Menschenwürde und Menschwerdung
Vor 75 Jahren, am 10. Dezember 1948, wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, beginnt der erste von dreißig Artikeln. Auch in der Präambel ist die „Anerkennung der angeborenen Würde“ genannt und wird die „Herrschaft des Rechtes“ gefordert, um die Menschenwürde zu bewahren. In Artikel 18 wird dann konkret z.B. das „Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ festgeschrieben sowie die Freiheit, „seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln“ und öffentlich zu bekennen.
Die Menschenrechte erfordern als Begründung eine bestimmte Vorstellung vom Menschen: ein unvergleichlich wertvolles oder würdiges Geschöpf. Diese Würde kommt dem Menschen deshalb zu, weil Gott ihn nach dem ersten Buch der Bibel als sein Abbild geschaffen hat (1.Mose 1,27). In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776 wird dies deutlicher als in der Erklärung von 1948: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind.“
Der Evangelist und Apologet Francis A. Schaeffer (1912–1984), der Gründer der L‘Abri-Gemeinschaft, schrieb in A Christian Manifesto (1982): „Wir müssen verstehen, dass die Frage nach der Würde des menschlichen Lebens nicht etwas am Rande des jüdisch-christlichen Denkens ist, sondern fast das Zentrum desselben (wenn auch nicht das Zentrum, denn das Zentrum ist die Existenz Gottes selbst). Aber die Würde des menschlichen Lebens ist untrennbar mit der Existenz des personalen Gottes verbunden. Weil es einen personalen, unendlichen Gott gibt, der Männer und Frauen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, haben sie eine einzigartige Würde des Lebens als menschliche Wesen.“
Der Staat schafft diese Rechte nicht und gewährt sie auch nicht, er anerkennt sie und muss sie schützen. Menschenrechte sind Abwehr- oder Schutzrechte vor Machtmißbrauch (in der Allg. Erklärung bis Art. 21), schließlich leben wir in einer gefallenen, sündigen Welt. Menschen besitzen nicht nur eine angeborene Würde, sondern sind von Natur auch im Elend ihrer Bosheit gefangen und neigen zu Hass und Gewalt, haben eine angeborene Lust auf Beherrschung anderer wie der Kirchenvater Augustinus sagte. (Eine gute Einführung zu den Menschenrechten aus evangelikaler Sicht gibt Thomas K. Johnson in Human Rights – A Christian Primer.)
Die Weihnachtsgeschichte bekäftigt dieses zweiseitige Bild vom Menschen. Dass der ewige Sohn Gottes menschliche Natur annahm, ist der größte Beweis, dass jeder Mensch unendlich wertvoll ist. Jesu Menschwerdung hatte aber auch ein Ziel: Er kam in eine brutale Welt des Elends, der Massaker und des Terrors (Matthäus berichtet nicht zufällig in Kap. 2 vom Kindesmord in Bethlehem), um Sünder aus ihrem Elend zu befreien; um wahres Menschsein wieder herzustellen..
Die Menschenrechtserklärungen der Neuzeit konnten nur einer christlich geprägten Kultur entwachsen. An der Wiege der Erklärung von 1948 standen u.a. der libanesische Christ Charles Malik oder der katholische Philosoph Jacques Maritain. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass Teile der Erklärung eine eindeutig christliche Prägung (wie der o. zitierte Artikel oder Art. 16) bekamen. Heute ist die Menschenwürde erneut hochzuhalten. Denn in Krisen und Kriegen geraten elementare Menschenrechte nur zu leicht unter die Räder, mancherorts macht sich eine erschreckende Entmenschlichung in Wort wie Tat breit. Hinzu kommen neue Herausforderungen wie Künstliche Intelligenz oder Transhumanismus. Immer geht es um die Frage: Was ist der Mensch? Als Christen können, ja müssen wir unsere biblisch gegründete und realitsische Antwort vorbingen: Licht und Schatten, Elend und Größe, Würde und Schande des Menschen.