdruck bringt, der die Sicherheitsinteressen Litauens oder seiner Verbündeten bedroht.
Das Staatssicherheitsamt Litauens (VSD, Spionageabwehr und Verfassungsschutz) hielt jedoch fest, dass Drobiazko keinerlei Sicherheitsrisiko darstellt und sich auch nicht in dieser Richtung geäußert hat. Direkte Propaganda für den Kreml hat das Paar nie gemacht. Doch aus dem Auftritt im „Schwanensee“ wurde eine Zusammenarbeit mit einem feindlich gesinnten Regime gemacht. Mitte September empfahl die Staatsangehörigkeitskommission, Drobiazko die litauische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Am nächsten Tag kam Präsident Nausėda per Dekret dieser Empfehlung prompt nach.
Aus möglicherweise engen beruflichen und persönlichen Kontakten zu einer Person, die dem Kreml nahesteht, wurde Drobiazko trotz aller Meidung von politischen Stellungnahmen in der Öffentlichkeit der Strick gedreht. In Litauen, wo das Paar immer noch viele Symapthien genießt, lehnt in Umfragen immerhin rund die Hälfte der Befragten den Entzug der Staatsbürgerschaft ab. Drobiazko hat bald darauf gegen die Aberkennung Klage bei einem Verwaltungsgericht in Vilnius eingereicht. Das Präsidialamt muss seinen Beschluss nun vor Gericht belegen. Ihre Chancen auf Gewinn des Prozesses stehen nicht schlecht. Bahnt sich eine Ohrfeige für das Staatsoberhaupt an, das sich bald im heißen Wahlkampf befindet? (Im Mai stehen Präsidentschaftswahlen an.)