"Unsere Türen sind für alle offen"

“Unsere Türen sind für alle offen”

Mitte September wurde in Litauen landesweit und verbindlich der „Paß der Möglichkeiten“ (Galimybių pasas) eingeführt. Ähnlich den 3G-Regeln in Deutschland können Inhaber dieses Paßes (meist auf dem Smartphone), die gegen Covid-19 geimpft, genesen oder getestet sind, Veranstaltungen aller Art besuchen, ins Kino, Restaurant usw. gehen. Nur mit dem Paß gelangt man außerdem in größere Geschäfte. Wer keinen Paß hat, kommt nur in kleinere und mittelgroße Supermärkte sowie Apotheken. Gegen diesen Paß, der keine klare gesetzlich Grundlage hat, liegt inzwischen eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Dutzend Parlamentarier vor. Ob Tests durch die Arbeitnehmer in Zukunft selbst bezahlt werden müssen, wie ein jüngst verabschiedetes Gesetz vorsieht, ist noch offen. Der Staatspräsident erwägt ein Veto.

Kirchliche Veranstaltungen sind bisher uneingeschränkt möglich, vor allem auch deshalb, weil die Religionsgemeinschaften recht große Freiheitsrechte genießen. Die Einschränkungen des letzten Winters nahmen die Kirchen freiwillig vor. Allerdings wird von staatlichen Stellen bis hin zur Regierungschefin mitunter sanfter Druck ausgeübt – vor allem auf die katholiche Bischofskonferenz.

Im Hinblick auf den neuen Paß erklärte der Erzbischof von Vilnius im September, der Zugang zu den Sakramenten werde sicher frei bleiben. Aber wenn er es sich doch anders überlegt? Und wie sieht es mit dem ganzen Spektrum der kirchlichen Veranstaltungen neben den Sakramenten aus? Erlaubt oder doch nicht? Das Nationale Gesundheitszentrum ermahnte schon in E-Mails, doch bitte nur Paßinhaber in die Gottesdienste zu lassen. Die Verunsicherung wuchs, gerade unter den jüngeren, freien evangelischen Gemeinden und ihren Mitgliedern.

Unsere reformierte Kirche ergriff die Initiative und veröffentliche mit Zustimmung des Konsistoriums, der Kirchenleitung, Anfang Oktober eine Art kurzes Hirtenwort: „Unsere Türen sind für alle offen“ (s.u., hier in einem katholischen Portal Litauens). Darin wird weder zur Impfung, noch zum neuen Paß direkt Stellung genommen, denn schließlich gibt es dazu in allen Kirchen ganz unterschiedliche Meinungen. Es wird aber klar bekräftigt, dass der Paß oder die 3G-Regeln für alle kirchlichen Veranstaltungen nicht angewendet werden. Der Text war konzipiert als gemeinsame Wort der verschiedenen evangelischen Kirchen des Landes. Allerdings wollte sich öffentlich doch keine andere Kirche (oder Bund) dem Wort anschließen.

Bisher ist die reformierte Kirche Litauens also die einzige Religionsgemeinschaft, die sich in dieser Frage klar und eindeutig positioniert hat. Inzwischen mehren sich auch in der litauischen Presse die Berichte über Zugangsbeschränkungen zu Gottesdiensten und Messen in anderen Ländern. Möglicherweise wird sich heraustellen, dass wir in Litauen in weiser Voraussicht gehandelt haben.

In Deutschland ist auf die Erklärung „Gott schließt keinen aus – wir auch nicht! Der Zugang zum Gottesdienst muss für alle frei bleiben“ hinzuweisen, die ausführlicher ist, aber ähnliche Akzente setzt (auf der Homepage von Wolfgang Nestvogel).

 

Unsere Türen sind für alle offen – eine Erklärung der ev.-reformierten Kirche Litauens

Das Evangelium Jesu Christi gilt allen Menschen: Männern und Frauen, Jungen und Alten, Armen und Reichen, Gesunden und Kranken. Weil die Kirche berufen ist, der ganzen Menschheit die Botschaft der Gnade zu verkünden, heißen christliche Kirchen jeden willkommen, sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte. Gerade in dieser Krisenzeit stehen unsere Türen für alle offen, denn die Kirche ist wie ein Krankenhaus für alle Seelen, wie der Kirchenvater Johannes Chrysostomos sagte.

Als Teil der allgemeinen Kirche Christi bekräftigen wir unsere Treue zu Gottes Gebot, Gläubige zu versammeln und alle einzuladen, die Jesus Christus suchen und mit ihm leben wollen. Wir sind dankbar für das durch die Verfassung der Republik Litauen garantierte Recht, die Lehre Christi frei zu verkünden, unsere Riten durchzuführen und frei gemäß unseren Kanonen und Statuten zu handeln (s. Art. 43). Wir ehren die Staatsoberhäupter (1. Pt 2,17), beten für die Diener der Staatsgewalt (1. Tim 2, 1-2) und fordern sie auf, die dem Staat durch Gott zugewiesene Funktion treu zu erfüllen (Röm 13, 4). Wir werden alle Gottesdienste, Seelsorge, Katechese und Schulungen in Gemeinderäumen und Privathäusern der Gläubigen (bei Einhaltung der Hygiene- und Schutzmaßnahmen) fortsetzen. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, in diesen unruhigen Zeiten uns noch entschlossener für Tugend, Einheit und Versöhnung einzusetzen.

(Bild o.: Tür der katholischen Bernardinenkirche in Vilnius)